14

Der paradoxe Wunsch

 

Bink war wieder eingenickt, als er mit einem plötzlichen Ruck gegen Cheries Menschenrücken prallte. Sie hatte heftig gebremst, und er hatte unwillkürlich die Arme um ihre Hüften geschlungen, wobei er allerdings darauf achtete, nicht zu hoch zu greifen … »Was –?«

»Ich hätte es beinahe vergessen. Ich habe Chet schon stundenlang nicht mehr gesäugt.«

Sie winkte ihrem Fohlen, das auch prompt angetrottet kam, um sich säugen zu lassen. Bink entschuldigte sich hastig, um einem eigenen natürlichen Bedürfnis nachzugehen. Zentauren waren nicht zimperlich, was Körperfunktionen anging, und erledigten manches sogar im Laufen. Menschen waren daempfindlicher, zumindest in der Öffentlichkeit. Er begriff, daß ein Grund dafür, daß Cherie nicht mehr so hübsch wie früher war, darin lag, daß ihre Brüste fast bis zum Bersten prall gefüllt waren, damit sie ihr Fohlen säugen konnte. Kleine Zentauren brauchten viel Milch, besonders wenn sie so viel laufen mußten wie Chet.

Nach einer Anstandspause kehrte Bink vorsichtig zurück. Das Fohlen war immer noch mit dem Säugen beschäftigt, doch Cherie hatte Bink bereits erspäht. »Herrje, sei doch nicht so verdammt menschlich!« schnappte sie. »Was glaubst du denn, was ich hier treibe – Magie etwa?«

Bink mußte lachen und wurde verlegen. Sie hatte recht. Er hatte ebensowenig Anlaß, sich durch seine Zimperlichkeit von seiner Aufgabe abhalten zu lassen, wie sie. Seine Definition von Obszönität ergab nicht mehr Sinn als ihre auch. Er stellte fest, daß Zentauren gut angepaßt waren: Wenn Cherie einen Euter wie ein Pferd gehabt hätte, dann hätte das Fohlen es schwer gehabt. Es war ein strammer kleiner Bursche, dessen menschliche Partie sich nicht so leicht herunterbeugen ließ wie der Hals eines Pferdes.

»Wir gehen in die falsche Richtung«, erklärte Cherie.

»O nein! Bist du etwa vom Pfad abgewichen? Haben wir uns verlaufen?«

»Nein, wir sind schon auf dem Pfad. Aber wir sollten nicht zu Schloß Roogna gehen. Da kann uns niemand helfen.«

»Aber der König –«

»Der König ist jetzt einfach ein ganz gewöhnlicher Mensch. Was kann der schon tun?«

Bink seufzte. Er war einfach davon ausgegangen, daß König Trent schon irgendeine Antwort wissen würde, aber Cherie hatte natürlich recht.

»Als ich Chet säugte, habe ich angefangen, nachzudenken«, sagte sie und gab dem Fohlen einen liebevollen Klaps auf den Kopf. »Hier ist mein Fohlen, Chesters Hengstfüllen, ein Vertreter der vorherrschenden Lebewesen von Xanth. Wieso renne ich dann von Chester weg? Chet braucht einen richtigen Hengst, der ihm die Tatsachen des Lebens beibringt. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich –«

»Aber du läufst doch gar nicht weg! Wir gehen zum König, um festzustellen, was wir ohne … wie wir …«

»Los, sag’s ruhig!« rief sie wütend. »Magie! Du hast mir auf deine täppische menschliche Weise klar gemacht, daß sie zu unserem Leben gehört, sogar zu meinem eigenen, verdammt sollst du sein! Jetzt denke ich die Sache mal zu Ende. Es genügt nicht, wenn wir nach Hause gehen und zusammen mit ehemaligen Magiern Trübsal blasen. Wir müssen etwas unternehmen! Und zwar jetzt, sofort, bevor es zu spät ist!«

»Es ist bereits zu spät«, entgegnete Bink. »Der Dämon ist verschwunden.«

»Aber vielleicht ist er noch nicht weit. Vielleicht hat er irgendetwas vergessen und kommt noch einmal zurück, um es zu holen. Dann können wir ihn wieder einfangen und –«

»Nein, das wäre unrecht. Es war mir ernst damit, als ich ihn freiließ, auch wenn mir das Ergebnis nicht gefällt.«

»Du bist aufrichtig, Bink, so lästig das auch manchmal sein kann. Vielleicht können wir ihn ja zurückrufen, mit ihm reden und ihn dazu bewegen, uns ein paar Zauber zurückzugeben –«

»Nein«, sagte Bink kopfschüttelnd. »Nichts, was wir tun können, wird den Dämon Xanth beeinflussen. Es ist ihm völlig egal, wie es uns geht. Wenn du ihm begegnet wärst, wüßtest du das.«

Sie drehte ihm den Kopf zu. »Dann sollte ich ihn vielleicht mal kennenlernen.«

»Wie kriege ich das nur in deinen sturen Pferdeschädel?« rief Bink verärgert. »Ich habe dir doch gesagt, daß er fort ist!«

»Trotzdem will ich mir mal anschauen, wo er gewesen ist. Vielleicht hat er irgend etwas hinterlassen. Irgendwas, was dir entgangen ist. Das soll keine Beleidigung sein, Bink, aber du bist eben auch nur ein Mensch. Wenn wir irgendwie –«

»Wir können aber nirgendwie!« schrie Bink. Chester war ja schon stur gewesen, aber diese Stute –

»Hör mir mal zu, Bink. Du hast mich mit der Nase darauf gestoßen, daß ich Magie brauche. Jetzt will ich mal deine Nase darauf stoßen, daß du irgendetwas tun mußt, anstatt einfach aufzugeben. Vielleicht redest du dir ja ein, daß du Hilfe holen gehst, aber in Wirklichkeit rennst du nur davon. Die Lösung für unser Problem liegt im Gefängnis des Dämons und nicht im königlichen Palast. Vielleicht scheitern wir ja, aber versuchen müssen wir es.« Dann machte sie kehrt und lief in die andere Richtung zurück. »Du warst schon mal da, also zeig mir den Weg.«

Ohne es zu wollen, lief er neben ihr her, fast wie das Fohlen.

»Zur Dämonenhöhle?« fragte er ungläubig. »Da sind aber Kobolde und entzauberte Drachen und –«

»Zum Teufel mit diesen ganzen Obszönitäten!« wieherte sie. »Wer weiß, was vielleicht jetzt gerade mit Chester passiert?«

Das war der springende Punkt: ihre Treue gegenüber ihrem Lebensgefährten. Jetzt, wo er darüber nachdachte, kam ihm seine eigene Einstellung geradezu schäbig vor. Vielleicht machte ihn seine Menschlichkeit ja wirklich unvollkommen. Warum war er nicht wenigstens so lange am Ort des Einsturzes geblieben, bis er seinen Freund ausfindig gemacht hatte? Weil er sich vor dem gefürchtet hatte, was er dort vorfinden mochte. Er war wirklich nur davongelaufen!

Vielleicht konnte man Chester ja aus der Salzlake heben und ihn ohne Magie retten. Vielleicht hatte der Gute Magier Humfrey ja doch überlebt. Es war zwar nur eine geringe Chance, aber solange es überhaupt noch eine Chance gab, war es Binks Pflicht, seine Freunde mit allen verfügbaren Mitteln zu suchen. Er hatte zwar die schlimme Gewißheit, daß sie tot waren, aber die Bestätigung dieser Tatsache war immer noch besser, als sich vor dieser Wahrheit zu verstecken.

Er kletterte wieder auf Cheries Rücken, und sie machte sich erneut auf den Weg. Sie kamen erstaunlich gut voran. Bald galoppierten sie an der Stelle vorbei, an der sie einander begegnet waren. Zentauren waren wirklich schnell – es hatte beinahe etwas Magisches an sich. Doch das war natürlich nur eine Illusion, und zwar keine magische. Cherie drängte einfach darauf, ihren Hengst zu retten, so närrisch dieses Unterfangen auch sein mochte. Bink wies sie an, auf den Gewirrbaum zuzuhalten und das Dorf des Magischen Staubes links liegenzulassen.

Als sie zu dem Greifer kamen, schien es Bink, als bebe der Baum. Das lag wohl am schwächer werdenden Licht, denn ohne Magie war das Ungeheuer machtlos.

Cherie blieb an dem Ast stehen, der über den Rand der Schlucht ragte. »Einen Gewirrbaum hinabklettern … irgendwie fällt es mir schwer …« Sie brach ab. »Bink, er hat sich bewegt! Ich hab’s gesehen!«

»Der Wind!« begriff Bink plötzlich. »Er weht durch die Fangarme.«

»Natürlich!« sagte sie erleichtert. »Einen Augenblick lang dachte ich … aber ich wußte ja, daß es nicht sein konnte.«

Bink spähte in die Erdspalte hinab und erblickte die Ritze am Boden, durch die die Wurzeln des Baumes in die Tiefe griffen. Er verspürte keinerlei Verlangen, dort wieder hinunterzuklettern, aber zugeben wollte er das auch nicht. »Ich … äh, ich kann mich an einer Liane hinunterschwingen. Aber du –«

»Ich kann mich auch hinunterschwingen«, erwiderte sie. »Deshalb haben wir Zentauren so starke Arme und Brustmuskeln. Wir müssen mehr Gewicht tragen als ihr.

Komm, Chet.« Sie packte einen großen Fangarm und trat über den Rand.

Tatsächlich ließ sie sich, Handbreit um Handbreit, herab, wobei sie sich mit den Vorderbeinen abstütze und ihr Hinterteil sich in einer ausladenden Spiralbewegung hinabschwang, bis sie unten angenommen war. Das Fohlen folgte ihrem Beispiel, doch mit solcher Mühe, daß sie zu ihm eilte, um es unten abzufangen. Verlegen schwang Bink sich nun hinab. Eigentlich hätte er ja vorangehen müssen, anstatt Stute und Fohlen den Vortritt zu lassen!

Am Fuß des Baumes spähten sie in die finstere Öffnung, die in die Unterwelt hinabführte. Bink war immer noch beunruhigt. »Dieser Abstieg ist noch schlimmer. Ich glaube nicht, daß Chet das schafft. Und wie wollt ihr wieder hochklettern? Als ich emporgestiegen bin, hätte es mich fast umgebracht, und bei deinem Gewicht, äh …«

»Chester würde es schaffen«, sagte Cherie voller Überzeugung. »Dann könnte er den Rest von uns hochziehen.«

Vor seinem geistigen Auge sah Bink erneut Chesters mächtigen menschlichen Oberkörper und erinnerte sich an die gewaltigen Kräfte des Zentauren. Nur ein Oger besaß noch kräftigere Armmuskeln. Vielleicht würden sie es knapp schaffen, wenn sie ein doppeltes Seil benutzten, so daß die anderen unten zogen, um Chester emporzuziehen. Aber das setzte voraus, daß sie Chester auch tatsächlich fanden und retteten. Wenn ihnen das nicht gelang, war Cherie verloren, denn Bink konnte sie unmöglich allein emporziehen. Das Fohlen würde er vielleicht noch schaffen, aber das war auch alles.

Cherie zerrte bereits an den Tentakeln, um ihre Tragkraft abzuschätzen. Ihr Glaube ließ keinerlei Zweifel zu, und darum beneidete Bink sie. Bisher hatte er stets Chester für den

Dickkopf gehalten, doch nun begriff er, daß die Stärke dieser Familie bei Cherie lag. Chester war nichts als magische Knetmasse in ihren Händen – hoppla, welch obszöne Vorstellung! – und Bink offenbar ebenfalls. Er wollte nicht wieder in die entsetzlichen Tiefen eindringen, um dort nutzlose Kämpfe mit Halbkobolden und Schlangendrachen im Finstern auszutragen. Aber er wußte auch, daß er genau das tun würde, weil Chester ihren armen toten Hengst retten wollte, und wehe, wenn –

»Der hier taugt was«, sagte sie und zerrte an einem besonders langen, dicken Greifarm, der vom Baumwipfel herabhing. »Bink, du kletterst hoch und schneidest ihn mit deinem Messer ab.«

»Äh, klar doch, ja«, sagte er ohne große Begeisterung. Dann schämte er sich. Wenn er sich schon auf diese Sache einließ, konnte er wenigstens etwas mehr Enthusiasmus zeigen. »Ja, natürlich.« Dann kletterte er den gefürchteten Stamm empor.

Er hatte ein merkwürdig beschwingtes Gefühl. Es war, als sei ihm eine schwere Last abgenommen worden. Dann begriff er, was es war: sein Gewissen. Nun, da er seine Entscheidung getroffen hatte und wußte, daß sie richtig, wenn auch selbstmörderisch war, war sein Gewissen beruhigt, und das war ein wunderbares Gefühl. Das war es, was auch Cherie gespürt hatte, so daß sie mit gesteigerten Kräften wie im Flug durch die Wildnis gejagt war.

Schließlich gelangte er an die Stelle, an der die Fangarme wie bizarre Haare aus dem Stamm heraustraten. Er umklammerte den Stamm mit beiden Beinen und hieb mit dem Messer auf den Fangarm ein. Da spürte er, wie der Baum erzitterte.

Nein! sagte er sich. Das konnte keine Magie sein. Der Baum lebte noch und hatte lediglich seine Magie verloren, so daß er jetzt mundanischen Bäumen glich. Vielleicht fühlte er den Schmerz des Einschnitts und zuckte deshalb, aber es war ihm unmöglich, seine Tentakel bewußt zu bewegen.

Er hieb den Fangarm ab und sah zu, wie er hinunterfiel. Dann schnitt er noch zwei weitere ab, um sicherzugehen, daß sie auch genügende zur Verfügung hatten.

Doch der Baum zitterte immer noch, während er sich an den Abstieg machte, und seine Tentakel bebten stärker, als es durch den Wind allein möglich gewesen wäre. Ob der Greifer sich ohne Magie erholen konnte? Nein, es mußte an seinem Klettern liegen, das den Stamm erschütterte und die Schlingarme in Bewegung setzte.

Sie banden den ersten Tentakel an die Wurzel, verknoteten ihn unter großen Mühen, weil er sehr dick war, und ließen ihnhinab. Er baumelte geschmeidig in der Öffnung, und sie zogen ihn wieder herauf, um ihn mit einem weiteren Fangarm zu verlängern. Diesmal hörten sie ein dumpfes Plumpsen, als das Ende unten aufprallte.

»Ich gehe als erster«, sagte Bink. »Dann halte ich mit dem Schwert Wache, während du Chet herabläßt. Es gibt Kobolde dort unten … äh, haben wir irgend etwas Brennbares, um sie mit dem Licht zu vertreiben?«

Cherie starrte ihm ins Gesicht. »Wenn du ein Kobold wärst, würdest du dich dann mit einer Zentaurin anlegen?« Sie stampfte vielsagend mit einem Huf auf.

Bink dachte daran, wie er vor kurzem noch mit Leichtigkeit ihrem Angriff ausgewichen war, als er sie dazu gezwungen hatte, sich der Obszönität zu stellen. Aber er war auch zweimal so groß wie ein Kobold und kannte sich mit Zentauren aus. Außerdem hatte er gewußt, daß Cherie in Rage gewesen war und ihm, ihrem Freund, keinen wirklichen Schaden zugefügt hätte. Kein Kobold konnte sich darauf verlassen – und eine

Zentaurin, die ihr Füllen beschützt, war wie eine Furie. »Das würde ich nicht mal tun, wenn ich ein Drache wäre«, meinte er.

»Wenn’s sein muß, kann ich im Dunkeln ganz passabel sehen«, fuhr sie fort. »Ich kann das Echo meiner Hufe hören und damit die ungefähren Konturen der Höhle bestimmen. Wir werden’s schon schaffen.«

Ohne etwas zu erwidern, beugte Bink sich vor, packte das Tentakelseil und schwang sich in das Loch hinab. Schnell glitt er nach unten. Er fühlte sich wesentlich stärker als beim Aufstieg. Plötzlich befand er sich am Boden und spähte ins matte Licht empor. »In Ordnung, ich bin unten.«

Das Seil zappelte, als Cherie es emporzog. Zentauren waren wirklich gut darin, weil sie sich mit vier Beinen am Boden abstützen konnten, während sie ihre volle Armmuskelkraft benutzten. Bald schwebte Chet hinab. Das Seil war um seine Mitte gewickelt, und er hielt sich mit beiden Händen daran fest. Die ganze Zeit über hatte er keinen Ton von sich gegeben, sich nie beklagt oder beschwert. Bink war überzeugt davon, daß sich das ändern würde, wenn Chet erst einmal reifer geworden war. Bink band den kleinen Burschen los und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Chet ist heil angekommen!« rief er.

Nun war Cherie an der Reihe. In die Erdspalte war sie mühelos hinabgelangt, doch nun war der Abstieg enger, dunkler, länger, und das Seil war nicht so sicher. Bink machte sich insgeheim Sorgen. »Geh beiseite, für den Fall, daß ich … umherschwinge!« rief sie. Bink wußte, daß sie beinahe »falle« gesagt hätte. Sie war sich der Gefahr durchaus bewußt, aber sie besaß Mut.

Sie schwang sich ohne Zwischenfall herab, Handbreit um Handbreit, bis sie sich dem Boden näherte. Da riß der immer dünner werdende Fangarm, und sie stürzte einige Fuß in die Tiefe. Doch sie kam fest auf, ohne sich weh zu tun. Bink entspannte sich. »Alles in Ordnung, Bink«, rief sie sofort. »Steig auf und sag mir, wo’s lang geht.«

Schweigend trat Bink auf sie zu – da hörte er ein Geräusch. »Irgend etwas bewegt sich hier!« fauchte er und war selbst überrascht, wie nervös er war. »Wo ist Chet?«

»Direkt neben mir«, sagte sie.

Sie horchten, und nun war das Geräusch nicht mehr zu überhören: Ein Kratzen und Scharren, seitlich von ihnen und etwas höher … Jedenfalls stammte es nicht von ihnen. Aber nach Kobolden hörte es sich auch nicht an.

Da erblickte Bink ein schlangenähnliches Ding, das sich zwischen ihnen und dem Loch wand und sich im matten Licht abzeichnete. »Eine Greiferwurzel! Sie bewegt sich!« rief er.

»Wir müssen sie aus dem Erdreich gerissen haben«, sagte sie. »Jetzt reißt sie sich durch ihr eigenes Gewicht endgültig los und krümmt sich im Fallen.«

»Ja.« Aber Bink war nicht gänzlich überzeugt. Dazu sahen die Bewegungen zu bewußt aus. War es möglich, daß der Greifer zu neuem Leben erwachte? Wenn das der Fall sein sollte, konnten sie auf diesem Weg nicht wieder entkommen.

Sie schritten den Höhlenpfad entlang. Bink stellte fest, daß er sich ganz gut an die Strecke erinnern konnte, sogar im Dunkeln, und er entdeckte, daß er sogar ein wenig sehen konnte. Vielleicht war doch etwas vom ursprünglichen Leuchten erhalten geblieben. Tatsächlich schien es sogar heller zu werden, als seine Augen sich daran gewöhnt hatten.

»Das Leuchten kehrt zurück«, sagte Cherie.

»Ich dachte erst, das würde ich mir einbilden«, erwiderte

Bink. »Vielleicht gibt es hier unten ja noch Restmagie.«

Immer schneller liefen sie weiter. Bink konnte sich einen Gedanken nicht verkneifen: Wenn der Greifer wieder zum Leben erwachte und das Leuchten heller wurde, konnte das dann nicht bedeuten, daß die Magie wiederkehrte? Das würde aber wiederum heißen, daß –

Plötzlich führte der Weg – in einen Palastsaal, der so groß war, daß er das andere Ende nicht erkennen konnte. Überall funkelten Edelsteine und hingen glitzernd in der Luft. Ein umgekehrter Springbrunnen schoß von der Decke herab, und die schillernden Tropfen fielen wieder an die Decke zurück. Banner aus buntem Papier wirbelten in Spiralen und Kreisen wie aus eigenem Antrieb umher, legten sich schräg und streckten sich wieder. Überall waren weitere Wunder zu sehen, so zahlreich, daß es unmöglich war, sie alle auf einmal wahrzunehmen. Es war die phantastischste Magieschau, die Bink je gesehen hatte.

Aber es hatte hier vorher doch keine solche Höhle gegeben! Cherie blickte sich ebenso verwundert um wie er. »Ist … ist das vielleicht das Werk deines Dämons Xanth?«

Als sie den Namen ausgesprochen hatte, materialisierte sich der Dämon X(A/N)th. Er saß auf einem Thron aus reinem Diamant. Sein glühendes Auge fixierte Bink, der immer noch auf Cherie saß, während sich das Fohlen an ihre Seite drängte.

»Dich will ich haben!« rief X(A/N)th. »Dich dämliche Null, den, der sich und seine ganze Kultur für nichts und wieder nichts in Gefahr gebracht hast. Eine solche Idiotie muß bestraft werden.«

Bink war zwar beeindruckt, versuchte aber dennoch, sich zu verteidigen. »Warum seid Ihr dann zurückgekehrt? Was wollt Ihr von mir?«

»Sie haben das Bezeichnungssystem geändert«, erwiderte X(A/N)th. »Jetzt befassen sie sich mit Differentialen. Ich muß mich ein Äon oder zwei mit dem neuen System vertraut machen, damit ich nicht zu linkisch bin, deshalb bleibe ich einen Augenblick hier, an diesem vertrauten Ort.«

»Für einen Äonen-Augenblick?« fragte Bink ungläubig.

»Ungefähr. Ich habe dich hergeholt, damit ich ungestört bleibe. Jedes Wesen dieser Welt, das von meiner Existenz weiß, muß abgeschafft werden.«

»Abgeschafft?« fragte Bink wie vor den Kopf geschlagen.

»Nichts Persönliches«, versicherte ihm der Dämon. »Mir ist eure Existenz wirklich völlig gleichgültig. Aber wenn man von meiner Existenz weiß, kann es sein, daß noch weitere Schmarotzer kommen, um mich aufzusuchen. Ich will aber alleingelassen werden. Deshalb muß ich dich und die anderen, die von mir wissen, ausmerzen, um mein Geheimnis zu wahren. Die meisten von euch sind bereits eliminiert. Nur du und die Nymphe, ihr seid noch übrig.«

»Laß Juwel bitte aus dem Spiel!« sagte Bink. »Sie ist unschuldig, sie ist nur meinetwegen mitgekommen. Sie hat es nicht verdient –«

»Diese Stute und ihr Fohlen sind ebenfalls unschuldig«, warf der Dämon ein.

»Das alles hat keinerlei Bedeutung.«

Cherie drehte sich zu Bink um. Ihr menschlicher Oberkörper war wieder so üppig wie früher, und ihre Schönheit war wiedergekehrt. Kein Zweifel, die Magie stand ihr gut! »Du hast dieses … dieses Ding da befreit, und jetzt dankt es dir das auf diese Weise? Warum geht er nicht irgendwo anders hin, wo ihn keiner von uns finden kann?«

»Er hat hier eine Menge Magie ausgeschieden«, sagte Bink. »Ohne ihn ist sie latent, aber solange es noch Drachen und Zentauren gibt, wissen wir, daß die Magie noch nicht völlig verschwunden ist. Das ganze Land Xanth ist davon durchtränkt, und deshalb ist es hier wohl bequemer für ihn. Genau wie gut eingelaufene Schuhe, anstatt frischer Schuhe vom Schuhbaum, die noch drücken. Der Dämon ist nicht von unserer Art, er kennt keine Dankbarkeit. Das wußte ich aber auch schon, als ich ihn freigelassen habe.«

»Es wird noch etwas dauern, bis ich euch ausmerze«, sagte der Dämon. »Macht es euch bequem.«

Trotz dieser Drohung war Bink doch neugierig geworden.

»Warum denn diese Verzögerung?«

»Die Nymphe hält sich versteckt, und ich will meine Magie nicht darauf verschwenden, sie zu orten.«

»Aber du bist doch allmächtig! Dann hat das Wort ›Verschwendung‹ doch keinerlei Bedeutung für dich.«

»Ich bin allmächtig, das stimmt. Aber alles hat seine Grenzen. Es stört meine Sensibilitäten, wenn ich mehr Magie einsetze, als eine bestimmte Situation verlangt. Deshalb reduziere ich hier die Anstrengungen. Ich habe deine Persona verstärkt. Sie liebt dich – ich will nicht so tun, als verstünde ich diesen Begriff – und wird zu dir kommen, weil sie dich in einer Gefahr glauben wird, die sie vielleicht abwehren kann. Dann kann ich euch bequem alle auf einmal auslöschen.«

Dann bedeutete die Wiederkehr der Magie ins Land Xanth für Bink und seine Freunde das Ende. Immerhin, da ganz Xanth davon profitierte, war es kein völliger Verlust. Und dennoch –

»Ich nehme an, daß es dir nicht genügen wird, wenn wir einfach versprechen, deine Anwesenheit nicht zu verraten, oder wenn wir ein Vergessenselixier einnehmen?«

»Bringt nichts«, sagte eine Stimme aus Binks Tasche. Es war Grundy der Golem, der nun wieder belebt worden war. Er kletterte heraus, um sich auf Binks Schulter zu setzen. »Du könntest ein solches Versprechen niemals halten. Die Magie würde dir in Augenschnelle die Wahrheit entlocken. Selbst wenn du ein Vergessenselixier einnehmen würdest, könnte das neutralisiert werden, so daß die Information preisgegeben würde.«

»Mit einem Wahrheitszauber«, stimmte Cherie ihm zu. »Ich hätte mich doch lieber auf mein ursprüngliches Urteil verlassen sollen. Die Magie ist doch ein Fluch.«

Bink weigerte sich, aufzugeben. »Vielleicht kehren wir die Sache doch einfach um«, schlug er dem Dämon vor. »Verbreite doch überall, daß du hier unten bist und jeden Eindringling sofort umbringen –«

»Dann freuen sich neunundneunzig Prozent aller Trottel auf die Herausforderung«, warf Cherie ein. »Der Dämon würde dann ständig störenden Besuch erhalten und müßte seine Magie darauf verschwenden, die Idioten einen nach dem anderen auszurotten.«

Der Dämon blickte sie anerkennend an. »Du hast zwar einen Pferdehintern, aber ein kluges Köpfchen«, bemerkte er.

»Das ist eben so bei Zentauren.«

»Und was hältst du von mir?«

»Du bist für mich der absolute Gipfel der Obszönität.«

Bink erstarrte, doch der Dämon lachte nur. Das Geräusch war ohrenbetäubend und brachte den magisch geschmückten Palast zum Beben. Zerschmetterte Gegenstände wirbelten durch die Luft, ohne sie jedoch zu treffen.

»Weißt du was?« fragte Grundy. »Er ist dabei, sich zu verwandeln … genau wie ich.«

»… genau wie du …?« wiederholte Bink. »Aber natürlich! Als seine Magie herausgesickert ist und ganz Xanth getränkt

hat, da ist auch etwas von unserer Kultur in ihn eingesickert, so daß er ein kleines bißchen so geworden ist wie wir. Deshalb fühlt er sich hier auch so wohl. Darum kann er auch lachen. Er besitzt doch so etwas wie grobe Gefühle.«

Cherie begriff sofort. »Das bedeutet, daß er wahrscheinlich auch ein Gefühl für Herausforderungen haben dürfte. Kannst du ihm eine bieten?«

»Ich kann’s versuchen«, erwiderte Bink. Dann, als das Lachen des Dämons nachließ: »Dämon, ich weiß eine Möglichkeit, wie man dein Privatleben schützen kann. Wir besitzen einen Schildstein, der früher dazu benutzt wurde, das ganze Land Xanth vor Eindringlingen zu schützen. Wir haben unsere Ungestörtheit ebenso zu schätzen gewußt wie du deine. Nichts Lebendes kann durch diesen Schild dringen. Ich muß nur unserem König Trent von dir berichten, dann wird er den Schild aufstellen, damit niemand dich hier unten behelligt. Der Schild hat über ein Jahrhundert funktioniert, er wird auch für dich funktionieren. Dann wird es ganz egal sein, wer von dir weiß. Jeder Narr, der es dennoch versuchen sollte, wird automatisch sterben.«

Der Dämon dachte nach. »Der Vorschlag hat etwas für sich. Aber der menschliche Geist und seine Motive sind mir weitgehend fremd. Wie kann ich sicher sein, daß der König auf dein Ersuchen eingehen wird?«

»Ich weiß, daß er es tun wird«, sagte Bink. »Er ist ein guter Mann, ein ehrlicher Mann und ein kluger Politiker. Er wird sofort begreifen, wie wichtig es ist, deine Ungestörtheit zu gewährleisten, und wird entsprechende Schritte unternehmen.«

»Und wie sicher bist du dir deiner Sache?«

»So sicher, daß ich mein Leben darauf verwetten würde.«

»Dein Leben ist völlig bedeutungslos im Vergleich zu meiner Bequemlichkeit«, sagte der Dämon humorlos.

»Aber nach menschlichen Maßstäben ist mein Talent alles andere als bedeutungslos«, entgegnete Bink. »Es wird in meinem Interesse handeln, indem es den König dazu bewegt – «

»Dein Talent bedeutet mir gar nichts. Ich könnte es auf der Stelle mit einem einfachen Fingerschnippen in sein Gegenteil umkehren.« Mit lautem Knall schnippte der Dämon seine Finger. Es klang wie die Explosion einer Kirschbombe. Bink spürte einen schrecklich beunruhigenden Krampf in seinem Inneren. »Aber deine Herausforderung fasziniert mich. Sie hat ein gewisses Zufallselement, das nicht vorhanden ist, wenn ich mir selbst eine Herausforderung stelle. Deshalb muß ich mich in gewissem Ausmaß an Stellvertretern ergötzen. Du sagst, daß du dein Leben auf deine Fähigkeit verwetten würdest, meine Ungestörtheit zu garantieren. Das heißt eigentlich gar nichts, weil dein Leben ohnehin bereits verspielt ist, aber ich nehme die Wette an. Sollen wir also darum spielen?«

»Ja«, sagte Bink. »Wenn ich damit meine Freunde retten kann. Ich bin zu allem bereit –«

»Bink, das gefällt mir aber gar nicht«, sagte Cherie.

»Hier ist das Testlabor«, sagte der Dämon und zeigte auf eine plötzlich erscheinende riesige Grube, an deren Wand sich ein halbes Dutzend Türen befand. Die Wände waren aus Stein und zu hoch und steil, um erklommen werden zu können. »Und hier ist der Eindringling.« Ein Ungeheuer erschien mitten in der Grube, ein riesiger Minotaurus, der den Kopf, den Schwanz und die Hufe eines Stiers besaß und den Körper eines kräftigen Mannes. »Wenn er lebend aus diesem Raum entkommt, werde ich dies als störend empfinden. Du mußt versuchen, ihn aufzuhalten.«

»Gemacht!« rief Bink. Er sprang mit gezücktem Schwert in die Arena hinunter.

Der Minotaurus musterte ihn kühl. Die Wiederkehr der Magie hatte Bink neu belebt und ihm das Gefühl frischer Kraft verliehen – und ein Schwächling war er ohnehin nie gewesen. Durch seine zerfetzten Hemdärmel waren seine Muskeln zu erkennen, und sein Körper war kampfbereit. Sein Schwert bewegte sich mit geschmeidiger Gekonntheit, durch Magie leichter gemacht, und die verzauberte Klinge glitzerte. Das Ungeheuer entschied sich gegen die Freuden einer Auseinandersetzung, wirbelte auf einem Huf herum und schritt auf den Ausgang zu, der am weitesten von Bink entfernt lag.

Bink stürzte hinter ihm her. »Dreh dich um und kämpf wie ein Ungeheuer!« schrie er, da er den Gegner nicht von hinten niederstrecken wollte.

Doch das Wesen fing an zu laufen. Bink war allerdings schneller und holte den Minotaurus ein, bevor er den Ausgang erreichte. Er riß an seinem Schwanz, so daß das Wesen gegen die Wand geschleudert wurde. Bink setzte ihm die Schwertspitze an den Hals. »Ergib dich!« schrie er.

Der Minotaurus erzitterte – und wurde zu einem Käferungeheuer mit gewaltigen Kneifern, einem Stachel und scharfen Kiefern. Bink wich erschrocken zurück. Er kämpfte gegen ein magisches Ungeheuer, eines, das seine Gestalt nach Belieben verändern konnte!

Was für ein Narr er doch gewesen war, sich mit dem Zustoßen zurückzuhalten und zu glauben, daß sich dieses Ding ergeben würde! Er mußte es schnell töten, bevor es das gleiche mit ihm tat – oder floh, was auf dasselbe hinauslief.

Der Käfer glitt bereits auf den Ausgang zu. Bink sprang mit schwingendem Schwert hinter ihm her. Doch der Käfer besaß Stielaugen, die zu ihm zurückblickten – genaugenommen war er nun eine Riesenschnecke, die auf einer Schleimspur

weiterglitt. Binks Schwert zischte über seinen Kopf hinweg, ohne Schaden anzurichten.

Immerhin war er schneller als jede Schnecke, und wenn sie noch so groß sein mochte. Bink sprang über sie hinweg und versperrte den Ausgang. Er zielte sorgfältig und schlug, das Schwert mit beiden Händen fassend, auf den Kopf der Schnecke ein, um ihn entzweizuspalten. Doch die Klinge prallte vom plötzlich entstandenen Schneckenhaus ab, das sich das Ungeheuer als die naheliegendste Abwehr zugelegt hatte. Entweder stand es unter großem Druck, oder es hatte nicht viel Phantasie.

Bink gab ihm keine Chance zum Nachdenken. Diesmal traf er – eine große grüne Qualle. Seine Klinge fuhr hindurch und trat tropfend wieder heraus, ohne dem Wesen ernsthaften Schaden zugefügt zu haben. Angewidert schüttelte er die Gallertmasse ab.

Doch da verwandelte sich das Ungeheuer auch schon in einen mannsgroßen Raubvogel. Bink sprang darauf zu – und rutschte prompt auf dem restlichen Quallengelee aus. Was für ein katastrophaler Zufall!

Zufall? Nein, hier war sein Talent am Werk, und zwar verkehrt herum. Der Dämon hatte es achtlos in sein Gegenteil verkehrt. Nun würden die scheinbaren Zufälle stets gegen Bink arbeiten anstatt für ihn. Er war jetzt sein eigener schlimmster Feind.

Aber er hatte sich auch ganz gut behauptet, als die Gehirnkoralle sein Talent ausgeschaltet hatte. Er mußte jetzt vor allem dafür sorgen, daß der Zufall so weit wie möglich ausgeschaltet wurde. Sein Talent war stark begrenzt, weil es niemals offen zutage träte, sondern immer erst einen günstigen Zufall abwarten mußte. Er mußte also genauestens planen und nichts dem Zufall überlassen.

Der Vogel flog nicht fort, sondern rannte in die Mitte der Arena hinaus. Bink erhob sich und verfolgte das Ungeheuer, wobei er darauf achtgab, vorsichtig zu sein. Da war ein Steinchen, über das er hätte stolpern können, dort erblickte er einen Fettfleck. Daß er auf dem Gelee ausgerutscht war, hatte vor allem an seiner Achtlosigkeit gelegen. Die konnte er verringern. Aber warum flog der Vogel nicht einfach davon, wo Bink sich doch so vorsichtig bewegen mußte?

Wahrscheinlich lag das an der Tatsache, daß das Ungeheuer kein Magier war. Jede Gestalt, die es annahm, war ungefähr gleich groß und stets an den Boden gebunden. Es war zwar ein gutes Talent, aber kein ungewöhnliches. Es hatte deutliche Grenzen. König Trent konnte eine Fliege in ein Hephalumph, in einen Wurm oder in einen Flugdrachen verwandeln. Größe und Fähigkeiten spielten überhaupt keine Rolle dabei. Doch dieses Ungeheuer verwandelte nur seine äußere Gestalt, nicht aber seine Fähigkeiten. Sehr gut!

Bink schritt vorsichtig auf den Raubvogel zu, sprungbereit für den Fall, daß er einen Ausfall in Richtung Ausgang versuchen sollte. Wenn er fliehen wollte, mußte er ihm den Rücken zukehren, und dann könnte er ihn niederstrecken. Da war keinerlei Zufall mit im Spiel, also konnte sein umgekehrtes Talent ihm dabei auch keinen Streich spielen. Binks früheres Leben, als er noch nichts von seinem Talent gewußt hatte, hatte ihn geschult, ohne Talent auszukommen. Seine jüngsten Abenteuer, als sein Talent sowohl ausgeschaltet als auch gänzlich abhanden gekommen war, hatten ihm als Auffrischungstraining gedient. Das Ungeheuer würde sich stellen müssen, um zu kämpfen, anstatt sich darauf zu verlassen, daß er die Sache versiebte.

Plötzlich war es ein Mann – ein stämmiger Grobian mit zerzaustem Haar und zerfetzten Kleidern, der ein glitzerndes Schwert trug. Er machte den Eindruck, als verstünde er etwas von seinem Geschäft. Genaugenommen sah er sogar irgendwie vertraut aus.

Tatsächlich – das war ja ein Abbild von Bink selbst! Das Ungeheuer wurde langsam klüger und stellte Schwert gegen Schwert. Bink griff an.

Das Ungeheuer war offensichtlich kein Schwertkämpfer, genau wie er es vermutet hatte. Es mochte zwar aussehen wie Bink, konnte aber nicht so gut kämpfen wie er. Dieser Kampf würde bald zu Ende sein!

Bink machte eine Finte und schlug dem Gegner plötzlich das Schwert aus der Hand. Dann drängte er das Ungeheuer gegen die Wand, bereit, ihm den Todesstoß zu versetzen.

»Bink!« rief eine Frauenstimme verzweifelt.

Bink erkannte sie: Es war Juwel! Vom Zauber des Dämons angezogen, war sie genau im falschen Augenblick eingetroffen. Das mußte ein Werk seines umgekehrten Talents sein, das sich gerade noch rechtzeitig einmischte, um den Feind zu retten. Es sei denn, er handelte sofort –

»Bink!« schrie sie wieder und sprang in die Arena hinunter, um sich zwischen ihn und das Ungeheuer zu stürzen. Sie duftete nach einem Sommersturm. »Warum bist du wieder in die Höhlen eingedrungen, anstatt draußen in Sicherheit zu bleiben?« Dann hielt sie verblüfft inne. »Ihr seid ja beide Bink!«

»Nein, er ist das Ungeheuer«, sagte das Ungeheuer, bevor Bink etwas erwidern konnte. »Er versucht, einen unbewaffneten Mann zu töten.«

»Schande über dich!« fauchte Juwel und drehte sich zu Bink um. Aus dem Sturm war ein Hurrikan geworden, der nach umherwirbelndem Staub und zertrümmerten Ziegeln roch. »Weiche, Ungeheuer!«

»Los, verschwinden wir«, sagte das Ungeheuer, ergriff ihren Arm und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« rief Cherie von oben herab. »Schafft diese dämliche Nymphe aus der Arena!«

Doch Juwel blieb bei dem gerissenen Ungeheuer und schritt mit ihm in Richtung Sicherheit – in eine Katastrophe hinein, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Bink blieb wie angewurzelt stehen, unfähig, gegen Juwel die Hand zu heben.

»Aber wenn du ihn gehen läßt, wird sie doch auch sterben!« schrie Cherie. Das riß ihn aus seinem Stupor. Bink sprang auf das Paar zu, packte es bei den Hüften und riß beide zu Boden. Er wollte sie auseinanderreißen, das Ungeheuer niedermachen und Juwel hinterher alles erklären.

Doch plötzlich hatte er in jedem Arm eine Nymphe. Das Ungeheuer hatte sich in Juwel verwandelt, und Bink konnte die beiden nicht auseinanderhalten.

Er sprang mit gezücktem Schwert hoch. »Juwel, gib dich zu erkennen!« rief er. Das Ungeheuer war wohl kaum intelligent genug, um eigenständig zu denken. Wahrscheinlich steckte Binks Talent hinter dieser Maskerade. Da es Bink nicht hatte beeinträchtigen können, hatte es statt dessen auf das Ungeheuer eingewirkt. Der Zufall hatte vielerlei Gestalten.

»Ich bin’s!« riefen beide Nymphen im Chor und standen auf.

O nein! Sie hörten sich ja sogar gleich an! »Juwel, ich kämpfte gegen ein Gestaltwandlerungeheuer«, rief er ihnen beiden zu. »Wenn ich es nicht umbringe, wird es mich umbringen. Ich muß wissen, wer es ist.«

»Er!« riefen beide Nymphen und zeigten aufeinander. Der Gestank von Stinkkohl erfüllte die Luft. Beide wichen voreinander – und von ihm – zurück.

Das wurde ja immer schlimmer! Jetzt hatte sein Talent Fuß gefaßt und war entschlossen, ihn nicht siegen zu lassen. Und doch mußte er das Ungeheuer töten und Juwel retten. Aber er konnte nicht willkürlich entscheiden, wer von beiden wer war.

Die Nymphen liefen auf zwei verschiedene Ausgänge zu. Es war bereits zu spät, beide einholen zu wollen. Von seiner Entscheidung hing sein eigenes Schicksal und das seiner Freunde ab – und sein infernalisches Talent würde ihn mit Sicherheit die falsche Wahl treffen lassen. Egal, wie er sich entschied, es konnte immer falsch sein. Doch keinerlei Entscheidung zu treffen, würde ebenfalls Desaster bedeuten.

Bink begriff, daß er nur sichergehen konnte, indem er beide umbrachte. Das Ungeheuer und die Nymphen-Frau, die ihn liebte. Eine entsetzliche Entscheidung.

Es sei denn, er konnte das Ungeheuer irgendwie dazu verlocken, sich zu erkennen zu geben.

»Du bist das Ungeheuer!« schrie er und rannte mit wirbelndem Schwert auf die Nymphe zu seiner Rechten zu.

Sie blickte über ihre Schulter zurück, sah ihn und stieß einen Schrei der Todesangst aus. Der Geruch von Drachenatem, die Essenz jeder Angst, erfüllte die Luft.

Bink schlug über sie hinweg, als sie den Kopf einzog, und schleuderte sein Schwert hinter der zweiten Nymphe her, die schon beinahe den anderen Ausgang erreicht hatte. Das mußte wirklich das Ungeheuer sein.

Doch die Nymphe neben ihm riß in ihrem Entsetzen schützend die Arme hoch und streifte das Schwert, so daß es abgelenkt wurde. Wieder sein Talent, das nun seine Freundin dazu benutzte, seinen Angriff auf seinen Gegner zunichte zu machen!

Aber es war noch nicht vorüber. Das Ungeheuer sah die heranwirbelnde Klinge, sprang beiseite – und direkt in ihre abgelenkte Flugbahn. Das Schwert schlug durch die Brust des Wesens hindurch. Das Ungeheuer stürzte durchbohrt zu Boden. Zweimal Pech – das hatte sich gegenseitig ausgeschaltet.

Bink war inzwischen gegen Juwel geprallt und hatte sie mit sich zu Boden gerissen. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich mußte auf Nummer sicher gehen …«

»Schon gut«, sagte sie und erhob sich mühsam. Bink stand auf und ergriff ihren Ellenbogen, um ihr behilflich zu sein. Doch sein Blick blieb auf das tote oder sterbende Ungeheuer gerichtet. Was war wohl seine natürliche Gestalt?

Das Ungeheuer verwandelte sich nicht, sondern sah noch immer wie Juwel aus. Aus der Schwertwunde strömte Blut. Seltsam. Wenn das Ungeheuer tödlich verwundet war, weshalb verwandelte es sich dann nicht zurück? Und wenn es nicht wirklich verwundet war, warum erhob es sich dann nicht hastig, um zu fliehen?

Juwel löste sich aus seinem Griff. »Ich will mich saubermachen gehen, Bink«, sagte sie. Im Augenblick duftete sie nach gar nichts.

Nach gar nichts? »Gib einen Duft ab!« sagte Bink und ergriff erneut ihren Arm.

»Bink, laß mich los!« schrie sie und wollte auf den Ausgang zustürzen.

»Gib einen Duft von dir!« knurrte er und drehte ihr den Arm auf den Rücken.

Plötzlich hielt er einen Gewirrbaum in der Hand. Seine Fangarme wanden sich, um ihn zu packen, aber sie waren nicht so kräftig wie ein echter Greifer, nicht einmal wie ein Zwerggreifer. Bink umklammerte den Baum mit beiden Armen und drückte die Tentakel immer fester gegen den Stamm.

Der Baum verwandelte sich in eine gedrungene Seeschlange. Bink neigte den Kopf vor und drückte weiter zu. Die Schlange verwandelte sich wiederum in einen zweiköpfigen Wolf, der mit beiden Mäulern nach Binks Ohren schnappte. Bink drückte noch fester zu. Er konnte es sich leisten, ein Ohr zu verlieren, wenn er damit den Kampf gewann. Aus dem Wolf wurde eine riesige Tigerlilie, die furchteinflößend knurrte, doch Bink war bereits dabei, ihren Stamm zu zerquetschen.

Schließlich wurde sein Gegner schlauer und verwandelte sich in einen Nadelkaktus. Die Nadeln stachen Bink in die Arme und in sein Gesicht – doch er ließ nicht locker. Der Schmerz war zwar schrecklich, aber er wußte, daß er dem Ungeheuer nicht den kleinsten Spielraum gewähren durfte, weil es sich sonst in etwas verwandeln würde, das er nicht wieder würde einfangen können, wenn nicht sogar sein Talent ihm auf »zufällige« Weise zur Flucht verhalf. Darüber hinaus war er voller Wut: Wegen dieses Wesens hatte er eine unschuldige Nymphe niedergemacht, die nur den einen Fehler begangen hatte, ihn zu lieben. Er blutete im Gesicht und an den Händen, und eine Nadel stach ihm ins Auge, doch Bink drückte den Kaktusrumpf mit der Kraft und Leidenschaft des schieren Hasses, bis er eine weiße Flüssigkeit verspritzte.

Das Ding löste sich in einen übelriechenden Schleim auf. Bink konnte es nicht mehr umklammern, weil es nichts mehr zum Umklammern gab. Doch er griff nach dem Zeug, schleuderte es klumpenweise durch die Arena und stampfte die Masse in den Boden. Konnte das Ungeheuer etwa selbst in diesem Zustand noch überleben?

»Genug«, sagte der Dämon. »Du hast es besiegt!« Er machte eine achtlose Gebärde, und plötzlich war Bink wieder kräftig und sauber, unverletzt – und spürte irgendwie, daß sein Talent wieder normal funktionierte. Der Dämon hatte ihn getestet und nicht sein Talent. Er hatte gewonnen – doch um welchen Preis?

Er rannte zu Juwel hinüber, zur wirklichen Juwel, und mußte daran denken, wie Chamäleon damals ähnlich verwundet worden war. Doch damals hatte der Böse Magier es getan, während diesmal Bink die Schuld traf. »Du begehrst sie?« fragte der Dämon. »Dann nimm sie mit.« Da war Juwel plötzlich wieder gesund und schön und duftete nach Gardenien, als hätte sie eben ein Bad im Heilelixier genommen. »O Bink!« sagte sie – und floh aus der Arena.

»Laß sie laufen«, sagte Cherie weise. »Nur die Zeit kann unsichtbare Wunden heilen.«

»Aber ich kann sie doch nicht in dem Glauben belassen –«

»Sie weiß, daß du ihr nicht weh tun wolltest, Bink. Oder sie wird es erkennen, wenn sie erst einmal gründlich darüber nachdenkt. Aber sie weiß auch, daß du ihr keine Zukunft bieten kannst. Sie ist ein Höhlenwesen. Die Weiten der Oberfläche würden ihr Angst einflößen. Selbst wenn du nicht verheiratet wärst, würde sie ihr Heim nicht deinetwegen verlassen. Jetzt, wo du in Sicherheit bist, muß sie gehen.«

Bink starrte in die Richtung, in der Juwel verschwunden war. »Ich wünschte, ich könnte irgend etwas tun …«

»Du kannst sie in Ruhe lassen«, sagte Cherie mit Entschiedenheit. »Sie muß ihr Leben selbst leben.«

»Guter Pferdeverstand«, stimmte Grundy der Golem ihr zu.

»Ich werde dir gestatten, die gestellte Aufgabe auf deine Weise zu lösen«, sagte der Dämon zu Bink. »Du und dein Wohlergehen sind mir völlig gleichgültig, aber ich halte mich an die Bedingungen jeder Wette. Alles, was ich von eurer Gesellschaft verlange, ist, daß man mich in Ruhe läßt. Wenn das nicht geschieht, könnte ich mich gezwungen sehen, etwas zu tun, was euch leid täte – zum Beispiel, die ganze Oberfläche

eures Landes mit einer einzigen Feuerschicht in Asche zu legen. Jetzt habe ich meine Anweisung doch wohl so deutlich formuliert, daß es selbst dein armseliger Intellekt verstehen kann, oder?«

Bink hielt seinen eigenen Intellekt keineswegs für armselig, auch nicht im Vergleich mit dem des Dämons. Dieses Wesen war zwar allmächtig, aber nicht allwissend. Doch es wäre nicht sonderlich opportun gewesen, dies jetzt offen zu sagen. »Ja.«

Dann hatte Bink einen Gedankenblitz. »Aber es wäre wesentlich leichter, deine Ungestörtheit zu garantieren, wenn es keine offenen Fragen und Spuren mehr gäbe wie zum Beispiel verschollene Magier oder eingelegte Zentauren –«

Cherie richtete sich ruckartig auf. »Bink, du bist ein Genie!«

»Dieser Magier hier?« fragte Xanth. Er griff durch die Decke und holte ein schauriges Skelett hervor. »Ich kann ihn dir wieder zum Leben erwecken –«

Nach dem ersten Schock erkannte Bink, daß das Skelett viel größer war als Humfrey. »Äh, den nicht«, sagte er erleichtert. »Er ist etwas kleiner, wie … wie ein Gnom. Und lebendig.«

»Ach so, der hier«, sagte X(A/N)th. Er griff durch eine Wand und holte den Guten Magier Humfrey hervor, der etwas zerzaust aussah, aber ansonsten unverletzt war.

»Wird aber auch langsam Zeit, daß du mich holen kommst«, knurrte Humfrey. »Bin ja fast erstickt unter dem ganzen Geröll.«

Nun griff der Dämon durch den Boden und holte Chester hervor, der in einer glitzernden Wasserhülle steckte. Als er den Zentaur auf den Boden stellte, verdampfte das Wasser, und Chester blickte um sich.

»Dann bist du also ohne mich schwimmen gegangen!« sagte Cherie streng. »Da bleibt man zu Hause und plackt sich mit dem Fohlen ab, während du in der Gegend herumziehst …«

Chester zog eine Grimasse. »Ich ziehe deswegen umher, weil du dich die ganze Zeit nur um das Fohlen kümmerst!«

»Äh, es ist doch jetzt wirklich nicht nötig –« warf Bink ein.

»Misch du dich da nicht ein!« zischte sie ihm mit einem Augenzwinkern zu. Dann knurrte sie Chester an: »Weil es genauso ist wie du! Dich kann ich ja nicht davon abhalten, deinen dämlichen Schweif bei irgendwelchen dummen, nutzlosen Abenteuern aufs Spiel zu setzen, du großer Blödian, aber dann habe ich wenigstens noch das Fohlen, das mich daran erinnert –«

»Wenn du dich mir ein bißchen mehr gewidmet hättest, wäre ich auch öfter zu Hause geblieben!« gab er zurück.

»Na gut, dann werde ich mich dir in Zukunft ein bißchen mehr widmen, Pferdskopf!« sagte sie und gab ihm einen Kuß, während sich die Arena um sie herum auflöste und in einen etwas gemütlicheren Raum verwandelte. »Ich brauche dich.«

»Wirklich?« fragte er erfreut. »Wofür denn?«

»Um ein weiteres Fohlen zu machen, du Esel! Eines, das so aussieht wie ich, mit dem du umhertraben kannst –«

»Klar!« sagte er. »Wie wär’s, wenn wir sofort damit anfingen?« Dann blickte er sich um, erinnerte sich daran, wo sie sich befanden, und errötete sogar. Der Golem feixte. »Äh, bei nächster Gelegenheit …«

»Und mit Chet kannst du auch ruhig ein bißchen spazierentraben«, fuhr sie fort. »Dann kannst du ihm dabei helfen, sein Talent zu finden.« Sie ließ sich nicht anmerken, wieviel Überwindung sie dieses Wort kosten mußte.

Chester starrte sie an. »Sein … willst du damit sagen, daß du …«

»Ach, jetzt hör bloß auf, Chester!« knurrte sie. »Du irrst dich schließlich mindestens zehnmal am Tag. Kann ich mich da nicht auch wenigstens einmal im Leben irren? Ich kann zwar nicht gerade behaupten, daß es mir gefällt, aber wenn die Magie offensichtlich doch zum Zentaurenerbe gehört, muß ich wohl lernen, damit zu leben. Die Magie ist ja manchmal ganz praktisch. Immerhin hat sie dich zu mir zurückgebracht.« Sie machte eine Pause und blickte ihn von der Seite an. »Vielleicht gefällt es mir sogar, ein bißchen Flötenmusik zu hören.«

Verblüfft blickte Chester sie an, richtete seinen Blick auf Bink und begriff, daß wohl irgend jemand etwas ausgeplaudert haben mußte. »Das läßt sich vielleicht einrichten – im privaten Anstandsrahmen. Schließlich sind wir Zentauren!«

»Du bist vielleicht ein Tier …!« sagte sie und schlug mit ihrem Schweif nach ihm. Bink mußte ein Lächeln unterdrücken.

»Damit wäre diese langweilige Angelegenheit wohl endlich beendet«, meinte der Dämon. »Wenn ihr nun bereit wäret, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden …«

Doch Bink war noch nicht ganz zufrieden. Er traute dieser plötzlichen Großmut nicht ganz. »Und du bist wirklich damit zufrieden, für immer von unserer Gesellschaft ausgeschlossen zu bleiben?«

»Ihr könnt mich gar nicht ausschließen«, bemerkte der Dämon. »Ich bin die Quelle der Magie. Ihr werdet euch lediglich selbst ausschließen. Ich werde beobachten und eingreifen, wann immer mir danach ist – was vermutlich niemals der Fall sein wird, da mich eure Gesellschaft nicht im mindesten interessiert. Wenn ihr gegangen seid, werde ich euch vergessen.«

»Du solltest Bink wenigstens dafür danken, daß er dich befreit hat«, meinte Cherie.

»Ich danke ihm dadurch, daß ich sein lächerliches Leben verschone«, sagte X(A/N)th, und wenn Bink es nicht besser gewußt hätte, hätte er geglaubt, daß der Dämon erzürnt wäre.

»Sein Leben hat er sich verdient!« erwiderte sie. »Du schuldest ihm mehr als das!«

Bink versuchte, sie zu besänftigen. »Bring ihn nicht in Rage«, murmelte er. »Er kann uns mit einem Augenzwinkern auslöschen –«

»Ja, sogar ohne mit dem Auge zu zwinkern«, bestätigte der Dämon. Eines seiner Augenlider machte den Eindruck, als wolle es gerade anfangen zu zwinkern.

»Na ja, Bink hätte dich schließlich weitere tausend Jahre vergammeln lassen können, ebenfalls ohne zu zwinkern«, rief Cherie, ohne auf Binks Warnung zu achten. »Aber das hat er nicht. Weil er nämlich etwas besitzt, was du nicht hast: Menschlichkeit!«

»Stute, du faszinierst mich«, murmelte X(A/N)th. »Es stimmt zwar, daß ich allmächtig bin, aber nicht allwissend – aber ich glaube, daß ich menschliche Beweggründe durchaus verstehen könnte, wenn ich mich darauf konzentrieren würde.«

»Wetten, daß nicht?« rief sie.

Jetzt wurde selbst Chester nervös. »Was hast du vor, Cherie?« fragte er. »Willst du, daß wir alle ausgelöscht werden?«

Der Dämon blickte Grundy an. »Halbding, hat ihre Herausforderung Substanz?«

»Was steckt denn für mich dabei drin?« wollte der Golem wissen. Der Dämon hob einen Finger, und Grundy wurde von Licht umhüllt. »Das hier.«

Das Licht drang in den Golem ein – und schon hatte er sich verwandelt. Nun war er kein Ding aus Lehm und Bindfäden mehr, sondern stand auf richtigen Beinen und besaß ein lebendiges Gesicht. Nun war er ein Elf.

»Ich … ich bin wirklich!« rief er. Als er den Blick des Dämons auf sich ruhen sah, fiel ihm die Frage wieder ein. »Ja, ihre Herausforderung hat Substanz. Es gehört zum Wesen einer fühlenden Kreatur. Du mußt lachen und weinen. Leid und Dankbarkeit erfahren und … und … es ist einfach das Wunderbarste, was man –«

»Dann werde ich darüber nachdenken«, sagte der Dämon. »In einem Jahrhundert oder so, wenn ich meine neue Nomenklatur ausgearbeitet habe.« Er wandte sich an Cherie. »Würde ein Geschenk dich befriedigen, Stute?«

»Ich brauche nichts«, sagte sie. »Ich habe ja Chester. Bink mußt du fragen.«

»Dann gewähre ich Bink einen Wunsch.«

»Nein, doch nicht so! Du mußt zeigen, daß du es wirklich verstanden hast, indem du ihm etwas Nettes gibst, was ihm selbst nicht eingefallen wäre.«

»Aha, noch eine Herausforderung«, sagte der Dämon. Er überlegte. Dann hob er Cherie mit einer Hand auf. Bink und Chester zuckten beunruhigt zusammen, doch es wirkte nicht feindselig. »Würde das genügen?« Er hob sie an seinen Mund und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sein Mund war so groß, daß das Flüstern ihren ganzen Körper erschütterte, dennoch konnte man nichts verstehen.

Cherie zuckte zusammen. »He, natürlich würde das genügen! Du verstehst es ja doch!«

»Eine reine Interpolation aufgrund beobachteter Verhaltensweisen seiner Art.« Der Dämon stellte sie wieder auf den Boden und schnippte mit den Fingern. Eine kleine

Kugel erschien in der Luft und schwebte auf Bink zu, der sie ergriff. Es schien eine feste Blase zu sein. »Das ist dein Wunsch«, sagte der Dämon. »Du mußt ihn selbst wählen. Halte die Kugel vor deinen Körper und sprich deinen Wunsch aus, dann soll dir alles gehören, was in den Bereich der Magie fällt.«

Bink hielt die Kugel hoch. »Ich wünsche, daß die Männer, die während des Verschwindens der Magie aus ihrer Versteinerung befreit wurden, frei bleiben«, sagte er. »Und daß die Greifin auch nicht wieder in Gold verwandelt wird, jetzt, wo die Magie wieder wirkt. Und daß alle Wesen, die durch den Verlust der Magie getötet wurden, wie etwa die Gehirnkoralle –«

Der Dämon winkte ungeduldig ab. »Du sieht ja, daß die Blase nicht platzt. Das bedeutet, daß dein Wunsch nicht zulässig ist, und zwar aus zwei Gründen. Erstens betrifft er nicht dich selbst. Du hast nichts dadurch zu gewinnen. Zweitens können die Stein- und Goldzauber allenfalls erneut verhängt werden. Wenn sie einmal unterbrochen wurden, sind sie auch unwirksam geworden. Nur das magische Leben ist wiederhergestellt worden, wie etwa der Golem. Vergeude meine Aufmerksamkeit also nicht auf solch überflüssigen Kram. Dein Wunsch muß selbstisch sein.«

»Ach so.« Bink war perplex. »Mir fällt kein solcher Wunsch ein.«

»Es war aber sehr großzügig von dir«, murmelte Cherie.

Der Dämon wedelte mit der Hand. »Du mußt den Wunsch so lange mit dir tragen, bis er erfüllt wurde. Genug. Mich beginnen diese Trivialitäten zu langweilen.«

Und schon standen sie alle in dem Wald, den Bink, Cherie und das Fohlen verlassen hatten. Es war fast, als hätte der Dämon nicht existiert – bis auf die Kugel. Und Binks Freunde, die alle wieder anwesend und wohlauf waren. Und die Magie des Waldes, die wieder voll funktionierte. Selbst Cherie schien damit zufrieden zu sein.

Bink schüttelte den Kopf und steckte die Wunschkugel in seine Tasche. Alles, was er jetzt wollte, war, nach Hause zu Chamäleon zurückzukehren, und dafür bedurfte es keiner besonderen Magie.

»Ich werde Bink tragen, wie immer«, sagte Chester. »Cherie, du nimmst den Magier auf –« Er hielt inne. »Crombie! Wir haben den großschnäbeligen Greif vergessen!«

Bink fuhr mit der Hand in seine Tasche. »Nein, ich habe ihn hier in der Flasche. Ich kann ihn jetzt freilassen –«

»Nein, laß ihn ruhig noch ein Weilchen schmoren«, meinte Chester. Offenbar hatte er dem Soldaten den blutigen Kampf noch nicht vergeben.

»Das ist wahrscheinlich das beste«, stimmte Cherie ihm zu. »Als er eingesperrt wurde, war er in einem Kampf um Leben und Tod befangen. Es könnte sein, daß er kämpfend heraus kommt.«

»Soll er doch!« sagte Chester kampflustig.

»Ich glaube, es ist besser zu warten«, sagte Bink. »Für alle Fälle.«

Trotz der Dämmerung kamen sie gut voran. Nur Chester hatte ein Problem. »Ich habe den Dienst für eine Antwort bezahlt«, sagte er zu dem Guten Magier. »Aber ich habe mein eigenes Talent selbst entdeckt. Jetzt könnte ich nach Cheries Talent fragen –«

»Aber das kenne ich doch schon«, sagte Cherie und errötete etwas bei diesem Eingeständnis von etwas fast-Obszönem. »Verschwende deine Frage bloß nicht darauf!«

»Du kennst dein Talent?« sagte Chester verblüfft. »Was –«

»Ich sag’s dir ein anderes Mal«, erwiderte sie keusch.

»Aber dann habe ich ja gar keinen Wunsch mehr übrig … eine Frage, meine ich natürlich. Ich habe mit meinem Leben dafür bezahlt, weiß aber nicht, was ich fragen soll.«

»Kein Problem«, meinte Humfrey. »Ich kann dir sagen, was du fragen sollst.«

»Ach ja?« Dann erkannte Chester die Falle. »Aber dann würde ich ja die Frage aufbrauchen! Ich meine, wenn Sie mir die Frage nennen, dann wäre das ja schon die Antwort – und dann muß ich erneut für die Antwort auf meine Frage bezahlen!«

»Stimmt, das ist wohl ein Problem«, meinte Humfrey. »Vielleicht willst du ja noch einmal bezahlen …«

»Auf keinen Fall!« rief Cherie. »Keine Abenteuer mehr fern von zu Hause!«

»Schon schwindet meine Freiheit«, brummte Chester, aber er war nicht wirklich böse.

Bink hörte beklommen zu. Er war zwar froh, nach Hause kommen zu dürfen, aber er hatte immer noch Schuldgefühle wegen Juwel. Er hatte einen Wunsch – aber wußte, daß er sich nicht einfach wünschen konnte, daß Juwel aufhörte, ihn zu lieben. Ihre Liebe war echt und nicht magisch und würde sich nicht durch Magie aus der Welt schaffen lassen. Und wie würde Chamäleon auf diese ganze Angelegenheit reagieren? Er mußte es ihr erzählen …

Als die Nacht vollends hereingebrochen war, galoppierten sie auf den Palast zu. Das Gelände wurde von Mondfaltern erleuchtet, die ein unirdisch schönes, grünliches Schimmern verbreiteten.

Königin Iris war offenbar wachsam, denn als sie den Palast betraten, stiegen drei Monde auf, um ihn zu beleuchten.

Darüber hinaus erklangen Fanfarenklänge zur Begrüßung, und man führte sie sofort in die Bibliothek, in der sich der König am liebsten aufzuhalten pflegte.

Ohne große Umschweife erstattete Bink dem König Bericht, und Trent hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als Bink geendet hatte, nickte er. »Ich werde dafür sorgen, daß der Schild aufgestellt wird, wie Sie es empfehlen. Ich denke, daß wir die Gegenwart des Dämons nicht öffentlich bekanntgeben, aber dafür sorgen sollten, daß er ungestört bleibt.«

»Ich wußte, daß Euer Majestät das so sehen würden«, sagte Bink erleichtert. »Ich … ich habe ja nicht geahnt, welch schreckliche Folgen meine Suche haben würde. Es muß ja fürchterlich gewesen sein, so ganz ohne Magie.«

»O nein, ich hatte keinerlei Probleme«, sagte der König. »Vergessen Sie nicht, daß ich zwanzig Jahre in Mundania verbracht habe. Ich habe mir immer noch einige unmagische Eigenarten bewahrt. Aber Iris stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, und dem Königreich erging es auch nicht viel besser. Trotzdem glaube ich, daß das Ganze alles in allem ganz gut war. Jetzt wissen die Bürger ihre Magie wenigstens richtig zu schätzen.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, meinte Bink. »Ich habe selbst nicht gewußt, wie wichtig die Magie für Xanth ist, bis sie verschwunden ist. Aber unsere Gruppe hier hat noch alle möglichen magischen Restprobleme mitgebracht. Chester hat eine Antwort zuviel, ich habe einen Wunsch, den ich nicht gebrauchen kann, und Crombie ist noch in –«

»Ach ja«, sagte der König. »Wir lassen ihn jetzt wohl besser frei.«

Bink entkorkte die Flasche, und der Greif flog heraus. »Skwaak!« rief er.

»Wurde aber auch Zeit«, übersetzte Grundy.

König Trent blickte den Greif an – da verwandelte er sich wieder in einen Menschen. »Na ja«, sagte Crombie und befühlte seinen Körper, um sicherzugehen. »Ihr hättet mich nicht eingesperrt lassen müssen. Ich hab’ schließlich die ganze Zeit mithören können.« Dann drehte er sich zu Chester um. »Und was dich angeht, du Hufkopf – ich habe nur deswegen gegen dich gekämpft, weil die Koralle mich in ihrer Gewalt hatte. Als das vorbei war, hättest du dich nicht mehr vor mir zu fürchten brauchen.«

Chester schwoll an. »Mich vor dir fürchten! Du Federgehirn von einem –«

»Wir können’s jederzeit noch mal miteinander probieren, Pferdeschwanz –«

»Das genügt«, sagte der König sanft, und beide schwiegen, wenn auch nicht gerade huldvoll.

König Trent lächelte und wandte sich wieder an Bink. »Manchmal scheint Ihnen das Offensichtliche zu entgehen, Bink. Lassen Sie sich von Chester seine Antwort geben.«

»Von Chester? Aber es ist doch seine –«

»Ach was, kannst du gerne haben«, sagte Chester. »Ich brauche sie nicht.«

»Aber ich habe doch schon einen Wunsch, den ich nicht gebrauchen kann und –«

»Und jetzt können Sie mit Chesters Frage den Guten Magier fragen, was Sie mit Ihrem Wunsch anfangen sollen«, schlug der König vor.

Bink drehte sich zu Humfrey um. Der Magier schnarchte gemütlich in einem bequemen Stuhl. Ein betretenes Schweigen setzte ein.

Grundy schritt zu dem Magier und zupfte ihn am Fußknöchel.

»An die Arbeit, Winzling!«

Humfrey schreckte auf. »Gib ihn an Crombie weiter«, sagte der Magier, bevor Bink auch nur den Mund öffnen konnte, dann nickte er wieder ein.

»Wie?« sagte Chester. »Ich soll dafür geschuftet haben, damit dieser Vogel einen Wunsch freibekommt?«

Bink wunderte sich zwar auch, reichte Crombie aber die Wunschkugel. »Darf ich fragen, was du damit anfangen willst?«

Crombie zögerte einen Augenblick voller Verlegenheit, was bei ihm recht ungewöhnlich war. »Ah, Bink, du erinnerst dich doch sicherlich an diese Nymphe; die, die –«

»Juwel«, meinte Bink zustimmend. »Ich mag gar nicht daran denken, was ich meiner Frau –«

»Na ja, ich … äh … ich hatte doch eine Scherbe des magischen Spiegels mit in der Flasche und habe damit Sabrina beobachtet, und …«

»Ich fürchte, Beständigkeit war noch nie ihre starke Seite«, warf der König ein. »Ich glaube sowieso nicht, daß Sie beide füreinander geschaffen sind.«

»Was ist denn nun mit ihr?« fragte Bink verwundert.

»Sie wollte mich linken«, sagte Crombie finster. »Gerade als sie mich so weit hatte … aber der andere Bursche ist verheiratet, deshalb wollte sie so tun, als wäre es mein Kind, und … Ich wußte ja, daß man keiner Frau trauen kann!«

»Das tut mir leid«, sagte Bink. »Aber ich glaube, daß du sie wohl besser fahren läßt. Es hat keinen Sinn, einen Wunsch für Rache zu vergeuden.«

»Nein, das wollte ich auch nicht«, versicherte Crombie ihm.

»Ich kann jetzt keiner Frau mehr trauen. Aber eine Nymphe könnte ich wohl lieben –«

»Juwel?« fragte Bink erstaunt.

»Ich erwarte ja gar nicht, daß du das glaubst«, sagte Crombie ernst. »Ich glaub’s ja selbst kaum. Aber ein Soldat muß sich den Realitäten stellen. Ich habe die Schlacht schon verloren, bevor sie begonnen hat. Da lag ich in der Spalte, wo du mich fertiggemacht hast, Bink – nein, ich nehme es dir nicht übel, war ein höllisch guter Kampf, aber es tat wirklich schlimm weh. Plötzlich war sie dann da, duftete nach Tannennadeln und Gardenien und brachte mir das Heilelixier. Ich habe noch nie im Leben so was Schönes gesehen. Sie war schwach und unschlüssig, eben wie eine richtige Nymphe. Keine Bedrohung für einen Mann, schon gar nicht, wenn er Soldat ist. Keine Konkurrenz. Die Art Frau, mit der ich zurechtkäme. Und wie sie da so neben dir stand …« Crombie schüttelte den Kopf. »Deshalb bin ich auch wieder in der Flasche verschwunden, nachdem ich dir gezeigt hatte, wo das Gegenmittel war. Ich wollte dieser Nymphe nicht weh tun, und wenn ich dich getötet hätte, hätte es ihr das Herz zerrissen. Und wenn ihr das Gegenmittel findet, dachte ich mir, würdest du sie nicht mehr lieben, und das wäre mir sehr recht gewesen. Sie ist schön und treu. Aber da sie dich immer noch liebt …«

»Das ist hoffnungslos«, sagte Bink. »Ich werde sie nie wieder sehen, und selbst wenn …« Er zuckte die Schultern. »Zwischen uns kann es nichts geben.«

»Eben, und wenn du nun nichts dagegen hast, möchte ich mir wünschen, daß sie etwas von diesem Liebestrank einnimmt und mich als nächstes sieht.«

»Aber du reist doch gerne«, sprach Chester Binks Einwand aus. »Sie lebt unter der Erde und pflanzt Edelsteine. Das ist doch ihre Arbeit, und die wird sie nicht aufgeben.«

»Ja, dann werden wir uns immer wieder trennen und erneut treffen«, meinte Crombie. »Dann sehe ich sie nur einen Teil der Zeit. So gefällt mir das auch. Schließlich bin ich Soldat.«

Womit Binks Problem elegant gelöst war.

»Und was ist mit mir?« fragte Grundy. »Ohne Vogelschnabel bin ich arbeitslos. Ich bin jetzt wirklich, ich kann nicht einfach wieder verschwinden.«

»Hier am Hof brauchen wir gelegentlich Dolmetscher«, erwiderte der König. »Wir werden schon eine Beschäftigung für Sie finden.« Er blickte sich im Raum um. »Das dürfte für heute abend genügen. Es sind Unterkünfte für Sie im Palast vorbereitet worden.«

Und er führte sie aus der Bibliothek. Bink war der letzte. »Ich … es tut mir leid, daß ich diesen ganzen Ärger ausgelöst habe. Der Gute Magier hat versucht, mich zu warnen, und Beauregard der Dämon auch, aber ich wollte einfach nicht hören. Nur weil ich wissen wollte, was die Quelle der Magie ist –«

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte der König mit beruhigendem Lächeln. »Ich habe von Anfang an gewußt, daß die Sache nicht ungefährlich sein würde – aber ich war mindestens so neugierig wie Sie auch, und ich war der Meinung, daß es besser sei, wenn Sie diese Entdeckung machen würden als irgendein anderer. Ich wußte, daß Ihr Talent Sie vor Unheil bewahren würde.«

»Aber mein Talent war doch verschwunden, nachdem die Magie –«

»Wirklich, Bink? Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß die Wiederkehr des Dämons ein ungewöhnlicher Glücksfall war?«

»Na ja, er wollte halt an einen ungestörten Ort, wo er –«

»Den hätte er sich auch irgendwoanders im Universum einrichten können. Was hat ihn denn wirklich zurückgeführt? Ich meine, daß es Ihr Talent war, das immer noch Ihre langfristigen Interessen im Auge hatte. Ihre Ehe war bedroht, deshalb hat Ihre Magie sich einen etwas ungewöhnlichen Umweg erlaubt, um sie wieder in Ordnung zu bringen.«

»Ich … ich kann einfach nicht glauben, daß mein Talent den Ursprung der Magie selbst beeinflussen kann!« protestierte Bink.

»Damit habe ich keinerlei Schwierigkeiten. Man nennt diesen Vorgang Rückkopplung, man kann das ganze Leben als einen Rückkopplungsvorgang betrachten. Davon wird dann natürlich auch der Ursprung des Ganzen berührt. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, hätte Ihr Talent die Ereigniskette vorhersehen und einen Weg einschlagen können, der die Magie notgedrungen nach Xanth zurückbringen würde. Jedenfalls bin ich zufrieden mit dem Ergebnis Ihrer Suche, und das sollten Sie auch sein. Ich vermute, daß der Dämon X(A/N)th nicht zurückgekehrt wäre, wenn ihn ein anderer befreit hätte. Aber das ist wohl eine rein akademische Frage. Wir müssen eine neue Aufgabe für Sie finden, doch das hat keine Eile. Gehen Sie jetzt erst mal nach Haus zu Ihrer Frau und Ihrem Sohn.«

»Sohn?«

»Ach, habe ich das vergessen? Seit heute abend sind Sie der Vater eines Kindes von Magierformat, mein wahrscheinlicher Thronfolger – wenn es soweit ist. Ich glaube, daß das Talent des Säuglings das Geschenk des Dämons an Sie ist, und vielleicht ist das ein weiterer Grund, weshalb Ihr Talent Sie zu diesem Abenteuer getrieben hat.«

»Welches Talent hat das Baby denn?« fragte Bink, dem schwindlig zu Mute war. Sein Sohn – von Geburt an als Magier erkannt!

»Oh, ich will Ihnen doch nicht die Überraschung verderben! Gehen Sie nur nach Hause und sehen Sie selbst!« König Trent klopfte ihm herzlich auf die Schulter. »Jedenfalls wird es bei Ihnen zu Hause nie mehr langweilig sein!«

Bink machte sich auf den Weg. Im Lande Xanth wiederholte sich niemals ein Talent, außer vielleicht bei den Strudelungeheuern, also konnte sein Sohn kein Verwandler wie der König sein und auch kein Sturmbeherrscher wie der vorige König. Auch kein Magieanpasser wie König Roogna, der Schloß Roogna erbaut hatte, oder ein Illusionsmagier wie Königin Iris. Was mochte es nur dann sein, wenn es sich schon so früh zeigte?

Als er sich der leicht nach Käse duftenden Hütte am Rande des Palastgeländes näherte, mußte Bink an Chamäleon denken. Sie waren erst eine Woche voneinander getrennt, aber es kam ihm vor wie ein ganzes Jahr. Sie würde jetzt in ihrer normalen Phase sein, von durchschnittlichem Aussehen und ebensolcher Intelligenz, genau so, wie sie ihm am liebsten war. Jetzt brauchten sie sich keine Sorgen mehr über ihr Kind zu machen, der Junge war kein Wandelmensch wie sie, und sein Talent blieb auch nicht verborgen wie das seine. Binks Liebe zu ihr war durch den Liebestrank auf eine harte Probe gestellt worden. Welch eine Erleichterung, daß Crombie nun Juwel haben wollte … obwohl auch das eine weitere Leistung seines Talents sein konnte.

Jemand trat aus der Hütte. Es war eine Frau, die im Licht der drei Monde einen dreifachen Schatten warf und sehr schön war. Er lief mit einem Ausruf der Freude auf den Lippen auf sie zu, ergriff sie – und merkte, daß es gar nicht Chamäleon war.

»Millie!« rief er und ließ sie hastig wieder los. Sie besaß zwar einen phänomenalen Sexappeal, aber er wollte nur Chamäleon. »Millie das Gespenst! Was machst du denn hier?«

»Ich betreue deine Frau«, sagte Millie. »Und deinen Sohn. Ich glaube, mir gefällt es, wieder als Kindermädchen zu arbeiten. Besonders für eine derart wichtige Person.«

»Wichtig?« fragte Bink verständnislos.

»Er spricht mit Dingen!« platzte sie heraus. »Ich meine, er plärrt sie an, und sie antworten ihm. Seine Wiege hat ihm ein Wiegenlied gesungen, sein Kopfkissen quakte wie eine Ente, ein Stein hat mich gewarnt, nicht über ihn zu stolpern, damit ich den Magier nicht fallen lasse –«

»Kommunikation mit toten Gegenständen!« hauchte Bink, dem die Tragweite des Talents plötzlich klar wurde. »Dann wird er sich nie verlaufen, weil die Steine ihm den Weg zeigen. Er wird nie Hunger leiden, weil Seen ihm sagen werden, wo er am besten fischen kann, oder Bäume – nein, Bäume nicht, die leben ja, aber irgendein Stein ihm sagen kann, wo er Früchte suchen muß. Auf diese Weise wird er mehr Wissen ansammeln als der Gute Magier Humfrey, und das, ohne Verkehr mit Dämonen zu pflegen! Obwohl einige meiner besten Freunde Dämonen sind, Beauregard zum Beispiel … Niemand wird ihn betrügen und verraten können, weil schon die Wände ihn über jede Verschwörung aufklären können. Er –«

Eine grimmige Gestalt erschien aus dem Schatten, Erdklumpen fielen von ihr ab. Bink griff an sein Schwert. »Nein, das ist schon in Ordnung«, rief Millie. »Das ist bloß Jonathan!«

»Das ist kein Mensch, sondern ein Zombie!« wandte Bink ein.

»Es ist ein alter Freund von mir«, erklärte sie. »Ich kannte ihn schon damals, als Schloß Roogna noch jung war. Jetzt, wo ich wieder lebe, fühlt er sich für mich verantwortlich.«

»Aha.« Bink spürte, daß noch mehr dahinterstecken mußte – doch im Augenblick wollte er lediglich zu seiner Frau und zu seinem Sohn. »War das der Zombie, dem ich begegnet bin …?«

»Im Garten, ja. Er hat sich am Abend der Jubiläumsfeier im Labyrinth der Königin verirrt. Dann ist er in den Palast gekommen, zu mir, und ist eingemacht worden. Es war gar nicht so einfach, das wieder rückgängig zu machen! Jetzt suchen wir nach einem Zauber, der ihn wieder zum Leben erwecken kann, damit wir …« Sie errötete schamhaft. Der Zombie war wohl mehr als nur ein Freund gewesen. Millie hatte sich während der Feier auf geradezu peinliche Weise für Bink interessiert, aber das hatte sich durch das Erscheinen des Zombies offenbar geändert. Wieder ein unerledigtes magisches Problem, das sich plötzlich gelöst hatte.

»Wenn mein Sohn älter ist, können wir ihn danach fragen«, sagte Bink. »Es muß doch irgendwo einen Stein geben, der weiß, wo man einen Wiederherstellungszauber für Zombies finden kann.«

»Ja! Genau!« rief Millie erfreut. »Oh, danke schön!«

Bink wandte sich an den Zombie, reichte ihm allerdings nicht die Hand. »Ich glaube, du warst ein weiteres Omen für mich, Jonathan. Als ich dich das erste Mal traf, warst du ein Zeichen für den Tod mit all seinen Schrecken: den Tod der Magie. Aber durch diesen Tod habe ich eine Art Wiedergeburt gefunden – und das wirst du auch.«

Bink wandte sich zur Tür seiner Hütte um, bereit, endlich seine Familie aufzusuchen.

 

 

 

ENDE