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Verführerische Früchtchen

Gutbürgerliche Drogenküche

Frisches Obst lockt nicht nur Maden oder Federvieh aufs Tapet. Oft genug finden auch Säuger Gefallen an der saftigen Sache. Als besonders wählerisch erwiesen sich die Hippies. Sie hielten große Stücke auf die Banane, genauer gesagt auf deren Schalen. Mit ein wenig Geschick ließe sich daraus allerlei Rauchbares gewinnen, so die Verheißung im Underground-Schrifttum. 23 Populär wurde die frohe Botschaft aber erst 1966 durch Country Joe McDonald, der den schalen Tipp für den Schalen-Trip auf einem Konzert in San Francisco kundtat. Kurz danach waren Bananen restlos ausverkauft. Im gleichen Monat erschien Mellow Yellow von Donovan, was den Mythos weiter beflügelte. Weil der geheimnisvolle Text etwas von einer «electrical banana» raunte, wurde der Song als Hinweis auf deren psychedelische Effekte gedeutet. Danach befragt, winkte der schottische Musiker später ab: Er habe lediglich einen Vibrator besungen.

Inzwischen haben sich die Gerüchte um die Bananenschalen-Dröhnung im Pfeifchen in Rauch aufgelöst. Zwar weisen die Schalen beachtliche Gehalte an neuronalen Botenstoffen auf, insbesondere den Aminen Tyramin, Serotonin und Dopamin, Letzteres sogar in einer Dosis von bis zu einem halben Gramm pro Kilo. Doch beim Verbrennen des vorgetrockneten Materials entstehen aus diesen biogenen Aminen eindeutig keine halluzinogenen Opiate. Vielleicht war der Ansatz der Blumenkinder nicht «ganzheitlich» genug? Mit Stumpf und Stiel verarbeitet, hätte die Banane womöglich echte Flower-Power gebracht: Ein Extrakt aus dem «Stamm» der Bananenstaude wirkte im Laborversuch wie «ein potentes Lokalanästhetikum». 39

Warum ist die Banane krumm?

Dennoch zählen die Bananen zu den beliebtesten Früchten auf der Nordhalbkugel – ganz gleich, ob in Europa oder Japan –, und nicht nur bei der Wiedervereinigung waren sie begehrter als heimisches Obst. Woran liegt’s? Bleiben wir bei den genannten Botenstoffen. Serotonin und Dopamin finden sich auch im Fruchtfleisch, wenn auch in geringerer Dosis als in der Schale. 20 Gewöhnlich bleibt der Verzehr dieser Botenstoffe ohne Wirkung, denn wie andere Amine auch werden sie im Verdauungstrakt ruck, zuck zerknackt und damit unschädlich gemacht.

Diese Arbeit verrichten spezielle Enzyme, die den umständlichen Namen Monoaminooxidasen tragen. Er weist darauf hin, dass die Amine durch Oxidation zerlegt werden. Zum Glück ist die Abkürzung für diese Enzyme, MAOs, kinderleicht zu merken. Gegen den «Stoff» in den krummen Früchten scheinen unsere MAOs aber machtlos zu sein: Isst man Bananen (statt ihre Schalen zu rauchen), steigen die Blutspiegel von Serotonin und Dopamin sogar an. 8, 41 Das hebt die Stimmung. 6 Nicht umsonst schnellt der Absatz von Bananen bei schlechtem Wetter in die Höhe.

Warum aber lassen uns die MAOs im Stich, wenn es um das Serotonin und Dopamin aus der Banane geht? Ganz einfach: Die Frucht enthält Stoffe, die diese Entgiftungsenzyme blockieren. 28 Einer davon heißt Salsolinol. Das Salsolinol ist ein simpel aufgebautes Alkaloid. Es entsteht in der Bananenfrucht ganz von allein, wenn einige Moleküle des reichlich vorhandenen Dopamins mit dem Aromastoff Acetaldehyd reagieren. Übrigens passiert das genau da, wo sich die dunklen Flecken befinden. Die höchsten Salsolinolgehalte von allen Lebensmitteln haben getrocknete Bananen, die vermutlich deshalb in keinem Fertig-Frühstücksmüsli fehlen dürfen. 40 Salsolinol steckt auch in irischem Stout, Schokolade und in Sojasoße. Dieses Alkaloid entfaltet außerdem eigene Effekte in der Psyche. 36

Der Acetaldehyd ist eine sehr reaktionsfreudige Substanz. Daher verbindet er sich natürlich auch ohne viel Federlesens mit den anderen Botenstoffen im Fruchtfleisch, zum Beispiel Tryptamin. So bilden sich schnell weitere Alkaloide, die β-Carboline. 17, 18 Weil man sie das erste Mal aus der halluzinogen wirkenden vorderasiatischen Steppenraute Peganum harmala isoliert hat, nennt man sie auch Harmane. Die recht einfach aufgebauten Harmane haben berüchtigte Verwandte mit wesentlich komplizierterer Struktur, etwa das Strychnin oder die halluzinogenen Mutterkorngifte, die Ergotamine. Sie haben alle einen Molekülbaustein gemein, das Zweierringsystem Indol. Daher zählen sie zu der riesigen Gruppe der Indolalkaloide. Das Indolskelett erhalten die Bananen-Harmane von ihrer Ausgangssubstanz Tryptamin (s. Kap. 4).

Es ist gewiss kein Zufall, dass Suchtpatienten nicht nur gerne Quark (s. Kap. 2), sondern auch Bananen essen – und das in erheblicher Menge. Womöglich gewinnen sie der Gelbfrucht mehr ab als der Rest der Bevölkerung, denn ihre Leber wurde lange genug auf die Bildung stimmungsaufhellender Opiate getrimmt (s. Kap. 11). Wie es der Zufall will, enthalten die nicht minder beliebten Zitrusfrüchte (Grapefruits, Orangen, Zitronen) exakt die gleichen Alkaloide. 17, 18, 29 Welchen Beitrag sie zur Beliebtheit von Orangensäften leisten, muss offenbleiben. Andererseits verwundert es nicht, dass Alkoholiker im Entzug O-Saft in erheblicher Dosis zusprechen (s. Kap 11). Es heißt, dass diese Säfte teilweise «relativ hohe Gehalte» an Harmanen enthalten. 17 Und Harmane senken die Entzugssymptome bei Morphinabhängigkeit. 26

Albion, Land der Pomeranzen

Merkwürdige Gewohnheiten bei Tisch führen den Chemiker oft auf die Spur außergewöhnlicher Substanzen. Besonders wertvolle Hinweise liefern bittere Speisen, da dem Menschen eine Aversion gegen Bitteres angeboren ist. In der Tat wird bei uns kaum bitteres Obst verzehrt – einmal abgesehen von Grapefruits, die ein paar spezielle Liebhaber gefunden haben. Die meisten anderen Obstfans delektieren sich lieber an den neuen, immer süßer werdenden Grapefruitsorten. Anders sieht es in England aus, wo des Morgens fürs Toastbrot ein Glas marmalade auf dem Tisch steht. Was reizt die Menschen jenseits des Ärmelkanals an der Bitterorange so sehr, dass sie die Frucht gleich samt ihrer Schale verzehren? Vielleicht beweisen die Gentlemen mit dem leicht spleenigen Brotaufstrich ja einen stilsichereren Geschmack als die Hippies mit ihren trockenen Bananenschalen?

In der Tat fand man in der Pomeranzenschale ebenso überraschend wie reichlich Synephrin. Biochemisch ist dieses Amin nahe verwandt mit dem Hormon Noradrenalin. Es verengt die Blutgefäße und erhöht so den Blutdruck, daneben entspannt es die Bronchien und wirkt antidepressiv. 5, 22 Im Labortest wird Synephrin immer wieder mit Ephedrin verwechselt, da ihm dieses Amphetamin aus den arzneilich genutzten Meerträubel-Arten (Ephedra ssp.) verblüffend ähnlich sieht. 29, 30 Das Ankurbeln des Blutdrucks hilft sicherlich vielen Menschen, den Schlaf leichter aus den Augen zu vertreiben. Vor allem, wenn auch noch Nebel aufs Gemüt schlägt.

Das getoastete Weißbrot ergänzt die marmalade vorzüglich. Denn bei den Röstprozessen im Toaster bzw. der Fritteuse (die in Großbritannien beim Frühstück oftmals den Toaster ersetzt) entstehen reichlich β-Carboline. Diese Alkaloide verhindern, dass der Körper das Amin Synephrin abbaut und damit wirkungslos macht. β-Carboline blockieren einfach die Enzyme, die das Synephrin vernichten sollen: die Monoaminooxidasen (MAOs). Diesen Trick kennen wir ja schon vom Salsolinol, dem MAO-Hemmer aus der Banane.

Das Synephrin bedankt sich bei den Carbolinen, indem es das wichtige Enzym Cytochrom 450 im Darm ausschaltet. Jetzt kommen auch mehr β-Carboline ungeschoren davon, da der Körper mit dem Cytochrom 450 Fremdstoffe unschädlich macht. Bis alle malträtierten Entgiftungsenzyme wieder richtig arbeiten, können sich die Carboline und das Synephrin jedenfalls nach Herzenslust gegenseitig retten und in ihrer Wirkung verlängern.

Natürlich handelt es sich bei diesen Vorgängen stets um pharmakologische Gratwanderungen, denn β-Carboline können auch unerwünschte Nebenwirkungen entfalten. Einige dieser Alkaloide wirken im Tierversuch krebserregend. Ernährungsexperten warnen immer wieder vor deren Vorstufen, also bestimmten heterozyklischen Aminen, die beim Erhitzen von Fleisch entstehen. Doch auch hier hat sich in der Vergangenheit des Öfteren gezeigt, dass bestimmte Rezepturbestandteile wie Gewürze oder Kombinationen wie das Glas Bier zum Braten und der berühmte Klecks Senf zur Bratwurst die Toxizität der verdächtigen Amine vollständig aufhebt. 3, 33

Kröte in Ketchup

Unter den Gemüsen hat die Tomate angesichts ihrer knapp bemessenen Nährstoffe den wohl größten Überraschungscoup gelandet. Den verdankt sie vermutlich ihrem erklecklichen Gehalt an biogenen Aminen. Während in Bananen das Dopamin überwiegt und in Pomeranzen das Synephrin, dominieren bei der Tomate Tryptamin und Serotonin. 25 Gehalte von etwa 200 Milligramm pro Kilo Trockenmasse lässt sich ein guter Koch nicht entgehen, vor allem, wenn das Produkt noch etwas Acetaldehyd vorzuweisen hat. Das trifft insbesondere für Tomatenmark aus Süditalien zu, das klimatisch bedingt schon leicht in Gärung übergegangen ist. Langes Köcheln bei milder Wärme schafft dann optimale Bedingungen für die Bildung stimmungsbeeinflussender Stoffe.

Unter allen Tomatenprodukten weist der Ketchup die höchsten Gehalte an biogenen Aminen auf. 7 Das ist auch nicht anders zu erwarten, denn zur Ketchuprezeptur gehört gewöhnlich ein Schuss Essig, obwohl die Tomate in geschmacklicher Hinsicht genügend Säure mitbringt. Einen sachdienlichen Hinweis liefert sein zum Teil exorbitant hoher Gehalt an Acetaldehyd, der schon mal bis zu ein Gramm pro Liter betragen kann. Der Essig stellt also mit dem reaktionsfreudigen Acetaldehyd einen wichtigen Grundstoff zur Alkaloidsynthese in ausreichender Menge zur Verfügung.

Schwarz gekocht: Pflaumenmus & Apfelkraut
Angesichts der Reaktionen in Tomatensugo liegt es nahe, über die Inhaltsstoffe von Brotaufstrichen wie Pflaumenmus, Latwerg oder Apfelkraut nachzudenken. Sowohl aus ernährungsphysiologischer als auch aus energietechnischer Sicht sind diese Aufstriche im Grunde in unsinniger Weise verkochte Produkte. Immerhin gibt der Hersteller einer solchen Spezialität an, dass für 100 Gramm 420 g Äpfel und 225 g Birnen benötigt werden, was Rückschlüsse auf eine halbtägige Eindampfzeit mit erheblichem Brennstoffeinsatz zulässt.
Auch wenn entsprechende Analysen bis jetzt fehlen, würde die Bildung von stimmungsbeeinflussenden Stoffen den Arbeitsaufwand bei der Herstellung erklären. Pflaumen enthalten erkleckliche Mengen des biogenen Amins Serotonin, was wie bei der Tomate die Bildung von β-Carbolinen nahelegt. Da Birnen und Äpfel nicht mit derartigen Aminen aufwarten können, dürften sich im Apfelkraut eher stimmungssteigernde Reaktionsprodukte aus Aminosäuren und Zuckern bilden.

Bleiben wir bei den beiden wichtigsten biogenen Aminen im Tomatenketchup, dem Serotonin und dem Tryptamin. 16 Zwar können sie mit dem Aromastoff Acetaldehyd in diverse stimmungsbeeinflussende Alkaloide umgewandelt werden, aber das ist noch lange nicht alles. Wird Tomatenmatsche zu Ketchup weiterverarbeitet, so können sich in der milden Wärme der Bottiche auch ganz andere chemische Umsetzungen abspielen. Und die führen dann zu halluzinogenen Aminen. Denn an das Doppelringsystem des Serotonins und Tryptamins lassen sich leicht weitere Molekülgruppen hängen, zum Beispiel Methylgruppen. Diese Arbeit verrichten auch bestimmte, in allen möglichen Lebewesen vorkommende Enzyme, die Methyltransferasen. 35

Hängen die Enzyme eine Methylgruppe an das Serotonin, entsteht das halluzinogene Bufotenin. Aus Tryptamin wird das ähnlich wirkende Dimethyltryptamin, kurz DMT. Diese beiden Amine sind Drogenexperten bestens geläufig. Bufotenin ist zwar vor allem als Krötengift bekannt, kommt aber auch in einigen südamerikanischen Mimosenarten und im Gelben Knollenblätterpilz (Amanita citraria) vor. Es wirkt wie Meskalin. DMT zeigt ebenfalls psychedelische Effekte und ist ein Hauptwirkstoff des berauschenden Trunks Ayahuasca (s. u.). DMT entfaltet seine Wirkung aber nur, wenn es z. B. zusammen mit β-Carbolinen konsumiert wird. Sie hemmen die MAO, also jenes Enzym, das das DMT abbaut.

Es wäre interessant, einmal die Gehalte an Bufotenin und DMT in Tomatenprodukten wie Ketchup zu messen. Leider fehlen bisher sachdienliche Analysen. Selbst wenn es im Kochtopf nicht zur Bildung von Krötengift kommen sollte – Säugetiere verfügen über reichlich Enzyme, die eine Bildung von halluzinogenen Aminen aus Serotonin und Tryptamin im Eigenbau erwarten lassen: Praktisch alle Gewebe – einmal abgesehen vom Nervensystem – enthalten reichlich Methyltransferasen. Beachtliche Mengen des Krötenhalluzinogens Bufotenin findet man auch im menschlichen Stuhl. 21 Über seine Wirkung im Darm ist bisher noch nichts bekannt.

Im Drogen-Dschungel …

Ayahuasca ist eine Droge, die bei den indigenen Gesellschaften des Amazonasbeckens eine wichtige Rolle spielt. Diesem Trank kommt in den dortigen Religionen die gleiche Bedeutung zu wie in der christlichen der Wein. Er trug wesentlich dazu bei, die Wirkung der europäischen Speisezubereitung zu verstehen, da er die gleichen Mechanismen nutzt, um das Wohlbefinden zu erhöhen. Ayahuasca setzt sich aus zwei pflanzlichen Komponenten zusammen: dem wässerigen Rindenauszug von Lianen der Gattung Banisteriopsis und den Blättern des Baumes Psychotria viridis, Chacruna genannt, einem Rötegewächs. Dieser Pflanzenfamilie gehören übrigens auch Waldmeister und Kaffeestrauch an. 32, 43

Das Geheimnis der halluzinogenen Wirkung des Ayahuasca liegt in der Kombination zweier Wirkstoffe. Die Liane liefert das Dimethyltryptamin (DMT), die Chacruna-Blätter steuern β-Carboline bei. DMT allein zu schlucken bringt überhaupt nichts, da das Amin sofort von den Monoaminoxidasen (MAOs) im Darm abgebaut wird. Hier greifen die β-Carboline des Chacruna ein: Sie schalten die MAO aus, wodurch das DMT erhalten bleibt und seine halluzinogene Wirkung voll entfalten kann. Ein typischer Effekt des Konsums von DMT in Verbindung mit derartigen MAO-Hemmern ist übrigens die Vorstellung, sich mit Aliens zu unterhalten. DMT ist nicht nur im Pflanzenreich verbreitet, z. B. in Akazien, auch die menschliche Hypophyse bildet diesen Stoff in Eigenregie.

… und Zauberwald

Jeder kennt die «mexikanischen Zauberpilze» (beispielsweise Psilocybe mexicana), die aufgrund ihres Gehalts an halluzinogenen Aminen wie Psilocybin und Psyilocin in Mittelamerika zur Heilung, Wahrsagerei und Berauschung konsumiert werden. Psilocybin ähnelt in seiner Wirkung dem chemisch verwandten LSD, Letzteres ist jedoch 100-mal wirksamer. 34 Die Wirkung von Psilocybin wird ebenfalls durch MAO-Hemmer verstärkt.

Nicht nur in Mexiko, sondern auch in Europa wachsen etliche psilocybinhaltige Pilzarten, wie Düngerlinge (Panaeolus ssp.), Samthäubchen (Conocybe spp.) und Trichterlinge (Inocybe ssp.). Getrocknet bringen sie es fast auf ein Prozent «Stoff» – neben allerlei anderen fragwürdigen Begleitstoffen. 2, 11, 13, 31 Die wenigsten dieser Winzlinge sind jedoch Speisepilze; eine Ausnahme bildet der deutlich größere Rehbraune Dachpilz (Pluteolus atricapillus). Allerdings ist sein Gehalt an Psilocybin so gering, dass von ihm keine Trips zu erwarten sind. Nachdem man erst 2008 psychogene Harmane in essbaren, wenn auch wenig schmackhaften Pilzen wie dem Elfenbeinschneckling entdeckt hat, darf man gespannt sein, ob die Droge auch noch in kulinarisch wertvolleren Speisepilzen als dem Dachpilz entdeckt wird. 42

Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker
Auch allein entfalten die β-Carboline Wirkung: In geringen Dosen vertreiben diese Alkaloide Depressionen und Ängste, weil sie die MAOs hemmen. 9 Die Medizin nutzt dies schon seit langem: Synthetische MAO-Hemmer werden als Arzneistoffe gegen Depressionen eingesetzt. Sie verhindern, dass die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin abgebaut werden, und erhöhen dadurch deren Konzentration im Gehirn. So bekommen die depressiven Patienten wieder mehr Antrieb, und zugleich hellt sich ihre Stimmung auf. 24 Kein Wunder, wenn man sich nach dem Verzehr von kunstvoll zubereiteten Soßen mit entsprechender β-Carbolin-Einlage entspannt und zufrieden zurücklehnt. In hoher Dosis erzeugen die Carboline jedoch Tremor, Halluzinationen, Erbrechen und Verwirrtheit. 12 Aber keine Angst, so große Mengen entstehen im Soßentopf natürlich nicht, denn dazu sind die Konzentrationen der Ausgangsstoffe zu gering.
Einige β-Carboline wie das Harman, Norharman und Harmin bremsen aber nicht nur die MAOs, sondern können auch an die Benzodiazepin-Rezeptoren andocken. 10 Benzodiazepine sind Medikamente, die gegen Angstzustände verordnet werden. Ähnliche Wirkungen dürften daher auch diesen drei Carbolinen zukommen. Sie werden zudem offenbar im Gehirn selbst als endogene Botenstoffe gebildet. 1, 27

Den Braten gerochen

Beachtliche Gehalte an β-Carbolinen finden sich erwartungsgemäß in Gebratenem und Gegrilltem, Spitzenreiter sind Grillhähnchen. Besonders große Mengen Carboline dürften sich bilden, wenn das Fleisch in Marinade eingelegt wurde. In der leicht sauren Würzflüssigkeit herrschen nämlich sehr günstige Reaktionsbedingungen für die Entstehung dieser Alkaloide. Auch die Beliebtheit von Bratkartoffeln, Weißbrotkrusten oder Erdnussflips spricht für die Anwesenheit derartiger «Lockstoffe».

Allein die aufwendige Zubereitung von Produkten, die lange kochen oder reifen müssen, zeigt, dass es dabei nicht um einen Gewinn an Kalorien oder Nährstoffen gehen kann. Fermentierte Soßen wie Soja, Nam Pla, die thailändische Würzsoße aus fermentiertem Fisch, oder Balsamico-Essig sind Musterbeispiele für Lebensmittel, deren langwierige Herstellung in keiner Relation zum ernährungsphysiologischen Nutzen steht. Erste Analysen zeigen, dass diese Produkte Gehalte an β-Carbolinen und ihren Amin-Vorstufen von bis zu mehreren 100 Milligramm pro Liter aufweisen. 9, 14, 19 Die Alkaloide und Amine setzen sich mit anderen Inhaltsstoffen um, und diese neuen Substanzen haben wiederum andere Wirkungen. Beispielsweise entstehen aus dem Alkaloid Salsolinol (siehe Seite 108), einem wichtigen Inhaltsstoff von Sojasoßen, und der Aminosäure Cystein sogenannte Dihydrobenzothiazine. Das Cystein wird während der Fermentation aus dem Eiweiß der Ausgangsprodukte freigesetzt. Die neurologischen Effekte dieser Stoffe werden derzeit in Tierversuchen geprüft. 44

Was aber, wenn bei der industriellen Herstellung von Mikrowellenmenüs und Fertigsuppen kein rechtes Bratenaroma oder vollmundiger Hühnersuppengeschmack entstehen will? Dann greift der Food-Designer zu sogenannten Reaktionsaromen: Man gewinnt sie, indem man Aminosäuren wie Tryptophan oder Cystein mit Zuckern zu einer braunen, aromatischen Masse verschmurgeln lässt. Und schon erhalten wir wieder einmal β-Carboline. Würde Essen nur dem bloßen Überleben dienen, käme der Mensch wohl auch ohne aromatische Soßen und Würzen aus; ihm würde ein Glas Wasser zu gewolftem Fleisch genügen.

Käse schließt den Magen

Deswegen lieben die Menschen auch «übel riechende» Aromen. Ja, sie bieten ihnen einen Kick, der so manchen Käseliebhaber zu Reisen nach Frankreich verleitet. Dort schätzt man faulige Milchprodukte, die hierzulande sofort von der Lebensmittelüberwachung beschlagnahmt werden würden. Ähnlich pestilenzialische Ausdünstungen entströmen gewissen asiatischen Würzsoßen aus vergorenem Fisch oder den berüchtigten schwedischen Surströmmingen. Einheimische behaupten, dass die durch Gärungsgase explosionsgefährdeten Konserven tunlichst im Freien geöffnet werden sollten, der Inhalt aber in geschlossenen Räumen verzehrt werden müsse, da er massenweise Fliegen anlockt. 37, 38

In Island verbieten viele Frauen ihrem Liebsten die Zubereitung einer landestypischen Festspeise in der eigenen Küche: Gammelrochen. Die beste Rochenfangsaison ist der Spätherbst. Dann wird der Fisch eingesalzen und muss bis zum 23. Dezember, dem Tag des isländischen Schutzheiligen Þorlákur (Porlakur), abhängen. Jetzt ist das ammoniakhaltige Fischfleisch entgiftet und für Menschen mit ausreichend abgehärteten Riechnerven genießbar. Viele Japaner, deren Küche sich ja sonst eigentlich nicht durch heftige Aromen hervortut, verzehren sich nach Natto. Das sind mit Bacillus subtilis-Kulturen vergorene Sojabohnen, die neben ihrem Geruch die unangenehme Eigenschaft haben, mit einer schleimigen, fadenziehenden Schicht bedeckt zu sein.

In all diesen fermentierten Nahrungsmitteln stecken reichlich biogene Amine, namentlich Tryptamin, die ein gefundenes Fressen für die Mikroorganismen im Gärbottich sind. Diese verfügen über Enzyme, die der Aminogruppe des Tryptamins einen Methylrest verpassen. Und schon erhält man wieder einmal das halluzinogene Amin DMT (s. o.). Wird statt Tryptamin Serotonin methyliert, erhält man Bufotenin. Dabei entstehen aus diesen Aminen auch gewisse Mengen von Stoffen, über deren Duftqualität Namen wie Skatol (griechisch für Kot) oder Cadaverin hinreichend Auskunft geben. Nicht zuletzt deswegen signalisiert der Gestank eines zum Surströmming mutierten Ostseeherings dem Kundigen himmlische Genüsse.

Also erheben wir unsere Gläser zu Ehren der Köchin! Das nützt auch uns: Denn Wein und Bier entgiften nicht nur unerwünschte krebserregende Amine, sondern erleichtern auch die Resorption der β-Carboline. 4 Und wem das immer noch nicht genügt, der genehmigt sich nach dem Essen noch einen Espresso oder greift zum Verdauungs-Zigarettchen, denn diese Produkte sorgen für die höchste Harmanzufuhr. Selbst in Fertigkaffees wurden erhebliche Carbolinmengen identifiziert – ein Hinweis darauf, dass diese Stoffe so manches Mal sogar die Verfahren der Lebensmittelindustrie unbeschadet überstehen. 15

Vom Wesen der Kochkunst

Die Forschung über stimmungsbeeinflussende Stoffe in Lebensmitteln steht noch am Anfang. Und es wird noch geraume Zeit dauern, bis sie mit dem Fachwissen eines Kochs gleichziehen kann. Nicht umsonst trägt die Kochkunst dank jahrtausendelanger Empirie wesentlich dazu bei, Gerichte so zuzubereiten, dass der Esser sich wohlfühlt. Dieser Effekt ist viel weniger den Servietten, dem Silberbesteck oder dem Restaurantambiente geschuldet als der Pharmakologie. Dabei ähnelt das Hervorzaubern der gewünschten Effekte oft genug einer Gratwanderung. Bei der Zubereitung müssen präzise Vorgaben eingehalten werden, Rezeptur und Verfahren werden oft über Generationen optimiert, bis sie perfekt sind.

Denn ebenso oft wie die Kochkunst ein Optimum an stimmungsverbessernden Stoffen erzeugt, läuft sie Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen und statt Halluzinogenen deren Gegenspieler zu produzieren. Entstehen in den Reaktionsräumen von Topf, Pfanne oder Bratröhre die falschen Stoffe, reagiert der Gast mit Unwohlsein, Appetitlosigkeit oder Kopfschmerzen. Da es sich zudem jedes Mal um komplexe Mixturen handelt, ist zu erwarten, dass die Menschen individuell unterschiedlich reagieren – je nachdem, welche Polymorphismen bei ihnen vorliegen. Auch deshalb hat jeder ein anderes Lieblingsgericht. Und deshalb scheitern die meisten neuen Kreationen, egal, ob sie von den Food-Designern oder in der Spitzengastronomie ersonnen werden.

Aroma-Akrobaten

Hoffen wir, dass die Verbraucher auf psychotrope Stoffe in unserer Nahrung gelassener reagieren als die Behörden auf Mohnbrötchen. Nichts ist weiter voneinander entfernt als Kochkunst und Drogenkonsum – auch wenn in dem einen oder anderen Gourmettempel schon gekokst worden sein soll. Aber kann man das fachliche Wissen unserer Köchinnen nicht missbrauchen? Ist der Wohlgeschmack, sind die Verlockungen des Appetits nicht eine Ursache von «Übergewicht»? Wer dieser Meinung ist, sollte konsequent den Handel mit Kochbüchern, Frauenzeitschriften und das Treiben von TV-Köchen untersagen. Wer Vorbild sein will, kann sich ja in aller Öffentlichkeit an Kamillentee und sauren Kutteln delektieren.

Von der Gewieftheit der Lebensmittelindustrie machen sich viele Menschen übertriebene Vorstellungen. Zunächst widerstreben bereits einfache biologische Zusammenhänge dem Denken vieler Manager. Deren Weltbild ist vom Marketing gekennzeichnet – vom Versuch, sich mit dem Zeitgeist ins Bett zu legen, um auf dem Markt Beifall zu erheischen. Vielen von ihnen ist ein naturwissenschaftliches Weltbild weitaus fremder als dem Vatikan. Zudem haben sie jahrzehntelang versucht, die wertgebenden, aber zeitaufwendigen und teuren Verfahrenstechniken, die Stimmungsmacher erzeugen, zu ersetzen: Heute dominieren billige Schnellverfahren und Aromastoff-Akrobatik. Dass sie damit die für den langfristigen Profit so wichtige Kundentreue leichtfertig verspielen, scheint den Strategen des schnellen Erfolgs entgangen zu sein.

Vielleicht kommt die Erkenntnis, dass erfolgreiche Lebensmittel Stimmungsmacher enthalten, doch irgendwann bei den Produktdesignern an. Aber dann wird allenfalls die Versuchung wachsen, ernährungsphysiologisch fragwürdige Erzeugnisse wie Weizenvollkornmüslis, Diätjoghurt oder Sojawurst damit anzureichern, um den gescheiterten Ernährungsprogrammen unserer Gesundheitsapostel doch noch zum erhofften Erfolg zu verhelfen. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen: Der Körper erkennt über kurz oder lang wertlose oder schädliche Speisen. Da nützt dann auch ein Zusatz von Harmanen oder Allylbenzolen nichts mehr.