DER CLAN

 

 

Sebastián Nadal musste sich wegen des Jacketts, das er trug, als er sich das Endspiel seines Sohnes in Wimbledon gegen Roger Federer 2008 anschaute, viele Sticheleien von seiner Familie gefallen lassen. Aber es war doch gar nicht sein Jackett, so beschwerte er sich. Als er vor Beginn des Matchs festgestellt hatte, dass er kein Jackett dabei hatte, hatte er den Pressesprecher seines Sohnes, Benito Pérez, gebeten, ihm eines zu besorgen. Benito hatte nur ein dunkelblaues Jackett mit silbernen Nadelstreifen auftreiben können, in dem Sebastián mit seiner dunklen Sonnenbrille aus dem von Erdbeer-und Cremetönen geprägten Rahmen des Centre Court herausgefallen und wie ein drittklassiger sizilianischer Mafiaboss gewirkt hatte. So beschrieben ihn jedenfalls seine Brüder, und selbst ihm fiel es schwer, diesem Eindruck zu widersprechen.

In gewisser Weise war dieser Gangsterlook nicht ganz unangemessen. Der enge Zusammenhalt der Familie Nadal hat durchaus etwas Sizilianisches. Sie leben auf einer Mittelmeerinsel und sind nicht nur eine Familie, sondern ein Clan – wie die Corleones oder Sopranos, allerdings ohne Bosheit und Waffen. Sie sprechen den Dialekt der Inselbewohner, sind rückhaltlos loyal untereinander und halten alle Geschäfte innerhalb der Familie, sei es Miguel Ángels Vertrag mit dem Fußballverein Barcelona, die Glasfirma, die Sebastián leitet, oder seien es die einträglichen Immobiliengeschäfte, die sie alle nebenher betreiben.

Man nehme nur das fünfstöckige Haus, das der Familie im Zentrum von Manacor gehörte, unmittelbar neben der alten Kirche Nostra Senyora dels Dolors, deren Türme das Stadtbild beherrschen. Von Rafaels 10. bis zum 21. Lebensjahr lebten alle Nadals – die Großeltern, die vier Brüder und ihre Schwester mit ihren Ehegatten und der wachsenden Kinderzahl – im selben Haus, ließen ihre Wohnungstüren Tag und Nacht offen und bewohnten das Haus als Großfamilie.

In Porto Cristo, dem acht Kilometer von Manacor entfernten Seebad, lebten sie ähnlich dicht beieinander: im Erdgeschoss die Großeltern, im ersten Stock Sebastiáns Familie, im zweiten Stock Nadals Patentante Marilén, im dritten Stock sein Onkel Rafael. Gleich gegenüber wohnte Toni und ein Stück weiter an der Straße Miguel Ángel.

Rafas Großeltern standen als führende Köpfe hinter diesem Clan, was in einer so stark familiär geprägten Gesellschaft wie Mallorca keineswegs ungewöhnlich ist: Noch immer wohnen Söhne und Töchter bis weit in ihre dreißiger Jahre bei ihren Eltern.

»Alle zusammenzuhalten war eine Aufgabe, die meine Frau und ich uns gestellt haben«, erklärt Don Rafael Nadal, der musikalische Großvater. »Wir hatten daher keine allzu große Mühe, meine Kinder vom Kauf des Hauses zu überzeugen. Von klein auf habe ich allen beigebracht, alles innerhalb der Familie zu halten.«

Als Miguel Ángel einen Vertrag als Profifußballer abschloss, stand es daher außer Frage, dass sein älterer Bruder Sebastián ohne Bezahlung die Aufgaben eines Agenten für ihn übernahm. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dafür einen Anteil an den Einnahmen seines Bruders zu verlangen. Das tut man einfach nicht, wenn man nach dem Familienkodex der Nadals lebt, wie Sebastián erklärt. Drei der Brüder – Sebastián, Miguel Ángel und Toni – und Rafa haben gemeinsam eine Firma namens Nadal Invest aufgebaut, die in Immobilien investiert. Um Rafas zahlreiche Sponsorenverträge mit spanischen und internationalen Unternehmen kümmerte Sebastián sich anfangs selbst, vor allem um die ersten Verträge mit Nike. Wichtige Entscheidungen liegen letztlich bei Sebastián, der die Rolle des Patriarchen von seinem Vater, Don Rafael, übernommen hat: Werte zu setzen und Regeln einzuhalten.

»Ich würde lieber alles verlieren, alles aufgeben – Geld, Grundbesitz, Autos, alles –, als mich mit meiner Familie zu streiten«, erklärt Sebastián. »Es ist für uns unvorstellbar, Streit zu haben. Den hatten wir nie und werden wir nie haben. Ernsthaft. Ohne Jux. Familienzusammenhalt ist unsere erste und oberste Regel. Er geht über alles. Meine besten und engsten Freunde sind meine Verwandten, erst dann kommen alle anderen. Die Einheit der Familie ist die Stütze unseres Lebens.«

Dieses bis ins Extrem betriebene Prinzip ist auch der Grund, weshalb sie es vermeiden, Rafa zu gratulieren, wenn er gewinnt – was ansonsten ein völlig natürlicher Impuls wäre. Als seine Patentante Marilén es einmal tun wollte, schauten Toni und Rafa sie fassungslos an und fragten: »Was tust du?« »Sie hatten Recht«, erklärt Marilén. »Es war, als ob ich mir selbst gratuliert hätte. Denn wenn einer von uns gewinnt, gewinnen wir alle.«