13. KAPITEL
Die königliche Burg von Elden war einst schön gewesen, das konnte Reda durch das kleine Fernglas, das Dayn in einem Innenfach von MacEvoys Satteltasche gefunden hatte, noch erkennen. Sie standen am Ufer des Blutsees, weit entfernt von der schwer bewachten Brücke, versteckt in einem struppigen Gebüsch am Rand des Toten Waldes. Von dort aus sah sie die klassische Eleganz der Türme und Zinnen, die großen steinernen Festungsmauern und die ausgefeilte Konstruktion der Brücke, die Insel und Ufer miteinander verband. Mit ähnlichen Details bildeten die kleineren Gebäude hinter der Burg ein stimmiges Gesamtbild.
Doch auch wenn das Grundgerüst des königlichen Wohnsitzes ahnen ließ, wie herrlich es dort einst gewesen war, sah es jetzt dunkel und elend aus, und die Ausstrahlung verursachte Reda Übelkeit.
„Bei allen Göttern und dem Abgrund“, fluchte Dayn leise. „Dafür wird er bezahlen.“ Sie sah tiefen Schmerz in seinen Augen, als er seinen Blick über den schmutzig braunen vergifteten See wandern ließ.
Hier und da deuteten Strudel auf Bewegungen unter der Oberfläche hin. Sie wollte gar nicht erst wissen, was für Kreaturen dort lauerten. Die Insel selbst sah grau und verkommen aus, und die Burg war in Smog gehüllt, verwahrlost, und sie sah irgendwie geschlagen aus, auch wenn Reda sich nicht sicher war, wie das sein konnte. Dunkle Gestalten bewegten sich hier und da, manche klein und menschlich, andere riesig und massig mit den Umrissen von Kreaturen, von denen sie gehofft hatte, sie nie außerhalb ihrer Märchenbücher zu sehen – oder ihrer eigenen Albträume. Riesige Skorpione mit Rasiermessern statt Scheren bewachten die Brücke, gigantische krabbenartige Kreaturen krabbelten über die Zinnen, und Ettine arbeiteten auf der Ringmauer und hoben gewaltige Steinbrocken hoch, als wären sie Kiesel. Sie konnte nicht erkennen, ob sie etwas bauten oder abrissen.
An den Grundmauern der Burg regte sich etwas, und als sie blinzelte, konnte sie erkennen, dass Menschen in Ketten hintereinander hergingen. Sie wurden von einem kleineren Mann in einer rot-schwarzen Uniform ausgepeitscht. Alle sechs Gefangenen trugen die königlichen Farben und Stiefel, aber sie gingen gebeugt und mit schlurfenden Schritten. Ihre ganze Körpersprache zeugte von Schmerz. Gefangene Rebellen, daran bestand kein Zweifel.
„Oh“, flüsterte Reda und biss sich dann auf die Lippe.
„Lass mich sehen.“
Sie reichte ihm das Fernglas und zeigte ihm die Richtung. Dann griff sie nach seiner freien Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. Er spannte sich an und wurde einen Augenblick lang ganz still – sie war sich nicht sicher, ob es an ihrer Berührung lag oder ob er die Rebellen gesehen hatte. Doch dann atmete er aus und ließ die Schultern sinken, und er ergriff ihre Hand und drückte fest zu.
Und auch wenn noch so viel zwischen ihnen stand: Als er das Fernglas senkte und sich zu ihr umdrehte, nahm sie ihn ohne zu zögern in die Arme. Er schloss die Arme fest um sie, hielt sie einfach fest, drückte sein Gesicht in ihre Haare und ließ das Fernglas auf den Boden fallen.
MacEvoy schnaubte und senkte den Kopf, um zu grasen. Sein Zaumzeug klirrte, und er zog den Zügel aus ihren Fingern, aber viel wichtiger als das waren die leisen Schauer, die durch Dayns Körper liefen, und seine heftige Umarmung. Zur Abwechslung fühlte sie sich, als wäre sie diesmal der Anker, diejenige, an die er sich anlehnte.
„Wir schaffen das“, sagte sie gegen seinen Hals. „Hab Vertrauen.“ Sie hatten immer noch fast einen halben Tag, um ein Boot zu mieten oder zu stehlen. Den See überqueren wollten sie nach Einbruch der Nacht.
Sein Lachen klang hohl und brüchig. „Ich kann Nicolai und die anderen nicht spüren. Ich glaube, sie sind nicht da.“ Er presste seine Wange gegen ihre Schläfe. „Ich bin vielleicht der Einzige, der noch übrig ist.“
Sie schloss die Augen. Ihr Herz schmerzte für ihn. „Das kannst du nicht wissen. Und selbst wenn, irgendwer muss den Magier aufhalten. So wie jetzt kann es nicht bleiben.“
Er löste sich von ihr und sah so zärtlich zu ihr hinab, dass sie die Augen schließen wollte, um den Moment einzufangen, ehe er vorbei war. „Hast du keine Angst mehr, meine Kriegerin?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, ich habe so viel Angst, dass ich mich in einer Ecke zusammenrollen und mein Gesicht zwischen den Knien verstecken will. Aber ich habe festgestellt, dass du recht hattest. Mutig zu sein hat nichts damit zu tun, keine Angst zu haben. Es geht darum, trotz der Angst weiterzukämpfen.“
Mit dieser Erkenntnis war sie nach einer langen unruhigen Nacht aufgewacht. Es war im Grunde ein einfaches Konzept und vollkommen logisch. Sie wusste, dass sie es schon oft gehört hatte – nicht nur von ihm, sondern auch von Freunden, ihrer Familie, Kollegen und dem Polizeipsychologen –, doch jetzt erst konnte sie es zum ersten Mal selber glauben. Mehr noch, sie glaubte an sich selbst, und sie wusste, dass sie dieses Mal nicht erstarren würde. Nicht heute Nacht, wenn es umso viel ging.
Er nahm ihr Gesicht in die Hände und beugte sich vor, um gegen ihre Lippen zu flüstern: „Ah, süße Reda. Meine teure Kriegerin.“
Als seine Lippen sich auf ihre legten, wusste sie, dass er ein Wolfyn war. Als seine Zunge ihre Lippen berührte, wusste sie genau, dass er mit ihr geschlafen hatte, ohne ihr das schlimmste seiner Geheimnisse gestanden zu haben. Und als sie ihre Lippen öffnete, um ihn einzulassen, tat sie es wissend. Willig. Gierig.
Es gab keinen Bann. Es gab nur sie beide und die Verbindung, die trotz allem, was um sie herum geschah, zwischen ihnen bestand.
Sie schlang die Arme um seine Taille und hielt ihn fest. Bei diesem Kuss ging es weniger um Erregung und mehr darum, zu sagen: Ja, ich bin für dich da. Wir stehen das zusammen durch. Denn das war eine weitere Erkenntnis, mit der sie heute Morgen aufgewacht war: Sie war nicht hier, weil sie die Befehle einer Stimme aus dem Nebel befolgte. Sie war entschlossen, diesen Kampf an Dayns Seite durchzustehen. Nicht nur wegen dem, was vielleicht oder vielleicht auch nicht zwischen ihnen war, sondern weil es das Richtige war. Hier ging es um mehr als nur sie beide, mehr, als je zuvor für sie auf dem Spiel gewesen war. Aber sie konnte es schaffen. Und sie würde. Sie konnte auf ihre eigene Art helfen, die Welt zu retten. Oder zumindest ein Königreich.
Diese Überzeugung legte sie in ihren Kuss. Sie ließ die Hände seinen Rücken hinaufgleiten und spreizte ihre Finger weit, umso viel wie möglich von ihm zu berühren. Ich passe auf dich auf, dachte sie. Schnappen wir uns diesen Bastard.
Als hätte er sie gehört, löste er sich von ihr und presste seine Lippen noch einmal lange auf ihre Wange und ihre Schläfe. Dann wandte er sich vom Blutsee ab und zeigte in die Ferne. „Siehst du die Pinie dort, deren Spitze dreimal gespalten ist?“
Sie stand eine halbe, vielleicht eine dreiviertel Meile entfernt und sah wie ein Dreizack aus. Reda nickte. „Ich sehe sie. Sollen wir uns bei dieser Pinie treffen, falls wir getrennt werden?“
„Nein. Dein Schrein liegt am Fuß dieses Baumes. Dein Weg nach Hause.“
„Mein … was?“ Sie drehte sich zu ihm um, sicher, sich verhört zu haben.
Doch sein Blick, der noch kurz zuvor ganz auf sie gerichtet gewesen war, schweifte über die Insel, ehe er ihr wieder ins Gesicht sah. „Ich weiß, wer ich bin und was ich tun muss, Reda. Ich bin vor allem anderen ein Prinz von Elden, und ich darf mich nicht von meinen Pflichten ablenken lassen.“
In ihrem Kopf wirbelte nur ein lang tönendes Neeeiiiiiiin. Das durfte nicht sein, konnte nicht sein. „Du darfst nicht allein da reingehen. Sie werden dich umbringen.“ Ihre Stimme brach, und ihr blutete schier das Herz. „Wenn du mich beschützen willst, lass es. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“
Statt sofort zu antworten, nahm er ihre Hand in seine und legte sie an seine Brust. Dort hielt er sie fest, damit sie den regelmäßigen Schlag seines Herzens spüren konnte. „Wir müssen jeder das Leben leben, in das wir hineingeboren worden sind.“ Er faltete ihre Hände zusammen, drückte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel, ließ sie dann los und trat zurück. „Kehr heim, Reda. Dort gehörst du hin.“
„Ich …“ Sie stand eine Sekunde lang einfach da, erstarrt, aber nicht aus Angst, sondern vor Schock, Verzweiflung und plötzlicher Wut. „Du Mistkerl. Keely hatte recht, oder? Du benutzt andere, wie es dir passt.“
Er sagte nichts, stand einfach nur da. Und sie sah nichts an ihm, was sagte, dass sie bleiben sollte. Tatsächlich konnte sie überhaupt keine Regung erkennen.
Das zerbrechliche Vertrauen, das sie langsam wieder aufgebaut hatten – von ihrer Seite jedenfalls – zerbrach und verschwand. Einfach so. Fort.
Vorbei. Game Over.
Als etwas sie in den Rücken stieß, zuckte sie heftig zusammen und wirbelte herum. MacEvoy wich einige Schritte zurück, blieb dann stehen und blies durch seine Nüstern, als wollte er sagen: Was ist eigentlich dein Problem?
Ihr nervöses Lachen erstickte in einem Schluchzen. Sie nahm die gefallenen Zügel wieder auf, ohne Dayn anzusehen. Sie konnte ihn nicht ansehen, weil sie sonst die Kontrolle verlieren würde. „Komm schon.“ Sie richtete den Blick auf den dreigezackten Baumwipfel und zog MacEvoy mit sich. „Sehen wir nach, ob es auf dem Weg einen ordentlichen Bauernhof für dich gibt.“ Wenn nicht, würde sie ihn abzäumen und in die Freiheit entlassen, wo er sich selbst durchschlagen konnte.
Sie blieb am Rand des Gebüschs stehen, wo es sich auf einen schmalen Pfad öffnete, der zur Straße führte, und drehte sich noch einmal um. Dayn stand vor der Kulisse aus vergiftetem See und verwahrloster Burg, und er sah entschlossen aus, distanziert und allein. Der einsame Wolfyn. Oh, Gott. Ihr Herz zog sich vor düsteren Vorahnungen zusammen, aber was konnte sie sagen?
Letztendlich hob sie nur die Hand. „Viel Glück, Dayn.“
Der Anflug eines Lächelns lag um seine Lippen. „Dir auch, süße Reda.“ Und dann, mit der ruhigen Anmut eines Raubtieres, verließ er das Dickicht, ohne sich umzusehen.
Und sie war allein, bis auf das Pferd mit dem weißen Gesicht, allein mit ihrem schweren Herzen.
Dayn gestatte es sich nicht, sich noch einmal umzudrehen, auch wenn er es so sehr wollte. Und er gestattete sich nicht, dem reißenden Schmerz Beachtung zu schenken, der an der Stelle pochte, wo sich einst sein Herz befunden hatte, obwohl dieser ihn beinahe überwältigte. Zur Abwechslung verhielt er sich Reda gegenüber edel und ehrenhaft: Er schickte sie fort.
Der Anblick der Burginsel hatte die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, die er gehegt hatte, seit sie am Morgen aufgebrochen waren. Die Befürchtung, dass er ein Wunder brauchte, um überhaupt die Insel zu erreichen, und mehr als das, um es in die Burg zu schaffen. Die Chancen, einen Kampf mit einem Magier zu gewinnen, der dazu fähig war, so viel Schaden anzurichten, und der zwanzig Jahre lang seine Magie und seinen Zauber um die Burg gewoben hatte, waren jämmerlich gering, ob mit oder ohne seine Geschwister – es sei denn, sie hätten über die Jahrzehnte Fähigkeiten erworben, die seine weit übertrafen.
Die Chancen, dass er den See überquerte und starb, standen allerdings verdammt gut. Und wenn es dazu kam, wollte er Reda weit entfernt von der Insel wissen, sicher in ihrer eigenen Welt, selbst wenn sie ihn dafür hasste. Dieses eine Mal wusste er, dass er das Richtige tat, das Selbstlose.
Also gab er dem Drang nicht nach, ihr zu folgen und zu tun, was er musste, um den zerbrochenen Blick aus ihren Augen zu nehmen und sie wieder in die Arme nehmen zu dürfen, wo der Mann in ihm glaubte, dass sie hingehörte. Stattdessen schritt er weiter voran bis in den Teil des Toten Waldes, der als Diebeswald bekannt war, um sich auf die Suche nach einem Boot zu machen.
Doch als er am Rand des Toten Waldes entlangschlich, wurde die düstere Vorahnung, mit der er aufgewacht war, immer stärker. Sie ließ ihm kalte Schauer über den Rücken laufen und brachte ihn dazu, sich wieder und wieder umzusehen.
Da, auf einmal, sah er den Schatten einer Bewegung, und sein Magen verkrampfte sich. Da war etwas da draußen. Etwas Großes und Böses. Und es stank nach Schwarzer Magie.
Mit schnell klopfendem Herzen verließ er sich auf seine Jäger-Instinkte, die plötzlich laut und deutlich brüllten. Er löste seine Armbrust, zögerte und öffnete den kleinen, dicht verkorkten Behälter an seinem Gürtel. Vorsichtig – ganz, ganz vorsichtig – tauchte er die Spitzen seiner letzten sechs Bolzen in die zähe schwarze Flüssigkeit, bis sie ölig glänzten.
Er steckte fünf wieder zurück in seinen Gürtel, die Spitzen nach unten, den Sechsten lud er in seine Armbrust und ging weiter, noch vorsichtiger als vorher. Aufmerksam achtete er auf seine Umgebung, lauschte auf einen Schritt oder einen Atemzug. Da draußen war etwas, aber wo genau?
Eine Wolke verdeckte die Sonne, tauchte die Welt für einen Augenblick in Schatten und zog dann weiter. Der Wind flüsterte über ihm und klang seltsam in den Blättern der sterbenden Bäume. Durch eine Lücke im Blätterdach über ihm brach Sonnenlicht hindurch, das plötzlich wieder von einer Wolke verdeckt wurde. Diese bewegte sich allerdings unnatürlich schnell, wie auf einer starken Luftströmung.
Dann drehte sie um und flog in die andere Richtung. Und wurde dabei immer größer.
Dayn blieb wie angewurzelt stehen und starrte für einen Moment ungläubig, als dem Schatten Flügel wuchsen. So große geflügelte Kreaturen gab es in Elden nicht. Es sei denn, man glaubte an die Legende von … Nein. Unmöglich. Er hörte die Worte mit Redas Stimme und verstand plötzlich, wie schrecklich es war, wenn ein Monster aus Kindertagen zum Leben erwachte. Schließlich befreite er sich aus seiner Lähmung und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Himmel.
„Götter!“, entfuhr es ihm bei dem Anblick, der ihn dort erwartete.
Ein riesiges dunkles Schlangenmonster wogte über den Himmel wie durch Wasser. Dann kreischte es, wirbelte herum und legte die Flügel an, um auf die Erde hinabzustoßen. Seine blutroten Augen waren auf Dayn gerichtet. Es hatte winzige Vorderarme mit Klauen an den Pranken, starke Muskeln an den Hinterbeinen und einen Kopf wie ein geschuppter Hengst. Am ganzen Leib mit schwarzen Schuppen bedeckt, die im Sonnenlicht matt glänzten, war es gleichzeitig schön und auf eine Art furchterregend, die nur den schlimmsten Monstern zu eigen war.
Dayns Puls hämmerte. Es war ein Drache. Und nicht irgendeiner, es war der Feiynd selbst, der Mörder der alten Magier.
Moragh musste ihn beschworen haben, um Dayn zu töten.
Götter, steht mir bei.
Das Maul des Feiynd sperrte sich zu einem stummen Loch auf, und einen schrecklichen Augenblick lang sah es aus, als würde er lächeln. Wind pfiff durch seine langen Flügel und klang wie das Sirren von tausend Pfeilen. Und dann legte er die Schwingen ganz an und stürzte auf ihn herab, eine lebendige Waffe, die ihr Ziel fand.
„Bei allen Göttern und dem Abgrund“, flüsterte Dayn, als er alle Kraft sammelte und jeden Instinkt in sich erwachen spürte. Es nützte nichts, zu rennen, wenn die Hexe ihn als Ziel bestimmt hatte, es nützte auch nichts, sich zu verstecken. Er konnte nur durchhalten und beten. Er hob die Armbrust und richtete sie auf ein zornig rotes Auge.
Die Augen konnten sehen. Sie konnten kommunizieren. Sie waren ein Weg in den Kopf, und von dort aus ins Herz.
Candida, ich hoffe, du hast gewusst, was du tust. Und wenn es nicht funktioniert, dann hab trotzdem vielen Dank dafür, dass du es versucht hast.
Er wartete einen Herzschlag lang. Zielte. Sah, wie der Feiynd sein Maul weit aufsperrte.
Und schoss.
Der Bolzen war genau gezielt, aber die Luftströmung eines Flügels warf das Geschoss aus der Bahn, und es flog dem Drachen in den Mund, der sich mit einem Schnappen schloss, dann wieder weit öffnete und vor Schmerz und Wut kreischte. Das Geräusch war so schrill, dass Dayn es gerade noch wahrnehmen konnte, hart und so dissonant, dass es an seinen Nerven zerrte und er fliehen wollte, mehr als je zuvor in seinem Leben.
Mit einem weiteren Schrei stieß das Monster durch die dünne Decke aus gelbem Laub und prallte auf dem Boden auf. Dayns Angriff hatte es aus der Bahn geworfen. Es landete schwer, grub seine Klauen in die Erde, um sich auf den Beinen zu halten und kreischte noch einmal, als Zweige von oben herabfielen und es – und Dayn – mit Laub überschütteten.
Dann legte es Beine und Flügel eng an und rollte sich zu einer Spirale zusammen, sodass es einer riesigen aggressiven Schlange glich, zum Angriff bereit.
Dayn fiel zwischen die Bäume zurück und hoffte von ganzem Herzen, dass diese das Monster einen Moment aufhalten konnten. Sein Herz und seine Gedanken rasten und brachten ihm einen Augenblick beinahe unwirklicher Klarheit. Es hatte keinen Zweck davonzurennen, er musste den Feiynd hier und jetzt umbringen. Die Augen, auf die Augen musste er zielen. Aber sie waren kleiner, als ihm klar gewesen war, und lagen tief in schuppigen Höhlen. Ihm musste der Schuss seines Lebens gelingen. Wortwörtlich.
Tief in seiner Seele flüsterte er: Vater, wenn du mich hören kannst, wenn du noch irgendeinen Einfluss auf diese Welt hast, dann hilf mir jetzt.
Als er einen zweiten Bolzen einsetzte, dankte er den Göttern, dass Reda nicht hier war, denn auf keinen Fall wäre sie gegen den Feiynd angekommen. Sie hätte es allerdings versucht, denn so war sie nun einmal.
Er richtete seine Armbrust auf eines der winzig kleinen Augen und zielte. Feuerte.
Der Bolzen prallte am Schuppenpanzer ab, der die Augenhöhlen des Feiynd umgab. Eine Sekunde lang schien es, als würde das Monster ihn auslachen. Dann schrie es aus voller Kehle und griff an. Und Dayn kämpfte auf einmal um sein Leben, getrieben von dem Wissen, dass Elden mit ihm fallen würde, wenn er jetzt starb.
Reda wirbelt herum, als plötzlich laute Geräusche aus Richtung des Sees erklangen: Brüllen, Kreischen und das Brechen von Unterholz und Bäumen. Ihr Herz blieb stehen. „Dayn!“
Als sie die Geräusche hörte, kümmerte es sie nicht mehr, ob er sie benutzt hatte oder ob das vielleicht wieder eine Lüge gewesen war, damit sie vor ihm davonrannte.
Ein zweites, schrecklich schepperndes Geräusch ließ MacEvoy scheuen. Er rannte los und riss sie dabei von den Füßen. Sie ging auf die Knie, hielt aber entschlossen die Zügel fest, und nach wenigen Schritten hatte ihr Gewicht den Kopf des Pferdes herumgedreht und es zum Stehen gebracht. Jetzt keuchte es und rollte mit den Augen.
„Wag es bloß nicht, du Nervensäge.“ Reda stand auf, griff nach dem Zaumzeug des Tiers und drehte seinen Kopf, sodass sie ihm in die panisch aufgerissenen Augen sehen konnte. Sie knurrte: „Das reicht. Reiß dich zusammen! Finde deinen inneren Biestjäger, oder was auch immer, denn wegrennen ist keine Lösung für uns. Nie mehr. Verstanden?“
Sie wusste nicht, ob die Worte zu ihm durchdrangen oder ob es an ihrem Tonfall lag, der keinen Widerspruch duldete, aber MacEvoy ergab sich, blieb zitternd stehen und ließ sie aufsitzen.
Er erhob sich protestierend auf die Hinterbeine, aber als sie knurrte, preschte er vor wie befohlen und lief in die Richtung, die sie ihm anzeigte. „Gute Wahl.“ Sie klopfte ihm kurz auf den Hals.
Und dann, ohne nachzudenken oder die Logik hinter ihren Gefühlen zu hinterfragen, trieb sie ihn auf die schrecklichen Geräusche zu und betete, dass sie nicht schon zu spät kam.
Dayn duckte sich und hastete von einem Baum zum nächsten. Er legte eilig den letzten Bolzen in die Armbrust. Der Feiynd kreischte und schnappte nach ihm.
Der Tote Wald war alles, was ihn im Augenblick noch am Leben hielt. Er verlangsamte den Drachen und zwang ihn, in seiner Schlangengestalt zu bleiben, weil kein Platz war, seine Glieder auszubreiten und seinen Schwanz mit den tödlichen Stacheln beim Angriff einzusetzen. Aber dieser Segen war auch ein Hindernis, denn die Zweige verstellten ihm die Schusslinie. Und er konnte die Kreatur auf keinen Fall im Nahkampf besiegen. Mit einer Pike, auf einem Biestjäger, hätte er vielleicht eine Chance gehabt. Mit einem Kurzschwert und ohne Rüstung wäre er tot, noch ehe er den ersten mickrigen Treffer gelandet hatte. Seine Wolfyn-Gestalt würde ihm auch nicht helfen. Er konnte dem Monster damit vielleicht auf dem Boden entkommen, aber es konnte fliegen, und die Hexe hatte es an seine Lebenskraft gebunden.
Es gab keine Hoffnung auf Entkommen. Einer von ihnen musste sterben.
Wenn er doch nur … da! Vor ihm stand ein großer Baum mit niedrigen stabilen Ästen, und dahinter schien eine Lichtung zu liegen.
Er beschleunigte so stark, dass es ihm die letzte Kraft zu kosten schien, obwohl er seine Fangzähne voll ausgefahren hatte und seine Heilungskraft so weit wie möglich ausnutzte. Er rannte auf den Baum zu, sprang, ergriff einen niedrig hängenden Ast und kletterte nach oben. Von dort aus würde er auf den Drachen schießen können, ohne dass ihm etwas im Weg war, vielleicht sogar aus einem günstigeren Winkel.
Doch als er sich umdrehte, war das Monster verschwunden.
„Beim Abgrund.“ Das war nicht gut.
Er drehte sich bereits zur Lichtung um, als er das Sirren wie von tausend Pfeilen hörte, mit dem Feiynd durch die Lüfte schoss. Die Kreatur landete auf der offenen Lichtung, direkt vor dem Baum, in voller Drachengestalt, Gliedmaßen und Flügel ausgebreitet.
Kreischend erhob sie sich auf die Hinterbeine, um sich über Dayn aufzurichten, höher sogar als die Bäume. Er konnte weder die Augen des Monsters erkennen noch die elastische Zone in den Achselhöhlen, an der geschuppte Kreaturen oft verletzlich waren. Alles, was er sehen konnte, waren ein schuppiger Bauch und breite ausladende Flügel, während das Monster fast eine Sekunde lang aufrecht stehen blieb und kreischte.
Und dann plötzlich ließ es sich über dem Baum auf alle viere herabfallen. Äste brachen, und der Stamm schwankte heftig, ehe er durch die rohe Kraft des Monsters entwurzelt zu Boden fiel.
Dayn versuchte abzuspringen, landete aber direkt unter den äußersten Zweigen, die auf ihn fielen und ihn am Boden festhielten. Er riss sich los, rappelte sich auf und …
Er sah nur verschwommen eine riesige schwarze Masse auf sich zukommen, als der Feiynd zuschlug. Sein Kiefer schloss sich um Dayns Unterarm und seine Brust. Die gebogenen spitzen Zähne gruben sich in sein Fleisch, und glühend heißer Schmerz durchfuhr ihn.
„Nein!“ Ihm wurde schwarz vor Augen, und das schreckliche Gefühl, dass er schwer verletzt war, überkam ihn. Er konnte sein eigenes Blut durch den Schwefelatem des Monsters riechen, konnte es in seinem Mund schmecken und fühlte, wie es ihm aus der Nase tropfte. Aber zur gleichen Zeit drangen zwei Dinge in sein Bewusstsein: Er hatte immer noch seine Armbrust, und die winzigen roten Augen waren auf einmal sehr nah.
Er drehte seinen Körper und empfand dabei noch mehr Schmerz, noch mehr unangenehmer Gefühle, aber das hinderte ihn nicht daran, die Armbrust zu heben.
Ohne Vorwarnung wurde er, immer noch zwischen den Zähnen des Drachen eingeklemmt, in die Luft gehoben, als das Monster den Kopf nach hinten riss. Dann ließ es los.
Dayn wurde von den spitzen Zähnen geschleudert und flog durch die Luft. Eine Sekunde lang war er wie schwerelos, und es fühlte sich fast gut an, als der Schmerz, den die Reißzähne verursacht hatten, schwand und der Schmerz, in die Luft gerissen und dann ausgespuckt zu werden, noch nicht eingesetzt hatte. Doch dann prallte er auf die staubige Lichtung und rutschte ein ganzes Stück über den harten Boden. Der Knall des Aufpralls klingelte ihm in den Ohren.
Er versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht. Er versuchte, die Armbrust zu heben, die er immer noch in einer Hand hielt, die Finger fest um den Schaft geschlossen, aber auch das konnte er nicht. Er konnte einfach nur daliegen und zusehen, wie der Feiynd sich wieder auf die Hinterbeine erhob, die Flügel ausbreitete und triumphierend brüllte. Dann donnerte er zurück auf den Boden und kam schwankend auf ihn zu. Seine roten Augen, klein wie die eines Schweines, richteten sich fest auf Dayn, und er riss das Maul weit auf, um die schrecklich spitzen Zähne zu zeigen, an denen jetzt sein Blut klebte.
Das Monster ließ sich Zeit, aber Dayn wusste genau, was als Nächstes kommen würde. In dem Punkt stimmten alle Geschichten überein: Der Feiynd ließ nie eines seiner Opfer am Leben.
Als das Untier bis auf ein Dutzend seiner riesigen Schritte an ihn herangekommen war, versuchte Dayn seine Heilungsmagie zu beschwören, aber sie war verbraucht, genau wie seine Wolfyn-Magie. Er war zu ausgelaugt. Seine Gedanken rasten, aber sie waren unklar und verworren, und er hatte keinen Plan. Es tut mir leid, Vater. Schließlich hatte er doch versagt. Er war so nahe dran gewesen, aber er hatte es nicht geschafft. Und am Ende war er wohl mehr Mann als Prinz, denn jetzt, da der Feiynd nahe genug war, um zuzuschlagen, galten seine Gedanken nicht seiner Familie oder Elden, sondern seiner Geliebten. Leb wohl, süße Reda, dachte er und war froh, dass er wenigstens sie in Sicherheit wusste.
Doch als das Monster sich mit glitzernden Augen und weit aufgerissenem Maul über ihm aufbäumte, hörte er das Donnern von Hufen und ihre Stimme, die schrie: „Nein!“
Ein Pfeil sauste durch die Luft und vergrub sich in der Achselhöhle des Feiynd. Der Drache kreischte und wich zur Seite aus, fort von Dayn. Gleichzeitig verfluchte dieser Reda und dankte ihr von Herzen, er wollte …
Der Schwanz des Feiynd holte aus, zischte durch die Luft und schlug mit voller Wucht auf Dayns verwundeten Körper herab.
Dunkelheit.
„Nein!“ Reda stand in den Steigbügeln und schoss einen weiteren Pfeil auf den Drachen, der sich wieder aufrichtete. „Mach, dass du von ihm weg kommst, du Bastard!“ Unter ihr blieb MacEvoy ruhig und galoppierte sich die Seele aus dem Leib, obwohl seine Ohren flach am Schädel anlagen und sein Körper vor Angst zitterte.
Der Pfeil prallte ab, aber der Drache war abgelenkt. Das Monster wirbelte den Kopf herum und zischte, als es sie entdeckte. Es war immer noch zu nah bei Dayn. Sie konnte sich nicht um ihn kümmern, solange das Monster quasi über ihm stand. Schlimmer noch, als sie sich dem Schlachtplatz näherte, stellte sie zu ihrem Schrecken fest, dass Dayn reglos und schlaff dalag. Seine Kleider waren blutgetränkt und seine Wunden sahen gefährlich aus. Er war viel schlimmer zugerichtet als nach dem Kampf mit Kenar.
„Nein“, flüsterte sie.
In dem kurzen Augenblick zwischen einem Galoppsprung und dem nächsten blitzte das Bild von Benz vor ihr auf, wie er hinter dem Tresen stand. Der Schütze hatte sich umgedreht, um eine Waffe auf sie zu richten, und ihr fiel der Plan ein, den sie damals gefasst, aber nie durchgeführt hatte: ablenken und dann angreifen.
Reda hielt nicht an, um nachzudenken oder zu planen, dazu blieb keine Zeit, es hatte keinen Zweck. Sie löste sich einfach aus den Steigbügeln, beugte sich dicht an MacEvoys Hals und sagte: „Wenn ich abspringe, machst du, dass du wegkommst.“
Sie wusste nicht, ob der Braune sie verstand oder nicht, aber als sie an Dayns Körper vorbeirasten und der riesige, glänzend schwarze Drache sich auf das konzentrierte, was er wahrscheinlich für Essen auf Hufen hielt, schrie sie: „Lauf!“, und sprang aus dem Sattel.
Der Boden war hart, der Aufprall schmerzhaft. Sie rollte sich ab, aber als sie zum Liegen kam, klingelte es in ihren Ohren, und ihr rechtes Handgelenk schmerzte, als wäre es verstaucht oder Schlimmeres.
Sie hatte keine Zeit, sich darüber Sorgen zu machen. Als sie auf die Füße sprang, sah sie, dass MacEvoy seine Aufgabe, freiwillig oder nicht, erfüllt hatte. Der Drache war abgelenkt. Aber das Monstrum folgte dem Pferd nur wenige Schritte, ehe es stehen blieb, sich wieder umdrehte und neu orientierte.
Reda fiel neben Dayn auf die Knie. Sie starrte entsetzt auf seine klaffenden Wunden, die sie durch das zerrissene Hemd sehen konnte, und das Blut, das ihm aus den Mundwinkeln tropfte. Er atmete flach, und seine Augen waren nach hinten verdreht. Ein Schluchzen stieg in ihrer Brust auf, aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Sie schüttelte ihn sanft, hoffte auf ein Stöhnen, aber nichts geschah. „Dayn, wach auf. Wir müssen hier weg!“
Sie konnte ihn nicht tragen, und MacEvoy war schon lange verschwunden. Und dann fing auch noch der Boden unter ihnen an zu beben, als der große schwarze Drache wieder auf sie zukam. Hass und Hunger brannten in seinen winzigen roten Augen.
Sie stellte sich hinter Dayn und versuchte ihn zu ziehen, aber er war viel zu schwer. Außerdem tat sie ihm wahrscheinlich weh damit, verschlimmerte seine Verletzungen noch, aber was blieb ihr für eine Wahl? „Dayn, bitte, wach auf!“
Alle Logik der Welt riet ihr, ihn liegen zu lassen und wegzurennen, weil das Monster ihn wollte und nicht sie. Aber die Logik kam gegen ihre Gefühle für ihn nicht an, also blieb sie, wo sie war, und versuchte verzweifelt, ihn zu wecken. Sein Kopf fiel zur Seite und sein Mund öffnete sich ein Stück, bis seine voll ausgefahrenen Fangzähne zu sehen waren.
Der Anblick weckte in ihr ein plötzliches Begehren und Verstehen. Sie ließ sich nicht darüber nachdenken, ließ sich nicht zögern. Sie öffnete seinen Mund, legte ihr Handgelenk an die zwei rasiermesserscharfen Spitzen und drückte dagegen.
Erst schrie sie auf vor Schmerz, doch dann bewegte er sich leicht gegen sie und erwachte. Sie atmete scharf ein, als eine Welle der Hitze durch ihren Körper lief. Sie löste ihr Handgelenk von seinen Fangzähnen und drehte den Arm so, dass ihr Blut auf seine Zunge tropfte. Die Zunge bewegte sich, unwillkürlich zunächst, dann mit einem Ziel. Sie leckte zweimal über ihr Handgelenk, dann ein drittes Mal.
Reda tat ihr Bestes, die Mischung aus Schmerz und Wonne zu ignorieren, die sein Trinken ihr bereitete, beugte sich vor und sagte: „Wach auf. Ich brauche dich.“ Ihr Herz hämmerte, und Verzweiflung drohte sie zu überwältigen, als der Drache sie erreichte, sich aufbäumte, kreischte und mit den Flügeln durch die Luft schlug. Dann prallte er wieder zu Boden und schlängelte seinen tödlichen dreieckigen Schädel auf sie zu. Er setzte zum tödlichen Schlag an, riss das Maul weit auf und …
Dayn bäumte sich mit einem Ruck auf, brachte die Armbrust in Position und schoss den Bolzen mitten in ein feuerrotes Auge.
Der Drache jaulte und wich zurück. Seine Flügel flatterten so heftig, dass er vom Boden abhob und einen Augenblick in der Luft hing, während er wimmerte, sich krümmte und sich am Himmel zu immer unmöglicher scheinenden Positionen verdrehte. Sekunden später wurde er schlaff und fiel zu Boden.
Er verschwand beim Aufprall, vielleicht dorthin zurück, woher die Magie ihn geholt hatte.
Plötzlich war es auf der Lichtung vollkommen still.
Reda starrte an die Stelle, an der das Monster gewesen war, und stieß einen langen Atemzug aus. „Gut. Wir haben es geschafft. Das war … gut.“ Sie fühlte sich ganz und gar nicht gut, im Gegenteil. Sie spürte viel zu bewusst, wie ihr Handgelenk wehtat und wie die Mischung aus Schmerz und Lust noch immer in ihr brodelte.
Auch Dayn ging es noch lange nicht gut. Er stöhnte, als er versuchte, sich aufzusetzen und vor ihr zurückzuweichen, fiel aber schwach wieder zurück. Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte. „Wir müssen hier weg. Moragh wird wissen, dass wir ihre Kreatur umgebracht haben. Sie schickt ihre Männer, um uns zu finden, oder sie kommt selbst. Ich kann nicht kämpfen.“
Das war noch untertrieben. Sie brauchte all ihre Kraft, um ihn auf die Füße zu heben und dort zu halten, und er stützte sich schwer auf sie. Als sie die Lichtung verließen und zurück in den Wald gingen, verfiel er außerdem immer wieder in eine Art Trance und murmelte wirre Gedanken vor sich hin. „Weiß nicht, wer ich bin, sagt er? Werd’s ihm zeigen … wünschte, ich hätte mit dir gehen können, süße Reda, wünschte, du wärst nicht zurückgekommen … weiß nicht, wo sie sind …“
„Ich wünschte, du wärst nicht zurückgekommen“ erklang immer wieder. Obwohl sie sich eingeredet hatte, dass er sie fortgeschickt hatte, um sie zu beschützen, musste sie sich jetzt fragen, ob sie sich nur etwas vormachte. Aber zur Abwechslung beschloss sie, nicht gleich das Schlimmste anzunehmen, sondern erst einmal abzuwarten. Zuerst musste sie ihn wieder auf die Beine bringen. Und auch wenn sie eine Ahnung hatte, was zu tun war, gefiel ihr die Vorstellung nicht besonders.
Oder vielmehr, sie gefiel ihr nur allzu gut. Und das machte ihr Sorgen.
Etwas tiefer im Wald fand sie eine Stelle, an der ein gewaltiger Baum vor langer Zeit gegen drei große Findlinge gefallen war. Zeit und das Wetter hatten den riesigen Stamm ausgehöhlt und darin eine kleine geschützte Höhle geschaffen, die fürs Erste reichen musste, denn Dayn atmete schwer und konnte sich kaum noch aufrecht halten.
Sie legte ihn vorsichtig in das Versteck und machte dann einen kurzen Rundgang, konnte aber keine Anzeichen der Hexe entdecken, wenigstens keine, die sie mit ihren allzu menschlichen Sinnen bemerken konnte. Sie kam zu ihm zurück, duckte sich und kroch neben ihn.
Die Höhle war ausreichend trocken und verbarg sie gut, aber sie vermisste den Proviant, mit dem MacEvoy davongaloppiert war, denn Dayn sah überhaupt nicht gut aus. Seine Augen waren geschlossen, sein Atem ging flach, und der Schmerz grub ihm tiefe Falten ins Gesicht.
Andererseits wusste sie, er brauchte nichts aus den Satteltaschen. Er brauchte Blut.