Kapitel Sieben
»Sie haben also erfolgreich einen von uns mit einem Menschen verbunden und ihn dann verloren?« Mak’Uryls Tentakel wühlten die Erde neben dem kleinen Teich auf. Wut ließ seine Stimme zittern. Es erschreckte Ryn’Nel, ihn so zu sehen. Von dem kalten, berechnenden Kommandanten, den er zwar nie gemocht, aber wenigstens respektiert hatte, schien nichts mehr geblieben zu sein. Sein rasanter Aufstieg und noch rasanterer Fall hatten ihn vollkommen verändert.
»So könnte man es ausdrücken«, sagte Ryn’Nel vorsichtig. Er hatte den Eindruck, dass ein falsches Wort reichen würde, damit Mak’Uryl die Kontrolle verlor. Selbst die vier Haie, die ihn begleiteten, wirkten in seiner Gegenwart angespannt. Snyder und MacCollough hatten sich an einen anderen Tisch zurückgezogen. Sie beschäftigten sich mit ihren Pads, oder taten zumindest so. Ryn’Nel nahm an, dass sie Brown über ihren Fehler informiert hatten.
»Sie sagen, es war die Eliot?«
»Das ist richtig. Sie hat unser Schiff zerstört.« Und wenn Snyder nicht gewesen wäre, hätten sie alle an diesem Tag ihr Leben verloren. Er hatte darauf bestanden, das Transportschiff nur mit einer Minimalbesatzung in den Kampf zu schicken. Die meisten aus den Völkern und die Menschen, die sie für die nächsten Vereinigungen hatten vorbereiten wollen, waren auf der Station zurückgeblieben. Ryn’Nel hatte sie in einen der versteckten Bereiche bringen lassen.
»War sie dabei?«
Es war klar, dass er Ama’Ru meinte. »Soweit wir wissen, nein. Es waren zwei Menschen. Sie haben uns überrascht.«
Mak’Uryls Tentakel fielen in den Dreck zurück. Nur der Stumpf zuckte. Ryn’Nel fand es merkwürdig, dass er noch nicht nachgewachsen war, aber das war eine Frage, die er lieber nicht stellte.
»Warum wurde ich nicht darüber informiert, dass es Ihnen gelungen ist, einen Menschen mit einem von uns zu verbinden?«
Also deshalb wollte Brown nicht, dass wir ihn kontaktieren, dachte Ryn’Nel. Er antwortete ehrlich: »Ich dachte, Sie wüssten davon.«
»Nein.« Mak’Uryl schwieg einen Moment lang. Wahrscheinlich stellte er sich die gleiche Frage, die auch Ryn’Nel beschäftigte. Warum hatte Brown das verschwiegen? Mak’Uryl hatte ihn die ganze Zeit unterstützt und dafür gesorgt, dass er sich trotz des Befehls, die Menschen in Habitaten zusammenzutreiben, unbehelligt hatte bewegen können. Wieso riskierte er es, einen so wichtigen Verbündeten zu verstimmen?
Weil er sieht, was ich sehe, dachte er. Mak’Uryl ist nicht mehr nur für Menschen gefährlich.
Mak’Uryl atmete durch, dann wechselte er schlagartig das Thema. »Was ist das für ein Ort?«, fragte er.
»Ein Habitat. Die meisten hier sind nicht infiziert. Ich habe einen Bluttest entwickelt, der zwar nur zu fünfundneunzig Prozent zuverlässig ist, dafür aber sofort Ergebnisse liefert. Das reicht für eine grobe Trennung.«
»Ein Rohstofflager für die Vereinigungen?«
Rohstofflager. Ryn’Nel missfiel das Wort, aber das sagte er nicht. »Die Vereinigungen mit Ihren Haien, so wie abgesprochen.«
Das schien seine Laune zu heben. Seine Haibegleiter entspannten sich ein wenig. »Also, wozu brauchen Sie mich?«
»Um zur Erde zu fliegen.«
Ryn’Nel drehte sich um, als er Snyders Stimme hörte. Er und MacCollough waren aufgestanden und kamen nun herüber.
»Das ist der einzige Ort, an dem die Eliot unentdeckt für längere Zeit bleiben kann«, fuhr Snyder fort. »Vorausgesetzt, Sie haben die Verteidigungsanlage nicht wieder eingeschaltet, so wie Brown gebeten hatte, Sir.«
»Das habe ich nicht.« Mak’Uryls Tentakel zuckten erneut. Er schien es nicht einmal zu bemerken. »Allerdings frage ich mich langsam, ob Brown mir so viel Vertrauen entgegenbringt wie ich ihm.«
»Darüber sollten Sie mit ihm persönlich reden, Sir«, sagte MacCollough. »Ich weiß nur, dass er Sie sehr schätzt.«
MacCollough hatte ein freundliches, offenes Lächeln. Er war das Gegenteil des stets verschlagen wirkenden Snyder.
»Er hat eine seltsame Art, das zu zeigen«, sagte Mak’Uryl, aber er klang nicht mehr so verärgert wie zuvor. »Aber gut. Es gefällt mir, Sie zur Erde zu bringen.«
»Und uns gefällt es, Sie zu begleiten.« Ryn’Nel neigte den Kopf. »Kommen Sie.«
Die anderen schlossen sich ihm an. Die Haie umgaben Mak’Uryl wie Leibwächter. Die Gewehre lagen locker in ihren Armbeugen. Sie ließen MacCollough und Snyder nicht aus den Augen. Ob ihnen das befohlen worden war oder ob das bei den Völkern tiefsitzende Misstrauen gegenüber Menschen sie dazu bewog, wusste Ryn’Nel nicht.
Sie gingen die Straße hinunter zu der Tür, die in das Geheimgangsystem der Station führte. Ryn’Nel blieb abrupt stehen, als er hinter einer Biegung einen Mann stehen sah.
Es war Algernon Reynolds. Er stand allein da, die Hände vor dem Körper gefaltet, den Blick auf Ryn’Nel gerichtet.
»Wer ist das?«, fragte Mak’Uryl.
»Sein Name ist Algernon Reynolds«, sagte Ryn’Nel leise. »Er leitet das Habitat.«
Lauter fuhr er fort: »Mr. Reynolds, es tut mir leid, dass wir Ihre Leute aus dem Park vertrieben haben. Wir werden Sie nicht länger stören.«
»So redet man nicht mit Menschen.« Mak’Uryls Stimme war kaum mehr als ein Zischen. Seine Tentakel hatte er ausgestreckt. Sie wirkten so hart und fest wie die Äste der Bäume, die sie umgaben. Ryn’Nel war mit der Körpersprache der Oktopoden nicht vertraut genug, um diese Reaktion zu deuten.
»Ich kann Sie nicht gehen lassen«, sagte Reynolds. Er wirkte weder unterwürfig noch nervös und Ryn’Nel musste kurz daran denken, dass dieser Mensch einen anderen vor laufender Kamera erschossen hatte, um zu beweisen, dass es Zombies gab.
Trotzdem lächelte er. »Algernon, was soll denn dieser Unsinn? Sie haben doch hier ein–«
Reynolds unterbrach ihn: »Sie sind nicht die Einzigen, die andere abhören. Ich weiß, was Sie getan haben und was Sie noch vorhaben. Das werde ich nicht zulassen. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich alles für diese Menschen tun würde. Dazu gehört auch, sie vor einem Schicksal zu bewahren, das schlimmer als Omega ist.«
»Du wirst leben und sterben, wie es uns gefällt, Mensch.« Mak’Uryl schob sich an Ryn’Nel vorbei. Seine Hand schloss sich um den Griff der Pistole, die aus seiner Satteltasche ragte. »Geh aus dem Weg.«
»Nein.«
Im gleichen Moment fiel ein Schuss. Dreck spritzte zwischen den Bäumen neben Ryn’Nel hoch. Instinktiv schlang er die Flügel um seinen Körper, damit die lebenswichtigen Organe geschützt waren. Er widerstand jedoch dem Drang, in die Luft aufzusteigen.
Die Haie legten ihre Gewehre an. Mak’Uryl riss seine Pistole heraus und richtete sie auf Reynolds, doch bevor er abdrücken konnte, knallte es ein Dutzend Mal. Kugeln schlugen in die gelben Pflastersteine, in Holz und Erde ein. Ryn’Nel packte Mak’Uryl an einem Tentakel und zog ihn hinter einem Baumstamm in Deckung.
Innerhalb von Sekunden stand niemand mehr auf der Straße. Auch Reynolds war verschwunden.
»Scharfschützen«, rief Snyder. »Sie schießen aus den Wartungsschächten der Selbstschussanlagen.«
»Selbstschussanlagen?« Mak’Uryl befreite sich aus Ryn’Nels Griff. Seine Tentakel klatschen wütend gegen Zweige und knickten Blumen ab.
»Eine Idee, die nie umgesetzt wurde«, sagte Ryn’Nel, während er versuchte, durch die Bäume einen Blick auf die Wände zu werfen. Die Blätter raschelten im Wind der Klimaanlage. Die Menschen hatten sie hochgestellt. Nicht dumm.
»Algernon«, rief er. »Wenn Sie uns umbringen, wird man Sie alle hinrichten, Sie und Ihre Familie.«
»Ich weiß.« Reynolds’ Stimme klang nah. »Aber Sie werden tot sein, Ryn’Nel. Ich habe Sie studiert. Sie sind ein brillanter und arroganter Mann. Ich bin mir sicher, dass niemand außer Ihnen die Verbindung zwischen Jockey und Mensch beherrscht. Sie trauen sie niemandem außer sich selbst zu.«
Mak’Uryl drehte den Kopf. Seine Augen wirkten seltsam trüb. »Hat er recht?«
»Leider.« Ryn’Nel wischte sich mit einer Hand über die Schulter, als wolle er Staub entfernen. Es war eine uralte Geste seines Volkes. Was geschehen ist, ist geschehen, wollte er damit ausdrücken. Mak’Uryl schien sie zu verstehen, denn verzog das Gesicht.
»Dann sollte ich Sie wohl nicht sterben lassen«, sagte Mak’Uryl.
Ryn’Nel hielt inne. Er hatte die Möglichkeit seines bevorstehenden Tods nicht einmal in Erwägung gezogen. Doch nun, als Kugeln plötzlich vor ihm einschlugen und winzige Holzsplitter sich in seine Flügel bohrten, wurde ihm klar, dass sein Leben tatsächlich in Gefahr war. Nervös grub er seine Klauen in den Dreck.
»Was machen wir jetzt?«, fragte er.
Mak’Uryl lud seine Pistole durch. »Kämpfen.«