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Die Betelnuss

Suchtexperten sehen rot

Betel gehört neben Kaffee, Zigaretten und Alkohol zu den weltweit beliebtesten Genussmitteln. Über eine halbe Milliarde Menschen in Indien, Südchina, Taiwan und der malaiischen Inselwelt, aber auch an der ostafrikanischen Küste, schätzen die stimulierende Wirkung des sogenannten Betelbissens. Deshalb wird die Betelnusspalme (Areca catechu) in fast jedem Dorf des tropischen Südostasiens angebaut. Die stimulierenden Alkaloide stammen aus dem harten Samen der Betelpalme, dem wichtigsten Bestandteil des Betelpriems.

Unabdingbar als Zutat ist gebrannter Kalk, traditionell aus Kalkstein, Korallen, Muscheln oder Schneckenhäusern hergestellt. Daneben werden Würzstoffe wie Nelken, Muskatblüte, Sandelholz, Gambir und Kardamom sowie Süßungsmittel zugefügt. Vor allem in Indien kommt noch Kautabak dazu. Unverzichtbar sind auch die aromatischen, scharf schmeckenden Blätter des Betelpfeffers (Piper betle) – eine Schlingpflanze, die gern an Kokospalmen angebaut wird, die als Stütze dienen. 6

Den Betelbissen gibt es in vielen Formen. Für eine besonders sorgfältige Zubereitung sind die Malaien bekannt: «Die mit Wasser benetzten Betelblätter werden getrocknet, man entfernt ihre Hauptnerven … Hierauf bestreicht man die Oberseite der Blätter – zu jedem Bissen werden zwei bis drei Blätter genommen – mit einer dünnen Lage von Kalkbrei. Diese werden dann kreuzförmig übereinandergelegt, in die Mitte kommt ein Stückchen Arekanuss und oft noch etwas Gambir, Catechu oder Tabak, worauf die Blattenden zusammengefaltet werden.» 8

Der Betelbissen ist eine Art Kaugummi des Ostens und sorgt genau wie dieser für Atemfrische und Frustabbau. Beim Kauen werden die Betel-Alkaloide Arecolin und Guvacolin, die sich übrigens vom Nikotin ableiten, durch den Kalkzusatz zu Arecaidin und Guvacin hydrolisiert. Arecaidin und Guvacin beeinflussen das Zentralnervensystem (ZNS), indem sie die Aufnahme des Neurotransmitters GABA verhindern. Phenole wie Eugenol und Isoeugenol aus dem ätherischen Öl des Betelpfeffers wiederum setzen Katecholamine im Körper frei. In der Folge steigen Puls, Blutdruck und Körpertemperatur. 1 Der bittere Bissen wird mehrere Stunden im Mund behalten, manche Betelkauer schlafen sogar mit dem Priem.

Teilweise entstehen beim Kauen auch Nitrosamine, die als krebserregend gelten. Für Suchtexperten der Anlass, vor den Gefahren des Betelkonsums zu warnen. Interessanterweise konnten im Speichel taiwanesischer Betelkauer gar keine Nitrosamine nachgewiesen werden, obgleich sie durchschnittlich 43 unreife Nüsse täglich konsumieren. 18 Ein Grund dürfte der hohe Gehalt an Hydroxychavicol in der Betelnuss wie auch in der Betelpfefferblüte sein. 9, 11 Dieses Phenol scheint die Bildung von krebserregenden Nitrosaminen effektiv zu verhindern. 10 Demnach ist es eine Frage der Zubereitung, ob gesundheitlich fragwürdige Stoffe entstehen.

Wohl deswegen sollte das Betelblatt als Bestandteil des Priems nicht fehlen. In Indien bekamen einst Gäste in wohlhabenden Häusern zur Bereitung des Priems sogar vergoldete Blätter dieser Schlingpflanze angeboten. 10 Heute gibt es in Indien allerdings auch Betelprieme ohne Betelpfefferhülle (Gutka, Pan masala), die insbesondere bei Jugendlichen Zuspruch finden. 5

Krank durch Suchtbekämpfung

Wie praktisch alle Genussmittel steht auch Betel auf dem Index der Gesundheitshüter. Umso mehr, als sein Konsum in der westlichen Kultur als unästhetisch gilt: Gerbstoffe wie Arecarot sorgen bei Betelkauern für einen roten Speichel und nach Jahren für schwarz-rötlich gefärbte Zähne. Was Europäer als abstoßend empfinden, gilt vor Ort jedoch als schön: Nur Dämonen haben weiße Zähne. Der Kalk verursacht dicke Krusten auf den Zähnen, und zu allem Überfluss spucken Betelkauer auch noch häufig aus, da die Gerbstoffe ihren Speichelfluss anregen, was wiederum der Zahngesundheit zugutekommt. Dazu kommt das Hydroxychavicol aus dem Betelblatt, das in der Mundhöhle antimikrobielle Wirkungen entfaltet. 16

Weil das alles trotzdem irgendwie nicht gesund sein kann, wurde Betel von westlichen Suchtexperten als Auslöser von Mundkrebs attackiert. 20 Inzwischen rudert die Fachwelt wieder zurück. Aktuellen Übersichtsarbeiten zufolge kann Betelkauen eine Fibrose auslösen, was das Krebsrisiko erhöht. 5, 19, 20 Doch selbst hier gibt es Ungereimtheiten: «Angesichts der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Areca-Kauer tatsächlich eine orale submuköse Fibrose entwickelt, erscheint es möglich, dass es eine genetische Prädisposition für die Erkrankung gibt.» 19 Wirklich neu ist das nicht, bereits in der ersten gründlichen Arbeit über Mundkrebs bei Betelkauern aus dem Jahr 1933 war darauf hingewiesen worden, dass vor allem die arme Bevölkerung darunter leidet, die sich allenfalls minderwertige Betelbissen leisten kann. 15

Dessen ungeachtet wird das Betelkauen seitens westlich orientierter Ärzte bis heute scharf attackiert. Über die Folgen ihres unseligen Treibens brauchen sich die Aufklärer nicht zu beschweren, schließlich verschaffen sie ihnen mittlerweile Arbeit und Brot: Es kommt derzeit in einigen Ländern zu einer «Epidemie von Mundkrebs durch die Verwendung von Betel-Ersatzstoffen», lesen wir in der Fachpresse. Sie wurden als «gesunde Alternative» zum traditionellen Betelbissen angeboten. 12 Womöglich spielt hierbei der Verzicht auf den Betelpfeffer eine wichtige Rolle.

Die Argumente, die gegen einen Genuss des Betelbissens in Südostasien durch die einheimische Bevölkerung sprechen, passen den Experten eher nicht ins Bild. Es ist weniger die Betelnuss, sondern das vermehrte Ausspucken, das Probleme verursacht: Denn es fördert die Übertragung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. Außerdem kann Betel Hepatitis B und C verstärken sowie den Vitamin-D-Spiegel senken, wobei Letzteres in tropischen Ländern eher belanglos ist. 14, 20

Statt reflexartig vor den Gefahren des «Genussgiftes» zu warnen, wäre es wohl angemessener, vorher den potenziellen Nutzen zu prüfen. Denn Betel wurde schon immer in der asiatischen Medizin eingesetzt. Er hat nicht nur einen stimulierenden Effekt, sondern wirkt auch hervorragend gegen Parasiten. 3 Extrakte aus der Betelnuss lähmen nachweislich den Schweine- und den Rinderbandwurm, wodurch die Parasiten ihren Halt im Darm verlieren und ausgeschieden werden. 2, 4 Fazit: «Die Resultate zeigen, dass die weitverbreitete Sitte des Betelnusskauens in Südostasien parasitäre Erkrankungen effektiv verhindern könnte.» 7 Das dürfte übrigens auch die heilende Wirkung bei Schizophrenie erklären 17, die bekanntlich ebenfalls durch Parasiten wie Toxoplasma ausgelöst werden kann. 13 Weil Parasiten das Leben der Menschen in Gesellschaften mit geringer Hygiene unmittelbar bedrohen, ist dort der gesundheitliche Vorteil erheblich.

Dass der Betelpriem nie den Sprung nach Nordasien, Europa und Amerika geschafft hat, liegt neben den optischen Effekten auf Zähne und Lippen höchstwahrscheinlich auch an seiner komplizierten Zubereitungsart. Zwar lassen sich die Samen der Betelpalme leicht überallhin transportieren, doch die Betelpfefferblätter müssen frisch sein. Dummerweise wächst der Strauch aber nur in den Tropen. In Nordchina galt der Genuss eines Betelbissens daher als höchster Luxus. Zudem gab es andernorts gleichwertige und leicht verfügbare Drogen wie Nikotin und Alkohol. Inzwischen sind deswegen vor allem junge Menschen vom Betelbissen auf Zigaretten umgestiegen. Diese müssen nicht erst umständlich zubereitet werden. Und außerdem hat sich das Schönheitsideal gewandelt: Schwarze Zähne sind out, jetzt zählt das strahlend weiße Colgate-Lächeln – ein glänzender Erfolg westlicher Suchtexperten und Präventionsmediziner.