KOLIBRI

 

 

KAPITEL 4

Nachzulassen kam auf keinen Fall infrage. Bei einer Führung von 2:0 Sätzen und nur einem Satzgewinn vom Wimbledon-Sieg entfernt mochten die Zuschauer zwar den Eindruck haben, mein Lebenstraum sei zum Greifen nahe. Aber ich weigerte mich, solche Gedanken zuzulassen. Ich würde jeden Ballwechsel nehmen, wie er kam, jeden für sich. Alles andere würde ich vergessen und nur im gegenwärtigen Moment leben.

Als Federer mit der Zielstrebigkeit eines Mannes, der noch nicht im Entferntesten zum Aufgeben bereit war, das erste Spiel des dritten Satzes zu null gewann, aufschlug und Gewinnschläge drosch, half mir das allenfalls, meine Konzentration zu bewahren, und war mir eine Mahnung, dass eine Führung noch gar nichts bedeutete; es kam nur darauf an, auf Dauer zu gewinnen. Und allmählich stellte ich mich darauf ein, dass das Match, wie es plötzlich aussah, tatsächlich sehr lange dauern könnte. Dies hatte zum Teil damit zu tun, dass der Himmel wieder dunkler wurde und Regen drohte, aber vor allem damit, dass Federer weiterhin so spielte, wie er begonnen hatte: Er schaffte eine hohe Zahl an Gewinnschlägen, brachte mühelos seine Aufschläge durch, rang mir ein Break nach dem anderen ab und ließ mich erbittert kämpfen, um zu verhindern, dass er sich den Satz im Handumdrehen holte.

Ab und an werde ich gefragt, ob ich das Gefühl habe, Federer die Party verdorben zu haben, und ob mein Erscheinen an der Weltspitze verhindert habe, dass er weitere Rekorde aufstellte. Darauf antworte ich: »Wie wäre es, die Sache einmal anders herum zu sehen: Hat nicht er mir die Party verdorben?« Wäre er nicht gewesen, hätte ich vielleicht 2008 schon seit vier Jahren in Folge die Nummer eins der Weltrangliste sein können, statt die ganze Zeit als Nummer zwei zuzuschauen und abzuwarten. Die Wahrheit ist vermutlich die: Wenn einer von uns beiden nicht da gewesen wäre, hätte der andere mehr Triumphe feiern können. Andererseits hat die Rivalität uns beiden ein ausgeprägteres internationales Profil verschafft – was sich unter anderem im Sponsoreninteresse niedergeschlagen hat –, weil sie den Tennissport für die Zuschauer interessanter gemacht hat. Wenn ein Spieler in ununterbrochener Folge ein Turnier nach dem anderen gewinnt, ist es zwar gut für ihn, aber nicht unbedingt gut für den Sport. Letzten Endes muss meiner Ansicht nach alles, was gut für den Sport ist, auch gut für uns beide sein. Bei den Fans herrscht Spannung, sobald wir beide aufeinander treffen, was wegen unserer Ranglistenplätze eins und zwei meist bei Endspielen der Fall ist, und diese Spannung wirkt sich auch auf uns aus. Wir haben schon oft gegeneinander gespielt und häufig waren es unglaublich knappe, spannende und für unsere Karriere entscheidende Matchs, weil es sich häufig um Grand-Slam-Finals handelte. Wenn ich bei unseren Begegnungen häufiger gewonnen habe – vor dem Wimbledonfinale 2008 lag ich im direkten Vergleich mit 11:6 vorn –, so lag es an der Zahl unserer Spiele auf Sandboden, wo ich die Oberhand habe; sieht man sich die Resultate auf anderen Belägen an, so sind sie ausgeglichener.

Das heißt jedoch auf keinen Fall, dass es nicht eine Menge guter Tennisspieler gäbe, die durchaus imstande sind, uns beide zu schlagen und dies auch tun. Ich denke – vor allem – an Djokovic, aber auch an Murray, Soderling, Del Potro, Berdych, Verdasco, David Ferrer oder Davydenko … Seit ich 2006 zur Nummer zwei der Weltrangliste aufgestiegen bin, hat sich jedoch gezeigt, dass Federer und ich die großen Turniere dominiert und in vielen wichtigen Endspielen gegeneinander gespielt haben. Das hatte zur Folge, dass unsere Rivalität in den Augen der Zuschauer eine immer stärkere Magie entwickelte, was wir, so glaube ich, beide spürten. Die Erwartungen, die unsere Begegnungen hervorrufen, bringt meine beste Seite zum Vorschein. Immer wenn ich gegen Federer antrete, habe ich das Gefühl, dass ich an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gehen, perfekt spielen muss, und dies über eine lange Zeit, um zu gewinnen. Und ich habe den Eindruck, dass Federer gegen mich aggressiver spielt, stärker angreift, bei seinen Drives und Volleys mehr Gewinnschläge versucht als bei anderen Gegnern, was ihn zwingt, mehr Risiken einzugehen und 100 Prozent zu geben, um zu gewinnen.

Ob er mich zu einem besseren Spieler gemacht hat oder ich ihn, ist schwer zu sagen. Toni erklärt mir immer wieder – und ich weiß, dass er Recht hat –, dass Federer technisch talentierter ist als ich. Mit dieser Mahnung will er mir aber nicht den Mut nehmen, sondern mich motivieren, mein Spiel zu verbessern. Wenn ich mir manchmal Aufzeichnungen von Federers Spielen anschaue, staune ich, wie gut er ist, und wundere mich selbst, dass ich ihn besiegen konnte. Toni und ich sehen uns viele Tennisvideos an, vor allem von meinen Matchs, und zwar sowohl von gewonnen als auch von verlorenen Begegnungen. Jeder versucht aus Niederlagen zu lernen, aber ich bemühe mich, auch aus meinen Siegen Lehren zu ziehen. Man darf nie vergessen, dass man im Tennis häufig nur um Haaresbreite gewinnt und dem Spiel eine gewisse mathematische Ungerechtigkeit innewohnt. Anders als im Basketball, wo der Sieger immer derjenige ist, der die meisten Punkte erzielt hat, hängt das Resultat im Tennis oft weniger davon ab, insgesamt der bessere Spieler zu sein, als vielmehr davon, in entscheidenden Momenten Punkte zu erzielen. Deshalb ist Tennis ein so stark psychologisch geprägter Sport. Und aus eben diesem Grund sollte man sich einen Sieg nie zu Kopf steigen lassen. Im Augenblick des Sieges, ja, da darfst du in Euphorie ausbrechen. Aber später, wenn du dir ein gewonnenes Match anschaust, merkst du oft – manchmal sogar schaudernd –, wie knapp du einer Niederlage entronnen bist.

Dann ist es höchste Zeit die Gründe zu analysieren: Habe ich die Konzentration verloren, gibt es Facetten meines Spiels, die ich verbessern muss, oder beides?

Mir meine Matchs noch einmal genau und leidenschaftslos anzusehen hat noch einen weiteren positiven Effekt: Indem ich das Können meiner Gegner sehe und würdige, wenn ich beispielsweise wunderbare Gewinnschläge von ihnen sehe, lerne ich, Punktverluste gegen sie gelassener zu nehmen. Manche Spieler geraten in Wut und Verzweiflung, wenn ihrem Gegner ein Ass oder ein hervorragender Passierschlag gelingt. Das ist der Weg hin zur Selbstzerstörung. Und es ist verrückt, denn es zeugt von dem Glauben, in einer idealen Tenniswelt könne man den Gegner von Anfang bis Ende eines Spiels durchgängig in Schach halten. Traut man dem Gegner jedoch mehr zu, hat man weniger Probleme damit zu akzeptieren, dass er einen Ball geschlagen hat, gegen den man gar nichts ausrichten konnte. Begnügt man sich also für einen kurzen Moment mit der Zuschauerrolle und erkennt großzügig eine glänzende Spielpartie an, dann findet man viel besser seine Balance und innere Ruhe und nimmt sich den eigenen Druck. Innerlich applaudiert man, äußerlich zuckt man die Achseln und wendet sich dem nächsten Ballwechsel in dem Bewusstsein zu, dass man nicht etwa die Tennisgötter gegen sich oder selbst einen schlechten Tag hat, sondern dass man bei nächster Gelegenheit wahrscheinlich selbst den unspielbaren Winner schlägt.

Letzten Endes muss man begreifen, dass zwischen den Spitzenspielern nur geringfügige, praktisch marginale Unterschiede im Können bestehen und die Matchs zwischen ihnen durch eine Handvoll Punkte entschieden werden. Wenn ich und Toni sagen, dass mein Erfolg großenteils auf meiner Bescheidenheit basiert, so ist das durchaus nicht als geschickte PR-Idee gemeint oder als Versuch gedacht, mich als ausgewogenen, moralisch überlegenen Menschen hinzustellen. Die Bedeutung der Bescheidenheit zu begreifen heißt zu verstehen, wie wichtig es ist, in den entscheidenden Spielphasen maximale Konzentration aufzubringen und zu wissen, dass man nicht allein durch ein gottgegebenes Talent siegen wird. Ich vergleiche mich nicht gern mit anderen Spielern, aber ich glaube, dass ich mental vielleicht einen gewissen Vorteil entwickelt habe. Das soll keineswegs heißen, dass ich zu Beginn einer Saison keine Angst oder Zweifel hätte, wie die Dinge laufen werden. Die habe ich durchaus, gerade weil ich weiß, wie gering die Unterschiede zwischen den Weltklassespielern sind. Allerdings glaube ich, dass ich vielen meiner Rivalen in meiner Fähigkeit überlegen bin, Schwierigkeiten zu akzeptieren und zu überwinden.

Das mag einer der Gründe sein, weshalb ich Golf so mag: Auch dieser Sport setzt auf eine Eigenschaft, die ich im Tennis erworben habe, nämlich unter Druck Ruhe zu bewahren. Man braucht eindeutig Talent und viel Übung, aber auch beim Golf ist es unerlässlich, dass man sein Spiel nicht durch einen schlechten Schlag irritieren lässt. Wenn es außerhalb des Tennis einen Sportler gibt, den ich bewundere, dann ist es Tiger Woods. In seiner Bestform sehe ich in ihm, wie ich selbst gern wäre. Mir gefällt sein Gewinnerblick beim Spiel und vor allem die Einstellung, mit der er sich den entscheidenden Momenten stellt, in denen ein Spiel gewonnen oder verloren wird. Er mag einen Ball verschlagen und sich darüber ärgern, aber sobald er zum nächsten Schlag ansetzt, ist er wieder völlig fokussiert. Unter Druck tut er fast immer das, was er tun muss, und trifft beinahe nie die falsche Entscheidung. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass er noch nie ein Turnier verloren hat, wenn er als Führender in die letzte Runde gegangen ist. Dazu muss man sehr gut sein, das allein reicht jedoch nicht. Man muss einschätzen können, wann man ein Risiko eingehen darf und wann man sich zurückhalten muss. Man muss imstande sein, seine Fehler zu akzeptieren, die sich bietenden Chancen zu nutzen und zu beurteilen, wann man sich für den einen oder den anderen Schlag entscheiden sollte. Ich hatte nie ein Sportidol, nicht einmal im Fußball. Als Kind bewunderte ich meinen Landsmann Carlos Moyá sehr, entwickelte aber nie die blinde Bewunderung eines Fans. Das entspricht einfach nicht meinem Charakter, meiner Kultur und meiner Erziehung. Aber Tiger Woods näherte sich am stärksten dem Idol. Es liegt nicht so sehr an seinem Schwung oder an der Art, wie er den Ball schlägt, sondern an seiner Besonnenheit, seiner Entschlossenheit, seiner Einstellung. Das gefällt mir.

Er ist für mich Vorbild und Inspiration in meinem Tennisspiel wie auch in meinem Golfspiel. Nach Ansicht meiner Freunde gilt das für den Golfsport in überzogenem Maße, denn sie finden, dass ich ihn viel zu ernst nehme. Sie spielen Golf meist zum Spaß, mir dagegen ist es unmöglich, in welchem Spiel auch immer nicht 100 Prozent zu geben. Wenn ich mit meinen Freunden auf den Golfplatz gehe, stelle ich alle menschlichen Regungen ebenso hintan wie auf dem Tennisplatz bei einem Match gegen Federer. Vor einem Spiel grenze ich unsere Gegnerschaft auf dem Platz mit einem Spruch gegen unsere Freundschaft außerhalb des Platzes ab. Ich schaue meine Golffreunde eindringlich an und sage: »Feindliches Spiel, in Ordnung?« Ich weiß, dass sie hinter meinem Rücken darüber lachen, werde es aber nicht ändern. Während eines Golfspiels bin ich vom ersten bis zum letzten Loch sehr wenig freundschaftlich.

Golfspielen erfordert zwar nicht die gleich starke Konzentration wie das Tennisspielen, wo man drei oder vier Spiele verlieren kann, sobald die Gedanken auch nur für drei oder vier Minuten abschweifen. Beim Golf hat man zwischen den einzelnen Schlägen mehr als drei oder vier Minuten Zeit. Beim Tennis muss man sich in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob man einen Gewinnschlag versucht, einen defensiven Slice spielt oder für einen Volley ans Netz rennt. Im Golf kann man sich, wenn man möchte, 30 Sekunden Zeit lassen, um sich auf einen Schlag vorzubereiten. Es bleibt also genügend Freiraum, während einer Runde zu scherzen und über andere Dinge zu plaudern. Das entspricht aber nicht meiner Art, Golf zu spielen, nicht einmal mit meinen Onkeln oder mit meinem Freund Toméu Salva und schon gar nicht mit dem Freund meiner Schwester, der ein Scratchspieler ist. Ich halte mich an Tiger Woods: Von Anfang bis Ende rede ich kaum ein Wort mit meinen Gegnern und mache ihnen sicher keine Komplimente über einen guten Schlag. Sie beklagen sich zwar, ärgern sich über mich, fluchen über meine Unfreundlichkeit und behaupten, ich sei noch aggressiver als auf dem Tennisplatz, denn dort sähe man mich immerhin gelegentlich lächeln, was auf dem Golfplatz bis zum Ende eines Spiels nie vorkommt. Der Unterschied zwischen mir und meinen Freunden, von denen einige erheblich bessere Golfspieler sind als ich (ich habe ein Handicap von 11), ist, dass ich schlicht keinen Sinn darin sehe, einen Sport zu betreiben, wenn man nicht sein Ganzes gibt.

Das Gleiche gilt für das Training, was mir manchmal Probleme mit den Spielern eingetragen hat, die ich während eines Turniers als Trainingspartner ausgesucht habe: Nach ihrer Ansicht trainiere ich zu hart, zu schnell und lasse ihnen nicht genug Zeit zum Aufwärmen, sodass sie nach 10 Minuten erschöpft sind. Diese Meinung habe ich im Laufe meiner Karriere schon oft gehört. Aber ich habe meine Seele keineswegs dem Tennis verschrieben. Ich investiere zwar viel Energie in diesen Sport, empfinde es aber nicht als Opfer. Tatsächlich habe ich ab dem Alter von sechs Jahren praktisch jeden Tag trainiert und stelle hohe Ansprüche an mich. Aber das habe ich nicht als Opfer oder Verlust empfunden, weil es mir immer Spaß gemacht hat. Das heißt keineswegs, dass es nicht auch Momente gab, in denen ich gern etwas anderes gemacht hätte – etwa nach einer langen Nacht im Bett zu bleiben statt zu trainieren. Aber solche langen Nächte gibt es durchaus auch bei mir. Sehr lange Nächte, wie sie auf Mallorca vor allem im Sommer üblich sind. Alkohol rühre ich kaum an, aber ich gehe mit Freunden tanzen und bleibe gelegentlich bis sechs Uhr morgens auf. Manches, was andere junge Männer machen, mag ich vielleicht versäumen, aber unterm Strich habe ich das Gefühl, einen guten Deal zu machen.

Manche Spieler leben wie die Mönche, das gilt für mich nicht. Es entspricht nicht meiner Vorstellung vom Leben. Tennis ist meine Passion, aber ich sehe diesen Sport auch als Beruf, als meine Arbeit, die ich so gut und ordentlich zu erledigen versuche, als ob ich in der Glasfirma meines Vaters oder der Möbeltischlerei meines Großvaters beschäftigt wäre. Und wie jeder Job bringt er viel Schinderei mit sich, so groß der finanzielle Lohn auch sein mag. Ich habe selbstverständlich das große Glück, zu den wenigen Menschen auf der Welt zu gehören, denen ihr Job Spaß macht und die dafür auch noch außergewöhnlich gut bezahlt werden. Das verliere ich nie aus dem Blick. Aber letzten Endes bleibt es dennoch Arbeit. So sehe ich es jedenfalls. Ansonsten würde ich nicht so hart trainieren und das Training mit der gleichen Ernsthaftigkeit, Intensität und Konzentration betreiben wie ein Match. Training ist kein Spaß. Wenn meine Familie oder Freunde vorbeikommen und zusehen, wie ich mit Toni oder einem Profispieler trainiere, den sie kennen, bin ich nicht zu Scherzen oder einem Lächeln aufgelegt. Sie verhalten sich dann ebenso still wie die Zuschauer in Wimbledon, wenn ich mich einschlage.

Aber ich muss auch mal abschalten, mich amüsieren, bis spät in die Nacht feiern, mit meinen Cousins, die alle jünger sind als ich, Fußball spielen oder angeln, was das ideale Mittel gegen den hektischen Tennisstress ist. Meine Freunde zu Hause bedeuten mir sehr viel, und wenn ich abends nicht mit ihnen in unsere Lieblingsbars in Manacor oder Porto Criso ginge, würde ich diese Freundschaften verlieren oder zumindest vernachlässigen. Das wäre nicht gut, denn wenn man glücklich ist und sich gut amüsiert, wirkt sich das positiv auf das Tennisspiel, das Training und die Matchs aus. Sich guten Freuden zu versagen wäre kontraproduktiv. Am Ende wäre man nur verbittert, würde das Training und sogar das Tennisspielen hassen oder seiner überdrüssig werden. Ich weiß, dass es manchen Spielern so ergangen ist, die das Prinzip der Selbstverleugnung als Profi zu weit getrieben haben. Nach meiner Einschätzung kann man alles machen, muss aber immer für Ausgewogenheit sorgen und darf nie aus den Augen verlieren, was wichtig ist. Unter besonderen Umständen könnte ich sogar schon mal ein Vormittagstraining ausfallen lassen und stattdessen am Nachmittag trainieren. Aber die Ausnahme darf nicht zur Regel werden. Du kannst durchaus einmal nachmittags trainieren, aber nicht drei Nachmittage in Folge. Denn dann wird das Training in deiner Einstellung sekundär, hat nicht länger Priorität, und das ist der Anfang vom Ende. Dann kannst du dich gleich darauf einstellen, deine Profikarriere aufzugeben. Die Bedingung für den Spaß, den du dir erlaubst, ist die, dass du an deinem Trainingsprogramm festhältst: Das ist nicht verhandelbar.

Allerdings trainiere ich heute nicht mehr so viel wie mit 15 oder 16 Jahren. Damals trainierte ich täglich viereinhalb bis fünf Stunden, teils mit Toni, aber auch viel mit meinem Fitnesstrainer Joan Forcades. Er ist ebenfalls Mallorquiner und entspricht überhaupt nicht dem Bild des muskelbepackten Feldwebels mit kahl rasiertem Kopf, das man zuweilen von einem Vertreter seines Berufs hat. Wie Toni wurde er 1960 geboren, ist ein gebildeter Mann, ein passionierter Leser und Filmkenner, dem pro Minute hundert Gedanken durch den Kopf schießen und der sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz bindet. Er hat jede wissenschaftliche Abhandlung gelesen, die es auf seinem Fachgebiet gibt, und eigens für mich ein Programm entwickelt, das jeden Aspekt meines Tennisspiels stärken soll. Als er sich bei mir als Teenager (wir arbeiten seit meinem 14. Lebensjahr zusammen) um den Muskelaufbau kümmerte, ging es nicht darum, mir den Körper eines Bobybuilders zu verschaffen oder mich auf die Anforderungen eines Läufers vorzubereiten. Zu trainieren wie ein Sprinter oder Langstreckenläufer funktioniert im Tennis nicht, weil es kein »linearer« Sport ist, wie Forcades es nennt. Tennis ist ein intermittierendes Spiel, das vom Körper verlangt, über lange Zeit abwechselnd explosiv zu sein, zu sprinten und zu stoppen. Forcades meint, ein Tennisspieler sollte sich den Kolibri zum Vorbild nehmen, das einzige Tier, das unendliche Ausdauer mit hoher Geschwindigkeit verbindet und über vier Stunden hinweg bis zu 80 Flügelschläge pro Sekunde ausführt. Wir trainierten also Muskeln nicht um der Muskeln willen, denn das wäre kontraproduktiv, weil man im Tennis ein ausgewogenes Verhältnis von Kraft und Schnelligkeit braucht. Ein unverhältnismäßig hohes Muskelgewicht würde den Spieler langsamer machen. Während der häufigen Fahrten zwischen meinem Zuhause und seinem Fitnessstudio fütterte Forcades mich mit Theorie. Unser Training war unendlich vielfältig, auch wenn ich mit 16, 17 Jahren etliche Zeit auf einem Gerät verbrachte, das für Astronauten entwickelt wurde, um deren Muskelschwund in der Schwerelosigkeit des Alls zu verhindern. Ich zog an einem Seil, das an einem Schwungrad befestigt war, und förderte damit den Muskelaufbau der Beine und Arme, vor allem der Arme, um ihre Beschleunigungsfähigkeit zu erhöhen. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb ich dem Ball bei meiner Topspin-Vorhand mehr Rotation mitgeben kann als jeder andere Top-Spieler (wie ich hörte, gab es dazu wissenschaftliche Studien). Beim Training auf diesem Schwungradgerät, »Jojo« genannt, erreichte ich einen Leistungsstand, der dem Heben von 117-Kilogramm-Gewichten entsprach. Außerdem machte ich Kraftübungen am Barren, trainierte im Wasser, auf Laufbändern und an Rudergeräten, machte Yoga und arbeitete an den Muskeln, den Gelenken und viel an den Sehnen, um Verletzungen vorzubeugen und meine gesamte Elastizität zu verbessern. Beim Laufen förderten wir meine Fähigkeit, schnell die Richtung zu wechseln und mich mit Tempo seitlich, vorwärts und rückwärts zu bewegen. Alle Übungen simulierten die speziellen Belastungen, denen der Körper beim Tennis ausgesetzt ist, und konditionierten mich dazu, mich bestmöglich dem schnellen Stopp-und Startwechsel dieses Spiels anzupassen. In einem weiteren Punkt bewies Forcades großes Einfühlungsvermögen: Wir hielten uns an das Trainingsprogramm, selbst wenn ich mich nicht gut fühlte, ich müde, schlechter Stimmung oder aus anderen Gründen nicht auf der Höhe war. Denn auch während eines Turniers würde es immer Tage geben, an denen ich nicht in Bestform sein würde, und wenn wir unter solchen Umständen trainierten, wäre ich besser auf Wettkämpfe vorbereitet, bei denen ich hinter meinen normalen Möglichkeiten zurückblieb.

Als Heranwachsender trainierte ich bereits so, wie ich es bis heute tue: mit vollem Einsatz wie in einem Match. Wenn ich Ansporn brauchte, hatte Forcades seine eigenen Methoden. Er appellierte an mein Konkurrenzdenken mit Äußerungen wie: »Weißt du, dass Carlos Moyá – den er ebenfalls trainierte – davon zehn in 30 Sekunden schafft? Na ja, da du heute ein bisschen müde bist, hören wir bei acht auf.« Selbstverständlich schaffte ich dann zwölf.

Mein Vater und meine Onkel sind samt und sonders große, starke Männer, daher war es durchaus nicht ungewöhnlich, dass ich einen kräftigen, athletischen Körperbau entwickelte. Da ich aber so schnell die Tennisleiter erklomm, musste ich mich als Jugendlicher besonders um den Kraftaufbau kümmern, um mit erwachsenen Profispielern mithalten zu können. Es vergingen einige Jahre, bevor ich regelmäßig gegen gleichaltrige oder jüngere Spieler antrat.

Meinen ersten Sieg als Profispieler bei einem ATP-Turnier errang ich zwei Monate vor meinem 16. Geburtstag bei den Mallorca Open gegen Ramón Delgado, der zehn Jahre älter war als ich. Dieser Sieg katapultierte mich in die internationale Futures-Tour, also auf die Ebene unterhalb der ATP-Tour, wo ich sechs Turniere in Folge gewann. Dadurch kam ich in die Challenger-Serie, in der meist Spieler von Platz 100 bis 300 der Weltrangliste antreten. Nun spielte ich ständig gegen Spieler, die 20, 22, 24 Jahre alt waren. Ende 2002 stand ich mit 16 ½ Jahren auf Weltranglistenplatz 199. Ende 2003, also knapp ein Jahr nach meinem Durchbruch mit dem Sieg gegen Delgado, trat ich bei zwei der Topturniere der ATP World Tour an: In Monte Carlo gelang mir ein noch größerer Erfolg als mit dem Sieg über Delgado, denn ich schlug Albert Costa, der 2002 die French Open gewonnen hatte; in Hamburg besiegte ich meinen Freund und Mentor Carlos Moyá. Beide gehörten damals zu den Top Ten der Weltrangliste und waren Grand-Slam-Gewinner. Innerhalb von vier Monaten kletterte ich in der Weltrangliste von Platz 199 auf Platz 109. Ein zeitlich sehr ungünstiger Rückschlag ereilte mich allerdings durch eine Schulterverletzung im Training, die zwei Wochen brauchte, um zu verheilen, und die mich um mein Debüt bei den French Open im Roland-Garros-Stadion brachte. Aber kurze Zeit später trat ich erstmals in Wimbledon an und schaffte es bis in die dritte Runde. Die Association of Tennis Professionals (ATP) wählte mich 2003 zum »Newcomer des Jahres«. Damals war ich ein wahnsinnig hyperaktiver Teenager, der es eilig hatte und im Training wie auch in Wettkämpfen auf Hochtouren lief.

Aber 2004 sagte mein Körper: »Es reicht!« Ein winziger Knochenriss im linken Fuß stoppte meinen Lauf abrupt und ich musste von Mitte April bis Ende Juli mit dem Spielen pausieren: kein Roland Garros, kein Wimbledon. Auf der Weltrangliste stand ich mittlerweile auf Platz 35, und nach einer solchen Zwangspause – der ersten Verletzungspause meiner Karriere, der allerdings noch weitere folgen sollten – wieder zurückzukommen und meinen Rhythmus zu finden, war nicht leicht. Damals empfand ich es als grausam, aber langfristig betrachtet, war es vielleicht gar nicht so schlecht. Denn die körperliche Anfälligkeit machte mich mental stärker. Vielleicht brauchte auch mein Kopf eine Ruhepause. Die Umsicht und Unterstützung meiner Familie und Tonis Training, auch widrige Umstände auszuhalten, führten dazu, dass ich nicht verzweifelte, sondern mir noch klarer wurde, dass ich gewinnen wollte, und fest entschlossen war, alles Erforderliche dafür zu tun.

Diese Zeit ermöglichte es mir, eine Erkenntnis zu verinnerlichen, die sich alle Spitzensportler und Sportlerinnen zu eigen machen sollten: Wir haben enorme Privilegien und Glück, bezahlen dafür aber den Preis, dass unsere Karriere in einem sehr jungen Alter endet. Schlimmer noch: Eine Verletzung kann unser Fortkommen jederzeit vereiteln und uns von einer Woche zur nächsten zum vorzeitigen Karriereende zwingen. Das heißt erstens, dass man das, was man tut, genießen sollte, und zweitens, dass sich Chancen nicht unbedingt ein zweites Mal bieten und man jede bestmöglich nutzen sollte, so als wäre es die letzte. Diese Botschaft hatte Toni mir schon immer mit Worten zu vermitteln versucht, aber während ich mich nun ungeduldig von meiner Verletzung erholte, spürte ich sie am eigenen Leib. Je mehr Jahre vergehen, umso lauter hört man die Uhr ticken. Mir ist klar, dass ich mich sehr glücklich schätzen kann, wenn ich mit 29 oder 30 Jahren noch in der Weltspitze spielen kann. Meine erste schwerere Verletzung machte mir bereits in jungen Jahren bewusst, wie schnell die Zeit für einen Profisportler vergeht. Diese Lehre war überaus hilfreich für mich. Ich wurde schnell zu einem »alten jungen Spieler«, wie mein Freund Toméu Salva sagt. Ich weiß das, was ich habe, sehr zu schätzen und versuche bei jedem Ballwechsel, den ich spiele, danach zu handeln.

Natürlich funktioniert es nicht immer. Kaum einen Monat nach meiner Verletzungspause im Jahr 2004 musste ich in der zweiten Runde der US Open in New York gegen Andy Roddick antreten. Er hatte im Vorjahr die US Open gewonnen, war breitschultrig und gut. An jenem Tag ein bisschen zu breitschultrig und gut für mich. Die Begegnung holte mich abrupt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und brachte mir in Erinnerung, dass ich trotz aller meiner Erfolge noch ein Heranwachsender war. Roddick war damals wesentlich kräftiger als ich, stand hinter Federer auf Platz zwei der Weltrangliste und hatte im Vorjahr Platz eins belegt. Ich musste auf dem schnellen Bodenbelag von Flushing Meadows gegen ihn spielen, mit dem ich noch nicht gut zurechtkam. Auf seinen enormen Aufschlag hatte ich keine Antwort und bezog mehr Prügel, als das Ergebnis von 0:6, 3:6, 4:6 erkennen ließ.

Noch im selben Jahr bekam ich jedoch die Chance zu einer Revanche für diese Schlappe.

Das Highlight des Jahres 2004 war mein Einsatz für Spanien im Daviscup, der im Tennis mit der Fußballweltmeisterschaft vergleichbar ist. Mein Debüt hatte ich mit 17 Jahren gegen die Tschechische Republik gegeben und mich auf Anhieb in diesen Wettbewerb verliebt. Zum einen bin ich stolz, Spanier zu sein, was nicht so banal ist, wie es klingen mag, weil viele Spanier sehr zwiespältig gegenüber ihrer nationalen Identität sind und sich stärker ihrer Region verbunden fühlen. Meine Heimat ist Mallorca und wird es immer sein – ich bezweifle stark, dass ich je von dort weggehen werde –, aber Spanien ist mein Heimatland. Mein Vater empfindet ebenso wie ich. Ein Beleg dafür ist, dass wir beide leidenschaftliche Fans von Real Madrid, dem großen Fußballclub der spanischen Hauptstadt sind. Zum anderen mag ich den Daviscup, weil er mich etwas von dem Mannschaftsgeist erleben lässt, den ich verloren glaubte, als ich mit zwölf Jahren das Fußballspielen für den Tennissport aufgab. Da ich gesellig bin und Menschen um mich brauche, ist es schon merkwürdig, dass das Schicksal – weitgehend in Gestalt meines Onkels Toni – mich dazu gebracht hat, mich für die Karriere in einem Sport zu entscheiden, in dem man meist als Einzelkämpfer dasteht. Hier bot sich mir nun eine Gelegenheit, wieder einmal die gleiche kollektive Erregung wie an jenem unvergesslichen Tag in meiner Kindheit zu spüren, als unsere Fußballmannschaft die Balearenmeisterschaft gewann.

Mein Start in den Daviscup war allerdings nicht sonderlich vielversprechend, denn ich verlor die ersten beiden Spiele gegen die Tschechen, ein Einzel und ein Doppel. Wir spielten auf dem für mich schwierigsten, weil schnellsten Belag: Hartboden in der Halle, wo der Luftwiderstand am geringsten ist. Letzten Endes ging ich aber als Held aus dem Turnier hervor, da ich das letzte und entscheidende Match gewann. Ingesamt hatte ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, denn wenn wir diese Runde verloren hätten, hätte man mich durchaus dafür verantwortlich machen können (»Was macht er hier in dem Alter?«), aber wenn man das entscheidende Match gewinnt und damit der eigenen Mannschaft den Sieg mit dem im Daviscup knappest möglichen Vorsprung sichert, nämlich 3:2, ist alles andere vergessen – zum Glück für mich.

Als Nächstes spielten wir in den Niederlanden und gewannen, was allerdings nicht mir zu verdanken war, denn das einzige Match, in dem ich antrat, ein Doppel, verloren wir. Beim Halbfinale gegen die damals starke französische Mannschaft sah es hingegen völlig anders aus. Zum ersten Mal trat ich für mein Heimatland in Spanien an, in der Mittelmeerstadt Alicante, wo das heimische Publikum seine Unterstützung so laut herausbrüllte, wie ich es noch nie erlebt hatte. Wir hatten eine starke Mannschaft mit den Top-Ten-Spielern Carlos Moyá und Juan Carlos Ferrero sowie Tommy Robredo, der in der Weltrangliste auf Platz 12 stand. Ich gewann mein Doppel, rechnete in dieser Gesellschaft aber nicht damit, dass unsere Teamchefs mich für ein Einzel aufstellen würden. Das taten sie auch nicht, aber als sich Carlos plötzlich unwohl fühlte, wurde ich auf seinen Rat hin als Ersatz für ihn aufgestellt. Ich gewann mein Match, und zwar gut, und wir erreichten das Finale gegen die Vereinigten Staaten.

Bis dahin war ich nicht so nervös, wie ich es eigentlich hätte sein müssen. Wäre ich älter gewesen, wäre ich mir des hohen nationalen Erwartungsdrucks, der auf meinen Schultern lastete, vielleicht stärker bewusst gewesen. Rückblickend sehe ich, dass ich damals beinahe schon tollkühn und mit mehr Adrenalin als Köpfchen gespielt habe. Allerdings musste ich doch sehr ernüchtert schlucken, als ich das Stadion sah, in dem das Finale stattfinden sollte. Es war in der schönen Stadt Sevilla, aber nicht gerade in der schönsten Umgebung. Der Centre Court von Wimbledon war es nicht, und ich würde auch nicht das Echo meiner Schläge hören, wenn der Wettkampf erst einmal begonnen hätte. Stille stand nicht auf dem Programm. Wir würden uns auch nicht im Entferntesten eingehüllt oder abgeschirmt fühlen. Man hatte einen Tennisplatz in einer Hälfte eines Sportstadions improvisiert, das 27 000 Zuschauern Platz bot: die größte Zuschauermenge, die je ein Tennisspiel live erleben sollte. Nahm man nun noch den berühmten Überschwang der Sevillanos hinzu, dann konnte man die andächtige Stille von Wimbledon oder aller anderen Tennisplätze der Welt, auf denen ich je gespielt hatte, getrost vergessen. Hier würden wir vor einem johlenden Fußballpublikum Tennis spielen. Obwohl ich im Finale nur für ein Doppel eingeteilt war, und zwar mit Tommy Robredo (der als der Ältere weitaus mehr Verantwortung für Erfolg oder Niederlage zu schultern hatte), verspürte ich mit meinen 18 ½ Jahren mehr Druck und Anspannung als je zuvor in den zehn langen Jahren meiner Wettkämpfe. Unsere Gegner waren die Zwillingsbrüder Bob und Mike Bryan, das wohl beste Doppelteam aller Zeiten und damals die Nummer eins der Weltrangliste. Man erwartete nicht, dass wir gewinnen würden, aber allein schon die Vorfreude auf ein besonderes Ereignis, die Stimmung in der Stadt und die Aufregung, wenn die Leute uns sahen, überstiegen alles, was ich jemals vor einem Tennisturnier erlebt hatte oder mir hätte vorstellen können.

Ich hatte die Hoffnung auf einen Sieg keineswegs aufgegeben, aber unsere Teamchefs rechneten damit, dass wir das Doppel verlieren und damit einen der möglichen fünf Punkte an die Amerikaner abgeben würden und sehr viel davon abhinge, ob Carlos Moyá, unsere Nummer eins, seine beiden Einzel gewänne. Mardy Fish, die Nummer zwei der Amerikaner, konnte er durchaus schlagen; aber ein Sieg über Roddick war alles andere als ausgemacht. Unser Vorteil war, dass wir auf Sand, unserem Lieblingsbelag, spielten, den Roddick nicht gerade bevorzugte. Aber er war ein hervorragender Kämpfer, ein energiegeladener Amerikaner und stand auf Platz zwei der Weltrangliste, während Carlos damals Platz fünf belegte. Die Wetten setzten auf Carlos, der vor seinen Fans spielen würde, aber es war keineswegs eine sichere Sache. Juan Carlos Ferrero stand auf Platz 25 der Weltrangliste (nachdem er durch Verletzungen in diesem Jahr dorthin abgerutscht war, denn eigentlich war er besser) und sollte Fish schlagen können, aber gegen Roddick standen die Chancen 50:50. Kritisch waren also unsere beiden Spiele gegen Roddick, denn bei Fish waren wir überzeugt, ihn zweimal besiegen zu können.

So sah zumindest die Theorie aus, die logischen Überlegungen. Aber was wäre, wenn Fish eines seiner Matchs gewinnen sollte? Das wäre durchaus nicht die größte Überraschung der Tennisgeschichte. Wir alle hatten schon überraschende Niederlagen erlebt (Carlos hatte in diesem Jahr bereits einmal gegen mich verloren, konnte also durchaus auch gegen Roddick verlieren) und waren weit von jedweder Selbstgefälligkeit entfernt. Wir waren uns alle einig, dass unser erstes Match am ersten Tag gegen Roddick, bei dem unsere Nummer zwei gegen ihre Nummer eins antrat, ungeheuer wichtig war. Wenn wir dieses Match gewännen und Carlos gegen Fish siegte, brauchten wir uns keine Gedanken machen, ob es Tommy und mir gelingen würde, einen Überraschungssieg im Doppel zu erzielen, sondern müssten am dritten und letzten Tag nur noch eines der beiden Einzel gewinnen. Da der Druck für Carlos dann geringer wäre, hätte er schlagartig bessere Chancen, in der Begegnung der beiden Nummer-eins-Spieler Roddick zu schlagen. Und selbst wenn Carlos verlieren sollte, würde für Fish der Druck durch das Wissen darüber steigen, dass durch eine Niederlage von ihm der Daviscup für die USA verloren wäre, was wiederum ein wesentlicher Vorteil für uns wäre.

Nach unserer Einschätzung am Tag vor Beginn des Finales war das wichtigste Spiel das Match zwischen unserer Nummer zwei und Roddick. Wir gingen davon aus, dass unser zweiter Einzelspieler Juan Carlos Ferrero sein sollte, der French-Open-Gewinner und US-Open-Finalist des Jahres 2003. Aber nicht er trat als unsere Nummer zwei an, sondern ich, gleich am ersten Tag gegen Roddick. Ferrero war nicht etwa verletzt, sondern unsere Teamchefs entschieden, dass ich an seiner Stelle spielen sollte. Statt also von der Seitenlinie aus zuzuschauen und meine Mannschaftskameraden nach Kräften anzufeuern, sollte ich plötzlich im Mittelpunkt stehen. Die Kühnheit oder Tollkühnheit (wie manche fanden) unserer Teamchefs kam für mich völlig überraschend und überrumpelte mich. Juan Carlos hatte Platz eins in der Weltrangliste erreicht, während ich noch nie über den 50. Platz hinausgekommen war. Zudem rangierte mein Doppelpartner Tommy Robredo auf Platz 13. Eigentlich hätte es sich von selbst verstanden, Tommy aufzustellen, wenn Juan Carlos nicht spielte. Ich war das Küken in der Mannschaft, nach Ansicht vieler innerhalb und außerhalb des Teams kaum mehr als ein Cheerleader in diesem Daviscup-Finale gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, das eine Sache für Erwachsene war.

Trotz aller Kameradschaft ist Tennis ein Individualsport, und wir alle sehnen uns nach der Chance zu spielen. Niemand hätte mir geglaubt, wenn ich behauptet hätte, ich würde lieber nicht antreten. Den Druck und die Verantwortung fand ich eher aufregend als beängstigend. Wenn ich den Drang verspürt hätte wegzulaufen, hätte ich den Profitennissport ebenso gut gleich aufgeben können. Nein, das war die größte Chance meines bisherigen Lebens, und die Aussicht auf das Match raubte mir schier den Atem vor Begeisterung. Andererseits fühlte ich mich unbehaglich und kleinlaut. Ich war jung und unverfroren genug, um überzeugt zu sein, dass ich Roddick schlagen könnte, aber ich war nicht so unsensibel, dass ich es nicht als Verstoß gegen die eherne Regel empfand, mich gegen ihn antreten zu lassen. Meine Familie hatte mir Achtung vor Älteren beigebracht, und diese beiden Mannschaftskameraden, denen man mich vorgezogen hatte, waren nicht nur älter, sondern auch – objektiv – besser als ich. Im Training hatte ich zwar in dieser Woche gut gespielt und Ferrero war etwas unter seinen Möglichkeiten geblieben, aber wir wussten alle gut genug, dass das Training etwas anderes war als ein Wettkampf. In einem so wichtigen Match zählte Erfahrung ebenso viel wie die Tagesform, und wenn Ferrero nicht spielte, sollte an seiner Stelle Robredo antreten, der vier Jahre älter war als ich und bereits zwei ATP-Turniere gewonnen hatte (ich dagegen damals noch kein einziges).

Tatsache war, ich hatte von uns vieren in der Daviscupmannschaft den mit Abstand niedrigsten Weltranglistenplatz, hatte ein schlechtes Jahr hinter mir, da ich wegen einer Verletzung lange ausgefallen war, hatte erst kürzlich gegen Roddick eine hohe Niederlage einstecken müssen und war erst 18 Jahre alt. Außerdem würde ich in Zukunft wahrscheinlich noch erheblich häufiger als die anderen eine Chance bekommen, im Daviscup zu spielen. Wenn ich mich in Juan Carlos und Tommy hineinversetzte, konnte ich mir vorstellen, dass es ihnen wahrscheinlich noch mehr bedeutete als mir, in diesem Finale anzutreten. Da die Stimmung in unserer Gruppe angespannt war, beschloss ich, mit Carlos darüber zu reden, statt die Teamchefs in Verlegenheit zu bringen. Ich kannte ihn schon seit einigen Jahren. Wir hatten oft zusammen trainiert, und ich vertraute ihm wie einem älteren Bruder. Zudem war er ebenfalls Mallorquiner, also einer von uns.

Ich fragte ihn: »Mal ehrlich, würdest du dich nicht wohler fühlen und wärst du zuversichtlicher, wenn Juan Carlos spielen würde? Ich meine, ich bin noch so jung, und er hat so viel mehr gewonnen als ich …« Carlos fiel mir ins Wort. Ich erinnere mich noch genau, was er sagte: »Sei kein Esel. Geh und spiel. Du spielst gut. Für mich ist das überhaupt kein Problem.« Ich erhob noch einige Einwände, brachte Argumente gegen mich vor und sagte ihm, wie peinlich mir die Sache sei, aber er erwiderte: »Nein. Nimm’s locker. Genieße den Augenblick und nutze die Chance. Wenn die Teamchefs beschlossen haben, dich aufzustellen, dann haben sie lange und gründlich darüber nachgedacht und vertrauen dir. Das tue ich auch.«

Damit war die Sache geklärt. Es wäre lächerlich gewesen, darauf zu bestehen, dass ich nicht spiele. Denn zum einen brannte ich auf dieses Spiel, zum anderen hätte es bedeutet, die Einschätzung unserer Teamchefs infrage zustellen, was mir als Jugendlichem eindeutig nicht zustand. Die extreme Möglichkeit, eine offene Rebellion anzuzetteln, wäre unsagbar dumm gewesen.

Also spielte ich. Carlos tat mir den Gefallen, das erste Match zu gewinnen. Sollte ich Roddick schlagen, wäre uns der Daviscup-Sieg zwar noch nicht sicher, aber wir hätten doch schon einen Fuß weit in der Tür. Sollte ich verlieren, wäre alles offen. Ich war motivierter denn je und wusste genau, dass es zweifellos das wichtigste Spiel meines jungen Lebens war. Sicher hatte ich auch Angst, dass ich der Herausforderung nicht gewachsen sein könnte und Roddick mich ebenso vernichtend schlagen würde wie bei den US Open, als er mich 6:3, 6:2, 6:2 besiegt hatte. Das wäre peinlich und für die Mannschaft alles andere als eine Unterstützung. Denn man konnte zwar verlieren, sollte den Gegner dabei aber zumindest so müde machen, dass er beim nächsten Spiel noch ausgelaugt war. Wenn er mich wieder so vom Platz fegen sollte, würde ich das Vertrauen, das die Teamchefs in mich gesetzt hatten, meine Mannschaftskameraden, das Publikums, einfach alle enttäuschen. Bei diesem Match lastete also ein hoher Druck auf mir. Schließlich ging es um das Daviscup-Finale auf spanischem Boden; ich spielte also nicht für mich allein. Was mir aber die meiste Angst einjagte war die überaus riskante Entscheidung, mich für dieses Match aufzustellen.

Aber als ich auf den Platz ging, verdrängte das Adrenalin die Angst, und das Publikum riss mich auf einer Woge von Begeisterung so mit, dass ich rein instinktiv spielte, fast ohne nachzudenken. Nie stand das Publikum stärker hinter mir, weder vorher noch nachher. Denn ich war nicht nur der Spanier, der in einer der patriotischsten Städte des Landes die Fahne hochhielt, sondern zudem der Underdog, der David, der gegen den Goliath Roddick antrat. Eine Szenerie, die weiter von Wimbledons vornehmer Tennisetikette entfernt ist (Ruhe während der Ballwechsel: vergiss es), ist kaum vorstellbar. Auch wenn sich mein Kindheitstraum, Profifußballer zu werden, nie erfüllt hatte, kam ich hier der Atmosphäre näher denn je, die Fußballspieler erleben, wenn sie zu einem wichtigen Spiel auf den Platz kommen oder bei einem Meisterschaftsspiel ein Tor schießen. Bei jedem Punkt, den ich machte, brachen praktisch alle 27000 Zuschauer in Jubel aus, als hätte ich ein Tor geschossen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mehrfach auch so reagierte wie ein Fußballer nach einem Tor. Ich glaube, ich habe die Arme noch nie so oft in die Höhe gerissen oder bin während eines Tennisspiels so häufig vor Freude in die Luft gesprungen. Ich weiß nicht, wie Andy Roddick sich dabei fühlte, aber es gab keine andere Möglichkeit, auf diese emotional aufgeladene Stimmung zu reagieren, die mich überschwemmte. Das Tennispublikum hat in der Regel selten sonderlich großen Einfluss auf das Spielergebnis, anders als etwa beim Fußball oder Basketball. Hier war es anders. Um den Heimvorteil hatte ich schon immer gewusst, ihn aber nie zuvor so erlebt. Noch nie hatte ich gespürt, welchen Ansporn die Menge dir geben kann, wie das anfeuernde Gejohle dich zu ungeahnten Höhenflügen beflügeln kann.

Ich konnte die Hilfe brauchen. Es gab zwar kein Blutvergießen, aber zwischen Roddick und mir fand da unten in diesem erstaunlichen Amphitheater in der warmen Wintersonne Spaniens ein regelrechter Kampf statt. Es sollte das längste Match werden, das ich in meinem Leben bis dahin gespielt hatte, 3 Stunden und 45 Minuten mit endlos langen Ballwechseln, ständigem Hin-und Herdreschen, wobei er auf Chancen lauerte, ans Netz zu stürmen, während ich mich fast immer an der Grundlinie hielt. Selbst wenn ich verlieren sollte, hätte ich dann zumindest meinen Teil dazu beigetragen, ihn für das Match am übernächsten Tag gegen Carlos auszulaugen, der sein erstes Match komfortabel gewonnen hatte. Den ersten Satz verlor ich im Tiebreak, aber das spornte die Zuschauer nur noch mehr an. Die nächsten drei Sätze gewann ich 6:2, 7:6 und 6:2. Viele der Ballwechsel sind mir noch lebhaft in Erinnerung: ein zweiter Aufschlag weit nach außen und mein Return, der nicht über, sondern seitlich um das Netz flog und zum Winner wurde; ein Rückhand-Passierschlag im Tiebreak des dritten Satzes, ein sehr kritischer Moment des Matchs. Und ich erinnere mich an den letzten Punkt des Spiels, den ich bei meinem Aufschlag gewann, als er eine zu lange Rückhand spielte. Ich fiel auf den Rücken und schloss die Augen; als ich sie wieder öffnete, sah ich meine Teamkameraden vor Freude tanzen. Der Lärm fühlte sich in meinen Ohren an, als würde ein Jumbojet im Tiefflug über uns hinwegdonnern.

Nun lagen wir mit 2:0 von fünf Spielen in Führung. Am nächsten Tag verloren wir, wie erwartet, das Doppel, und am dritten Tag gewann Carlos Moyá – unser wahrer Held, der seit Jahren hinter diesem Titel herjagte – sein Match gegen Roddick. Und das war’s. Ich brauchte nicht mehr gegen Mardy Fish anzutreten. Wir hatten das Finale 3:1 gewonnen, und damit gehörte der Daviscup uns. Es war der Höhepunkt meines Lebens und, wie sich herausstellen sollte, der Moment, ab dem die Tenniswelt aufmerkte und anfing, mich genauer zu beobachten. Hinterher sagte Andy Roddick etwas sehr Nettes über mich. Er erklärte, es gebe nicht viele Spieler, die für wahrhaft große Matchs geschaffen seien, aber ich gehöre eindeutig dazu. Tatsächlich hatte ich nach der überraschenden Entscheidung, mich für das Match gegen Roddick aufzustellen, mit erheblichem Druck fertig werden müssen, und das gab mir Selbstvertrauen, auf dem ich aufbauen konnte, wenn für mich die Zeit kommen würde, ganz allein die großen Matchs, die Grand-Slam-Finale zu spielen.

Ein Tennisspieler ist die Summe aller Matchs, die er gespielt hat. Als ich dreieinhalb Jahre später auf dem Centre Court in Wimbledon stand und versuchte, den dritten Satz gegen Federer zu gewinnen, dachte ich zwar nicht an dieses Daviscup-Finale, aber es hatte seine Spuren hinterlassen. Zumindest hatte es mir in den ersten beiden Sätzen geholfen, die ich gewonnen hatte. Aber zu Beginn des dritten Satzes spielte Federer einige brillante Bälle, und ich hing in den Seilen, vor allem im sechsten Spiel, in dem ich bei eigenem Aufschlag nach einer wirklich enttäuschenden Rückhand ins Netz mit 15:40 in Rückstand geriet. Zum ersten Mal in diesem Match verlor ich die Fassung und schrie meine Wut heraus. Ich war wütend auf mich, weil ich genau wusste, dass ich bei diesem Schlag nicht das getan hatte, was ich hätte tun sollen. Ich hatte ihn angeschnitten, statt einen Drive zu spielen. Mein Kopf hatte versagt. Mir war völlig klar, dass es nicht der richtige Schlag war, aber ich hatte einen Moment lang gezögert, Angst bekommen und ihn dann doch gespielt. Ich hatte mich für die konservative Option entschieden, den Mut verloren, und dafür hasste ich mich in diesem Augenblick. Das Gute war, dass auch Federer nervös war. Für uns beide war die Anspannung enorm, und aus diesem Grund war es von der Qualität unseres Spiels nicht gerade der berauschendste Teil des Matchs. In dieser Phase spielten wir beide schlecht. Aber wenn es am meisten darauf ankam, spielte ich weniger schlecht. Er hatte im sechsten Spiel vier Breakbälle, die ich alle erfolgreich abwehrte, bis ich schließlich Vorteil hatte und das Spiel mit einem zweiten Aufschlag gewann.

Damit stand es im dritten Satz 3:3, und er hatte Aufschlag im berühmt berüchtigten »entscheidenden« siebten Spiel. Es ist durchaus nicht immer so entscheidend, wie oft behauptet wird, aber dieses Mal traf es zu: Ich sah meine Chance und war bereit, sie zu nutzen. Federer musste allein schon durch die Tatsache angeschlagen sein, dass er es im vorangegangenen Spiel nicht geschafft hatte, aus seinen Chancen Kapital zu schlagen. Im gesamten bisherigen Match hatte er zwölf Breakbälle gehabt, ich nur vier, aber er hatte nur einen davon verwandelt, ich hingegen drei. Hier zeigte sich wieder einmal, wie stark die wichtigen Punkte über ein Tennismatch entscheiden und dass Sieg oder Niederlage weniger von körperlicher Stärke oder Können abhängen als vom mentalen Vorteil. Und der lag in dieser Phase eindeutig bei mir. Die Spannung war auf dem Höhepunkt, aber die Stoßrichtung hatte sich geändert. Nachdem ich den Druck ausgehalten hatte, den er im vorangegangenen Spiel auf mich ausübte, fühlte ich mich mit einem Mal leichtfüßig und hellwach. Ein Blick nach oben ließ mich einen bedeckten Himmel erkennen, auf dem Platz war kein Schatten zu sehen. Offenbar würde es tatsächlich noch regnen. Ein Grund mehr für einen Versuch, das Match so bald wie möglich zu entscheiden.

Und alles deutete darauf hin, dass ich es schaffen würde. Dreimal kam er ans Netz und dreimal holte ich den Punkt. Er reagierte überstürzt, verlor seinen kühlen Kopf. Ich lag 40:0 in Führung. Aus der Richtung, wo meine Onkel und meine Tante saßen, hörte ich ein anfeuerndes: »Vamos, Rafael!« Mit einem flüchtigen Seitenblick auf die Tribüne zeigte ich, dass ich es gehört hatte. Aber im Nu wendete sich das Blatt wieder. Jetzt geriet ich unter Druck. Ich beantwortete einen Aufschlag mit einem schlechten Return, der knapp vor der Platzmitte landete, und überließ ihm den Punkt. Den nächsten Aufschlag verfehlte ich völlig. Allerdings war es ein guter Aufschlag, also weiter zum nächsten Ballwechsel. Mir blieb noch ein Breakball, bevor er zum Einstand aufholen konnte. Den Ballwechsel beim Stand von 40:30 werde ich nie vergessen. Eine grauenhafte Erinnerung. Er verpatzte den ersten Aufschlag und spielte einen hervorragend returnierbaren zweiten Aufschlag auf meine Vorhand, aber ich versaute den Return völlig und setzte ihn ins Netz. Damit hatte ich nun schon meine dritte Chance vertan und bekam Angst. Mir fehlte es an Entschlossenheit, ich hatte keinen klaren Kopf. Es war ein Test meines mentalen Durchhaltevermögens, und ich hatte ihn nicht bestanden, deshalb erinnere ich mich so schmerzlich daran. Ich hatte genau auf dem Gebiet versagt, das ich zeitlebens als meine größte Stärke trainiert hatte. Und wieder erwischte ich mich bei dem Gedanken: »Vielleicht bekomme ich diese Chance nie wieder; es könnte der Wendepunkt des Matchs sein.« Mir war klar, dass ich eine große Chance vertan hatte, das Wimbledon-Finale zu gewinnen oder einem Sieg zumindest sehr nahe zu kommen.

Und prompt gewann er das Spiel mit zwei großartigen Aufschlägen. Es war eine riesige Enttäuschung, die ich aber sofort aus meinem Kopf verschwinden lassen musste. Das gelang mir auch. Das nächste Spiel gewann ich ebenso mühelos, wie er seinen nächsten Aufschlag durchbrachte. Damit lag er 5:4 in Führung, als, wie zu erwarten, der Regen einsetzte. Darauf war ich eingestellt und nahm es ruhig hin, obwohl über eine Stunde verstrich, bevor wir weiterspielen konnten. Ich ging in die Umkleidekabine, wo Toni und Titín prompt zu mir kamen. Titín wechselte die Tapestreifen an meinen Fingern, und ich zog mich um. Wir sprachen kaum. Mir war nicht nach Reden. Federer wirkte entspannter, plauderte und lachte sogar mit seinen Leuten. Er war zwar zwei Sätze im Rückstand, aber ich war angespannter als er. Jedenfalls wirkte ich angespannter.

Wieder auf dem Platz wollte ich unbedingt meinen Aufschlag durchbringen, um den Satz zu retten, und schaffte es auch; ebenso bei meinem nächsten Aufschlag. Es kam zum Tiebreak, in dem er mich mit seinen Aufschlägen fertigmachte und den Satz beendete, wie er ihn begonnen hatte. Mit drei Assen und einem Aufschlag, der durchaus auch ein Ass hätte werden können, entschied er den Tiebreak 7:5 und den Satz 7:6 für sich. Ich hatte meine Chance bekommen und sie mit einigen schwachen Momenten, in denen ich mich von meiner stärksten Seite hätte zeigen müssen, vertan. Aber noch immer lag ich mit 2:1 Sätzen in Führung.