RAFAS FRAUEN

 

 

In Rafa Nadals Leben spielen drei Frauen eine Rolle: seine Mutter, seine Schwester und seine Freundin. Sie alle vertreten in Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber der Welt eine gemeinsame »Doktrin«, wie Ana María Parera es nennt. Ihre Grundhaltung ist ebenso einfach wie ungewöhnlich angesichts der weltweiten Berühmtheit Rafas und lässt sich mit dem äußerst unspektakulären und unglamourösen Begriff »Normalität« umschreiben.

Die Öffentlichkeit findet Rafa Nadal interessant und glamourös, Ana María sieht dagegen einen Sohn, der außerhalb seines Zuhauses in einer Welt des Chaos lebt. Als Mutter hält sie es für ihre Pflicht, ihm einen sicheren Hafen gegen den Ansturm zu bieten, dem er von allen Seiten ausgesetzt ist, seit er in einem ihrer Ansicht nach beunruhigend zarten Alter zu einem der berühmtesten, meist bewundertsten Sportler der Welt wurde.

Für sie bedeutete es, das Rampenlicht zu scheuen und mit ihrem Sohn umzugehen, so als ob das, was er erreicht hatte, nichts Besonderes ist. Diesem Beispiel folgten auch ihre Tochter Maribel und María Francisca Perelló, die seit 2005 Rafas Freundin ist. Theoretisch hätte jede von ihnen auch einen anderen Weg wählen können. Ana María hätte aller Welt die innersten Gefühle und kleinen Schwächen ihres Sohnes ausplaudern können. Maribel, eine große, attraktive Blondine, hätte eine feste Größe in der Gerüchteküche der Klatschmagazine werden können. María Francisca hätte es zu nahezu ebenso großer Bekannheit bringen können wie Rafa.

Diesen Weg haben sie aber nicht eingeschlagen, denn sie wissen, dass es das Letzte ist, was Rafa braucht oder wünscht. Zudem leiden sie nicht unter der Unsicherheit, die nach Ana Marías Überzeugung der Celebrity-Versessenheit bei Mitläufern der Reichen und Berühmten zugrunde liegt. Es entspricht schlicht nicht ihrer Art. Sie stammen alle aus Manacor, und dort liegt es in der Natur und Kultur der Einheimischen, unter sich zu bleiben und Fremden mit Vorsicht zu begegnen.

»Ich war immer sehr diskret, was mein Privatleben angeht«, erklärt Ana María. »Rafas Berühmtheit hat mich, wenn überhaupt, nur noch verschlossener und bemühter gemacht, unser Leben zu Hause abzuschirmen. Ich vertraue mich nicht gern Menschen an, die ich nicht kenne. Es gibt Leute, die sich nach Popularität sehnen, die in meiner Situation vielleicht liebend gern über ihren Sohn reden und sich in seinem Glanz baden würden. Aber das entspricht mir nicht. Im tiefsten Inneren bin ich unendlich stolz auf ihn und glücklich über den ganzen Erfolg, den er hat, aber ich trage meine Gefühle nicht zur Schau. Ich spreche nicht einmal mit meinen engsten Freunden über ihn.«

In ihrem eigenen Leben hat sie andeutungsweise erlebt, was Berühmtheit bedeutet. Manchmal erkennen Leute, die sie bei den großen Turnieren ihres Sohnes im Fernsehen gesehen haben, sie in Barcelona, London oder New York auf der Straße. Es ist ihr nicht nur unangenehm, wenn Fremde sie ansprechen, es vermittelt ihr auch einen erdrückenden Eindruck davon wie es ist, wenn ihr Sohn ständig belagert wird, wenn er sich außerhalb von Manacor in die weite Welt begibt.

»Der einzige Ort, an dem so etwas wie Intimität möglich ist, wenn er auf Tour ist, ist sein Hotelzimmer. Es ist das einzige Versteck, das ihm bleibt. Er kann nicht auf die Straße gehen, ohne Aufsehen zu erregen. Die Medien und seine Sponsoren beanspruchen ihn ständig. Und dann gibt es die unglaubliche Anspannung der Turniere, die Unsicherheiten und Ängste, gegen die er, wie ich weiß, in der einen oder den zwei Wochen des Turniers ankämpfen muss, um zu gewinnen und an der Spitze zu bleiben. Er ist mein Sohn, und es beunruhigt und erstaunt mich zu erleben, wie stark er sein muss, wie stark er ist.«

Ohne die Ruhe, die sein Zuhause ihm bietet, wäre er nicht so stark. Dort kann Rafa durchatmen. Und das Zentrum und Symbol dieses Zuhauses ist seine Mutter, vor allem seit der Trennung seiner Eltern und dem Auszug seines Vaters. Sebastián Nadal begleitet ihn wesentlich häufiger als Ana María zu seinen internationalen Wettkämpfen und ist ihm eine Stütze, wo immer er auch sein mag. Er ist mit Rafas Tennisleben ebenso eng verknüpft wie das Profiteam seines Sohnes. Ana María lebt in einer Welt, in der hochkarätige Tennisturniere und die Werbe- und Medienverpflichtungen, die mit Rafas Spitzenposition in der Weltrangliste einhergehen, nur eine Nebenrolle spielen. Mit ihrem Sohn spricht sie kaum über seinen Beruf, nicht weil sie kein Interesse daran hat, sondern weil sie weiß, dass es am besten für ihn ist, wenn sie so mit ihm umgeht, wie jede andere Mutter es mit ihrem Sohn tun würde. Sie erstarrt nicht in Ehrfurcht vor seinen Leistungen auf dem Tennisplatz, sondern behandelt ihn mit der ungezwungenen Zärtlichkeit und Liebe der Mutter, die ihn zur Welt gebracht und aufgezogen hat. Sie ist sein Gegenmittel gegen Lobhudelei aller Art, erdet ihn und erinnert ihn daran, wer er wirklich ist.

»Aber jetzt, wo ich sehe, dass ihm der Ruhm nicht zu Kopf gestiegen ist und nie zu Kopf steigen wird, ist es das Wichtigste, dass er Ruhe findet, wenn er zu Hause ist«, erklärt Ana María. »Er braucht Ruhe, weil das etwas ist, was er unterwegs auf der Tour schlichtweg nicht findet, aber auch weil er so ist, wie er ist, ganz abgesehen von dem Irrsinn, der sein Leben umgibt. Ihm ging es schon immer schlecht, wenn die Leute in seiner Umgebung wütend oder schlecht gelaunt waren, denn dann wird er auch wütend oder schlecht gelaunt. Er ist emotional darauf angewiesen, dass um ihn herum alles völlig in Ordnung ist.

Darum sehe ich es, wie jede Mutter, als meine Pflicht an, wenn wir zusammen sind, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht und er glücklich ist, und ihm zu helfen, wenn es ihm nicht gut geht. Und ihm zu helfen – zum Beispiel wenn er verletzt ist – heißt oft, nichts zu sagen und nur klar zu machen, dass ich unter allen Umständen für ihn da bin. Es bedeutet, dass er sich zu Hause wohl fühlen kann, dass er seine Freunde einladen kann, wann er will, ohne dass ich Ansprüche an ihn stelle. Und wenn er möchte, dass ich ihn irgendwohin fahre, ihm etwas zu essen besorge, worauf er Lust hat, oder vor einer langen Reise seinen Koffer packe – wenn er das allein macht, ist es übrigens eine Katastrophe –, dann tue ich es gern.«

Ana Marías Wohnzimmer ist Treffpunkt für Rafas Freunde, wenn er zu Hause ist. Zu seinen besten Freunden gehört seine fünf Jahre jüngere Schwester Maribel, die immer dabei ist, wenn er abends ausgeht oder zum Angeln fährt. Er hängt sehr an ihr und vermisst sie, wenn er fort ist, obwohl sie telefonisch und über das Internet ständig in Kontakt bleiben. Maribel weiß, dass ihr Bruder und sie sich ungewöhnlich nahestehen, und erzählt, dass bei vielen ihrer Freunde die Beziehung zu ihren jüngeren Geschwistern eher von Reibereien und Nichtbeachtung geprägt ist. »Die meisten Jungen finden ihre jüngeren Schwestern lästig, besonders wenn sie Teenager sind. Aber Rafael hat mich nie so behandelt. Er hat mich immer gedrängt mitzukommen, wenn er mit seinen Freunden ausging. Für uns ist das ganz selbstverständlich, auch wenn andere das manchmal seltsam finden. Es gehört zum Geheimnis unserer besonderen Bindung.«

Nach Ana Marías Ansicht ist ein weiterer Grund für die enge Beziehung ihrer beiden Kinder, dass sie so oft voneinander getrennt waren, da Rafael schon in jungen Jahren viel unterwegs war, um die Tenniswelt zu erobern. Bruder und Schwester sehen den anderen nicht als selbstverständlich und haben durch die häufige Trennung eine engere Bindung entwickelt, meint ihre Mutter. Das wäre vielleicht anders, wenn Maribel sich den Ruhm ihres Bruders hätte zu Kopf steigen lassen. Aber sie ist dem Vorbild ihrer Mutter gefolgt: »Wenn überhaupt, dann war sie noch diskreter als ich«, sagt Ana María und erzählt, dass es über zwei Jahre dauerte, bis jemand außerhalb ihres engsten Freundskreises in Barcelona, wo Maribel Sportpädagogik studiert, erfuhr, wer ihr Bruder war. »Es sprach sich erst herum, als einer ihrer Dozenten sie bei einem von Rafaels Tennismatchs in Paris im Fernsehen sah.«

María Francisca hatte größere Mühe, ihre Anonymität zu wahren. Das lag weniger an ihrem seltenen Erscheinen bei Tennisturnieren (das erste Grand-Slam-Finale Rafaels, das sie sich vor Ort anschaute, war in Wimbledon 2010), sondern an den Paparazzi, die der Verlockung nicht widerstehen konnten, sie und Rafa in ihrem Urlaub gemeinsam zu fotografieren, vorzugsweise am Strand. Sie hat ihr Bild häufiger in Klatschmagazinen gesehen, als sie zählen mag. Aber nie gibt es wörtliche Zitate von ihr. Ein spanischer Fernsehkommentator stellte vor einiger Zeit verblüfft fest, dass nach fünfjähriger Paarbeziehung noch niemand auch nur ein Wort von ihr gehört habe. Sie ist ein solches Rätsel, dass Fernsehsendungen und Zeitschriften nicht einmal imstande sind, ihren Namen richtig anzugeben. Der Öffentlichkeit wurde sie weltweit als Xisca (»Chisca« gesprochen) präsentiert, obwohl niemand, der sie kennt, sie so nennt. Rafa und einige aus seiner Familie nennen sie »Mary«, aber alle anderen sagen schlicht María Francisca.

Die Öffentlichkeit weiß über sie nur, dass sie eine elegante, offenbar zurückhaltende junge Frau ist, und in Ermangelung näherer Informationen beschreiben die Medien sie als »ernst«, »distanziert«, »bescheiden« und sogar »mysteriös«. Eine Frau, die weiter vom grellen Klischee der öffentlichkeitsverliebten WAGs – wie man in Großbritannien die Ehefrauen und Freundinnen (»wifes and girlfriends«) reicher und berühmter Sportler nennt – entfernt wäre, ist kaum vorstellbar. Sie steht loyal zu Rafa und erlebt seine Siege und Niederlagen, als wären es ihre eigenen, aber sie liebt ihre Unabhängigkeit und möchte nicht über ihre Beziehung zu ihm definiert werden. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet bei einer Versicherung in Palma, der Hauptstadt Mallorcas. Daher hat sie gar nicht die Zeit, Rafa auf seinen Reisen durch die ganze Welt zu begleiten, und selbst wenn sie es könnte, würde sie es nicht wollen. »Gemeinsam überallhin zu fahren, selbst wenn ich es könnte, wäre weder für ihn noch für mich gut. Er braucht Raum für sich, wenn er im Wettkampf steht, und allein schon die Vorstellung, herumzuhängen und mich den ganzen Tag um ihn zu kümmern, ist mir zu viel. Es würde mich ersticken. Und dann müsste er sich um mich Sorgen machen … Nein. Wenn ich ihn überallhin begleiten würde, bestünde, glaube ich, die Gefahr, dass wir uns nicht mehr verstehen.«

Wenn sie ihn zu einem Turnier begleitet, meist wenn Ana María und Maribel ebenfalls mitfahren, gibt sie sich alle Mühe, sich so wenig wie möglich mit ihm in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Sie erinnert sich an einen gemeinsamen Aufenthalt in Paris, wo er von seinen Sponsoren zu einem Abendessen eingeladen war: »Er fragte mich, ob ich mitkommen wollte, aber ich entschied mich dagegen. Ich blieb in unserem Hotel. Als Rafael zurückkam, sagte er: ›Gott sei Dank, dass du nicht mitgekommen bist.‹ Es wimmelte nur so von Fotografen. Wenn ich mitgegangen wäre, hätte es bedeutet, in diese Celebrity-Welt zu gehen. Das ist keine Welt, zu der ich gehören möchte, und ich glaube auch nicht, dass Rafa sich für eine Frau entschieden hätte, die das in ihrem Leben anstrebt.«

Ana María, die María Franciscas Wunsch nach einem eigenen Berufsleben vollauf unterstützt, stimmt mit ihr überein, dass Rafa wohl kaum eine dauerhafte Beziehung mit einer Frau haben könnte, die nach Medienaufmerksamkeit gierte. Sie kann sich, wie sie sagt, auch keine andere Frau vorstellen, die ausgeglichener und humorvoller wäre und von ihrem Temperament her besser zu ihrem Sohn passt. Sie und María Francisca sind ebenso gute Freundinnen wie Maribel und María Francisca. Alle drei verbindet ihre Liebe zu Rafa und ihre gemeinsame »Normalitätsdoktrin«. »Selbst wenn meine Familie mich nach Rafael fragt, ziehe ich es vor, nicht viel zu erzählen«, erklärt María Francisca. »Ich spreche einfach nicht gern über diese Dinge, nicht einmal im privaten Kreis. So ist es gut für mich und für Rafael und für uns beide als Paar. Wir würden es nicht anders wollen.«