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Das Schloß des Magiers

 

Das Schloß des Guten Magiers Humfrey war noch ganz das alte. Schlank ragte es empor, mit dicken Brüstungen und einem hohen Innenturm, der mit Zinnen, Brustwehr und anderen Dingen geschmückt war, wie es sich für ein Schloß gehörte. Es war kleiner, als Bink es in Erinnerung gehabt hatte, aber er wußte, daß es noch genauso aussah. Vielleicht lag das Problem ja darin, daß seine Erinnerung an das Innere des Schlosses esgrößer erscheinen ließ als seine Erinnerung an sein Äußeres. Bei der Magie war es durchaus möglich, daß das Innere tatsächlich größer war als das Äußere.

Die magischen Zugangswege waren allerdings verlegt worden, und der Hippocampus, das Wasserpferd, befand sich nicht mehr im Graben. Offenbar war seine Dienstzeit abgelaufen. Bestimmt stand auch ein anderes Tier im Inneren Wache, das die Manticora abgelöst hatte, die Bink auf der Jubiläumsfeier wiedergetroffen hatte. Selbst Ungeheuer mußten dem Guten Magier einen Jahresdienst bezahlen, wenn sie eine Antwort auf eine Frage von ihm wollten, und dienten ihn als Wachen. Humfrey liebte keinen unangemeldeten Besuch.

Als sie sich dem Graben näherten, wurde die Natur des neuen Wächters offenbar. Ein Ungeheuer? Dutzende! Das ganze Wasser war voll von schlangenähnlichen Buckeln, manche davon weiß, andere schwarz, die unentwegt aneinander vorbeiglitten.

»Aber wo sind die Köpfe und Schwänze?« fragte Chester erstaunt. »Ich sehe nur Buckel.«

Zu dritt standen sie nachdenklich am Grabenrand. Was konnte eine ganze Flotte von Seeschlangen dem Magier nur für eine Frage gestellt haben, die wichtig genug war, daß sie bereit waren, seinen hohen Preis zu zahlen? Und wie waren sie überhaupt hierher gekommen?

Zum Glück brauchte Bink diese Gefahr nicht zu fürchten. Er war in königlicher Mission unterwegs und würde ins Schloß eingelassen werden, sobald er seine Anwesenheit kundgetan hatte. »Magier Humfrey!« rief er.

Keine Antwort. Zweifellos war der Gute Magier wieder in ein gutes Zauberbuch vertieft und nahm gar nicht wahr, was draußen vor sich ging. »Magier, ich bin es, Bink, in königlicher Mission!« rief er erneut.

Wieder keine Antwort. »Der alte Gnom muß schwerhörig sein«, brummte Chester. »Laß mich mal.« Er legte die Hände muschelförmig vor den Mund und brüllte: »MAGIER! BESUCH!«

Das Gebrüll wurde zwar von den Schloßmauern mehrfach zurückgeworfen, doch das Schloß selbst blieb stumm. »Er müßte eigentlich zu Hause sein«, meinte Bink. »Er geht niemals aus. Trotzdem, wir können es ja mal überprüfen. Crombie, wo ist der Gute Magier?«

Der Greif befragte sein Talent und zeigte – genau aufs Schloß.

»Dann muß er sich hinter dem Schloß aufhalten«, sagte Chester. »Sofern dein Talent nicht mal wieder Mist baut.«

Crombie krächzte empört und stellte seine blauen Halsfedern auf. Er stellte sich auf die Hinterbeine und machte Boxbewegungen mit den Vorderpranken, als wolle er den Zentaur zum Kampf herausfordern. Chester schien nichts dagegen zu haben.

»Nein, nicht!« rief Bink und stellte sich zwischen die beiden. »Wir wollen doch keinen schlechten Eindruck machen!«

»Verdammt, ich will schon einen guten Eindruck machen – und zwar auf seinem gefiederten Gesicht!« grollte Chester.

Bink wußte, daß er die beiden Zankhähne voneinander trennen mußte. »Geh hinter das Schloß und orte den Magier noch mal«, sagte er zu Crombie.

»Triangulieren!« sagte Chester.

Triangulieren? Bink, der sich mittlerweile an die barsche Art seines Freundes gewöhnt hatte, hatte schon ganz vergessen, wie gebildet die Zentauren waren. Das Triangulieren war eine mathemagische Methode, mit deren Hilfe man etwas orten konnte, ohne es direkt aufzusuchen. Chester war recht intelligent und besaß ein umfangreiches Wissen, auch wenn er es sich nicht immer anmerken ließ.

Der Greif war inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß das Wort wohl doch keine Fäkalinjurie war, und flatterte an seine Seite des Schlosses, wo er erneut zeigte. Wieder in Richtung Schloß. Keine Frage: Der Magier war zu Hause.

»Dann flieg besser hin und benachrichtige ihn, daß wir hier sind«, sagte Bink. »Es hat keinen Sinn, sich mit diesen Grabenungeheuern herumzuschlagen.«

Crombie flog wieder davon. Zwischen dem Graben und dem Schloß befand sich zwar ein freier Raum, doch da in derMauer keine Öffnung zu erkennen war, flog er zu den Türmen empor. Doch dort schien es ebenfalls keine Öffnung zu geben, die groß genug für ihn gewesen wäre. Also umrundete er den Turm zweimal und kehrte zurück.

»Jetzt fällt’s mir wieder ein«, sagte Bink. »Die Fenster sind vergittert. Da paßt zwar ein kleiner Vogel durch, aber kein Greif. Also müssen wir es doch mit den Ungeheuern aufnehmen.«

»Wir sind im Auftrag des Königs hier!« rief Chester wütend. Sein unattraktives Gesicht eignete sich vorzüglich für zornige Grimassen. »Wir haben es doch nicht nötig, hier an einem Spießrutenlauf teilzunehmen!«

Bink war selbst etwas pikiert. Doch er wußte, daß er es wegen seines Talents schon schaffen würde. »Das ist meine Aufgabe. Ich werde versuchen, die Hindernisse zu umgehen – beziehungsweise zu umschwimmen – und ihn zu benachrichtigen, dann wird er euch einlassen.«

»Wir lassen dich doch nicht allein in diesen Graben springen!« protestierte Chester, und Crombie krächzte zustimmend. Die beiden mochten ja Rivalen sein, aber sie wußten, wem sie Treue schuldig waren.

Das war wirklich peinlich. Schließlich hatten sie keinen magischen Schutz. »Ich möchte es lieber allein versuchen«, sagte Bink. »Ich bin kleiner als ihr und kann deshalb leichter hindurchschlüpfen. Wenn ich in den Graben falle, könnt ihr mich mit dem Lasso schnell herausziehen. Aber ich könnte euch niemals mit dem Lasso herauszerren, wenn –«

»Na gut, das stimmt wohl«, gab Chester brummig zu. »Crombie kann über das Wasser hinwegfliegen, aber wir wissen bereits, daß er nicht ins Innere des Schlosses eindringen

kann. Schade, daß er nicht kräftig genug ist, um dich über den Graben zu tragen.«

Crombie wurde wieder unruhig, doch Bink unterbrach ihn hastig. »Er könnte mir im Notfall ja dein Seil bringen. Ich glaube wirklich, daß es so am besten ist. Ihr könnt mir viel mehr helfen, indem ihr feststellt, was das nur für Ungeheuer im Graben sind. Gibt es irgend etwas im Zentaurenlexikon über kopflose Schlangen?«

»Ein bißchen – aber die Buckel passen nicht ins Bild. Sie sehen eher aus wie Stücke eines –« Chester unterbrach sich selbst und starrte den Graben an. »Aber ja! Das ist ein Ouroboros!«

»Ein Ouroboros?« wiederholte Bink verständnislos. »Was ist das denn? Eine Flotte von Seeungeheuern?«

»Ein einziges Ungeheuer, ein Wasserdrache, der seinen eigenen Schwanz zwischen die Zähne nimmt. Die eine Hälfte ist weiß, die andere schwarz. Die Symbolik –«

»Aber das sind doch Dutzende von Segmenten, über den ganzen Graben verteilt! Einige davon liegen in Richtung Schloß, andere am Grabenrand. Schau doch mal – da liegen drei Stück, parallel nebeneinander! Das können doch nicht die Teile ein und desselben Ungeheuers sein!«

»Doch, das können sie«, sagte Chester in belehrendem Ton. »Der Ouroboros umschlingt das ganze Schloß –«

»Aber dann wäre das doch nur eine einzige Buckelreihe –«

»… und zwar mehrfach, wobei sein Kopf unter den Buckeln hindurch greift, um sein Schwanzende zu packen. Ein bißchen wie bei einem Möbius-Band. Deshalb –«

»Ein was?«

»Egal. Das ist Spezialmagie. Glaub’s mir: Das ist ein einziges Ungeheuer, und beißen kann es auch nicht, weil es seinen Schwanz nie losläßt. Wenn du einen guten Gleichgewichtssinn hast, kannst du also auf ihm zum Schloß spazieren.«

»Aber die Segmente, die aus dem Wasser ragen, sind alle höchstens anderthalb Meter lang. Wenn ich von einem zum anderen springen würde, würde ich doch ins Wasser fallen.«

»Du sollst ja gar nicht springen«, sagte Chester mit ungewöhnlicher Geduld. »Du sollst gehen. Auch wenn es sich mehrmals zusammengerollt hat, ist es trotzdem viel zu lang für den Graben, also muß es sich auch senkrecht kringeln. Diese Buckel kann es nie strecken, denn sobald einer verschwindet, muß der nächste sich erheben, und das geschieht in einer sich fortsetzenden Wellenbewegung. Auf diese Weise bewegt sich der Ouroboros in dieser engen Umgebung. Du brauchst also gar nicht naß zu werden, sondern der Wellenbewegung nur bis zum Ende folgen.«

»Das kapiere ich nicht!« sagte Bink.

»Jetzt sprichst du zentaurisch. Kannst du das nicht mal etwas einfacher erklären?«

»Hüpf einfach auf den nächsten Buckel und bleib, wo du bist«, meinte Chester. »Wenn du erst mal dabei bist, wirst du’s schon schnell kapieren.«

»Du traust mir einfach zuviel zu«, sagte Bink zweifelnd. »Ich hoffe, du weißt, was ich tue.«

»Ich habe dir vertraut, als du uns aus der Nickelfüßlerspalte hinausführen wolltest, in die Crombie uns gebracht hat«, sagte Chester. »Jetzt mußt du eben mir vertrauen, daß ich dich heil über den Graben bringe. Ist schließlich nicht das erste Mal, daß du auf einem Ungeheuer reitest.«

»Skwaaak!« machte Crombie und zeigte mit einem Flügel auf den Zentaur. Bink mußte grinsen. Er hatte den Zentaur tatsächlich geritten. Ein Punkt für den Soldaten.

»Du darfst nur nicht herunterfallen«, fuhr Chester gelassen fort. »Sonst wirst du von den Buckeln zerquetscht.«

»Hm«, stimmte Bink ihm ernüchtert zu. Selbst mit seinem Talent im Hintergrund gefiel ihm die Sache nicht. Da konnte er ja gleich über die Schwingen eines fliegenden Rokh spazieren!

Er blickte um sich, wie er es immer tat, wenn er sich in einer aussichtslosen Situation befand – da erblickte er einen weiteren Erdhaufen. Wütend schritt er darauf zu und stampfte ihn nieder.

Doch als sich ihm ein geeigneter Buckel bot, sprang er darauf und machte Windmühlenbewegungen mit seinen Armen, ganz wie ein Mühlenbaum, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Der Buckel des Ungeheuers senkte sich etwas unter seinem Gewicht, doch dann stabilisierte er sich. Obwohl die weiße Haut vor Feuchtigkeit glitzerte, war sie nicht rutschig. Gut. Vielleicht klappte es ja doch.

Das Ungeheuer regte sich. Der vor ihm liegende Buckel verschwand im Wasser. »Umdrehen!« rief Chester vom Grabenrand. »Immer am Ball bleiben!«

Bink drehte sich mit wirbelnden Armen um. Dort, hinter/vor ihm streckte sich der Buckel. Er schritt weiter und wich hastig dem Wasser aus, das seine Sohlen umlappte. Es war wie ein magischer Wanderpfad, der sich vor ihm öffnete und sich hinter ihm wieder schloß. Vielleicht war das das Grundprinzip solcher Einbahnwege. Es waren die Rücken von Ungeheuern! Doch obwohl es so aussah, als ob die Schlange sich unter ihm hinwegbewegte, blieb der Buckel an Ort und Stelle, so daß Bink relativ schnell weiterging und doch nur langsam vorankam. »So komme ich nie vom Fleck«, klagte er.

»Ich gehe ja nicht mal auf das Schloß zu!«

»Du wirst schon ankommen«, rief Chester. »Weiterlaufen!«

Bink lief weiter, und der Zentaur und der Greif folgten ihm langsam am Grabenrand, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Plötzlich erschien ein Buckel zwischen Bink und seinen Freunden. »He, ich bin ja plötzlich auf einer Innenschlaufe, und ich hab’ die andere gar nicht verlassen!« rief Bink.

»Du bewegst dich in einer Spiralbewegung aufs Schloß zu«, erklärte Chester. »Anders geht das nicht. Wenn du am inneren Grabenrand bist, springst du einfach an Land.«

Bink schritt weiter. Langsam gefiel ihm die Sache, nachdem er sich an den Seegang gewöhnt und das Prinzip verstanden hatte. Solange er auf der Stelle trat, würde er unweigerlich ans andere Ufer kommen. Und doch – was für ein raffiniertes Rätsel! Hätte er es auch ohne Chesters Hilfe lösen können?

Plötzlich wurde das Segment immer schmaler. Er bewegte sich langsam auf das Schwanzende zu! Da erschien auch der Kopf des Ouroboros, der die Zähne fest in seinen eigenen Schwanz geschlagen hatte. Bink, der wieder nervös geworden war, hatte keine andere Wahl: Er mußte auf den Kopf des Ungeheuers treten. Was, wenn es sich nun dazu entschloß, seinen Schwanz nur dies eine Mal fahren zu lassen, um sich in ihn zu verbeißen? Die großen Drachenaugen starrten ihn kurz an und jagten ihm einen Schauer über den Rücken.

Dann war der Kopf auch schon verschwunden und wogte unter dem Wasser weiter, während Bink auf den massigen Hals trat, der nach dem schmalen Schwanz breit wie ein Wanderpfad wirkte. Offenbar brauchte dieser Drache oder diese Schlange oder was immer es nun sein mochte keine Luft. Das Ungeheuer konnte seinen Kopf unbegrenzte Zeit unter Wasser behalten. Aber wie aß es denn dann, wenn es seinen Schwanz niemals losließ? Es fraß sich doch wohl nicht selbst auf, oder? Vielleicht war das die Frage, die es dem Magier gestellt hatte: Wie es seinen Schwanz loslassen konnte, um die Idioten zu verspeisen, die auf seinem Rücken entlangspazierten. Nein, wenn es darauf eine Antwort erhalten hätte, hätte es Bink schon längst verschlungen, als er an seinem Rachen vorbeigekommen war.

»Spring, Bink!« rief Chester. Huch – hatte die Schlange es sich etwa anders überlegt und ihren Schwanz losgelassen, um ihn anzuknabbern? Bink blickte zurück, konnte jedoch nichts Auffälliges erkennen. Dann sah er vor sich, daß der Körper sich unter der nächstgelegenen Spiralwindung hinwegdrehte. Der Weg war zu Ende! Er sprang an Land.

Jetzt befand er sich an der Außenmauer des Schlosses. Er suchte das große Tor, das er beim ersten Mal entdeckt hatte, damals, noch bevor Trent König geworden war – und sah einen Wasserfall.

Einen Wasserfall? Wie war denn der hierher gekommen? Er verfolgte ihn zurück und entdeckte einen Vorsprung. Der Wasserfall entsprang an einem Ort, der außer Sichtweite war, und rauschte über den Türrahmen.

Befand sich hinter der Wasserschicht etwa eine Öffnung? Bink gefiel der Gedanke, jetzt doch noch naß zu werden, nachdem er den ganzen Graben trocken überwunden hatte, ganz und gar nicht, aber nachsehen mußte er wohl. Er zog seine Kleider aus und legte sie beiseite, damit sie trocken blieben, dann schlüpfte er vorsichtig in den Wasserfall.

Das Wasser war zwar kühl, aber nicht eisig. Dahinter waren eine leere Einbuchtung und ein Türrahmen. Er betastete die Oberfläche, drückte hier und dort, doch nirgendwo war eine bewegliche Stelle auszumachen. Hier war kein Eingang.

Er trat rückwärts aus dem Wasserfall und schüttelte den Kopf, um das Wasser aus seinen Haaren zu entfernen. Wohin jetzt? Der Vorsprung zog sich um das ganze Schloß, doch er wußte, daß die Mauer an allen Stellen aus dickem Stein war. Da konnte man nirgends hinein.

Dennoch machte Bink einen Rundgang, um seinen Verdacht zu erhärten. Tatsächlich, nirgendwo ein Eingang. Was nun?

Wut stieg in ihm empor. Er war in königlicher Mission hier. Warum sollte er sich diesen ganzen Unfug bieten lassen? Der alte Gnom-Magier hielt sich wohl für mächtig schlau, sich in einem Labyrinth zu verstecken! Von Labyrinthen hatte Bink die Nase langsam voll. Erst das Labyrinth der Königin, dann die Nickelfüßlerschlucht und jetzt das hier!

Doch im Grunde seines Herzens war Bink ein praktisch denkender Mensch. Nach und nach legte sich seine Wut wieder. Erneut blickte er den Wasserfall an. Hier war kein Berg mit natürlichem Wasserabfluß, also mußte das Wasser mit magischen oder mundanischen Mitteln nach oben befördert werden, damit es hinabfließen konnte. Bestimmt handelte es sich um ein Kreislaufsystem, das dem Graben das Wasser entnahm, um es ihm wieder zuzuführen. Konnte er vielleicht dort hinschwimmen, wo das Wasser hochgesaugt wurde?

Nein, Wasser konnte auch durch Öffnungen fließen, durch die er nicht paßte. Zum Beispiel durch Siebe. Nein, so würde er womöglich noch ertrinken.

Die einzige andere Richtung war nach oben. Ob er hochklettern konnte?

Ja, das ging. Jetzt bemerkte er kleine Haltelöcher im Holz am Rande des Wasserfalls. »Ich komme«, knurrte er.

Er kletterte empor. Als er den Kopf über den Vorsprung hob, versteifte sich plötzlich sein ganzer Körper. Auf dem Dach kauerte ein Wasserspeier, aus dessen groteskem Maul das Wasser strömte.

Dann wurde ihm klar, daß dieses Ungeheuer ebenso ungefährlich sein mußte wie der Ouroboros, wenn er es richtig behandelte. Der Wasserspeier hatte die Aufgabe, Wasser zu speien, und würde ihn deshalb wohl kaum verfolgen.

Bink kletterte auf das kleine Dach. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, blickte er sich um, um die Lage besser einschätzen zu können. Der Wasserspeier war etwa so groß wie er, bestand aber zum größten Teil aus Gesicht. Der Rumpf war so kurz, daß er kaum mehr als ein Säulenfuß war. Der Kopf war so verzerrt, daß Bink nicht feststellen konnte, ob er menschlicher, tierischer oder sonstiger Art war. Die riesigen Augen waren vorgewölbt, die Nase glich der eines Pferdes, die enormen Ohren standen ungeheuer weit ab, und das Maul nahm ein gutes Drittel des ganzen Gesichts ein, wobei es so aussah, als würde der Wasserstrom durch eine ständige Würgebewegung hervorgebracht.

Hinter dem Ungeheuer stieg die Schloßmauer steil empor. Diesmal waren keine Grifflöcher vorhanden, und selbst wenn es ihm gelingen sollte hochzuklettern, sah er oben doch nichts als vergitterte Öffnungen. Nicht sehr ermutigend.

Bink musterte den Wasserspeier. Wie war er hier heraufgekommen? Er besaß weder Hände noch Füße wie Bink. Ob sich hinter ihm eine Tür befand? Das schien einleuchtend zu sein.

Er mußte das Ungeheuer von der Tür wegbekommen. Aber wie? Bisher hatte ihn das Ding nicht angegriffen, doch das konnte sich schnell ändern, wenn er es belästigte. Der Wasserspeier war massiger als er selbst und konnte ihn durchaus vom Dach herunterstoßen. Wirklich zu dumm, daß er sein Schwert nicht dabei hatte, denn das lag unten bei seinen Kleidern.

Sollte er noch einmal hinuntersteigen, um es zu holen? Nein, er war überzeugt davon, daß das unklug wäre, denn damit würde er seine Absicht verraten. Der Wasserspeier konnte ihm beim Aufstieg mit dem Schwert immer noch die Finger zerquetschen.

Vielleicht ging es ja mit einem Bluff. »Beweg deinen Hintern, Glotznase! Ich bin hier in Mission des Königs.«

Der Wasserspeier ignorierte ihn. Das war auch so etwas, das Bink auf die Nerven ging: ignoriert zu werden. »Beweg dich, sonst mach’ ich dir Beine!« Er machte einen Schritt auf das Ungeheuer zu.

Keine Reaktion. Wie konnte er jetzt noch einen Rückzieher machen? Bink vertraute auf sein Talent, stellte sich neben den Wasserspeier, dem Strahl ausweichend, und legte Hand an das Ungeheuer. Das bizarre Gesicht fühlte sich wie harter Stein an. Außerdem war es so schwer, daß er es nicht beiseite schieben konnte.

Dieses Ungeheuer war im Begriff, ihn zu besiegen – und dabei hatte es ihn noch nicht einmal wahrgenommen!

Da hatte Bink einen brillanten Einfall. Manchmal waren solche Wesen für ihre eigene Spezialität anfällig. Die Spezialität des Wasserspeiers war Häßlichkeit.

Bink stellte sich mit gespreizten Beinen über dem Wasserstrom vor ihm auf. »He, Hübscher – schau dir mal an, wie du aussiehst!« Er legte die gekrümmten Zeigefinger in die Mundwinkel, zog den Mund breit und ließ seine Augen hervortreten.

Da reagierte der Wasserspeier. Er schürzte die Lippen, um Bink anzuspeien. Bink hüpfte behende beiseite. »Nyaaa!« schrie er und plusterte die Wangen auf, um eine weitere Grimasse zu schneiden.

Das Ungeheuer bebte vor Wut. Es spie einen weiteren Wasserstrahl in seine Richtung. Der Strahl streifte Bink, und fast wäre er vom Dach gespült worden. Die Sache war doch ziemlich riskant!

Er riß den Mund auf und streckte die Zunge aus. »Haaa!« schrie er.

Der Wasserspeier wurde immer wütender. Er riß sein Maul auf, bis es so groß war wie der Rest des Gesichts. Das führte allerdings dazu, daß der Wasserdruck nachließ und das Wasser sein häßliches Kinn hinabtropfte.

Bink sprang mitten in das Maul hinein. Er kletterte gegen den trägen Wasserstrom an – und kam in einem Reservetank im Inneren des Schlosses heraus. Kurz darauf war er an die Wasseroberfläche geschwommen und kletterte ins Trockene. Er war im Schloß!

Doch immer noch nicht in Sicherheit: Am Rande des Tanks saß eine Kaktuskatze. Sie war ungefähr so groß wie Bink und besaß ein gewöhnliches Katzengesicht. Ihr Pelz bestand jedoch aus Dornen. In der Ohrengegend waren die Dornen besonders lang und steif, wie schlanke Stacheln. Doch die eigentlichen Waffen der Katze befanden sich an ihren Vorderbeinen, aus denen scharfe, glitzernde Knochen wie Messerschneiden hervortraten. Als Schlitzinstrumente waren sie verheerend.

Der Dornenpelz war waagrecht grün und braun gestreift, ebenso die drei Schwänze. Es war ein hübsches, aber gefährliches Wesen, dem niemand, der recht bei Sinnen war, mit einem »Süße Pussy!« den Kopf tätscheln würde.

War das nun eine weitere Bewacherin des Schlosses, oder war sie nur zu Gast hier? Gewöhnlich lebten Kaktuskatzen in der Wildnis, schlitzten Kakteen auf und ernährten sich von ihrem fermentierenden Saft. Nadelkakteen wehrten sich allerdings, indem sie ihre Nadeln auf alles verschossen, was sie ärgerte, weshalb sie auch die natürlichen Feinde der Kaktuskatzen waren. Es hieß, daß es ein beeindruckendes Schauspiel sei, wenn beide aufeinanderträfen. Doch Bink sah nirgendwo einen Kaktus. Vielleicht wollte dieses Tier dem Guten Magier ja nur eine Frage stellen.

Bink versuchte, ihr auszuweichen, doch die Katze lief geschmeidig zum einzigen erkennbaren Ausgang und setzte sich davor nieder. Offenbar mußte er sich seinen Zugang doch erzwingen.

Plötzlich überkam ihn die Wut. Er hatte genug von diesem Hindernisrennen. Er war schließlich nicht als bloßer Bittsteller hier, sondern im Auftrag des Königs! »Katze, geh mir aus dem Weg!« sagte er laut.

Das Tier begann zu schnarchen. Doch Bink wußte, daß sie sofort wieder aufwachen würde, wenn er versuchen sollte, sich an ihr vorbeizuschleichen. Katzen waren da sehr störrisch. Dieses Tier spielte Katz’ und Maus mit ihm – und das machte ihn noch wütender.

Doch was sollte er tun?

Er war kein Nadelkaktus, der Hunderte von Dornpfeilen verschießen konnte. Wie konnte er dieser unerträglichen Katze beikommen?

Nadeln. Es gab noch andere Geschosse als Nadeln.

»Dann trägst du eben die Konsequenzen!« fauchte Bink. Er beugte sich über das Wasserbecken und fuhr heftig mit der Hand durch das Wasser. Das Wasser spritzte in hohem Bogen und klatschte gegen die Wand neben der Katze.

Mit einem schrillen Wutschrei sprang das Wesen auf. Seine Ohren sprühten Funken. Die meisten Katzen haßten Wasser, außer kleine Mengen zum Trinken, und Wüstenkatzen gerieten stets in Rage, wenn sie damit konfrontiert wurden. Mit glitzernden Vorderbeinsicheln stürmte das Tier auf Bink zu.

Bink begrüßte es mit einer weiteren Wassersalve. Die Katze sprang vor Entsetzen senkrecht in die Luft, und das Wasser platschte unter ihr vorbei. Oh, jetzt war sie aber wirklich köstlich wütend!

»Wir haben zwei Möglichkeiten, Kaktus«, sagte Bink ruhig, eine Hand über dem Wasser haltend. »Entweder ich weiche dich durch und durch ein – oder du läßt mich vorbei. Oder beides, ganz wie du willst.«

Die Katze fauchte. Sie blickte erst Bink an und dann das Wasser. Schließlich tat sie völlig desinteressiert, als sei sie beleidigt, und stolzierte mit drei steif aufgerichteten Ruten beiseite.

»Sehr gut, Kaktus«, sagte Bink. »Aber laß dir eins noch sagen: Keine Tricks! Wenn ich unterwegs angegriffen werden sollte, hätte ich keine andere Wahl, als meinen Gegner zu packen, ihn in das Becken zu werfen und ihn zu ertränken, egal, was es kosten mag. Das wäre höchst lästig, und ich hoffe ja sehr, daß es nicht nötig sein wird.«

Die Katze tat, als habe sie nicht zugehört, und kringelte sich wieder zum Schlafen nieder.

Bink schritt mit der gleichen gespielten Gelassenheit zur Tür. Er blieb auf der Hut, doch zum Glück war sein Bluff erfolgreich: Die Katze rührte sich nicht.

Jetzt hatte er die Hindernisse überwunden. Er durchsuchte das Schloß, bis er den Guten Magier Humfrey aufgespürt hatte. Der Mann sah aus wie ein Gnom und saß auf drei riesigen Büchern, damit er in einem vierten lesen konnte. Er war alt, vielleicht sogar der älteste Mensch im Lande Xanth, und seine Haut war runzlig und fleckig. Doch er war ein sehr guter und ehrlicher Magier, und Bink wußte, daß er unter seiner rauhen Schale ein gütiges Wesen verbarg.

»Magier!« rief Bink, der immer noch wegen der Schwierigkeiten beim Zutritt wütend war. »Warum achten Sie nicht darauf, wer vor der Tür steht? Ich mußte all Ihre höllischen Hindernisse überwinden – und dabei bin ich nicht

einmal als Bittsteller gekommen. Ich bin im Auftrag des Königs hier!«

Humfrey blickte auf und rieb sich eines seiner geröteten Augen mit einer knorpeligen Hand. »Ach, hallo Bink! Warum bist du nicht schon früher mal vorbeigekommen?«

»Wir haben über den Graben hinweg gebrüllt, so laut wir konnten! Sie haben uns nicht einmal geantwortet!«

Humfrey furchte die Stirn. »Warum sollte ich einem verwandelten Greif antworten, der so erbärmlich krächzt, daß jeder echte Greif rot würde vor Scham? Warum sollte ich einem sturen Zentauren antworten, der mich anbrüllt? Der eine hat keine Frage, die er mir stellen will, und der andere will für die Antwort nicht bezahlen. Beide verschwenden nur meine Zeit.«

»Dann wußten Sie also die ganze Zeit, daß wir da sind!« rief Bink, halb wütend und halb bewundernd, mit einem Schuß undefinierbaren Gefühls. Was für eine Persönlichkeit! »Sie haben mich durch diese ganze unnötige Hindernisbahn gejagt –«

»Unnötig, Bink? Du kommst in einer Mission, die mich ungeheuer viel Zeit kosten und Xanths Wohlergehen selbst bedrohen wird. Warum sollte ich dich da noch ermutigen?«

»Ich brauche keine Ermutigung!« erwiderte Bink hitzig. »Ich brauche lediglich einen Rat – weil der König der Meinung war, das sei besser so.«

Der Gute Magier schüttelte den Kopf. »Der König ist ein reichlich schlauer Kunde. Du brauchst mehr als nur einen Rat, Bink.«

»Na ja, jedenfalls brauche ich von Ihnen bloß einen Rat!«

»Den sollst du haben, und sogar kostenlos: Vergiß diese ganze Mission.«

»Ich kann diese Mission aber nicht vergessen! Ich bin im Auftrag des –«

»Das sagtest du bereits. Ich sagte auch, daß du mehr als nur einen Rat brauchst. Du bist genauso störrisch wie deine Freunde. Warum habt ihr diesen armen Drachen nicht in Frieden gelassen?«

»Den armen –« Bink starrte ihn empört an. Dann lachte er. »Sie sind mir aber einer, Magier! Aber jetzt hören Sie mal auf, mich aufzuziehen, und sagen Sie mir, warum Sie uns nicht ohne diesen ganzen Aufwand hereingelassen haben, wenn Sie schon genau wußten, daß ich unterwegs war.«

»Weil ich es nicht eben liebe, wenn man mich mit Kleinigkeiten belästigt. Wenn meine üblichen Verteidigungsanlagen dich aufgehalten hätten, dann hättest du auch kaum den erforderlichen Willen besessen, um deine Mission wirklich zu erfüllen. Aber du hast nicht aufgegeben, ganz, wie ich befürchtet hatte. Was als harmlose Ablenkung durch ein wohlgestaltetes Gespenst begann, ist zu einer ernsthaften Suche geworden – und was dabei herauskommen wird, entzieht sich sogar meiner Wissensmagie. Ich habe Beauregard befragt, und er hat sich dermaßen aufgeregt, daß ich ihn wieder in seine Flasche stopfen mußte, bevor er einen Nervenzusammenbruch erlitt.«

Beauregard – das war der bebrillte, hochgebildete Dämon, der in einem Behälter verkorkt war. Bink fühlte sich plötzlich unbehaglich. »Was kann einen Dämon denn derart erschüttern?«

»Das Ende Xanths«, antwortete Humfrey knapp.

»Aber ich suche doch bloß nach der Quelle der Magie!« protestierte Bink. »Ich werde Xanth doch nichts Schlimmes antun. Ich liebe Xanth!«

»Als du letztes Mal hier warst, wolltest du den Bösen Magier auch nicht auf dem Thron sehen«, erinnerte Humfrey ihn. »Deine kleinen Abenteuer haben so eine Art, außer Kontrolle zu geraten …«

»Sie meinen, daß diese Mission noch schlimmer wird als die letzte?« fragte Bink. Er war gleichzeitig erregt und entsetzt. Das letzte Mal hatte er nur sein Talent aufspüren wollen.

Der Magier nickte ernst. »So sieht’s aus. Ich kann zwar nicht genau sagen, auf welche Weise deine Suche Xanth bedrohen wird, aber ich bin überzeugt davon, daß die Risiken ungeheuer groß sind.«

Bink dachte daran, wie es wäre, die Suche aufzugeben: Er würde zu Chamäleon zurückkehren, die häßlicher und scharfzüngiger war denn je, und zu Millie, jetzt kein Gespenst mehr, die durch seine Träume spukte. Plötzlich interessierte er sich brennend für die Quelle der Magie Xanths. »Danke für Ihren Rat. Ich werde weitermachen.«

»Nicht so eilig, Bink! Das war nicht mein magischer Rat, sondern nur gesunder Menschenverstand. Dafür verlange ich nichts. Ich wußte, daß du diesen Rat nicht befolgen würdest.«

Manchmal fiel es Bink wirklich schwer, Geduld mit dem Guten Magier zu haben. »Dann geben Sie mir Ihre magische Antwort.«

»Und was bietest du mir als Bezahlung?«

»Bezahlung?« keuchte Bink.

»Das ist eine –«

»… Mission des Königs«, beendete der Magier Binks Satz. »Sei doch realistisch, Bink! Der König zieht dich doch bloß für eine Weile aus dem Verkehr, bis sich deine häusliche Situation bessert. Er kann es nicht zulassen, daß du jedesmal den ganzen Palast auf den Kopf stellst, wenn er gerade versucht, mit der Königin klarzukommen. Das rechtfertigt doch wohl kaum, mir die Bezahlung zu verweigern.«

Nur dumme Menschen versuchten, mit einem Magier zu diskutieren, dessen Talent in der Informationsbeschaffung bestand. Bink entschied sich fürs Diskutieren. »Der König hat meine Mission lediglich zeitlich günstig gelegt. Es war schon immer meine Aufgabe, die Quelle der Magie ausfindig zu machen. Ich habe bloß eine Weile gebraucht, bis ich mich damit befassen konnte. Dieses Wissen ist dem König wichtig. Jetzt, wo ich auf der Suche danach bin, steht die Autorität des Königs dahinter, und er kann Ihre Fähigkeiten in Anspruch nehmen. Das haben Sie auch gewußt, als Sie dabei geholfen haben, ihn zum König zu machen.«

Humfrey schüttelte den Kopf. »Die Macht hat Trent arrogant werden lassen. Er nutzt skrupellos die Talente anderer aus, um seine Ziele zu erreichen.« Dann lächelte er. »Mit anderen Worten: Er ist genau der Monarch, den Xanth braucht. Er bittet nicht, er befiehlt. Als loyaler Bürger muß ich diese Machtausübung sogar unterstützen.« Er blickte Bink an. »Auch wenn sie reichlich launenhaft ausgeübt wird. So muß ich denn meine Bezahlung dem Wohle Xanths opfern. Obwohl ich glaube, daß es diesmal eher zum Unwohle Xanths sein dürfte.«

Diese Kapitulation kam zu plötzlich und zu liebenswürdig. Irgendwo mußte da noch ein Haken sein.

»Wie lautet Ihre Antwort denn dann?«

»Wie lautet denn deine Frage?«

Bink mußte husten. »Was brauche ich für diese Suche?« platzte er heraus.

»Deine Suche kann nur dann Erfolg haben, wenn du einen Magier mitnimmst.«

»Einen Magier mitnehmen!« rief Bink. »Es gibt nur drei Menschen im Rang eines Magiers in Xanth, und zwei davon sind der König und die Königin! Ich kann doch nicht –« Da begriff er. »Sie?«

»Ich sagte doch, daß es mich viel Zeit kosten würde!« grollte Humfrey. »Meine ganzen Geheimstudien muß ich unterbrechen, muß mein ganzes Schloß einmotten – nur weil du nicht ein paar Tage abwarten kannst, bis die Schwangerschaft deiner Frau beendet ist und sie wieder nett und schön wird.«

»Altes Schlitzohr!« rief Bink. »Sie wollen ja mitkommen!«

»Das würde ich nicht gerade behaupten«, meinte der Magier säuerlich. »Tatsache ist, daß diese Suche viel zu wichtig ist, als daß man sie einem Amateur überlassen könnte. Das wußte der König auch sehr gut, als er dich zu mir geschickt hat. Da sonst niemand von gleichem Format zur Verfügung steht, bin ich gezwungen, das Opfer zu bringen. Das heißt jedoch nicht, daß ich deswegen gleich Freudensprünge vollführen muß.«

»Aber Sie hätten die Quelle der Magie doch jederzeit allein ausfindig machen können! Sie hätten sich doch nicht die Suche selbst zu eigen zu machen brauchen, gerade als ich –«

»Gar nichts mache ich mir zu eigen. Es ist deine Suche. Ich werde dich lediglich begleiten, als Retter in der Not.«

»Soll das heißen, daß Sie nicht die Leitung übernehmen wollen?«

»Was soll ich denn mit der Leitung? Ich werde mich um meinen eigenen Kram kümmern und dir die ganzen vertrackten Details der Organisation und der Wegfindung überlassen, bis man mich braucht. Ich hoffe nur, daß das nicht allzu bald und allzu oft sein wird.«

Bink war sich jetzt selbst nicht sicher, wie ernst Humfrey es meinte. Ein Mann, der sich auf magische Information spezialisiert hatte, mußte sich doch wohl ernsthaft für die Quelle der Magie interessieren. Andererseits liebte der Gute Magier aber auch seine Bequemlichkeit und seine Abgeschiedenheit. Wahrscheinlich war Humfrey hin- und hergerissen zwischen Wissensdurst und Bedürfnis nach Zurückgezogenheit, so daß er zwar ablehnend reagierte, aber doch tat, was er für das Richtige hielt. Jedenfalls hatte es keinen Sinn, die Lage noch schlimmer zu machen. Humfrey würde bei einer solchen Suche ein unschätzbarer Gewinn sein. »Es tut mir leid, Ihnen derartige Unannehmlichkeiten bereiten zu müssen. Auf der anderen Seite bin ich allerdings froh, auf Ihre Hilfe rechnen zu können. Ihr Sachverstand ist erheblich größer als meiner.«

»Hmph«, stimmte Humfrey ihm zu und vermied es, besänftigt auszusehen. »Dann bringen wir’s endlich über die Bühne. Sag dem Troll, er soll die Zugbrücke für deine Gefährten herablassen.«

»Äh, da ist noch etwas«, sagte Bink. »Es kann sein, daß mir jemand nach dem Leben trachtet –«

»Und du möchtest wissen, wer es ist.«

»Ja, und auch warum. Mir gefällt der Gedanke nicht–«

»Das hat nichts mit den Geschäften des Königs zu tun. Das muß einzeln bezahlt werden.«

Oh. Gerade als Bink zu vermuten begonnen hatte, daß der Gute Magier auch eine gewisse Großzügigkeit an sich hatte, zeigte er sich wieder voll und ganz von seiner merkantilen Seite. Ein ganzer Jahresdienst für eine Antwort? Da zog Bink es vor, seinen Feind selbst ausfindig zu machen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. »Vergessen Sie’s«, sagte er.

»Schon vergessen«, sagte Humfrey gnädig.

Verschnupft stieg Bink die Treppe hinab, entdeckte den Troll und gab ihm Anweisungen. Das Ungeheuer ließ die von außen

nicht zu erkennende Zugbrücke hinab, und kurz darauf traten Chester und Crombie durch ein Tor herein. Wie konnte es hier nur eine Öffnung geben, wo sich doch in der Wand nicht das kleinste Loch erkennen ließ? Der Magier hatte hier offenbar eine Menge Magie verschwendet! Vielleicht war ja irgendein begabter Techniker mit einer Frage zu ihm gekommen und hatte mit diesem Mechanismus bezahlt.

»Ich wußte, daß du es schaffen würdest, Bink«, sagte der Zentaur. »Was meint der alte Gnom zu deinem Auftrag?«

»Er kommt mit.«

Chester schüttelte den Kopf. »Dann steckst du aber wirklich in der Patsche.«

Der Magier kam die Treppe herunter, um sie zu begrüßen. »Du willst also dein obszönes Talent erfahren«, sagte er zu dem Zentaur. »Was willst du dem alten Gnom denn dafür bezahlen?«

Chester war ausnahmsweise einmal verlegen. »Ich weiß nicht so recht … äh … Zentauren sollen ja eigentlich nicht …«

»… um den heißen Brei herumreden?« fragte Humfrey in ätzendem Tonfall.

»Chester ist einfach nur mitgekommen, damit ich nicht zu Fuß gehen muß«, sagte Bink. »Und um gegen Drachen zu kämpfen.«

»Bink wird immer noch ein Reittier brauchen«, sagte Humfrey. »Da ich nun mit dieser Suche persönlich zu tun habe, ist es auch mein Behuf, dafür zu sorgen. Ich schlage dir folgendes Geschäft vor: Anstatt einen ganzen Jahresdienst abzuleisten, brauchst du mir nur für die Dauer der Suche zu dienen, wenn du eine Antwort bekommen hast.«

Chester starrte ihn erschrocken an. »Soll das heißen, daß ich tatsächlich ein Talent habe? Ein magisches?«

»Zweifellos.« »Und Sie kennen es? Was ist es denn?« »Ich weiß es.« »Dann –« Doch der Zentaur zögerte. »Wenn es für Sie derart

leicht ist, könnte ich es auch versuchen. Warum sollte ich Sie dann dafür bezahlen?«

»Ja, warum eigentlich?« pflichtete der Magier ihm bei.

»Aber wenn ich es nicht herausbekommen sollte und Bink Ärger mit einem Drachen bekommt, nur weil ich nicht dabei bin –«

»Ich würde dich ja zu gerne für alle Zeiten in deinem Dilemma schmoren lassen«, sagte Humfrey, »aber ich habe es eilig, und Bink braucht eine Transportmöglichkeit, also will ich es kurz machen. Leiste den von mir geforderten Dienst im voraus, bevor ich dir eine Antwort gebe. Wenn du dein Talent bis zum Ende der Suche nicht selbst herausgefunden hast, werde ich es dir sagen. Wenn du es aber selbst herausfindest, werde ich dir eine zweite Frage beantworten. Auf diese Weise bekommst du zwei Antworten für den Preis von einer.«

Chester überlegte. »In Ordnung«, sagte er schließlich. »Ich mag Abenteuer sowieso.«

Der Magier drehte sich zu Crombie um. »Du stehst ja ohnehin im Dienst des Königs. Er hat dir eine brauchbare Gestalt verliehen, aber du kannst nicht verständlich sprechen. Ich meine, daß es besser wäre, wenn du etwas kommunikativer wärst. Deshalb stelle ich euch einen meiner Jahresdiener vor: Grundy den Golem.« Eine winzige Menschengestalt erschien, die kaum größer war als eine Männerhand. Er schien aus Bindfäden, Lehm, Holz und Abfällen hergestellt worden zu sein, war aber lebendig.

Der Greif starrte den Golem mit einer Mischung von Staunen und Verachtung an. Er hätte die Gestalt mit einem einzigen Biß zerfetzen können. »Skwaaak!« meinte Crombie.

»Gleichfalls, Vogelschnabel«, erwiderte der Golem ohne besondere Betonung, als sei es ihm eigentlich gleichgültig.

»Grundys Talent ist das Übersetzen«, erklärte der Magier. »Ich werde ihm auftragen, das Greifgeschnatter des Soldaten in menschliche Sprache zu übersetzen, damit wir ihn besser verstehen können. Da er uns seinerseits bereits verstehen kann, wie so manche Tiere, brauchen wir umgekehrt keinen Dolmetscher. Der Golem ist so klein, daß jeder von uns ihn ohne Anstrengung tragen kann, also gibt es da keine Transportprobleme. Bink wird den Zentauren reiten und ich den Greif. So werden wir schnell vorankommen.«

So einigten sie sich. Die Suche nach der Magie des Landes Xanth hatte begonnen.