10
Zurück im Hotel hatte ich das Bedürfnis, Merce wiederzusehen.
Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn in seiner Bar aufzusuchen, doch ich entschied mich dagegen. Ich sah fern, blätterte in alten Zeitschriften und trank Rotwein. Ich streckte mich auf meinem Bett aus und suchte die Zimmerdecke nach Hinweisen auf das Gelingen oder Scheitern meiner Reise ab. Mit dem Handy machte ich Fotos von meinem Spiegelbild, löschte sie aber gleich wieder.
Irgendwann schob mich die Müdigkeit nach draußen.
Ich umwanderte den Pfefferbaum. Die Luft war leicht und angenehm weich. Ich breitete die Arme aus und ließ sie wieder sinken. Ich bog in eine kleine Gasse ein, nahm eine nächste, ging immer weiter und mäanderte durch die Stadt, bis ich den Platz vor der geschwungenen Rathaus-Architektur erreichte. Von dort aus lief ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, und weiter bis zum Rio.
Als ich mich ans Ufer setzte, war der Himmel fahl. Ich warf ein paar Steine in den Fluss.
Das Licht in meinem Zimmer brannte noch, als ich in Kleidern aufs Bett fiel und einschlief.
Was ich träumte, weiß ich nicht mehr. Es war eine leere Nacht.
Gegen 7 Uhr wachte ich auf, weil mein Handy klingelte.
Robert sprach im Flüsterton. Als ich ihn fragte, wieso, lachte er: »Weil du doch eigentlich noch schläfst.«
»Ach, bitte«, entgegnete ich müde. »Sprich ruhig lauter. Ein Teil von mir ist immer wach.«
»Ich habe eben deine Mail gelesen«, sagte er.
»Wie geht es mit eurem Projekt voran?«, erkundigte ich mich.
»Wie geht es dir?«, fragte er zurück.
»Gut. Stabile Schieflage. Es wär schön, dich hier zu haben.«
»Ja.«
»Willst du mir nicht ein bisschen von deiner Arbeit erzählen?«, bat ich.
»Wir graben, tragen Helme und Lampen auf dem Kopf und wundern uns.«
»Komisch«, sagte ich. »Dann tun wir ungefähr das Gleiche, mir fehlt nur der Helm.«
Er lachte.
»Wann willst du in die Wüste?«
»Wenn alles gut geht, morgen.«
Ich konnte hören, wie er sich einen Kommentar verbat.
»Wirst du noch ein wenig schlafen?«
»Ja. Und du?«
»Ich muss jetzt wieder an die Arbeit. Die anderen warten schon.«
Als ich am Nachmittag aufwachte, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich tatsächlich mit Robert gesprochen hatte.
Wenn ich pünktlich bei Laura und Nik sein wollte, musste ich mich beeilen. Ich hastete unter die Dusche, sprang in meine Kleider, griff mir im Hinauslaufen die Landkarte und schaffte es gerade, um 16 Uhr vor ihrem Haus zu stehen.
Alles war wie am Tag zuvor: die Hunde, das Händeschütteln, das Platznehmen.
Erst als ich saß, bemerkte ich, dass mir der Magen knurrte.
Nik schob mir wortlos eine Schale mit Salzcrackern hin, die schon weich waren, mich aber fürs Erste retteten.
Laura erklärte mir, dass sie meine Route nochmals durchgegangen seien und das Equipment schon bereitgestellt hätten.
»Das einzig Heikle«, sagte sie, »sind die Wassersäcke. Du musst 14 Liter transportieren, und der Sand ist wirklich weich. Wir haben einen 10- und zwei 2-Literbeutel für dich. Die trägst du in deinem Rucksack. Hinzu kommen: Essen, Schlafsack, Taschenlampe, gps, Satellitentelefon und was zum Umziehen.« Sie überlegte. »Du hast doch einen Schlafsack?«
»Nein.«
»Es wird kühl in der Nacht. Am besten, du gibst ihr den blauen«, sagte sie zu Nick gewandt.
Er nickte. »Eine Unterlage kannst du auch von uns haben.«
»Was ist mit Essen?«, hakte Laura nach.
Das Essen war mir einerlei. Ich würde zu mir nehmen, was anstand.
»Für die drei Tage kommst du gut ohne gefriergetrocknete Mahlzeiten aus«, sagte Nik. »Das erspart dir den Kocher. Nimm einfach Brot mit, Schinken, Nüsse, Obst und ein paar Kekse. Du brauchst einen Hut. Trag lange Ärmel und Hosen. Kauf dir ein Paar Trekkingschuhe, die über die Knöchel reichen.«
Ich nickte.
»Du musst wissen, wie man mit dem gps umgeht.« Laura stand auf und brachte es. Wir gaben die Koordinaten ein. Nik glich sie mit seiner Landkarte ab und setzte ein paar Kreuze. Sie erklärten mir, wie ich das Gerät zu benutzen hatte.
»Vielleicht wirst du hin und wieder ein Auto zu Gesicht bekommen«, sagte Laura. »In der Gegend sind noch manchmal Minenarbeiter unterwegs.«
»Gut zu wissen«, sagte ich, stand auf, bedankte und verabschiedete mich.
Seit ein paar Tagen muss ich ständig brechen. (Kein Wunder bei dem, was ich hier draußen zu mir nehme.)
Ich halte mir selber die Stirn, um mich nicht allein zu fühlen.
Oft schlafe ich danach ein.
Letzte Nacht schlief ich auf einem flachen Stein.
In der Dämmerung legte sich ein Luchs oder so zu mir. Wir lagen Flanke an Flanke.
Irgendwann sprang er auf und hastete davon.
Ich blieb den halben Tag auf meinem Stein und wünschte mir, er würde zurückkommen, aber er kam nicht.
Kann sein, dass ich Fieber habe.