MANACOR

 

 

Die Interviews im Anschluss an das US-Open-Finale dauerten drei Stunden, nahezu ebenso lange wie das Match. Geduldig beantwortete Nadal sämtliche Fragen, unter denen die häufigste lautete: »Wie können Sie das noch übertreffen?« Die Antwort lautete immer wieder: »Indem ich hart arbeite, mich bemühe, ein besserer Spieler zu werden, und im nächsten Jahr wieder hier bin.«

Gegen ein Uhr nachts fuhr er mit seiner Familie und seinem Team zum Essen in ein Restaurant in Manhattan, das er erst nach drei Uhr morgens wieder verließ. Um neun Uhr stellte er sich auf der Straße einem Interview der NBC-Fernsehsendung Today Show und posierte, von einer wachsenden Schar von Fans umringt, für Fotos auf dem Times Square, wie das New Yorker Protokoll es verlangte. Autos hupten, und eine Phalanx von Polizisten hielt die kreischende Menge zurück. Anschließend ging es zu zwei Interviews ins Fernsehstudio und dann zu einer Veranstaltung von Nike mit einem seiner größten Fans, dem charismatischen amerikanischen Ex-Tennischampion John McEnroe. Nadal badete in einem Meer von Lob. Alle redeten über seine Rekorde: Er war der erste Spieler, der in einem Kalenderjahr nacheinander Grand-Slam-Turniere auf Sand, Rasen und Hartboden gewann; der siebte Spieler der Geschichte, der in allen vier Grand-Slam-Turniere siegte, und mit 24 Jahren der jüngste Spieler seit der Open-Ära, dem dies gelang.

Abends schaffte er es noch knapp, rechtzeitig für seinen Heimflug am JFK Airport zu sein und traf am folgenden Tag mittags in Manacor ein. Dort gab es keine Blaskapelle, kein Begrüßungskomitee, keinerlei Aufhebens. Am Abend ging er mit einigen Freunden aus Kindertagen aus, und am folgenden Morgen – um fünf Uhr New Yorker Zeit – stand er wieder mit seinem Onkel Toni auf dem Tennisplatz und trainierte, beide so ernst und konzentriert wie eh und je, als ob sie noch wenig erreicht hätten und um alles kämpfen müssten.

Das städtische Sportzentrum, in dem sie trainierten, war praktisch menschenleer. Auf dem Parkplatz fiel Nadals Sportwagen neben den drei anderen Autos auf; ein Sprinter drehte einsam seine Runden auf der Bahn; von den Tennisplätzen war nur ein weiterer belegt. Keiner der Einheimischen fand es der Mühe wert, zuzuschauen, und noch weniger, dem weltberühmtesten Sohn, den ihre Stadt wohl je hervorgebracht hatte und den viele zu dieser Zeit für den größten lebenden Sportler hielten, Anerkennung zu zollen. Nur zwei Zuschauer waren da, ein älteres deutsches Ehepaar, das schweigend aus sicherem Abstand fotografierte, da es richtig vermutete, dass die Zeremonie zwischen Neffe und Onkel auf nicht öffentlich zugänglichem Territorium stattfand. Später kam Nadals Vater Sebastián vorbei, aber er wusste, dass er seinen Sohn und seinen Bruder nicht stören durfte, die sich in fast telepathischer Trance in ihrer eigenen Welt bewegten und keinen Blick zu ihm hinüberwarfen.

Auf dem benachbarten Tennisplatz lieferten sich zwei Männer mittleren Alters in Shorts einen Zweikampf und jagten keuchend wie Clubspieler hinter sanft geschwungenen Bällen her, ohne auch nur im Geringsten auf den berühmtesten Vertreter dieses Sports zu achten, der jenseits des Zauns sein rhythmisches Repertoire zeigte. Sie waren nicht beeindruckt, oder falls sie es doch waren, zeigten sie es nicht – genauso wie Nadals Familie ihn immer behandelt hat und wie er es mag, wenn er zu Hause in Manacor ist.