DAS

DYNAMISCHE

DUO

 

 

KAPITEL 2

Der erste Punktgewinn ist immer wichtig, zumal in einem Wimbledonfinale. Ich fühlte mich bestens, hatte schon den ganzen Morgen ein gutes Gefühl, und nun musste ich es mir nur noch auf dem Platz beweisen. Federer gelang ein guter erster Aufschlag weit auf meine Rückhand. Ich returnierte besser, als er erwartet hatte, tiefer. Er hatte sich darauf eingestellt, nach dem Aufschlag nach vorn zu gehen, um die Wucht seines Schlags durch den Vorwärtsschwung seines Körpers zu verstärken, aber mein Return erwischte ihn auf dem falschen Fuß, zwang ihn, zwei Schritte zurückzugehen, den Ball unangenehm hoch mit der Vorhand auf dem hinteren Fuß anzunehmen, was seine Schlagkraft allein auf den Arm einschränkte. Der Return war besser, als ich es bei einem so tiefen, schwierigen Aufschlag erwarten konnte, und brachte Federer auf Anhieb dazu, nachzudenken und sich umzustellen.

Seinen mühelosen Rhythmus brechen, ihn in die Ecke treiben – das muss ich bei Federer machen, immer. Dies hatte Toni mir geraten, als ich zum ersten Mal vor fünf Jahren gegen Federer in Miami angetreten war: »Mit Talent und mit brillanten Schlägen allein wirst du ihn nicht besiegen. Er wird immer besser imstande sein als du, aus nichts einen Gewinnschlag zu machen. Darum musst du ihn ständig unter Druck setzen, zwingen, am äußersten Rand seiner Möglichkeiten zu spielen.« Dieses erste Match in Miami hatte ich zwar 6:3, 6:3 gewonnen, aber Toni hatte dennoch Recht. Federers Aufschlag und auch sein Volley ist besser als meiner; seine Vorhand ist wahrscheinlich entschiedener als meine, und das gilt eindeutig auch für seinen Rückhand-Slice und für seine Positionierung auf dem Platz. Nicht ohne Grund stand er seit fünf Jahren auf Platz eins der Weltrangliste, während ich seit vier Jahren die Nummer zwei war. Zudem hatte Federer in den vorangegangenen Jahren fünf Mal in Folge Wimbledon gewonnen. Der Platz gehörte ihm praktisch. Mir war klar, dass ich ihn mental schlagen musste, wenn ich gewinnen wollte. Gegen Federer war es entscheidend, nie nachzulassen und vom ersten bis zum letzten Punkt zu versuchen, ihn müde zu machen.

Federer schlug meinen ersten unangenehmen Return gut zurück auf meine Rückhand, und ich versuchte, den Ball wieder auf seine Rückhand zu spielen – also meine geplante Spieltaktik gleich von Anfang an umzusetzen –, aber er umlief den Ball und nahm ihn mit der Vorhand an. Nun lag die Initiative allerdings bei mir. Ich stand in der Platzmitte, und er musste weiter nach außen drängen. Er spielte eine Vorhand auf meine Rückhand, allerdings nicht allzu tief. Das erlaubte mir, den Ball gerade und tief an der Linie entlang zu spielen, sodass er diesmal keine Chance hatte, die Rückhand zu umlaufen. Als Federer den Ball diagonal hinüber auf meine Vorhand spielte, sah ich eine Chance, einen Gewinnschlag zu versuchen. Da er wieder mit einer Ballannahme auf der Rückhand rechnete, drosch ich den Ball in seine Vorhandecke. Er traf knapp innerhalb der Grundlinie auf und sprang hoch, weit außer Reichweite für ihn.

Ein solch erster Punkt verleiht Selbstvertrauen. Man fühlt sich in Einklang mit dem Bodenbelag und hat den Eindruck, den Ball zu kontrollieren, statt von ihm beherrscht zu werden. Bei jedem einzelnen meiner sieben Schläge in diesem Ballwechsel hatte ich den Ball kontrolliert. Das verlieh mir innere Ruhe. Die Nerven arbeiten für, nicht gegen dich. Genau das braucht man zu Beginn eines Wimbledonfinales.

Etwas ist bemerkenswert an Wimbledon: Trotz der Bedeutung dieses Turniers und der immens hohen Erwartungen, die es hervorruft, ist es von allen Turnieren dasjenige, bei denen es mir am besten gelingt, mich zu Hause zu fühlen. Statt in einer geräumigen Hotelsuite – manche Hotels, in denen man mich unterbringt, sind so übertrieben extravagant, dass ich lachen muss – wohne ich in einem gemieteten Haus gegenüber vom All England Club. Es ist nicht sonderlich schick, sondern ganz normal, aber mit seinen drei Etagen groß genug für meine Familie, mein Team und Freunde, die zum Essen kommen oder dort übernachten. Das sorgt für eine völlig andere Atmosphäre als bei allen anderen Turnieren. Statt isoliert in unseren Hotelzimmern zu sitzen, haben wir einen gemeinsamen Raum, statt in einem offiziellen Wagen durch die Stadt zum Tennisplatz fahren zu müssen, brauchen wir nur zwei Minuten zu Fuß und sind schon da. In unserem Haus müssen wir uns selbst mit Essen versorgen. Wenn ich kann, gehe ich in den Supermarkt und kaufe mir Dinge, von denen ich meist zu viel esse: Nuss-Nugatcreme, Kartoffelchips und Oliven. Was gesunde Ernährung angeht, bin ich kein Vorbild, zumindest nicht unter Profisportlern. Ich esse wie alle normalen Menschen. Wenn ich Lust auf etwas habe, esse ich es. Besonders versessen bin ich auf Oliven. An sich ist dagegen nichts einzuwenden, anders als bei Kartoffelchips oder Schokolade. Aber mein Problem sind die Mengen, die ich davon esse. Meine Mutter erinnert mich oft daran, wie ich mich als Kind einmal in der Speisekammer versteckte und ein riesiges Glas Oliven vertilgt hatte, bis ich mich übergeben musste und tagelang krank war. Diese Erfahrung hätte meine Einstellung zu Oliven durchaus verändern können, hat sie aber nicht geschafft. Nach wie vor esse ich sie leidenschaftlich gern und bin unglücklich an Orten, wo sie schwer zu bekommen sind.

In Wimbledon habe ich Oliven gefunden, muss aber sorgfältig planen, um welche Zeit ich einkaufen gehe. Wenn der Supermarkt voll ist, besteht die Gefahr, dass ich wegen Autogrammen bedrängt werde. Das ist ein Berufsrisiko, das ich akzeptiere und mit Fassung zu tragen versuche. Ich kann nicht nein sagen, wenn Leute mich um ein Autogramm bitten, nicht einmal wenn sie so unhöflich sind und mir nur ein Stück Papier unter die Nase halten, ohne auch nur »bitte« zu sagen. Auch ihnen gebe ich Autogramme, aber ein Lächeln bekommen sie von mir nicht. In Wimbledon im Supermarkt einzukaufen ist daher zwar eine angenehme Ablenkung von der Wettkampfanspannung, aber mit Stress ganz eigener Art behaftet. Der einzige Ort, wo ich in Ruhe einkaufen kann – wo ich alles tun kann wie ein ganz gewöhnlicher Mensch – ist meine Heimatstadt Manacor.

Die einzige angenehme Ähnlichkeit zwischen Wimbledon und Manacor ist das Haus, in dem wir alle wohnen, und der erfreulich kurze Fußweg zum Tennisplatz, der mich an die Zeit erinnert, als ich mit vier Jahren mit dem Tennisspielen anfing. Damals wohnten wir gegenüber vom Tennisclub der Stadt, und ich brauchte nur die Straße zu überqueren, um mit meinem Onkel Toni zu trainieren, der dort als Trainer arbeitete und auch dort wohnte.

Das Clubhaus war so, wie man es in einer Stadt mit knapp 40 000 Einwohnern erwarten kann: mittelgroß, beherrscht von einem großen Restaurant mit Terrasse oberhalb der Tennisplätze, die ausnahmslos einen Sandbelag hatten. Eines Tages nahm Toni mich in eine Gruppe von sechs Kindern auf, die er unterrichtete. Von Anfang an gefiel es mir. Damals war ich schon verrückt nach Fußball, spielte, so oft meine Eltern mich ließen, mit meinen Freunden auf der Straße und hatte Spaß an allem, was mit einem Ball zu tun hatte. Fußball gefiel mir am besten. Ich war gern Teil einer Mannschaft. Wie Toni erzählt, fand ich Tennis anfangs langweilig. Aber in einer Gruppe zu trainieren war hilfreich und machte alles andere, was später folgte, erst möglich. Hätte mein Onkel mich allein unterrichtet, wäre es zu erdrückend gewesen. Erst als ich mit 13 Jahren wusste, dass Tennis meine Zukunft war, begann er mit dem Einzeltraining.

Toni war von Anfang an streng zu mir, strenger als mit den anderen Kindern. Er verlangte viel und setzte mich stark unter Druck. Er schimpfte, schrie viel und jagte mir Angst ein – besonders wenn die anderen Jungen nicht kamen, und wir beide allein waren. Sobald ich zum Training kam und sah, dass ich mit ihm allein bleiben würde, bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Miguel Ángel Munar, der bis heute zu meinen besten Freunden zählt, kam zwei bis drei Mal wöchentlich in den Club, ich vier bis fünf Mal. Wir spielten während unserer Schulmittagspause von 13.15 bis 14.30 Uhr und manchmal auch nach der Schule, wenn ich kein Fußballtraining hatte. Miguel Ángel erinnert mich manchmal daran, wie Toni einen Ball in meine Richtung drosch, wenn er merkte, dass ich in Gedanken woanders war – nicht um mich zu treffen, sondern um mich zu erschrecken und meine Aufmerksamkeit zu erzwingen. Wie Miguel Ángel sicher ganz richtig feststellte, neigten wir in diesem Alter alle zum Träumen, aber mir ließ er es am wenigsten durchgehen. Nach dem Training musste ich auch immer die Bälle, zumindest aber mehr Bälle als die anderen einsammeln und vor Schließung des Clubs die Tennisplätze abziehen. Wer meint, dass Toni mich irgendwie begünstigt hätte, irrt sich, ganz im Gegenteil. Nach Miguel Ángels Ansicht benachteiligte er mich, da er genau wusste, dass er bei den anderen Jungen damit nicht durchgekommen wäre, bei mir aber sehr wohl, weil ich sein Neffe war.

Andererseits ermunterte er mich ständig, auf dem Tennisplatz selbstständig zu denken. In den Medien gab es Berichte, die behaupteten, Toni habe mich gezwungen, linkshändig zu spielen, weil es dadurch schwieriger würde, gegen mich zu spielen. Das stimmt nicht. Diese Geschichte haben die Medien erfunden. In Wahrheit fing ich mit dem Tennisspielen an, als ich noch sehr klein war, und da ich nicht stark genug war, den Ball über das Netz zu schlagen, hielt ich den Schläger sowohl bei der Rückhand als auch bei der Vorhand mit beiden Händen. Eines Tages sagte mein Onkel: »Es gibt keine Profispieler, die beidhändig spielen, und da wir nicht die ersten sein werden, musst du das ändern.« Das tat ich, und für mich war es ganz natürlich, mit Links zu spielen. Warum das so war, kann ich nicht sagen. Ich schreibe mit Rechts und spiele auch mit der rechten Hand Basketball oder Golf. Im Fußball spiele ich jedoch mit Links, weil mein linker Fuß stärker ist als der rechte. Manche behaupten, dadurch sei ich bei der beidhändigen Rückhand im Vorteil, was durchaus stimmen mag. Mehr Gefühl und Kontrolle in beiden Händen zu haben als die meisten anderen Spieler muss sich vor allem bei Cross-Schlägen zu meinen Gunsten auswirken, bei denen ein bisschen zusätzliche Kraft durchaus hilfreich ist. Aber diese Spielweise war kein genialer Einfall von Toni. Die Vorstellung, dass er mich hätte zwingen können, auf eine Art zu spielen, die mir nicht von Natur aus entsprach, ist schlichtweg Unsinn.

Doch Toni war tatsächlich streng mit mir. Meine Mutter erinnert sich, dass ich als Kind manchmal weinend vom Training kam. Wenn sie herauszufinden versuchte, was los war, schwieg ich. Einmal gestand ich ihr, dass Toni die Angewohnheit hatte, mich als »Muttersöhnchen« zu bezeichnen, was sie kränkte, aber ich bat sie, Toni nichts zu sagen, weil das alles nur schlimmer gemacht hätte.

Toni ließ niemals locker. Als ich mit sieben Jahren anfing, an Wettkämpfen teilzunehmen, wurde es noch härter. An einem besonders heißen Tag ging ich ohne Wasserflasche zum Match, weil ich sie zu Hause vergessen hatte. Er hätte mir ohne weiteres eine Flasche kaufen können, tat es aber nicht. Ich sollte lernen, Verantwortung zu übernehmen, erklärte er mir. Warum rebellierte ich nicht? Weil Tennis mir Spaß machte, umso mehr, als ich anfing zu gewinnen, und weil ich ein fügsames, gehorsames Kind war. Meine Mutter meint, ich sei zu leicht zu beeinflussen. Das mag sein, aber wenn ich Tennisspielen nicht gemocht hätte, hätte ich mich meinem Onkel nicht so untergeordnet. Zudem mochte ich ihn sehr und werde ihn immer mögen. Ich vertraute ihm, daher wusste ich doch tief im Inneren, dass er tat, was er für das Beste für mich hielt.

Ich vertraute ihm so sehr, dass ich jahrelang die hochtrabenden Geschichten glaubte, die er mir über seine sportlichen Leistungen erzählte, dass er beispielsweise die Tour de France gewonnen oder als Fußballspieler in Italien Karriere gemacht hätte. Als ich klein war, war mein Vertrauen in ihn so groß, dass ich ihm sogar übernatürliche Kräfte zutraute. Erst als ich neun Jahre alt war, hörte ich auf zu glauben, er sei ein Zauberer, der sich unter anderem unsichtbar machen könne. Bei Familientreffen spielten mein Vater und mein Großvater gern mit und taten beide so, als ob sie ihn nicht sähen. Daher glaubte ich, nur ich könne ihn sehen, andere aber nicht. Toni redete mir sogar ein, er könne Regen machen.

Als ich sieben Jahre alt war, trat ich gegen einen Zwölfjährigen an. Wir rechneten uns keine sonderlichen Chancen aus, daher erklärte Toni mir vor dem Match, wenn ich 0:5 zurückläge, würde er für Regen sorgen, damit das Spiel abgebrochen würde. Allerdings verlor er das Vertrauen in mich schon sehr früh, wie ich es damals feststellen musste. Denn es fing bereits an zu regnen, als ich erst 0:3 zurücklag. Da ich die beiden nächsten Spiele gewann, fasste ich sofort wieder Vertrauen in meine Chancen auf einen Sieg. Beim Seitenwechsel und einem Stand von 2:3 ging ich zu meinem Onkel und sagte: »Ich glaube, du kannst den Regen jetzt aufhören lassen. Ich denke, ich kann den Jungen schlagen.« Zwei Spiele später hörte der Regen tatsächlich auf. Letztlich verlor ich mit 5:7. Es mussten noch zwei weitere Jahre vergehen, bevor ich aufhörte, meinen Onkel für einen Regenmacher zu halten.

In meiner Beziehung zu Toni gab es also durchaus Spaß und Magie, auch wenn sie beim Training überwiegend von Härte und Strenge geprägt war. Hätte er mich damals nicht ohne Wasser spielen lassen, hätte er mich nicht in der Gruppe kleiner Jungen, die das Tennisspielen lernten, besonders hart herangenommen, hätte ich nicht über die Ungerechtigkeit und Beschimpfungen geweint, mit denen er mich bedachte, wäre ich vielleicht nicht der Tennisspieler geworden, der ich heute bin. Ständig hob er hervor, wie wichtig das Durchhaltevermögen sei: »Halte durch, finde dich mit allem ab, was kommt, lerne Schwächen und Schmerzen überwinden, treibe dich bis an die Grenze, aber gib niemals auf. Wenn du diese Lektion nicht lernst, wirst du niemals als Spitzensportler Erfolg haben.« Das brachte er mir bei.

Oft hatte ich mit meiner Wut zu kämpfen: »Warum muss ich nach dem Training den Platz abziehen und die anderen Jungen nicht?«, fragte ich mich. »Warum muss ich mehr Bälle einsammeln als die anderen? Warum schreit er mich so an, wenn ich den Ball ins Aus schlage?« Aber ich lernte auch, die Wut zu unterdrücken, mich nicht über die Ungerechtigkeit zu ärgern, sondern sie zu akzeptieren und weiterzumachen. Möglicherweise ging er tatsächlich zu weit, aber bei mir wirkte es. Diese ganzen Spannungen, die von Anfang an in jeder Trainingsstunde herrschten, haben es mir ermöglicht, heute den schwierigen Momenten eines Matchs mit mehr Selbstbeherrschung zu begegnen, als es mir sonst vielleicht möglich gewesen wäre. Toni hat viel dazu beigetragen, jenen Kampfgeist aufzubauen, den man mir auf dem Platz nachsagt.

Aber meine menschlichen Werte und meine Wesensart, auf denen mein Spiel letztlich beruht, stammen von meinem Vater und meiner Mutter. Toni hat zwar darauf bestanden, dass ich mich auf dem Platz gut benehme, mit gutem Beispiel vorangehe und nie aus Wut den Schläger zu Boden werfe, was ich übrigens nie getan habe. Aber – und das ist das Wichtige – wenn ich zu Hause anders erzogen worden wäre, hätte ich vielleicht nicht auf ihn gehört. Meine Eltern verlangten viel Disziplin von mir. Sie legten großen Wert auf Tischmanieren – »Sprich nicht mit vollem Mund!«, »Sitz gerade!« – und Höflichkeit gegenüber allen. Sie legten Wert darauf, dass ich grüßte und Menschen die Hand gab. Vom Tennis völlig abgesehen, war es der größte Wunsch meiner Eltern und auch Tonis, dass ich zu einem »anständigen Menschen« heranwachsen sollte. Wäre ich nicht so gewesen und würde mich stattdessen wie ein verwöhntes Kind benehmen, würde meine Mutter mich zwar immer noch lieben, wie sie sagt, aber es wäre ihr zu peinlich, um die halbe Welt zu reisen, um mich spielen zu sehen. Von klein auf ermahnte sie mich, alle Menschen mit Respekt zu behandeln. Wenn unsere Mannschaft ein Fußballspiel verlor, bestand mein Vater darauf, dass ich zu den Spielern der gegnerischen Mannschaft ging und ihnen gratulierte. Jedem Einzelnen musste ich so etwas sagen wie: »Gut gemacht, Kumpel. Sehr gut gespielt.« Das gefiel mir gar nicht. Wenn wir verloren hatten, fühlte ich mich miserabel, und meine Miene muss verraten haben, dass meine Worte nicht von Herzen kamen. Da mir aber klar war, dass ich Ärger bekommen würde, wenn ich nicht täte, was mein Vater mir sagte, machte ich es dennoch. Und diese Angewohnheit habe ich beibehalten. Für mich ist es völlig selbstverständlich, einen Gegner zu loben, der mich besiegt hat oder der es verdient hätte, obwohl ich ihn besiegt habe.

Trotz aller Disziplin hatte ich eine wirklich glückliche und liebevolle Kindheit. Vielleicht konnte ich deshalb Tonis strenges Regiment aushalten. Das eine schuf ein Gegengewicht zum anderen, weil meine Eltern mir vor allem ein unglaubliches Gefühl der Geborgenheit vermittelten. Mein Vater, Sebastián, ist der älteste von fünf Geschwistern, und ich war das erste Enkelkind meiner Großeltern. Daher machten meine drei Onkel und meine Tante, die damals noch keine eigenen Kinder hatten, von meinen ersten Lebenstagen an viel Aufhebens um mich. Sie erzählen, ich sei das Familienmaskottchen gewesen, ihr »Lieblingsspielzeug«. Wie mein Vater sagt, war ich erst 15 Tage alt, als er und meine Mutter mich über Nacht bei meinen Großeltern ließen, wo auch meine Onkel und meine Tante wohnten. Vom Säuglingsalter bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr nahmen sie mich mit in die Bar, wo sie sich mit Freunden trafen, plauderten und Karten, Billard oder Tischtennis spielten. Die Gesellschaft Erwachsener war für mich das Natürlichste der Welt. Meine Tante Marilén, die zugleich meine Patin ist, nahm mich oft mit an den Strand nach Porto Cristo, nur zehn Minuten von Manacor entfernt, wo ich auf ihrem Bauch lag und in der Sonne döste. Mit meinen Onkeln spielte ich auf dem Korridor der Wohnung oder unten in der Garage Fußball. Einer meiner Onkel, Miguel Ángel, spielte als Profifußballer für Mallorca und später für Barcelona und Spanien. Als ich noch ganz klein war, nahmen sie mich mit ins Stadion, um ihn spielen zu sehen. Trotz Tonis Strenge gehöre ich nicht zu den Sportlern, deren Lebensgeschichte davon geprägt war, ihre düstere Kindheit auf dem Weg an die Spitze zu überwinden. Meine Kindheit war märchenhaft.

Allerdings habe ich etwas mit vielen anderen erfolgreichen Sportlern gemeinsam, von denen ich je gehört habe, und das ist ein fanatischer Kampfgeist. Schon als kleiner Junge hasste ich es zu verlieren. Wenn ich verlor, bekam ich Wutanfälle, und das ist bis heute so geblieben. Erst vor zwei Jahren verlor ich beim Kartenspiel mit meiner Familie und warf den anderen Tricksereien vor, was sicherlich ein bisschen zu weit ging, wie ich heute einsehe. Ich weiß nicht, woher das alles kommt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich meinen Onkeln in der Bar oft beim Billardspielen mit ihren Freunden zugesehen habe. Aber selbst sie wunderten sich, dass ich mich in einen kleinen Teufel verwandelte, sobald ein Spiel im Gang war, obwohl ich sonst angeblich so ein liebes Kind war.

Das Erfolgsstreben – gepaart mit dem Wissen, dass man hart arbeiten muss, um seine Ziele zu erreichen – liegt eindeutig in unserer Familie. Die Familie meiner Mutter besitzt eine Möbelschreinerei in Manacor, wo die Möbelproduktion seit Langem ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Mein Großvater verlor mit zehn Jahren seinen Vater, lernte schon in jungen Jahren das Familienhandwerk und wurde Schreinermeister. Im Haus meiner Mutter, in dem ich bis heute wohne, steht noch eine unglaublich fein gearbeitete Kommode, die er gemacht hat. Wie mein Großvater mir erzählte, wurden 1970 auf Mallorca und den Nachbarinseln Ibiza und Menorca 2000 Betten hergestellt. Die Hälfte davon stammte aus seinen Werkstätten. Heute führt einer meiner Onkel, mein Pate, den Betrieb weiter.

Noch eindeutiger ist der Einfluss von meiner Familie väterlicherseits, obwohl sie sich nicht immer durch Sportbegeisterung ausgezeichnet hat. Mein Großvater, der ebenfalls Rafael heißt, ist Musiker. Eine Geschichte, die er uns oft erzählt hat, zeigt, wie unglaublich zielstrebig und getrieben er als junger Mann war. Mit 16 Jahren – mittlerweile ist er in den Achtzigern, noch überaus rüstig, nach wie vor als Musiker tätig und erarbeitet mit Kindern Opern – gründete und leitete er in der Stadt einen Chor, der durchaus ernst zu nehmen war. Als er 19 war, trat der Leiter des damals – Ende der 1940erJahre – neu gegründeten Symphonieorchesters von Mallorca mit der Bitte an ihn heran, seinen Chor auf eine Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie in der Inselhauptstadt Palma vorzubereiten. Der Spanische Bürgerkrieg war noch nicht lange zu Ende, und das Land war sehr arm. Es war ein erstaunlich ehrgeiziges Projekt, umso mehr als von den 48 Chormitgliedern nur ein halbes Dutzend Noten lesen konnten. Die Übrigen waren Amateure. Aber mein Großvater ließ sich dadurch nicht abschrecken. Über sechseinhalb Monate hinweg probten sie tagtäglich und schließlich »kam der Tag, an dem Mallorquiner zum ersten Mal Beethovens Neunte live in einem Theater hörten«, wie er sagt. Es war ein großes Ereignis in der Geschichte der Insel, und ohne ihn wäre es wohl nicht zustande gekommen. Damals war er erst 19 Jahre alt.

Für ihn dürfte es ein bisschen enttäuschend gewesen sein, dass keines seiner fünf Kinder musikalisches Talent zeigte, aber drei sich als talentierte Sportler erwiesen. Allerdings nicht mein Vater. Er ist mit Leib und Seele Geschäftsmann und geht diesem Beruf nicht nur des Geldes wegen nach, sondern weil er ihm Spaß macht. Er liebt es, Geschäfte zu machen, Firmen aufzubauen, Arbeitsplätze zu schaffen. So war er schon immer.

Mit 16 Jahren eröffnete er im Sommer in Porto Cristo, dem Manacor am nächsten gelegenen Badeort, eine Bar, in der er Musikveranstaltungen organisierte. Von den Einnahmen kaufte er sich sein erstes Motorrad. Mit 19 Jahren sah er seine Chance im Gebrauchtwagenhandel. Agenten verlangten viel Geld für den Papierkram, den der Eigentümerwechsel bei einem Fahrzeug nötig machte, und er tüftelte aus, wie er diesen Service preisgünstiger anbieten konnte. Eine Zeit lang arbeitete er als Bankangestellter, und als ihm diese Tätigkeit zu langweilig wurde, kam er über einen Freund seines Vaters – der neben der Musik im Immobiliengeschäft tätig war – in eine Glaserei in Manacor. Sie schnitt Glas für Fenster, Tische und Türen zu. Aufgrund des Tourismusbooms lief das Geschäft gut, und nach zwei Jahren nahm mein Vater ein Darlehen auf und übernahm die Firma mit meinem Onkel Toni als Partner. Da Toni weder kaufmännisches Talent noch besonderes Interesse an diesem Geschäft hatte, machte mein Vater die Arbeit, während Toni sich voll und ganz dem Tennistraining und mir widmen konnte. Heute ist mein Vater noch ebenso viel beschäftigt wie eh und je. Nach wie vor ist er in der Glasbranche und im Immobiliengeschäft tätig und hilft mir, potenziell lukrative Investitionen zu finden. Dank meines Glücks und meiner Kontakte betreibt er seine Geschäfte inzwischen auch auf internationaler Ebene. Für sich selbst braucht er das nicht, er tut es für mich und weil es ihm Spaß macht. Aufhören kommt für ihn nicht infrage, er kann gar nicht genug Herausforderungen annehmen; vielleicht ist das einer der Gründe, warum alle in meiner Familie behaupten, ich käme nach meinem Vater.

Meine sportlichen Onkel waren Toni, der Profitennisspieler war, bevor er Trainer wurde; Rafael, der mehrere Jahre in der mallorquinischen Fußballliga spielte; und Miguel Ángel, der es als Fußballer ganz nach oben schaffte. Sein großer Durchbruch kam, als er mit 19 Jahren einen Vertrag mit dem spanischen Erstligaverein Mallorca unterschrieb (sein Agent war mein Vater): Das war genau an meinem Geburtstag, am 3. Juni 1986. Miguel Ángel war groß, stark, intelligent und konnte ebenso gut in der Verteidigung wie im Mittelfeld spielen. Zudem schoss er eine ordentliche Anzahl Tore. Alle, die von meiner Kondition, meinem harten Training und meiner Ausdauer beeindruckt sind, sollten sich ihn anschauen: Er war noch mit 38 Jahren als Profifußballer aktiv, spielte 36 Mal in der spanischen Nationalmannschaft und in acht Saisons über 300 Mal für Barcelona. In dieser Zeit gewann er fünf spanische Meisterschaften und die größte Trophäe des Vereinsfußballs, den Europapokal der Landesmeister. Ich habe ihn oft spielen sehen, vor allem ist mir aber in Erinnerung geblieben, wie er mich als Zehnjährigen ins Camp-Nou-Stadion nach Barcelona mitnahm und ich nach dem offiziellen Training mit einem halben Dutzend Erstligaspielern kicken durfte. An jenem Tag trug ich ein Barcelona-Shirt. Noch lange zog meine Familie mich damit auf, denn ich bewunderte meinen Onkel Miguel Ángel zwar, war aber durch und durch Real-Madrid-Fan und werde es immer bleiben. Wie jeder weiß, sind Real Madrid und Barça die erbittertsten Rivalen in der Fußballwelt. Warum ich Real-Fan bin? Ganz einfach: weil mein Vater Real-Fan ist; daran lässt sich ermessen, wie groß sein Einfluss auf mich ist.

Jeder in meiner Familie hat dazu beigetragen, dass ich so bin, wie ich heute bin. Durch meinen Onkel Miguel Ángel hatte ich das Glück, einen Vorgeschmack auf das Leben zu bekommen, das mich erwartete, wenn ich es zum Profitennisspieler bringen sollte. Er war ein großer Star, besonders auf Mallorca. Zusammen mit dem Tennisspieler Carlos Moyá, der einmal die Nummer eins der Weltrangliste war, war er sportlich der ganze Stolz der Insel. Mein Onkel war ein großes Vorbild für mich. Er vermittelte mir Einblicke in das Leben, das mich erwartete: Er verdiente Geld, wurde berühmt, erschien in den Medien und wurde umringt und bejubelt, wohin er auch hinging. Aber er nahm sich selbst nie allzu ernst und konnte seinen Erfolg eigentlich nicht wirklich fassen – er hatte nie das Gefühl, die ganze Lobhudelei, die um ihn veranstaltet wurde, verdient zu haben – und blieb ein bescheidener, geradliniger Mensch. Da er für mich immer nur mein Onkel war, lernte ich von klein auf, das »Theater« um Prominente richtig einzuordnen und mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, als für mich die Zeit kam. Die Lektionen in Bescheidenheit, die mein Onkel Toni und meine Eltern mir von klein auf erteilt hatten, füllte Miguel Ángel mit Leben. Mittlerweile ist mir vollauf bewusst, dass alles, was mir widerfahren ist, nicht etwa daran liegt, wer ich bin, sondern daran, was ich tue. Das ist durchaus ein Unterschied. Es gibt Rafa Nadal, den Tennisspieler, den das Publikum siegen sieht, und es gibt mich, den Menschen Rafael, der so ist, wie ich immer war und auch wäre, wenn ich etwas anderes aus meinem Leben gemacht hätte, unabhängig davon, ob ich nun damit bekannt geworden wäre oder nicht. Miguel Ángel war auch für meine Familie sehr wichtig: Die Erfahrung mit ihm bereitete sie auf die Erfahrung mit mir vor. Mit meiner Berühmtheit konnten sie besser und selbstverständlicher umgehen, als es ohne ihn der Fall gewesen wäre.

Miguel Ángel ist heute Trainerassistent beim spanischen Erstligaverein Mallorca. Wie er mir neulich erklärte, lassen manche andere Sprösslinge aus Prominentenfamilien sich ihren Erfolg zu Kopf steigen, wenn sie selbst berühmt werden; aber ganz abgesehen von seinem Beitrag hätten meine Eltern und Toni mich darauf vorbereitet, mit sämtlichen Fallstricken der Berühmtheit umzugehen, und ich sei klug genug gewesen, diese Lehren anzunehmen. Nach seiner Ansicht ist mir nicht wirklich bewusst, was ich erreicht habe. Damit mag er durchaus Recht haben, was vermutlich nur gut ist.

Hätte ich mich nicht für Tennis, sondern für eine Karriere als Profifußballer entschieden, wäre vielleicht vieles anders gekommen. Alle Kinder auf Mallorca spielten Fußball, ganz gleich, ob ihre Familie mit diesem Sport zu tun hatte oder nicht. Ich nahm das Spiel todernst. Miguel Ángel lebte in den ersten Jahren seiner Profikarriere noch bei meinen Großeltern. Wenn er am nächsten Tag ein Spiel hatte, sagte ich abends zu ihm: »Komm! Wir müssen trainieren! Morgen müssen wir gewinnen!« Obwohl ich erst vier Jahre alt war, führte ich ihn und meinen Onkel Rafael hinunter in die Garage zu einem harten Lauftraining mit und ohne Ball. Wenn ich heute daran zurückdenke, ist es zwar komisch, aber ich glaube, das Bewusstsein, wie wichtig gute Vorbereitung für den sportlichen Erfolg ist, bestärkte mich in der Vorstellung, dass dein Spiel dir so viel gibt, wie du hineinsteckst.

Fußball war von Kind auf meine Leidenschaft und ist es noch heute. Wenn ich bei einem Turnier in Australien oder Bangkok bin und morgens um fünf ein wichtiges Spiel von Real Madrid im Fernsehen übertragen wird, stehe ich auf, um es mir anzusehen – selbst wenn ich am selben Tag ein Match habe. Bei Bedarf stelle ich mein tägliches Trainingsprogramm zeitlich auf solche Spiele ein. Ich bin ein Fanatiker. Mein Patenonkel erinnert sich, dass er mir als Vierjährigem die Abzeichen sämtlicher spanischer Erstligavereine zeigte und ich sie zu seiner Verwunderung ausnahmslos richtig zuordnen konnte. Ganz gleich, auf welcher Ebene ich Fußball spielte, selbst mit meinen Onkeln in der Garage, wurde ich furchtbar wütend, wenn ich verlor. Und ich wollte nie aufhören. Mein Onkel Rafael erinnert sich immer noch mit einigem Schrecken an die Wochenenden, an denen ich bei ihm übernachtete und ihn am Samstagmorgen um halb zehn weckte, damit er draußen mit mir spielte, obwohl er erst um fünf Uhr morgens ins Bett gekommen war. Ein Teil von ihm hasste mich damals deswegen, aber meiner Begeisterung konnte er nicht widerstehen, wie er sagt. Heute finde ich mich in seiner Lage wieder. Als ältester von 13 Vettern werde ich nun auch nach einer langen Nacht geweckt, um mit ihnen Fußball zu spielen. Aber ich bin immer dazu bereit, weil es mir einfach viel Spaß macht und ich nicht vergessen habe, wie ernst mir das Fußballspielen als Kind war, besonders nachdem ich mit sieben Jahren anfing, im örtlichen Fußballverein von Manacor zu spielen und an Jugendturnieren teilzunehmen.

Nach jedem Einsatz analysierte ich das Spiel ebenso eingehend wie die Erstligaspiele meines Onkels, woran mein Vater und Miguel Ángel mich heute noch gern erinnern. Meine Schwächen diskutierte ich ebenso wie meine Tore, von denen ich als linker Stürmer einige (etwa fünfzig in einer Saison) erzielte, obwohl ich ein Jahr jünger war als die übrigen Spieler der Mannschaft. Wir trainierten die ganze Woche über, und am Vorabend eines Spiels war ich ein Nervenbündel. Um sechs Uhr morgens wachte ich auf, ging in Gedanken das Spiel durch und bereitete mich mental darauf vor. Vor einem Spiel putzte ich immer gründlich meine Fußballschuhe, teils um mich zu beruhigen. Meine Mutter und meine Schwester müssen bei der Erinnerung daran immer kichern; sie behaupten, in Bezug auf den Sport sei ich diszipliniert und ordentlich, in allem anderen aber zerstreut und chaotisch. Damit haben sie durchaus Recht. Mein Zimmer zu Hause ist immer durcheinander – das gilt auch für meine Hotelzimmer auf Reisen – und häufig vergesse ich Dinge. Meine Konzentration richtet sich ausschließlich auf das bevorstehende Match, wie damals vor einem wichtigen Fußballspiel. Vor meinem inneren Auge stellte ich mir das Spiel vor, die Tore und die Pässe, die ich schießen würde. Ich machte Lockerungsübungen in meinem Zimmer und bereitete mich beinah so intensiv und gespannt vor, wie ich es heute vor einem wichtigen Tennisspiel tue. Rückblickend mag es komisch erscheinen, aber damals bedeutete es mir die Welt und war anfangs für mich wichtiger als Tennis, und das trotz des intensiven Trainings mit Toni, der mir die Überzeugung vermittelte, dass ich eines Tages meinen Lebensunterhalt mit Tennis verdienen würde. Damals träumte ich wie viele spanische Jungen meines Alters davon, Profifußballer zu werden. Obwohl ich auch schon mit sieben Jahren an Tennisturnieren teilnahm und dabei recht gut abschnitt, war ich vor einem Fußballspiel wesentlich nervöser. Vermutlich lag es daran, dass ich nicht allein spielte und mich für meine gesamte Mannschaft verantwortlich fühlte.

Auch wenn alles verloren schien, hatte ich immer blindes Vertrauen in unsere Fähigkeit, Spiele zu gewinnen. Meine Onkel erinnern sich noch gut, dass ich von unseren Siegchancen immer wesentlich stärker überzeugt war als die anderen Jungen der Mannschaft; selbst bei Spielen, in denen wir 5:0 zurücklagen, brüllte ich in der Umkleidekabine: »Nicht aufgeben! Das können wir noch gewinnen!« Einmal verloren wir in Palma 6:0, aber auf der Rückfahrt erklärte ich im Bus: »Macht nichts. Beim Heimspiel gewinnen wir gegen sie.«

Es gab allerdings mehr Siege als Niederlagen. Viele Spiele sind mir noch lebhaft in Erinnerung, vor allem die Saison, als wir die Balearen-Meisterschaft gewannen. Damals war ich elf Jahre alt. Im entscheidenden Spiel traten wir gegen Mallorca an, eine große Mannschaft aus der Inselhauptstadt. Zur Halbzeit lagen wir 0:1 zurück, kämpften uns aber hoch und gewannen 2:1. Ein Elfmeter entschied das Spiel für uns. Ich war in den Strafraum gelaufen, was einen Spieler der gegnerischen Mannschaft zum Handspiel auf der Torlinie provoziert hatte. Normalerweise hätte ich den Elfmeter ausgeführt, da ich der beste Torschütze unserer Mannschaft war, aber ich traute mich nicht. Wenn man mich heute in einem Wimbledonfinale spielen sieht, fragt man sich vielleicht, wieso ich mich damals nicht traute. Aber an meiner Charakterstärke musste ich erst arbeiten. Diese Verantwortung war zu viel für mich. Zum Glück schoss mein Mannschaftskamerad das Tor. Die Freude über diesen Meisterschaftssieg war ebenso groß wie die über den Sieg in einem GrandSlamTennisturnier. Es mag seltsam klingen, aber beides ist durchaus vergleichbar. Damals war es für mich das Größte, was ich anstreben konnte, und war mit der gleichen Aufregung und dem gleichen Triumphgefühl verbunden, nur auf einer kleineren Bühne.

Nach meiner Ansicht gibt es in keinem Bereich des Lebens solch euphorische Gefühle wie bei einem sportlichen Sieg, ganz gleich in welcher Sportart und auf welcher Ebene. Kein Gefühl ist so intensiv oder so überbordend. Und je mehr man einem Sieg entgegenfiebert, umso stärker ist die Euphorie über den Erfolg.

Im Tennis erlebte ich das erstmals mit acht Jahren, als ich die Balearen-Meisterschaft der unter 12Jährigen gewann. Noch heute zählt dieser Sieg zu den wichtigsten meiner Karriere. In diesem Alter ist ein Altersunterschied von vier Jahren eine Ewigkeit; die älteren meiner Altersgruppe erschienen mir wie ferne, höhere Wesen. Zu Beginn des Turniers hegte ich daher nicht die geringste Erwartung, es gewinnen zu können. Bis dahin hatte ich erst ein Turnier gewonnen, und zwar gegen Gleichaltrige. Mittlerweile hatte ich jedoch praktisch jede Woche an fünf Tagen eineinhalb Stunde mit Toni trainiert. Keiner der anderen Jungen, die an dem Turnier teilnahmen, hatte, glaube ich, so viel oder mit einem so strengen Trainer wie ich trainiert. Dank Toni hatte ich wohl auch ein besseres Verständnis des Spiels als andere Kinder. Dadurch war ich im Vorteil, was vielleicht bis heute so ist.

Wenn man sich zwei Tennisspieler beim Training ansieht, die auf den Plätzen 10 und 500 der Weltrangliste stehen, erkennt man nicht unbedingt, wer der besser Platzierte ist. Ohne den Wettkampfdruck bewegen sie sich vergleichbar und schlagen die Bälle sehr ähnlich. Wirklich gut zu spielen bedeutet jedoch mehr, als nur den Ball gut zu schlagen. Es erfordert, die richtigen Entscheidungen zu treffen, wann man einen Stoppball versuchen oder hart, hoch oder tief schlagen sollte, wann man mit Slice, Topspin oder flach spielen sollte und wohin man den Ball zielt. Toni brachte mich dazu, von klein auf viel über die Grundtaktiken beim Tennis nachzudenken. Wenn ich Fehler machte, fragte er: »Was hast du falsch gemacht?« Wir sprachen darüber und analysierten ausgiebig meine Schwächen. Dabei ging es ihm nicht darum, mich zu seiner Marionette zu machen, sondern mich zu eigenständigem Denken zu bewegen. Nach Tonis Auffassung ist Tennis ein Spiel, bei dem man sehr schnell eine Fülle von Informationen verarbeiten muss. Um Erfolg zu haben, muss man besser denken als der Gegner. Und um klar zu denken, muss man cool bleiben.

Toni forderte mich immer bis zum Letzten und förderte damit meine mentale Stärke, was sich im Viertelfinale dieser ersten U12Meisterschaft, an der ich teilnahm, auszahlte. Mein Gegner war der Favorit und drei Jahre älter als ich. Die ersten drei Spiele verlor ich, ohne auch nur einen Punkt zu erzielen, gewann aber schließlich ohne Satzverlust. Auch das Endspiel gewann ich in zwei Sätzen. Der Pokal steht nach wie vor bei mir zu Hause neben den Trophäen, die ich als Profispieler gewann.

Es war ein sehr wichtiger Sieg, denn er motivierte mich für alles, was folgte. Der Rahmen war jedoch alles andere als großartig. Zum Endspiel auf der Nachbarinsel Ibiza kamen gerade mal 50 Zuschauer, und davon gehörten die meisten zu meiner Familie. Sie freuten sich, als ich gewann, waren aber nicht völlig aus dem Häuschen. Hinterher gab es keine ausgelassene Feier, das ist einfach nicht unser Stil. Im Tennis wie auch in anderen Sportarten werden Kinder häufig vom Ehrgeiz ihrer Eltern, meist ihrer Väter, getrieben. Ich hatte Toni. Aber sein drängender Wunsch, dass ich Erfolg haben sollte, wurde durch die gesunde, entspannte Einstellung meines Vaters ausgeglichen. Er war unendlich weit von jenen Eltern entfernt, die durch den Erfolg ihrer Kinder ihre eigenen unerfüllten Lebensträume verwirklicht sehen wollen. An den Wochenenden fuhr er mich zu den Spielen auf ganz Mallorca – wofür ich ihm nicht genug danken kann – und blieb, um mich spielen zu sehen, aber nicht weil er wollte, dass ich ein Star würde, sondern weil er wollte, dass ich glücklich war. Damals kam es ihm nie in den Sinn, dass ich einmal Profitennisspieler werden könnte, geschweige denn, dass ich alles das gewinnen könnte, was ich mittlerweile gewonnen habe.

Eine Anekdote aus meiner Kinderzeit, die meinem Vater und mir noch lebhaft in Erinnerung ist, verdeutlicht seine Einstellung zu mir, meine Einstellung zum Tennis und den himmelweiten Unterschied, der dazwischen bestand. Sie ereignete sich zwei Jahre, nachdem ich die Balearen-Meisterschaft gewonnen hatte, im September, kurz nach den Sommerferien. Ich hatte einen wunderbaren August mit meinen Freunden verbracht, geangelt, im Meer geschwommen und am Strand Fußball gespielt. Allerdings hatte ich nicht viel trainiert und sollte nun plötzlich an einem Turnier in Palma teilnehmen. Mein Vater fuhr mich wie üblich hin. Ich verlor gegen einen Jungen, gegen den ich eigentlich hätte gewinnen müssen; bis heute erinnere ich mich an das Ergebnis: 3:6, 3:6. Auf der Heimfahrt saß ich totenstill im Auto. Mein Vater, der mich noch nie so finster erlebt hatte, versuchte mich aufzumuntern: »Na komm, das ist doch nicht so dramatisch. Du kannst ja nicht immer gewinnen.« Ich sagte nichts. Er konnte mich nicht aus meiner trüben Stimmung reißen, also versuchte er es weiter: »Guck mal, du hattest einen tollen Sommer mit deinen Freunden. Sei doch froh darüber. Du kannst nicht alles haben. Du bist doch kein Sklave des Tennis.« Er hielt das für ein überzeugendes Argument, aber ich fing an zu weinen, was ihn noch mehr schockierte, weil ich sonst nie weinte. Damals nicht. »Na komm, du hattest doch einen fantastischen Sommer. Reicht das nicht?«, hakte er nach. »Doch, Papa«, antwortete ich, »aber der ganze Spaß, den ich da hatte, kann den Kummer nicht aufwiegen, den ich jetzt habe. Das möchte ich nie wieder erleben.«

Von dieser Äußerung spricht mein Vater bis heute und wundert sich nach wie vor, dass ich in so jungen Jahren etwas so Einsichtiges und Vorausschauendes geäußert habe. Dieses Gespräch im Auto war seiner Ansicht nach ein prägender Moment, der seine Sicht auf seinen Sohn und mein Bewusstsein für die eigenen Ambitionen im Leben veränderte. Ich begriff, dass mich vor allem das Gefühl ärgerte, mich selbst enttäuscht zu haben, zu verlieren, ohne mein Bestes gegeben zu haben. Statt nach Hause zu fahren, ging mein Vater mit mir in ein Restaurant am Meer, wo ich mein damaliges Lieblingsessen bekam, gebratene Shrimps. Während des Essens redeten wir nicht viel, aber uns beiden war klar, dass wir eine Brücke überschritten und etwas ausgesprochen hatten, was mich für lange Zeit prägen sollte.

Elf Jahre später, 2007, erlebte ich die gleiche Verzweiflung, als ich das Finale von Wimbledon gegen Roger Federer verlor. Unter Tränen dachte ich: »Das möchte ich nie wieder erleben.« Dieser Gedanke erfüllte mich auch zu Beginn des Endspiels von Wimbledon im Jahr 2008, wenn auch wesentlich konstruktiver und gefasster.

Den ersten Punkt bei Federers Aufschlag zu gewinnen – und zwar durch ein gutes Spiel zu gewinnen – war der erste Schritt, eine seit zwölf Monaten schwärende Wunde zu heilen. Aber beim zweiten Punkt endete ein ordentlicher Ballwechsel damit, dass ich voreilig einen Winner versuchte, eine ziemlich heftige Vorhand ins Aus schlug und wir wieder am Anfang standen. So ist Tennis. Man gewinnt nach einem langen, ausgeglichenen Ballwechsel durch einen guten Schlag einen großartigen Punkt, der aber letztlich nicht mehr zählt als der Punkt, den man an den Gegner verschenkt. Was nun Champions von Beinahe-Champions unterscheidet ist die mentale Stärke. Sofort schiebt man seinen Fehler beiseite und sorgt für einen klaren Kopf. Man lässt nicht zu, dass man darüber großartig nachdenkt, sondern bezieht Kraft aus dem ersten erzielten Punkt, baut darauf auf und denkt nur an das, was als Nächstes kommt.

Das Problem war allerdings, dass Federer allzu bald unter Beweis stellte, wieso er der beste Tennisspieler der Welt war. Er gewann das Spiel mit einer donnernden Cross-Rückhand, einem Vorhand-Drive entlang der Linie und einem Ass. Als ich an meinen Stuhl ging, war ich klüger und auf Dauer auch stärker, weil er mir sofort klar gemacht hatte, dass sich der mühelose Sieg, den ich nur 28 Tage zuvor bei den French Open über ihn erzielt hatte, diesmal nicht wiederholen würde und dass Federers Aufschlag auf Rasen, der für gute Aufschlagspieler ideal ist, wesentlich besser war als meiner.

Auch wenn er das erste Spiel zu 15 gewann, gab es für mich einen gewissen Trost und vieles, was mich im Glauben an meinen Sieg bestärkte. Vier der fünf Punkte hatte ich zwar verloren, aber es hatte bei allen lange Ballwechsel gegeben, bei denen ich ein gutes Timing bewiesen hatte. Er hatte kämpfen müssen, um seinen Aufschlag durchzubringen. Der Nachteil war, dass ich nun vermutlich über den gesamten Satz hinweg einen Rückstand aufholen musste, um mit ihm gleichzuziehen.

Es lief besser als erwartet. Mein Plan war, den Aufschlag in seine Rückhandecke zu platzieren, was ich im zweiten Spiel bei jedem Punkt und praktisch durchgängig bei jedem meiner Aufschläge tat. Mein vierter Aufschlag ermutigte mich, diese Taktik beizubehalten. Ich servierte auf seine Rückhand; seinen hohen, angeschnittenen Return schlug ich wieder weit auf seine Rückhand, immer wieder spielte ich den Ball mit Topspin hoch und weit auf seine Rückhand und drängte ihn unbehaglich zurück. Vier Bälle zielten einer nach dem anderen auf die gleiche Stelle hoch an seiner Linken. Ihm blieb jedes Mal kaum etwas anderes übrig, als einen Slice auf die Platzmitte zu spielen, was mir Zeit ließ, in Position zu gehen und den Ball genau dahin zu schlagen, wo ich ihn haben wollte. Hätte ich seine Vorhand getroffen, hätte er einen flacheren, kräftigeren Return riskiert, und ich hätte vielleicht die Kontrolle über den Ballwechsel verloren. Aber so behielt ich die Oberhand, und schließlich verlor er für einen entscheidenden Moment seinen kühlen Kopf und wagte einen Rückhand-Drive, der hoch und weit ins Aus flog. Auf diese Weise würde ich zwar nicht jeden Ballwechsel gewinnen, aber es war ein klares Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg war.

Das nächste Spiel brachte den Durchbruch. Federer hatte bei den sechs Matchs auf dem Weg ins Finale nur zwei Aufschlagspiele verloren; dieses sollte sein drittes werden. Einen Punkt erzielte ich mit einem weiten Schlag in seine Vorhandecke, ansonsten trieb ich ihn auf die Rückhandseite zurück. Drei Mal verpatzte er seine Schläge. Ich lag 2:1 vorn, hatte den nächsten Aufschlag und gewann vorerst den psychologischen Kampf, was sich gewöhnlich so auswirkt, dass man besser spielt als der Gegner, weil man klarer denkt. Ich war zufrieden, aber nicht in Hochstimmung. Es lag noch ein weiter Weg vor mir, und jeder Gedanke an einen Sieg, jeder Anflug von einem Film mit Happyend in meinem Kopf wäre einem Selbstmord nahe gekommen. Ich musste weiter fokussiert bleiben und ihm durch mein Auftreten und mein Handeln vermitteln, dass ich nicht nachlassen würde. Wenn er mich schlagen wollte, musste er jeden einzelnen Ball gut, sehr gut spielen; er musste sein bestes Tennis abrufen, und das über lange Zeit. Mein Ziel war es, ihm den Eindruck zu vermitteln, dass er über Stunden bis an seine Grenzen gehen musste.

Er verstand die Botschaft. Er ließ nicht wieder nach, aber es war zu spät. Wir spielten beide bis zum Ende des ersten Satzes in Bestform, aber ich brachte alle meine Aufschlagspiele durch und gewann 6:4.