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Die Schatzsuche

 

Jetzt besaß er endlich eine Herausforderung, so oberflächlich diese auch sein mochte. Zuerst mußte er nachdenken. Millie befand sich nicht unbedingt wirklich in einem Wand- oder Kleiderschrank. Ihre Gebeine mußten sich wohl auf dem Gelände des Palastes befinden, denn ihr Geist war ja auch hier – aber das konnte auch im Graben sein oder sogar im Garten. Jedenfalls abseits der vielbesuchten Teile. Es sei denn, die Knochen waren unter dem Fußboden oder zwischen irgendwelchen Wänden begraben. Doch das war unwahrscheinlich, denn die Mauern des Palastes waren recht solide, von Haltbarkeitszaubern verstärkt. Den Fußboden oder eine Wand aufzubrechen würde schwere Arbeit bedeuten. Angenommen, daß Millie plötzlich und unter verdächtigen Umständen gestorben war (denn sonst wäre sie nicht zum Gespenst geworden), dann hatte ihr Mörder ihre Leiche schnell und heimlich verstecken müssen. Nein, der hatte bestimmt keine Wände hochgezogen, um sie zu verbergen! Das hätte der alte König Roogna niemals geduldet.

Wo konnte man einen Leichnam binnen weniger Minuten verstecken, und zwar so, daß er für Jahrhunderte verborgen blieb? Die Renovierungsarbeiten des Königs hatten das ganze Schloß Roogna abgedeckt, um es in einen Palast für das jetzige Königreich umzuwandeln. Die Arbeiter hätten bestimmt kein Skelett übersehen. Folglich schien die Sache vom Technischen her unmöglich. Es konnte hier keine Skelette in Wandschränken geben.

Bink sah, wie andere Männer bereits eifrig alle Schränke durchstöberten. Es hatte gar keinen Zweck, sich auf einen Wettbewerb mit ihnen einzulassen, selbst wenn sich das Skelett dort befinden sollte.

Technisch unmöglich – ah, das war es! Magisch war es nicht unmöglich! Man mußte die Knochen in etwas anderes, Unauffälliges verwandelt haben, in etwas Irreführendes. Die Frage lautete nur – in was? Im Palast gab es tausend Gegenstände, die alle dafür in Frage kamen. Und doch war eine Verwandlung große Magie, und welche einfache Zofe würde sich mit einem Magier anlegen? Vielleicht waren ihre Knochen also doch in ihrem Urzustand verblieben, vielleicht auch aufgelöst oder zu Pulver zermahlen worden? Egal, auf jeden Fall mußte es einen Hinweis auf sie geben, man mußte ihn nur erraten. Wirklich ein höchst aufregendes Rätsel!

Bink schritt an das Büffet. Es war üppig belegt mit Torten, Teigkringeln, Keksen, Kuchen, Pasteten und verschiedensten Getränken. Chester war gerade dabei, sich vollzustopfen. Bink schritt um den Tisch, auf der Suche nach etwas Interessantem. Als er sich der Jubiläumstorte näherte, zischte die Marinadekatze ihn warnend an. Sie hatte einen Katzenkörper und eine grüne, stachelige Schnauze wie eine marinierte Gurke, und ihre Augen waren feucht von Salzwasser. Einen Augenblick lang war er versucht, seine Magie gegen ihre zu stellen. Magie konnte ihm nichts anhaben, und doch würde das Katzenvieh sicherlich versuchen, ihn einzulegen. Was würde dann wohl geschehen?

Doch nein – er war schließlich kein jugendlicher Draufgänger, der sich mit närrischen Herausforderungen beweisen mußte. Warum sollte er seinem Talent unnötige Mühe bereiten?

Er entdeckte einen Lächelkeks und hob ihn auf. Als er ihn an seinen Mund führte, verwandelte sich das Lächeln in ein entsetztes O. Bink zögerte. Er wußte zwar, daß dies nur mal wieder eine der Illusionen der Königin war, dennoch mochte er nicht hineinbeißen. Der Keks zog eine Grimasse, offenbar in Erwartung seines grausigen Endes. Als der Biß schließlich ausblieb, öffnete er langsam ein Zuckergußauge.

»Hier, Pussy, nimm du ihn«, sagte Bink und reichte dem angebundenen Wesen den Keks. Ein leises Zupp!, und der Keks war mariniert, mit einem geöffneten und einem geschlossenen Auge. Nun stank er nach Salzlake. Er legte ihn auf den Boden, und die Marinadekatze kroch hervor und nahm den Keks ins Maul. Bink war plötzlich nicht mehr hungrig.

»Ihr Zauber ist krank«, sagte eine Frau neben ihm. Es war die alte Zauberdoktorin, die ihre unerwartete Teilnahme am Fest sichtlich genoß. Theoretisch war das Fest für jeden offen, doch die wenigsten Feld-Wald-und-Wiesen-Bürger hatten den Mut, daran teilzunehmen. »Aber er ist zu stark, als daß ich ihn heilen könnte. Sind Sie ein Magier?«

»Nein, nur ein stark talentierter Niemand«, sagte Bink und wünschte, es wäre wirklich so spaßig, wie es sich anhören sollte.

Sie konzentrierte sich. »Nein, ich habe mich geirrt. Ihr Zauber ist gar nicht krank, er ist nur blockiert. Ich glaube, ihm fehlt es an Übung. Haben Sie Ihr Talent im letzten Jahr viel benutzt?«

»Ein bißchen«, sagte Bink und dachte an seine knappe Rettung von den Grabenungeheuern. »Nicht viel.«

»Man muß seine Magie gebrauchen, sonst verliert man sie«, sagte sie weise.

»Aber wenn man keine Gelegenheit dazu hat?«

»Es gibt immer eine Gelegenheit – in Xanth.«

Das erschien ihm kaum als zutreffend, zumindest nicht hier im Palast. Sein Talent schützte ihn vor den meisten Bedrohungen – aber das tat die Gunst des Königs auch.Deshalb kam sein Talent vielleicht tatsächlich aus der Übung und schlaffte ab. Sein Kampf mit dem belebten Schwert war die erste echte Gelegenheit seit langem für ihn gewesen, sein Talent anzuwenden, und selbst dann hatte er versucht, es zu vermeiden. Also hatte er praktisch nur seine Schwimmpartie im Graben vorzuweisen. Er war immer noch etwas feucht am Leib, doch die Unterseedekoration verdeckte dies. Mußte er tatsächlich die Gefahr suchen, um sein Talent bei Gesundheit zu halten? Das wäre wirklich eine Ironie des Schicksals.

Die Frau zuckte die Schultern und ging weiter, um neue Köstlichkeiten zu probieren. Bink blickte sich um – und sah in Millies gespenstische Augen.

Er ging auf sie zu. »Wie läuft’s?« fragte er höflich.

Aus großer Nähe konnte man das Gespenst gut verstehen. Vielleicht war es eine Hilfe, daß Millie ihre weißen Lippen beim Sprechen bewegte. »Es ist alles so aufregend!« flüsterte sie. »Wieder vollständig und ganz sein zu dürfen!«

»Bist du sicher, daß es sich lohnt, sterblich zu sein?« fragte er. »Manchmal wird ein Traum ja wahr, und das versauert einem dann das ganze Leben.« Für wen hatte er das gesagt – für Millie oder für sich selbst?

Sie blickte ihn voller Sympathie an. Er konnte die anderen Gäste hinter ihr umhergehen sehen, denn sie war durchsichtig. Es war nicht ganz einfach, sich auf sie zu konzentrieren. Und doch war sie schön, auf eine ganz aparte Weise: nicht nur ihr Gesicht und ihre Figur, sondern auch ihr nettes Wesen und ihre Anteilnahme. Millie hatte Chamäleon viel geholfen, hatte ihr gezeigt, wo was lag, welche Früchte eßbar waren und welche nicht, hatte das Schloßprotokoll erläutert. Millie war es gewesen, die Bink ungewollt eine andere Seite des Magiers Trent offenbart hatte, damals, als Bink den Mann noch für böse gehalten hatte. »Es wäre so nett, wenn du meine Gebeine finden würdest.«

Bink lachte verlegen. »Millie, ich bin ein verheirateter Mann!«

»Ja«, sagte sie, »verheiratete Männer sind die besten. Sie sind – geschult, erfahren, zärtlich, ausdauernd und reden nicht einfach so daher. Für meine Wiederkehr ins Leben, für die erste Erfahrung, wäre es so nett, wenn –«

»Du verstehst mich nicht, Millie«, sagte Bink. »Ich liebe meine Frau, Chamäleon.«

»Ja, natürlich bist du treu«, erwiderte Millie. »Aber ich weiß, daß sie gerade in ihrer häßlichen Phase ist und im neunten Monat schwanger. Und ihre Zunge ist so spitz wie der Stachel einer Manticora. Gerade jetzt brauchst du etwas Trost und Entlastung, und wenn ich mein Leben zurückgewinnen sollte – «

»Bitte hör auf!« rief Bink. Das Gespenst hatte voll ins Schwarze getroffen.

»Und ich liebe dich auch, mußt du wissen«, fuhr sie fort. »Du erinnerst mich an – an den Mann, den ich wirklich liebte, als ich noch lebendig war. Aber er ist seit achthundert Jahren tot.« Nachdenklich betrachtete sie ihre nebligen Finger. »Als ich dich das erste Mal sah, Bink, da konnte ich dich nicht heiraten. Ich konnte dich nur sehnsuchtsvoll anschauen. Weißt du, wie das ist, alles mitzubekommen und niemals daran teilhaben zu dürfen? Ich wäre so gut zu dir gewesen, wenn ich nur –« Sie brach ab und verbarg ihr Gesicht. Ihr ganzer Kopf wurde unscharf.

Bink war verlegen und gerührt. »Es tut mir leid, Millie, das wußte ich nicht.« Er legte seine Hand auf ihre zitternde Schulter, doch sie drang natürlich sofort hindurch. »Es ist mir nie in den Sinn gekommen, daß du einmal dein Leben wiedererlangen könntest. Wenn ich das –«

»Ja, natürlich«, schluchzte sie.

»Aber du wirst ein sehr hübsches Mädchen sein. Ich bin sicher, daß es viele andere nette junge Männer gibt, die –«

»Ja, ja«, sagte sie und zitterte immer heftiger. Jetzt verschwamm ihr ganzer Körper vor seinen Augen. Die anderen Gäste starrten sie an. Das wurde ja langsam peinlich!

»Wenn ich irgend etwas für dich tun kann –« sagte Bink. Sofort erhellte sich ihre Miene und wurde entsprechend schärfer. »Finde meine Knochen!«

Zum Glück ließ sich das nicht so leicht bewerkstelligen. »Ich werde danach suchen«, versprach Bink. »Aber ich habe auch nicht mehr Chancen als die anderen.«

»O doch. Du weißt, wie man es tun muß, wenn du deinen wunderbaren Verstand nur etwas anstrengst. Ich darf dir ja nicht sagen, wo sie sind, aber wenn du es wirklich versuchst –« Sie blickte ihn eindringlich an. »Es ist schon so viele

Jahrhunderte her. Versprich mir, daß du es versuchen wirst!«

»Aber ich – was würde Chamäleon denken, wenn ich –«

Millie legte das Gesicht in ihre Hände. Die Blicke der anderen Gäste wurden immer deutlicher, während die Umrisse des Gespenstes immer undeutlicher wurden. »Also gut, ich will’s versuchen«, versprach Bink erneut. Warum hatte ihn sein Talent nicht hiervor beschützt? Doch sein Talent hatte sich ja noch nie um seine Gefühle gekümmert.

Das Gespenst lächelte. »Beeil dich«, sagte Millie und schwebte davon, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren.

Bink entdeckte Crombie und ging auf ihn zu. »Langsam verstehe ich deine Ansichten«, meinte er.

»Ja, ich habe gesehen, wie sie dich bearbeitet hat«, stimmte Crombie ihm zu.

»Sie hat schon eine ganze Weile heimlich ein Auge auf dich geworfen. Als Mann hat man ja kaum noch eine Chance, wenn man von einem dieser Weiber in die Mangel genommen wird.«

»Sie glaubt, daß ich ihre Knochen als erster finden kann. Und jetzt muß ich es auch versuchen, und zwar richtig, nicht nur halbherzig.«

»Ein Kinderspiel«, meinte Crombie. »Ihre Knochen liegen in dieser Richtung.« Er schloß die Augen und zeigte schräg empor.

»Ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten!« fauchte Bink.

»Huch, ja, entschuldige! Vergiß es wieder.«

»Das kann ich nicht. Jetzt muß ich dort nachsehen, und du kannst schon Gift drauf nehmen, daß ich sie nun auch finden werde. Millie muß gewußt haben, daß ich dich fragen würde. Vielleicht ist das ja ihr Talent: Dinge im voraus zu wissen.«

»Warum ist sie dann nicht abgehauen, bevor sie ermordet wurde?«

Eine gute Frage. »Vielleicht lag sie gerade im Schlaf –«

»Na ja, du bist jedenfalls nicht am Schlafen. Du kannst deinen Kopf immer noch aus der Affäre ziehen. Irgend jemand anders wird sie schon finden, besonders wenn ich ihm einen Hinweis gebe.«

»Warum suchst du denn dann nicht die Knochen selbst?« fragte Bink. »Du brauchst doch nur deinem Finger zu folgen, dann hast du sie im Nu gefunden.«

»Kann ich nicht. Bin im Dienst.« Crombie lächelte selbstzufrieden. »Außerdem hast du mir schon genug Frauenprobleme aufgehalst.«

Oh. Bink hatte den Frauenhasser seiner ehemaligen Verlobten, Sabrina, vorgestellt, einem talentierten, schönen Mädchen, das er doch nicht wirklich geliebt hatte. Offenbar hatte das Folgen gehabt. Jetzt genoß Crombie seine Rache.

Bink raffte sich auf und ging in die angezeigte Richtung. Die Knochen mußten sich irgendwo in einem der Obergeschosse befinden. Doch vielleicht würde man sie auch dort nicht so ohne weiteres entdecken. Wenn er sich ehrliche Mühe gab und das Skelett doch nicht fand –

Doch wäre ein Rendezvous mit Millie wirklich so schlimm? Alles, was sie gesagt hatte, war wahr: Chamäleon machte wirklich eine schlechte Zeit durch, und man überließ sie wirklich am besten sich selbst. So lange, bis sie wieder in ihre schöne, nette Phase kam und ihr Kind geboren hatte.

Nein, das war der erste Schritt in den Ruin. Er hatte Chamäleon schon vor ihrer Heirat gekannt und genau gewußt, daß es gute und schlechte Zeiten geben würde. Er mußte es einfach durchstehen und konnte es sich nicht erlauben, mit Millie oder irgendeiner anderen Frau anzubändeln.

Er konzentrierte sich auf den Raum, der in der von Crombie angezeigten Richtung lag. Es war die Königliche Bibliothek, in der die Überlieferungen von Jahrhunderten gesammelt waren. Sollte sich das gespenstische Skelett dort befinden?

Bink trat ein – da saß der König. »Oh, Verzeihung, Euer Majestät. Ich wußte nicht –«

»Kommen Sie herein, Bink«, erwiderte König Trent mit einem herzlichen Lächeln. Er war immer noch jeder Zoll ein Monarch, selbst jetzt, wo er halb über den Tisch gebeugt dasaß. »Ich habe gerade über ein persönliches Problem nachgedacht, und vielleicht sind Sie mir geschickt worden, um mir die Antwort zu bescheren.«

»Ich kann mein eigenes Problem schon nicht lösen«, sagte Bink etwas eingeschüchtert. »Ich bin wohl kaum geeignet, Euch bei Euren Problemen behilflich zu sein.«

»Sie haben ein Problem?«

»Chamäleon ist sehr schwierig, ich selbst bin ruhelos, jemand versucht, mich umzubringen, und Millie das Gespenst will mich verführen.«

König Trent lachte – und hielt inne. »Ich sehe plötzlich, daß das kein Witz war«, sagte er. »Chamäleon wird sich schon wieder bessern, und Ihre Unruhe wird sich auch wieder legen. Aber was das andere angeht – wer trachtet Ihnen nach dem Leben? Ich kann Ihnen versichern, daß dies nicht mit königlicher Duldung geschieht.«

Bink schilderte sein Erlebnis mit dem Schwert. Der König wirkte nachdenklich. »Wir wissen beide, daß Ihnen allenfalls ein Magier mit solchen Mitteln schaden könnte, Bink – und es gibt nur drei Menschen dieses Kalibers in Xanth. Keiner davon will Ihnen übel, und keiner besitzt das Talent, Schwerter zu beleben. Also sind Sie auch nicht wirklich in Gefahr. Aber ich stimme Ihnen zu, das kann sich noch als äußerst lästig und unangenehm erweisen. Ich werde der Sache nachgehen. Da Sie das Schwert sichergestellt haben, müßten wir seinen Zauber eigentlich zurückverfolgen können. Wenn sich jemand an den Waffen aus meinem Arsenal vergriffen haben sollte –«

»Ah, ich glaube, daher kommt es auch«, sagte Bink. »Doch Chester Zentaur hat es gesehen und an sich genommen.«

»Ach so. Na ja, lassen wir das also. Es ist mir wichtig, daß mir die Zentauren treu verbunden bleiben, wie es jedem König in Xanths Geschichte wichtig gewesen ist. Chester kann das Schwert behalten, aber ich glaube, wir sollten seinen Eigenzauber ausschalten. Mir fällt allerdings auf, daß hier gewisse Ähnlichkeiten mit Ihrer eigenen Magie vorliegen. Was immer sich gegen Sie stellt, verbirgt sich und benutzt eine andere Magie als seine eigene, um Sie anzugreifen. Das Schwert ist nicht Ihr Gegner, es war lediglich das Werkzeug einer feindseligen Macht.«

»Magie wie meine eigene …« wiederholte Bink. »Das wäre denkbar. Es wäre zwar nicht genau die gleiche Magie, da sich Magie in Xanth ja niemals wiederholt, aber ähnlich –« Besorgt sah er den König an. »Das bedeutet aber, daß ich überall mit Schwierigkeiten rechnen muß, bei allem und jedem, und immer scheinbar zufälliger Art!«

»Von einem Zombie, einem Schwert, einem Grabenungeheuer oder einem Gespenst«, stimmte der König ihm zu. »Vielleicht liegt hier ja ein bestimmtes Schema vor.« Er machte eine Pause und dachte nach.

»Aber wie könnte ein Gespenst –«

»Sie soll ja wieder zum Leben erweckt werden, sobald ich ihr Skelett gefunden habe – und das könnte sich in diesem Raum befinden. Was mir am meisten Sorgen macht, ist, daß ich mich ernsthaft versucht fühle.«

»Millie ist ja auch recht ansehnlich«, sagte König Trent. »Diese Versuchung kann ich gut verstehen. Ich fühle mich manchmal selbst versucht. Darüber habe ich ja auch gerade nachgedacht.«

»Die Königin kann doch bestimmt jeder … äh, Versuchung gerecht werden«, sagte Bink vorsichtig. »Sie kann sich doch allem ähnlich machen –«

»Eben. Seit meine Frau gestorben ist, habe ich weder die Königin noch irgendeine andere Frau angerührt.« Das Wort »Frau« bedeutete für Trent nur die Frau, die er in Mundania geheiratet hatte. »Und doch stehe ich unter Druck, Xanth einen

Erben zu schenken, entweder durch Geburt oder durch Adoption, für den Fall, daß es keinen geeigneten Magier gibt, wenn die Zeit der Nachfolge da ist. Ich hoffe, es wird einen solchen Magier geben! Trotzdem fühle ich mich dazu verpflichtet, den Versuch zu machen, da es ja zu den Bedingungen gehörte, als ich den Thron bestieg. Aus ethischen Gründen hat dies mit der Königin zu geschehen; es kommt niemand sonst in Frage. Also werde ich es tun, obwohl ich sie nicht liebe und niemals lieben werde. Die Frage ist nur, welche Gestalt ich sie dabei annehmen lassen soll.«

Dieses Problem war zu persönlich, als daß Bink sich ihm gewachsen gefühlt hätte. »Jede Gestalt, die Euch gefällt, würde ich sagen.«

»Aber ich will nicht, daß sie mir gefällt. Ich will lediglich meine Pflicht erfüllen.«

»Warum denn nicht beides miteinander verbinden? Soll die Königin doch ihre verlockenste Illusionsgestalt annehmen, Ihr könntet sie ja sogar selbst entsprechend verwandeln. Wenn dann ein Erbe da ist, könntet Ihr sie zurückverwandeln. Es ist doch wohl nichts Schlimmes dabei, wenn Ihr Eure Pflichten auch genießt, oder nicht?«

Der König schüttelte den Kopf. »Normalerweise hätten Sie schon recht. Aber das hier ist ein besonderer Fall. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei einer schönen Frau – oder überhaupt bei einer anderen Frau, die nicht meiner Ehefrau gleicht – dazu in der Lage wäre.«

»Dann soll die Königin doch die Gestalt Ihrer Frau annehmen«, sagte Bink, ohne nachzudenken.

»Ich fürchte nur, daß dies meine Erinnerung an sie beflecken würde.«

»Ah, ich verstehe. Ihr meint, wenn sie Eurer Frau zu sehr gliche, könnte sie ihre Stelle einnehmen und –«

»So ungefähr.«

Das war eine echte Sackgasse. Wenn der König nur bei seiner verstorbenen Frau potent sein konnte, es andererseits aber auch bei keiner Frau aushielt, die ihr körperlich glich, was sollte er dann tun? Das Problem der Thronnachfolge war wirklich ernst. Niemand wollte eine Wiederholung der Flickschusterei, die sich stets dann ergab, wenn die königliche Linie nicht gesichert war. Es mußte einen Thronfolger geben, der das Reich regierte, bis sich ein geeigneter Magier fand.

»Wir stehen offenbar vor einem ähnlichen Dilemma, Euer Majestät«, sagte Bink. »Wir ziehen es beide vor, unseren eigentlichen, ursprünglichen Ehefrauen treu zu bleiben, und doch ist es schwierig. Mein Problem wird vorübergehen, aber Eures –« Plötzlich hatte er eine ziemlich zweifelhafte Eingebung. »Millie soll wiederhergestellt werden, indem man ihr Skelett in Heilwasser taucht. Angenommen, Ihr würdet die Gebeine Eurer Gattin nach Xanth bringen lassen –«

»Wenn es funktionierte, wäre ich plötzlich ein Bigamist«, meinte König Trent. Doch er sah erschüttert aus. »Und dennoch, wenn meine Frau wieder lebendig sein könnte –«

»Ihr könntet an Millie überprüfen, wie gut es funktioniert«, schlug Bink vor.

»Millie ist ein Gespenst und nicht gänzlich tot. Das ist ähnlich wie bei einem Schatten. So etwas geschieht immer dann, wenn der Geist noch irgend etwas Wichtiges zu erledigen hat. Meine Frau ist kein Gespenst. Sie hat nichts Unvollendetes zurückgelassen außer ihrem Leben. Wenn man ihren Körper ohne eine Seele wiederbelebte –«

Jetzt tat es Bink leid, auf diesen Gedanken gekommen zu sein. Welche Abscheulichkeiten würden Xanth heimsuchen, wenn man alle Gebeine ohne jede Auswahl wiederbelebte! »Sie könnte zu einem Zombie werden«, sagte er.

»Es ist sehr riskant«, entschied der König. »Trotzdem, Sie haben mir etwas zum Nachdenken gegeben. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für mich! Bis dahin werde ich es jedenfalls nicht dulden, daß die Königin das Äußere meiner Frau annimmt. Vielleicht blamiere ich mich ja nur, wenn ich es versuche und dabei scheitere, aber –«

»Schade, daß Ihr Euch nicht selbst verwandeln könnt«, sagte Bink. »Dann könntet Ihr Eure Männlichkeit auf die Probe stellen, ohne daß jemand davon erführe.«

»Die Königin würde es merken. Und ich kann es mir nicht leisten, bei ihr eine Schwäche zu zeigen. Sie würde sich mir überlegen fühlen und erkennen, daß das, was wie eiserne Selbstbeherrschung aussieht, in Wirklichkeit Impotenz ist. Das könnte viel Ärger geben.«

»Könntet Ihr es vielleicht, äh, mit anderen Frauen versuchen? Wenn Ihr dann scheitern solltet –«

»Nein«, sagte der König entschieden.

»Die Königin ist zwar nicht meine große Liebe, aber sie ist meine legale Ehefrau. Ich werde sie nicht betrügen, ebensowenig wie jeden anderen Untertan meines Reiches, weder hierbei noch sonst.«

Ja, darin zeigte sich die Größe seines Edelmuts! Und doch würde die Königin ihn vermutlich betrügen, wenn sie eine Möglichkeit dafür sähe und wüßte, daß er impotent war. Dieser Gedanke gefiel Bink nicht. Er hatte die Herrschaft König Trents immer als Beginn eines Goldenen Zeitalters gesehen. Doch auf welch tönernen Füßen dieses Gebäude stand!

Dann hatte er einen neuen Einfall. »Eure Erinnerung an Eure Frau ist ja nicht nur die Erinnerung an sie, sondern auch an Euch selbst. An Euch selbst, als Ihr glücklich wart. Ihr könnt mit keiner anderen Frau zusammensein oder eine andere Frau so aussehen lassen wie sie. Doch wenn zwei andere Leute sich lieben – ich meine die Königin und ein Mann, der Euch nicht gleicht –, so würde doch keine Erinnerung befleckt werden, nicht wahr? Wenn die Königin also Euer Aussehen verändern würde –«

»Das ist ja lächerlich!« bellte der König.

»Ja, wahrscheinlich«, sagte Bink. »Ich hätte es nicht erwähnen sollen.«

»Ich werde es versuchen.«

»Tut mir leid, Euch belästigt zu haben. Ich –« Bink unterbrach sich. »Ihr wollt es versuchen?«

»Ich weiß, daß meine fortgesetzte Bindung an meine verstorbene Frau und an meinen Sohn objektiv gesehen unvernünftig ist«, sagte der König. »Dadurch werde ich in der Ausübung meines Amtes behindert. Vielleicht würde ein unvernünftiger Umweg das ausgleichen. Ich werde mir von Iris die Gestalt eines anderen Mannes verleihen lassen, und sie wird eine andere Frau sein, so daß wir es als Fremde miteinander versuchen können. Ich möchte Sie nur um die Höflichkeit der Diskretion bitten, Bink.«

»Ja, natürlich, auf jeden Fall«, sagte Bink verlegen. Er hätte es vorgezogen, wenn der König keinerlei menschliche Schwächen gehabt hätte, obwohl er ihn paradoxerweise doch gerade wegen dieser Schwächen respektierte. Doch er wußte, daß dies eine Seite des Königs war, die niemand sonst zu sehen bekam. Bink war ein Vertrauter, so unbequem diese Stellung manchmal auch sein konnte.

»Ich … äh, ich wollte Millies Gebeine suchen. Sie müßten irgendwo hier in der Bibliothek sein.«

»Bitte, bitte. Setzen Sie Ihre Suche fort. Ich werde die Königin aufsuchen.«

Der König erhob sich abrupt und ging.

Einfach so! Wieder wunderte er sich über den Eifer, mit dem der Mann ans Werk zu gehen pflegte, wenn er erst einmal zu einem Entschluß gekommen war. Doch das gehörte zu seinen Herrscherfähigkeiten, etwas, was Bink abging.

Bink musterte die Bücher. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß Millies Skelett vielleicht in ein Buch verwandelt worden war. Das würde auch erklären, wieso es jahrhundertelang unbeachtet geblieben war und wieso Millie sich hier so häufig aufzuhalten pflegte. Meistens schwebte sie an der Südmauer. Die Frage war nur: welches Buch?

Er schritt die dichtgefüllten Regale entlang und las die Titel auf den Buchrücken. Es war eine ausgezeichnete Bibliothek mit Hunderten von Werken. Wie sollte er da das richtige finden? Und selbst wenn ihm dies gelänge, wie konnte man seinen Urzustand wiederherstellen? Zuerst müßte man es wieder in ein Skelett zurückverwandeln – und das war Magie von Magierformat. Immer wieder traf er auf dieses Problem: Es war hier einfach zuviel Magie im Spiel! Soweit er wußte, lebte heute kein Magier, der tote Gegenstände verwandeln konnte. Also schien Millies Problem doch hoffnungslos zu sein. Aber warum hatte der Gute Magier ihr dann geraten, es mit einem einfachen Heilelixier zu versuchen? Das ergab doch keinen Sinn!

Doch er hatte versprochen, sein Möglichstes zu tun, auch wenn es seine persönliche Lage erheblich komplizierter machte. Als erstes mußte er das Buch ausfindig machen, dann konnte er sich Gedanken über den nächsten Schritt machen.

Das Absuchen der Bücher dauerte seine Zeit. Einige Werke konnte er sofort ausschließen, etwa Die Anatomie des Purpurdrachen oder Hagelkörner: Magische und Mundane. Andere erwiesen sich als problematischer, zum Beispiel Der Status von Geistern in Königlichen Häusern oder Lesebuch für Gespenster. Diese mußte er aus dem Regal nehmen und sie durchblättern, obwohl er nicht genau wußte, wonach er eigentlich suchte.

Weiter verstrich die Zeit. Er kam nicht voran. Er blieb völlig ungestört; offenbar war er der einzige, der dieser Spur nachging. Was die Bücher anging, mußte er sich geirrt haben. Über der Bibliothek gab es noch einen weiteren Raum in einem Turm, der ebenfalls auf Crombies gezeigter Linie lag. Vielleicht würde er ja dort –

Dann sah er es. Das Skelett im Kleiderschrank. Das mußte es sein!

Er nahm das Buch herunter. Es war merkwürdig schwer. Der Einband bestand aus geflecktem Leder und sah seltsam scheußlich aus. Er öffnete es, und ein fremdartiger, unangenehmer Duft schlug ihm entgegen, wie von Zombiefleisch, das zu lange in der Sonne gelegen hatte. Die erste Seite war unbedruckt und wies nur einen getrockneten Brei aus Farbe auf, der ihn an die Überreste eines plattgedrückten Käfers erinnerte.

Hastig schlug er das Buch wieder zu. Nun hatte er keinen Zweifel mehr.

Der Eimer mit dem Elixier befand sich unten im Ballsaal. Bink umklammerte das Buch mit beiden Armen – es war zu schwer, um es längere Zeit mit einer Hand festzuhalten – und machte sich auf den Weg nach unten.

Wieder traf er auf einen Zombie. Vielleicht war es auch derselbe von vorhin. Es war schwierig, sie auseinanderzuhalten! Er kam gerade die Treppe hoch. Er wußte, daß dieser echt sein mußte, denn die Königin hatte ihre Maskeradenillusion nicht aufs Innere des Palastes ausgedehnt, und hier oben war sie ohnehin nicht aktiv. Nun hatte Bink den Verdacht, daß der Zombie im Garten ebenfalls echt gewesen war. Was hatten die Zombies hier zu suchen, fernab von ihren erdigen Ruhestätten?

»Hau ab!« schrie Bink und umklammerte das Buch schützend. »Raus aus dem Palast! Zurück ins Grab mit dir!« Drohend machte er einen Schritt auf den Zombie zu, der auch sofort zurückwich. Jeder gesunde Mensch konnte einen Zombie mühelos in Stücke reißen, sofern ihm danach war. Der Zombie stolperte auf der Treppe und stürzte mit grausiger Hingabe die Stufen hinunter. Auf der ganzen Treppe lagen nun Knochenstücke und Schleim sowie Spritzer einer dunklen Flüssigkeit, die von dem feinen alten Holz aufgesogen wurde. Der Gestank genügte, um Bink den Magen umzudrehen, und seine Augen schmerzten. Zombies waren nicht sonderlich haltbar.

Bink folgte dem Wesen hinab und verzog angewidert die Lippen. Zum Schloß Roogna gehörte eine Anzahl Zombies, die dabei mitgeholfen hatten, daß es zum königlichen Palast wurde. Doch nun sollten sie eigentlich friedlich und still in ihren Gräbern liegen. Welcher grausige Drang hatte sie nur zu dem Fest geführt?

Nun, er würde den König bei passender Gelegenheit benachrichtigen. Doch zuerst mußte er sich um Millies Skelett kümmern. Er betrat den Ballsaal – und stellte fest, daß die Unterseedekoration verschwunden war. Jetzt waren wieder die normalen Säulen und Wände zu sehen. Hatte die Königin das Interesse an der Dekoration verloren?

»Ich hab’s!« rief er, und sofort versammelten sich die Gäste um ihn. »Was ist mit dem Wasser passiert?«

»Die Königin war plötzlich fort, und ihre Illusion hat aufgehört«, sagte Chester und wischte sich grüne Kuchenkrümel aus dem Gesicht. Das Büffet war also wenigstens echt gewesen. »Komm, ich helf dir mal mit dem Buch.« Der Zentaur griff mit einer Hand nach dem Buch und nahm es mit einer mühelosen Bewegung aus Binks erschlaffenden Armen. Ach, die Kraft eines Zentauren müßte man haben!

»Ich meinte eigentlich das Heilwasser, das Elixier«, sagte Bink. Jetzt, bei näherem Nachdenken war ihm klar, was aus der Königin geworden war! Der König hatte sie zu sich gerufen.

»Hier unten«, sagte Crombie und holte den Bottich unter einem Tisch hervor: »Ich wollte nicht, daß Krumen hineinfallen.« Nun stand der Bottich auf dem Boden, neben der Jubiläumstorte.

»Das sieht aber gar nicht wie ein Skelett aus«, meinte die Manticora.

»Es ist verwandelt worden oder irgend so etwas«, erklärte Bink. Er öffnete das Buch, während Chester es abstützte. Allgemeines Geraune. Welche Magie!

Die Zauberdoktorin musterte das Buch. »Das ist keine Verwandlung. Das ist topologische Magie. Hab’ noch nie so einen schlimmen Fall gesehen.«

Die anderen auch nicht. »Was ist topologische Magie?« fragte Crombie.

»Wenn man die Form verändert, ohne sie zu verändern«, antwortete sie.

»Oma, du redest Quatsch!« sagte Crombie in gewohnt diplomatischer Weise.

»Ich rede Magie, junger Spund!« erwiderte sie. »Man nimmt einen Gegenstand, streckt ihn, drückt ihn platt, faltet ihn usw. So hat man seine Gestalt verändert, aber ihn selbst nicht. Topologisch gesehen bleibt er seiner alten Form ähnlich. Dieses Buch ist ein Mensch.«

»Aus dem man den Geist gepreßt hat«, sagte Bink. »Wo ist Millie?«

Schweigend erschien das Gespenst. Millie befand sich immer noch im Bann des Zaubers und konnte zu ihrem eigenen Körper keinen Kommentar abgeben. Welch ein schreckliches Schicksal sie all die Jahrhunderte hinweg hatte erleiden müssen! Plattgedrückt und zu einem Buch zusammengefaltet, ohne jemandem etwas davon erzählen zu dürfen! Bis der Kostümierungspreis der Königin ihr zufällig den Weg geöffnet hatte.

Zufällig? Bink argwöhnte, daß sein Talent wieder am Werk war.

»Soll die Königin die Wiederherstellung überwachen?« fragte die Manticora.

»Die Königin ist anderweitig verhindert und darf nicht gestört werden«, sagte Bink. Tatsächlich wollte er damit eigentlich den König schützen. »Wir werden es am besten ohne sie durchführen.«

»Prima«, sagte Chester und warf das Buch in den Bottich.

»Halt!« schrie Bink, doch er wußte, daß es schon zu spät war. Eigentlich hatte er an ein sanftes Eintunken gedacht. Aber vielleicht war es ja besser so.

Das dunkle Buch fing an zu schimmern. Millie das Gespenst stieß einen fast lautlosen Schrei aus, als sie auf den Bottich zugetrieben wurde. Dann blähte sich das Buch auf, saugte immer mehr Elixier auf, öffnete und entfaltete sich, als sich sein Gewebe zu füllen begann. Aus den Seiten wurden menschliche Gliedmaßen, aus dem schweren Einband ein Kopf und Oberkörper, der zunächst schrecklich plattgedrückt erschien, aber bereits dabei war, sich zu puppenähnlichen Zügen aufzublähen. Zuerst war es nur ein bizarres Männchen, bis sich schließlich die festen Umrisse einer Frau auszuformen begannen.

Millie, die immer noch versuchte zu schreien, trieb auf ihre eigene Körpermasse zu und verschmolz schließlich mit dem entstehenden Körper. Mit einemmal waren sie vollends vereint. Bis an die Knie stand sie in dem Bottich, eine so wunderschöne Nymphe, wie man sie sich nur wünschen konnte. Es war ein erstaunlicher Kontrast zu dem, was sie kurz zuvor hatten erblicken müssen. »Ich bin ganz!« rief sie voll Staunen aus.

»Das kann man wohl sagen«, meinte Chester. »Hol ihr mal einer was zum Anziehen!«

Plötzlich kam es zu einem Aufruhr. Eine Gestalt näherte sich, in einer Hand eine verfaulte Robe. Es war ein Zombie. Die Frauen stießen Schreie aus. Alles stob auseinander, um ihm aus dem Wege zu gehen.

Mit zorniger Miene stürzte Crombie vor. »Ihr Faulpelze habt hier drin nichts zu suchen! Raus! Raus!«

Der Zombie wich zurück, wobei er in die Nähe der Jubiläumstorte geriet. »Nein, nicht da lang!« rief Bink, wieder einmal zu spät. Der Zombie kam in Reichweite der Marinadekatze, die zu fauchen begann.

Ein plötzliches Zupp!, und der Zombie war mariniert. Stinkende Säfte von sich gebend, stürzte er in die Torte. Die Marinadekatze schlug erneut zu und marinierte die ganze Torte, während der Zombie darin verschwand. Wie bei einer Explosion spritzten Zuckergußstücke umher und bedeckten die Gäste. Die Marinadekatze riß sich von ihrer Leine los und stürzte sich auf das Büffet. Dabei machte sie alles, was ihr in den Weg kam, ein. Wieder stießen die Frauen spitze Schreie aus. Das gehörte auch zu ihren närrischen, bezaubernden Unsitten.

»Was ist denn hier los?« fragte ein unbekannter junger Mann im Saaleingang.

»Zurück!« rief Bink. »Die verdammte Marinademieze der blöden Königin ist frei!« Da erblickte er eine hübsche junge Frau, die hinter dem jungen Mann stand. Es waren offenbar irgendwelche Schnorrer, die sich uneingeladen Zutritt verschafft hatten.

Crombie jagte auf sie zu. »Ich werde diese Idioten aus dem Weg putzen!« schrie er und zog sein Schwert.

Die Marinadekatze zog es vor, sich selbst vorzustellen und sich auch ihren Weg selbst freizumachen. Sie stürzte direkt auf die Fremden zu. Ein plötzliches Schnapp! – doch diesmal war es die Marinadekatze, die in gewisser Weise eingelegt worden war. Erstaunt landete sie auf dem Boden, schwang ihre Flügel und hob ab. Sie war zu einer Rehfliege geworden, zu einem zarten Miniaturreh mit Flügeln.

»Meine Torte!« rief die fremde junge Frau.

Da begriff Bink, was los war. »Die Königin!«

»Und der König!« sagte Crombie entsetzt. »Im Illusionskostüm.«

Wie hatte Bink die Königin in seiner Aufregung genannt? Und Crombie hatte doch sein Schwert gegen den König gezückt!

Doch Königin Iris war schon zu ihrer Torte gestürzt. »Eingemacht – mit einem Zombie drin! Wer war das?« In ihrer Wut ließ sie ihre Illusion fahren. Plötzlich erschien sie vor der Menge in ihrer natürlichen Gestalt, und ebenso der König. Beide waren sie unbekleidet.

Crombie, der Frauenhasser, hatte einen Anfall von Galanterie. Er steckte sein Schwert zurück, zog seine Jacke aus und legte sie der Königin um die Schultern, so daß ihr nicht mehr ganz junger Oberkörper verdeckt wurde. »Es ist kühl hier drinnen, Euer Hoheit.«

Hastig reichte Bink dem König sein eigenes Jackett. Der nahm es entgegen, als sei es das Natürlichste auf der Welt. »Danke, Bink«, murmelte er.

Millie stieg in all ihrer nackten Pracht aus dem Bottich. Sie fror offenbar nicht im geringsten. »Ich fürchte, daß ich das war, Euer Majestäten. Der Zombie kam, um mir zu helfen, und die Marinadekatze riß sich los –«

Die Königin musterte Millie einen langen Augenblick. Dann glitt ihr Blick über ihren eigenen Körper. Plötzlich waren beide wieder königlich gekleidet, wobei sie Millie deutlich glich, während Trent so aussah wie immer, da er sich durchaus sehen lassen konnte. Bink wußte, wie alle anderen Anwesenden auch, daß die beiden nur geliehene Jacketts trugen und peinliche Teile ihrer Anatomie unbedeckt blieben, doch davon war nichts zu sehen. Einen Augenblick später war auch Millie in ein illusionäres Zofenkleid gekleidet. Noch immer sah sie äußerst hübsch aus.

Bink nickte vor sich hin. Offenbar war sein Vorschlag erfolgreich gewesen. Nur daß Millies Wiederherstellung und der damit verbundene Lärm die beiden unterbrochen hatten.

Die Königin musterte die Buffetruine und blickte schließlich den König schräg an. Sie entschied sich, großzügig zu sein. »Es hat also geklappt! Du bist kein Gespenst mehr!« Sie blickte Millie bewundernd an. »Aber du solltest eigentlich etwas tragen, das zu der Gelegenheit paßt. Heute brauchst du nicht zu arbeiten.« Da erschien Millie in einem betörenden Abendkleid, mit Glaspantoffeln und einer funkelnden Tiara.

»Wer hat dein Skelett gefunden?«

Millie lächelte gewinnend. »Bink hat mich gerettet.«

Die Königin blickte Bink an. »Du scheinst deine Nase aber auch in alles zu stecken«, murmelte sie. Dann, lauter: »So erhält Bink den ausgesetzten Preis. Das erste Rendezvous mit –«

Sie brach ab, was aber auch kein Wunder war. Hinter ihr hatte sich nämlich der eingemachte Zombie aus der Torte erhoben. Selbst Einmachen konnte Zombies nicht umbringen. Sie waren ja von Natur aus halb eingemacht. Salzige Fleischfetzen fielen, zusammen mit Kuchenstückchen, von ihm ab. Einer der formlosen Klumpen war der Königin auf die Schulter getropft, war durch das Illusionskleid gedrungen und irgendwo hängengeblieben. Das war auch der Grund, weshalb sie in ihrer Rede innegehalten hatte.

Wütend wirbelte sie herum. »Verschwinde aus dem Palast, du faulendes Aas!« Sie schoß dem König einen Blick zu. »Trent, verwandle dieses Ungeheuer! Es hat meine Torte ruiniert!«

Doch König Trent wirkte nachdenklich. »Ich glaube, der Zombie wird schon aus freien Stücken verschwinden, Iris. Besorge einen anderen Rendezvouspartner für Millie, ich brauche Bink jetzt für etwas anderes.«

»Aber Euer Majestät –« protestierte Millie.

»Laß den Ersatzmann so aussehen wie Bink«, murmelte der König der Königin zu. »Bink, kommen Sie mit in die Bibliothek!«

Als sie sich in der Bibliothek befanden, sagte König Trent: »Hier in Xanth gibt es eine magische Hierarchie. Als mächtigster Magier bin ich König, und die mächtigste Zauberin ist meine Gemahlin. Der Gute Magier Humfrey ist unser ältester Staatsmann. Doch Sie, Bink – Sie sind anonym. Sie besitzen Magie in vollem Ausmaß, aber sie ist geheim. Das bedeutet, daß Sie nicht den Rang innehaben, der Ihrem Talent angemessen ist. Vielleicht ist das eine der Gefahren, in denen Sie schweben.«

»Aber es gibt doch gar keine Gefahr –«

»Das stimmt nicht, Bink. Wer immer Ihnen dieses Schwert geschickt haben mag, stellt eine Gefahr für Sie dar, obwohl diese Gefahr vermutlich nicht allzu groß sein dürfte. Doch Ihr Talent ist stark und nicht schlau. Er schützt Sie zwar vor feindlicher Magie, doch mit unsichtbaren, ungreifbaren Gefahren hat es so seine Schwierigkeiten. Wir wissen ja, daß es um Ihre häusliche Situation nicht zum Besten steht, und –«

Bink nickte. »Aber wir wissen auch, daß das vorübergehen wird, Euer Majestät.«

»Einverstanden. Aber Ihr Talent ist nicht so rational. Also hat es Ihnen verschafft, was es für eine bessere Frau hielt – und ich mache ihm allenfalls wegen seiner Moralvorstellungen Vorhaltungen, nicht wegen seines Geschmacks. Als Ihnen klar wurde, welchen Ärger das beinhalten würde, hat es einen Rückzieher gemacht. Deshalb hat es Sie daran gehindert, das Rendezvous mit Millie zu bekommen. Die Wiederbelebung des Zombies war ein Teil davon. Wahrscheinlich sollte der Zombie Ihnen bei der Skelettsuche helfen, aber dann mußte er anders tätig werden. Es ist nicht auszudenken, welchen Ärger es gegeben hätte, wenn Millie und die Königin darauf bestanden hätten, daß Sie Ihren Termin einhalten. Wir wissen freilich, daß alles wie rein zufällig ausgesehen hätte, denn so funktioniert Ihr Talent nun einmal. Vielleicht wäre der ganze Palast über unseren Köpfen eingestürzt, oder Millie wäre durch irgendeinen unvorhergesehenen Unfall wieder zum Gespenst geworden.«

»Nein!« rief Bink entsetzt.

»Ich weiß, daß Sie das einem solch liebenswerten Geschöpf nicht wünschen würden. Ich übrigens auch nicht. Das ist auch der Grund, weshalb ich eingegriffen habe. Wir müssen uns einfach damit abfinden, daß Sie das Rendezvous mit Millie nicht wahrnehmen können, obwohl es Ihr Talent war, das ihr die Wiederbelebung ermöglicht hat. Ich glaube, daß ich das Problem vorläufig aus der Welt geschafft habe. Es ist offensichtlich, daß Millies Talent der Sex-Appeal ist. Das erklärt auch, wieso sie so früh zu einem Gespenst wurde. Es wird ihr an männlicher Gesellschaft nicht fehlen – außer an Ihrer!«

»Sex-Appeal!« rief Bink. »Deshalb hat sich die Zauberdoktorin auch so amüsiert! Und deshalb bin ich durch ihr Angebot auch so in Versuchung geraten, obwohl ich –«

»Ganz genau. Ich spüre es auch – und dabei hatte ich dank Ihres Vorschlags gerade meine Liaison mit der Königin vollzogen. Hier, Ihr Jackett.« Mit ernster Miene reichte es ihm der König.

»Es ist meine Schuld, wenn jetzt der ganze Palast erfährt –«

»… daß ich nicht nur als König meinen Mann stehe?« fragte der König. »Das ist keine Schande. Jetzt wird Iris nie etwas von der Schwäche erfahren, die ich sonst vielleicht gezeigt hätte. Es ist jedenfalls offensichtlich, daß ich mich in einem solchen Augenblick nicht von einer anderen Frau angezogen fühlen dürfte, doch bei Millie war das der Fall. Deshalb wußte ich auch, daß Magie im Spiel sein mußte. Doch Sie, Bink, mit Ihren Schwierigkeiten zu Hause und Millies Begierde nach Ihnen – ich glaube, wir müssen Sie für eine Weile hier aus dem Verkehr ziehen, jedenfalls mindestens so lange, bis Millie sich gefestigt hat.«

»Aber Chamäleon – ich kann sie doch nicht alleinlassen –«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde sie einladen, im Palast zu wohnen, unter der Obhut meines eigenen Personals. Ich glaube sogar, daß Millie für sie eine ausgezeichnete Zofe abgeben würde, bis wir die Situation in den Griff bekommen haben. Wir müssen Sie einfach nur dem Streß und der Versuchung hier entziehen. Denn Ihr Talent ist zwar stark, stört aber das Palastleben empfindlich. Deshalb will ich ihm eine neue Richtung verleihen. Bink, ich ordne an, daß Sie eine Königliche Mission erfüllen: Suchen Sie nach der Quelle der Magie von Xanth.«

König Trent machte eine Pause, und Bink verhielt sich abwartend. Nichts geschah. »Ich glaube, mein Talent ist einverstanden«, sagte Bink schließlich.

»Gut«, sagte der König und entspannte sich sichtlich. Nur er wußte, wie gefährlich es war, gegen Binks Talent zu handeln. »Ich werde Ihnen alles, was Sie an Ausrüstung brauchen, zur Verfügung stellen. Sie brauchen jemanden, der Sie beschützt, denn immerhin werden Sie möglicherweise gefährliches Gebiet betreten, in dem auch unmagische Gefahren lauern, jemand, der Sie führt –« Er schnippte mit den Fingern. »Chester der Zentaur! Er ist in einer ähnlichen Situation wie Sie, und Sie beide sind Freunde. Sie können auf ihm reiten, und einen besseren Verbündeten können Sie sich in der Gefahr nicht wünschen.«

»Aber die Zentauren sind keine Menschen. Vielleicht will er nicht gehen.«

»Es stimmt, was die Zentauren angeht, ist meine Macht eher symbolisch. Ich kann ihm nicht befehlen, Sie zu begleiten. Aber ich glaube, daß er Sie zumindest bis zum Schloß des Guten Magiers Humfrey begleiten wird.«

»Warum das denn?« fragte Bink verblüfft.

»Weil nur Humfrey ihm sagen kann, welches magische Talent er besitzt.«

Der König war ja wirklich auf dem laufenden! »Aber diese Antwort würde ihn einen Jahresverdienst kosten!«

Der König zuckte die Schultern. »Es kann aber nicht schaden, mal mit Humfrey zu reden, Chester kann Sie begleiten, einfach nur so, damit Sie nicht allein reisen müssen, und sich zufällig mit dem Guten Magier unterhalten, während Sie beide dort sind.«

Bink begann zu lächeln. »Und Cherie Zentaur braucht nicht einmal etwas davon zu erfahren.«

»Ja, auch darüber könnten Sie mit Chester mal reden.« Der König überlegte. »Und Crombie kann Ihnen den Weg zeigen.«

»Ich glaube nicht, daß Crombie mit Chester Schritt halten kann«, meinte Bink. »Kein Mensch ist so schnell wie ein Zentaur. Und Chester mag bestimmt nicht zwei Leute auf seinem Rücken tragen –«

»Kein Problem! Ich werde Crombie in eine Gestalt verwandeln, die das Tempo halten kann. Einen Drachen –«

»Der würde die Leute nur erschrecken und Aufmerksamkeit erregen –«

»Stimmt. Also gut, einen Greif. Es gibt einige zahme Greife, deshalb werden die Leute nicht allzu neugierig werden. Dann kann er zwar nicht sprechen, aber immerhin fliegen: ein fairer Tausch. Außerdem gibt es wohl kaum ein besseres Kampftier als den Greif. In Begleitung eines Zentauren und eines Greifen brauchen Sie sich wegen irgendwelcher mundanischen Bedrohungen keine Sorgen zu machen.« Er machte erneut eine Pause. »Trotzdem ist es wohl besser, wenn Sie Humfrey um Rat bitten. Es könnte sein, daß wir uns auf etwas Größeres eingelassen haben, als wir erwartet haben.«

Bink spürte, wie ihn die Erregung durchpulste. Endlich mal wieder ein Abenteuer! »Euer Majestät, ich werde die Quelle der Magie für Euch ausfindig machen. Wann soll ich abreisen?«

»Morgen früh«, sagte König Trent lächelnd. »Nun gehen Sie nach Hause und erzählen Sie Ihrer Frau von Ihrer Mission und daß sie keinen Aufschub duldet. Aber sagen Sie nichts von Millie dem Gespenst.«

»Ganz bestimmt nicht«, sagte Bink und lächelte ebenfalls. Doch als er sich abwenden wollte, fiel ihm etwas anderes ein. »Wißt Ihr, ob sich im Gelände ein magischer Maulwurf herumtreibt?«

Der König nahm diese Information mit Würde entgegen. »Davon hat man mir noch nichts gesagt. Ich habe nichts dagegen, solange er nicht die Gräber der Zombies stört.« Doch dann zuckte er zusammen. »Dieser Zombie –«

»Im Garten war noch einer, neben einem der Erdhaufen. Vielleicht war es auch derselbe.«

»Ich werde zu gegebener Zeit eine Untersuchung veranlassen.« Er blickte Bink geduldig an. »Noch irgend etwas Wichtiges?«

»O nein«, sagte Bink, der plötzlich sehr verlegen war. Warum erzählte er dem König bloß eine solche Lappalie? Er hatte offenbar jeden Sinn dafür verloren, was wirklich wichtig war!