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Der Stoff, aus dem die Träume sind

Amine, Alkaloide und Amphetamine

Pflanzen, aber auch manche Pilze und Tiere, sind äußerst erfinderisch, wenn es darum geht, mit psychogenen Substanzen Feinde abzuwehren. Pflanzen wie der Peyotl-Kaktus setzen auf Amine wie Meskalin; Kokastrauch, Schlafmohn und Brechnuss verlegen sich auf komplizierter aufgebaute Alkaloide wie Kokain, Morphin und Strychnin (siehe Abb. 3, S. 60). Chemiker und Arzneistoffhersteller können da nur grün vor Neid werden: Scheinbar nebenbei stellt das simpelste Kraut Moleküle her, die man im Labor – wenn überhaupt – nur nach erheblichem Einsatz von Gehirnschmalz synthetisieren kann. So riesig die Zahl der psychogen wirksamen Stoffe auch ist, ein bisschen Nachsicht üben die Pflanzen mit den Chemikern denn doch: Die Substanzen lassen sich größtenteils in eine von drei chemischen Klassen einordnen: die Amine, die Alkaloide und die Amphetamine.

In geringeren Konzentrationen erzeugen viele dieser Stoffe einen mehr oder weniger heftigen Rausch und sind in größerer Dosis oft hochtoxisch. Das hat einen triftigen Grund: Diese durchweg bitter schmeckenden Stoffe sollten keine Hippies auf den Trip schicken, sondern ursprünglich gefräßige Mäuler vom Naschen abhalten. Weder Kokastrauch noch Schlafmohn konnten ja ahnen, dass sich im Laufe der Evolution ein Wesen mit Denkvermögen entwickeln würde, das ihre Abwehrstoffe als Rauschdrogen aufbereitet und «nutzt».

Morphin und Kokain wirken nur deswegen aufs Nervensystem, weil sie die Struktur von körpereigenen Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin oder Adrenalin nachahmen. Diese Neurotransmitter sorgen dafür, dass die Signale in den Nervenbahnen weitergeleitet werden. In passender Konzentration blockieren Rauschdrogen die Signalübertragung, bringen sie ins Stolpern oder verlängern die Verweildauer von Neurotransmittern am Wirkort und damit ihre Wirkung beträchtlich. Das hat oft dramatische Effekte auf die Wahrnehmung: Sie kann verzerrt werden, es kann zu Halluzinationen kommen, oder die Wirkung ist beruhigend und einschläfernd. Andere Substanzen sorgen dafür, dass sich die Aufmerksamkeit erhöht. 6

Derartiger «Stoff» wirkt aber nicht nur bei Säugetieren berauschend bis tödlich. Auch gefräßige Heuschrecken ereilt ein trauriges Schicksal, wenn sie ein Feld voll Schlafmohn anknabbern. Die Tierchen werden steifbeinig, stürzen ab, krabbeln wackelig, aber zielstrebig zur nächsten Pflanze. Dort vertilgen sie noch mehr morphinhaltigen Mohnsaft, bis der Tod sie ereilt.

Original und Fälschung: Amine

Wer die neuronalen Botenstoffe seiner Feinde fälschen will, um diese damit zu schwächen, nutzt dafür am besten dieselben Ausgangsmaterialien. Wie das funktioniert, lässt sich gut am Neurotransmitter Serotonin erläutern: Der Körper erzeugt Serotonin aus einem normalen Eiweißbestandteil, der Aminosäure Tryptophan. Wie der Name schon sagt, tragen Aminosäuren eine Aminogruppe (-NH2) und eine Säuregruppe (-COOH) im Molekül. Zuerst wird dem Tryptophan die Säuregruppe abgeknipst. Ohne die Säuregruppe darf es sich natürlich nicht mehr Aminosäure nennen. Aber da die Aminogruppe erhalten geblieben ist, kann sich das verstümmelte Molekül jetzt als Amin bezeichnen. Das Tryptophan hat sich so in Tryptamin verwandelt. Wird dieses Amin noch an einer bestimmten Stelle mit einer OH-Gruppe verschönert, entsteht 5-Hydroxy-Tryptamin, wie das Serotonin von Chemikern genannt wird.

Drogenliefernde Lebewesen verwandeln das Tryptamin nicht in den Botenstoff Serotonin, sondern in diverse chemisch damit eng verwandte, aber halluzinogen wirkende Amine. Die Aga-Kröte erzeugt aus Tryptamin Bufotenin, südamerikanische Mimosen und Rötegewächse verwandeln es in Dimethyltryptamin (DMT), und die «mexikanischen Zauberpilze» stellen daraus Psilocybin her (siehe S. 114).

Diese Amine – ob Neurotransmitter oder Halluzinogen – haben eine Gemeinsamkeit: In ihnen ist die wirksame Struktur erhalten geblieben, die sich im Skelett ihres Ausgangsmoleküls Tryptophan verbirgt. Daher können all diese Amine an die entsprechenden Serotonin-Rezeptoren im Gehirn andocken. Natürlich gibt es noch andere Rezeptortypen im Nervensystem, zum Beispiel die adrenergen Rezeptoren. Die dazu passenden Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin werden vom Körper aus einem anderen Amin, dem Dopamin, erzeugt. Das Dopamin selbst ist ebenfalls ein Neurotransmitter, nach ihm sind die Dopamin-Rezeptoren benannt.

Abb. 3: Strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Morphin und dem Exorphin β-Casomorphin 5 aus Milch

Pustekuchen

Im Gegensatz zu den Zauberpilzen hat sich der Gerstenkeimling statt auf Tryptamin auf ein anderes Amin eingeschossen, das Tyramin. Daraus stellt er das psychogene, aber relativ instabile Hordenin her. Ein wenig davon gelangt aus dem Gerstenmalz dann später trotzdem ins Bier. Hordenin ähnelt der Struktur des Botenstoffs Dopamin und sollte darum an Dopamin-Rezeptoren andocken.

Man könnte meinen, dass der Peyotl-Kaktus (Lophophora williamsii) sein halluzinogenes Amin Meskalin deswegen aus Dopamin bastelt, damit es dem Noradrenalin ähnelt und an den Noradrenalin-Rezeptoren Unfug treiben kann. Hier zeigt sich aber, dass auch die schönsten Theorien Mängel haben. Das Meskalin bindet nämlich an Serotonin-Rezeptoren, obgleich seine Passform alles andere als ideal ist. Pharmakologen gehen davon aus, dass die Seitenkette des Meskalinmoleküls an den Rezeptor passt und darum für die psychogene Wirkung des Stoffs verantwortlich ist.

Abb. 4: Entstehung biogener Amphetamine wie MMDA und TMA aus Aromastoffen

Immerhin lässt sich aus dieser Tatsache schließen, dass auch das eine oder andere eher unverdächtig aussehende Molekül Wirkungen auf die Psyche entfaltet. Das müssen beileibe nicht immer Amine sein. In der Muskatnuss (Myristica fragrans) sind Stoffe enthalten, die erst von Enzymen der Leber in psychogene Amphetamine umgewandelt werden. Es sind das nach Muskat duftende Myristicin und das nah verwandte Elemicin. Aus dem Myristicin entsteht MMDA, aus dem Elemicin TMA (siehe S. 14). So verwandeln sich auf den ersten Blick harmlose Stoffe in Drogen, deren chemische Strukturen der des Meskalins verblüffend ähneln (siehe Abb. 4).

Hot Stuff: Alkaloide

Mit halluzinogenen Aminen und Amphetaminen ist das Psycho-Arsenal von Pflanzen, Schwammerln und Lurchen noch lange nicht erschöpft. Aus Aminen lassen sich noch wesentlich kompliziertere Moleküle aufbauen, die Alkaloide. Der Aufwand lohnt sich, denn der Organismus des naschhaften Feindes kann sie oft noch schwerer entgiften als Amine. Auch ein Alkaloid wirkt vor allem dann auf die Psyche, wenn in ihm die Struktur eines Botenstoffs erhalten bleibt. 3

Die Alkaloidsynthese folgt zunächst einem relativ simplen Grundrezept: Den Anfang kennen wir schon: Man nehme eine Aminosäure und verwandle sie in ein Amin. Jetzt muss man nur noch zusehen, dass das Stickstoffatom des Amins z. B. mit einem Aldehyd einen hübschen Ring bildet. Was die Aldehyde angeht, so können Pflanze und Tier auf eine breite Auswahl zurückgreifen. Der einfachste Vertreter dieser Stoffgruppe ist der Formaldehyd, der auch chemisch weniger Interessierten als augenreizender Mief aus Spanplatten und Billigmöbeln bekannt ist.

Der Acetaldehyd (sprich: Azeht-Aldehüd) ist ein weitverbreiteter Aromastoff. Er verleiht einer breiten Palette von Lebensmitteln Geschmack, von Schnäpsen bis hin zum Joghurt. Komplexer ist der Benzaldehyd, ein ringförmiges Molekül, das den typischen Geruch nach Bittermandeln z. B. in Marzipan hervorruft und auch in vielen Blütendüften das Bouquet abrundet. Die aus Amin und Aldehyd gebildeten Alkaloidmoleküle können an allen möglichen anderen Stellen weiter verändert werden, um Fraßfeinde vor immer neue und schwerer zu lösende Entgiftungsaufgaben zu stellen.

Ganz so einfach wie auf dem Papier funktioniert das natürlich nicht, sonst hätten die Chemiker ja komplizierte, arzneilich wirksame Moleküle schon lange billig im Labor nachgebaut. Auch müsste niemand mehr Schlafmohn zur Morphingewinnung anbauen, damit der Arzt die Schmerzen von Krebspatienten zu lindern vermag. Im Gegenteil, alkaloidproduzierende Lebewesen verfügen über eine komplexe Enzymausstattung, die diese schwierige Arbeit erledigt. Besonders Pflanzen, die sich weder mit Klauen und Zähnen wehren, noch fortlaufen können, setzen auf effektive chemische Waffen: In ihnen fand man 75 Prozent der inzwischen über 12 000 bekannten Alkaloide. Manche Pflanzenfamilien sind darin besonders fit, etwa die Nachtschattengewächse (Tabak, Bilsenkraut, Tollkirsche), die Mohngewächse, die Hülsenfrüchtler (Goldregen) und die Brechnussgewächse. 2

Dabei sind Alkaloide nicht für alle Lebewesen gleichermaßen giftig. Es hängt auch davon ab, worin die Pflanze ihren größten Feind sieht. Manche Alkaloide wirken z. B. nur auf Insekten und lassen Säugetiere ungeschoren. Das giftige Coniin aus dem Schierling wird von Schafen und Ziegen recht gut verkraftet, von Rindern und Schweinen jedoch weniger, und dem Menschen sollte man vom Schierlingsbecher unbedingt abraten.

Die Pflanze erzeugt ihre Alkaloide aber nicht unbedingt dort, wo wir sie dann später finden. Nikotin wird von der Tabakpflanze in der Wurzel gebildet und danach in die Blätter verfrachtet; dasselbe gilt für das Kokain. Pflanzen lagern in ihren reifen Samen oft besonders große Mengen an giftigen Alkaloiden ein. Das verdirbt Leckermäulern den Appetit an der nährstoffreichen Beute. So schützt die Brechnuss (Strychnos nux-vomica) ihre großen und hartschaligen Samen mit hochgiftigem Strychnin; das weiche Fruchtfleisch ist relativ harmlos. Unzerkaut dürften die Samen ohne nachteilige Folgen für Liebhaber von Brechnuss-Obst, also vor allem Nashornvögel (Bucerops ssp.), wieder ausgeschieden werden, um dort zu einem Baum heranzuwachsen. Beim Mohn ist es umgekehrt, die Morphine befinden sich in der reifenden Fruchtkapsel, nicht aber in den winzigen reifen Samen, die wir dann als Blaumohn verzehren 3 (siehe S. 122). Hier schützt offenbar die Hülle das Saatgut vor dem herzhaften Biss ins Eingemachte.

Selbst ist der Mann!

Selbst die hartgesottensten Naturstoffchemiker schlagen angesichts der gigantischen Vielfalt der Alkaloide schon mal die Hände über dem Kopf zusammen. Um nicht die Übersicht über diese komplizierte Stoffgruppe zu verlieren, sortieren sie die Alkaloide anhand ihrer ringförmigen Grundstrukturen. Insgesamt gibt es neun Gruppen, deren Ringsysteme so illustre Namen wie Phenanthren, Isochinolin oder Tropan tragen. Die riesige Abteilung der Indol-Alkaloide enthält besonders interessante psychogene Substanzen und Gifte. Sie entstehen aus Aminen, die als Grundstruktur einen Zweierring mit dem Namen Indol aufweisen. Dieses Indolringsystem kennen wir schon, denn es findet sich in unserem alten Bekannten, dem Tryptamin wieder, das wiederum aus der Aminosäure Tryptophan entstanden ist.

Abb. 5: Strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Neurotransmittern Serotonin, Dopamin und Noradrenalin und den Lysergsäure-Alkaloiden aus Mutterkorn (Claviceps purpurea)

Berüchtigte Indol-Alkaloide sind das Strychnin aus der Brechnuss und die halluzinogenen Lysergsäure-Alkaloide des Mutterkorns (Claviceps purpurea). Diese äußerst kompliziert gebauten Alkaloide des parasitischen Pilzes sind besonders heftige Halluzinogene. Denn formal sind in diesen Molekülen gleich drei Neurotransmitter-Strukturen enthalten: Dopamin, Serotonin und Adrenalin. Mutterkornalkaloide können also an die Dopamin-, die Serotonin- und die adrenergen Rezeptoren andocken (Abb. 5). Kein Wunder, dass schon winzige Mengen davon genügen, um psychedelische Effekte auszulösen, und die Lysergsäure als Vorbild für das synthetische LSD (Lyserg-Säure-Diäthylamid) diente. 5, 8

Wer jetzt hofft, dass Indol-Alkaloide nur von fiesen Pflanzen und Pilzen hergestellt werden können, denen man aus dem Weg gehen kann, der irrt. Einfach aufgebaute Indol-Alkaloide wie die β-Carboline werden bei jeder feuchtfröhlichen Fete erzeugt. Sie bilden sich aus körpereigenem Tryptamin und hochreaktivem Acetaldehyd, der beim Abbau des Alkohols in der Leber entsteht. 1, 7 Solche β-Carboline stellen das eigentliche suchterzeugende Prinzip des Alkohols dar (siehe Kapitel 11). Der Acetaldehyd verschmäht auch andere Amine als Reaktionspartner nicht. Mit Tyramin, das aus der allgegenwärtigen Aminosäure Tyrosin entsteht, verbindet sich der Acetaldehyd im Körper zu dem vergleichsweise simpel aufgebauten Alkaloid Salsolin. Leichte Veränderungen am Molekül ergeben Salsolinol. 4 Dieses psychogene Isochinolin-Alkaloid kennt man seit langem aus der Banane, was die immense Beliebtheit der Gelbfrucht erklärt.