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Depurgativa

Wenn der Brechreflex das Eindringen ekeliger, unbekömmlicher Substanzen oder ungewohnter Bakterienstämme nicht verhindern konnte, wehrt sich der Körper durch eine weitere Reaktion. Er putzt den Verdauungs trakt so schnell wie möglich aus, bevor allzuviel von der krankmachenden Substanz vom Darm absorbiert wird. Es kommt zu heftigem Durchfall. Auch Toxine, die von erkrankten inneren Organen stammen, werden auf diese Weise ausgeschwemmt.

In vielen Heiltraditionen wird diese natürliche Reaktion mit Hilfe von Abführmitteln und Darmspülungen künstlich nachgeahmt. Die Indianer glaubten generell, daß Krankheiten mit dem Essen und Trinken in den Körper gelangen und sich oft auch als Würmer und Darmparasiten manifestieren. Da ist es selbstverständlich, daß Abführmittel beim Heilen eine wichtige Rolle spielen. Bei den Indern gehört der Stuhlgang und womöglich ein Klistier zum täglichen Ritual der morgendlichen Reinigung. Die ayurvedische Therapie hält eine große Menge pflanzlicher Mittel für eine optimale Darmfunktion bereit.

Klistiere und Abführmittel spielten eine besonders wichtige Rolle bei den pharaonischen Ägyptern. Ägyptische Heilpriester verglichen den menschlichen Körper mit dem Niltal. Der Verdauungskanal, vom Mund bis zum After, wurde als mikrokosmisches Abbild des mächtigen Nil gesehen, der die Felder bewässert, düngt und gleichzeitig Unrat und Ungeziefer hinwegspült. Krankheit galt vor allem als Blockierung oder Veränderung des heilsamen Fließens. Demzufolge gehörten Abführmittel und Klistiere zu den wichtigsten Arzneien. Der berühmte Ebers Papyrus, in dem die vor 4400 Jahren in Ägpten benutzten Heilpflanzen aufgezeichnet sind, enthält viele darmpurgierende Mittel, darunter die Koloquinthe, die Sennesblätter, die wir heute noch als sicheres, darmschonendes Abführmittel benutzen, und das darmreinigende Rizinusöl. Die Hygiene der alten Ägypter schrieb eine monatliche Darmreinigung von mindestens drei Tagen vor.

Claudius Galen, der Leibarzt des römischen Kaisers Marc Aurel, berief sich auf die ägyptischen Vorbilder. Seine Vier-Säfte-Lehre ließ es notwendig erscheinen, die »Humore« – gelbe Galle, schwarze Galle, rotes Blut, weißer Schleim – in fließender Bewegung zu halten. Bei Verstopfungen würde sich schwarze Galle ansammeln und schließlich ins Gehirn steigen, wo sie nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch Schwermut und Depression erzeugen würde. Also hatten auch hier Abführmittel Priorität. Galens Ideen waren für die westliche Medizin bis in die Neuzeit richtungweisend, ebenso wie die arabisch-islamische Heilkunde. Im Laufe der Zeit benutzten die Ärzte immer stärker wirkende Depurgativa wie die Zaunrübe (Bryonia dioica) und die Aloe. Von den Arabern kamen dann das Manna (Fraxinus ornus), die Tamarinde (Tamarindus indicus) und die Purgierwinde (Convolvulus scrammonia) hinzu.

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Paracelsus propagierte die wirklich drastisch purgierende, giftig schwarze Nieswurz (Helleborus niger). Von dieser Nieswurz oder Christrose schreibt der Hohenheimer: »Ein Arzt, der allein diese Pflanze richtig zu gebrauchen weiß, hat Kunst genug« und »Sie entfernt aus dem Leib, was nicht in ihm sein soll.« Sie drainiert vor allem die schwarze Galle, als Niespulver aber zieht sie den weißen Schleim (Phlegma), als Brechmittel die gelbe Galle (Chole), und bei der Frau zieht sie das Menstrualblut. Sie ist ein drastisches Emmenagogum, ja sogar ein Abortivum. Wegen ihrer Giftigkeit geriet die Nieswurz allmählich in Verruf. Nicht jeder konnte so geschickt mit ihr umgehen wie Paracelsus. Die leichtsinnig mit ihr vorgenommenen Wurm- und Entlausungskuren, die Abtreibungen und die Behandlungen von Fallsüchtigen und Besessenen, denen man den bösen Geist austreiben wollte, verliefen oft tödlich.

Die Volksmedizin hält viele sanft wirkende, den Stuhlgang anregende Heilmittel bereit. Die am häufigsten verwendeten Pflanzen sind Wegwarte, Quendelseide (Cuscuta europaea), Tüpfelfarn und Süßholzwurzel. Etwas stärker wirkt der Faulbaum (Frangula alnus), dessen Rinde ein Jahr gelagert werden muß, um wirksam zu sein, die Beeren des Kreuzdorns (Rhamnus cathartica) und die Wurzeln der Rhabarber- und Ampferarten. Die Wirkung der letztgenannten Abführmittel beruht auf der Anwesenheit roter Farbstoffe, der sogenannten Anthrazen-Verbindungen (Anthrachinonglykoside), mit denen man einst Wolle färbte. Indem die den Darm besiedelnden Koli-Bakterien den Zuckerteil (das Glykosid) verdauen, setzen sie die Wirkstoffe frei, die die Peristaltik anregen. Mit anderen Worten, die Wirkung der Faulbaumrinde oder des Kreuzdorns macht sich erst nach acht bis zwölf Stunden bemerkbar.

Neuste Ermittlungen haben ergeben, daß allein in der Bundesrepublik ein Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen von chronischer Darmträgheit betroffen sind. Schuld daran ist vor allem die »Zivilisationskost«, aber auch die Nebenwirkungen der vielen Aufputsch-, Beruhigungs- und Schlafmittel, von denen der Großteil der Bevölkerung abhängig ist, tragen ihr Schärflein bei. (Alexander/Zoube 1986:258) Selbstverständlich spielen auch seelische Faktoren eine Rolle. Ebenso wie man vor Angst und Schrecken »in die Hosen machen« kann, können Lebensangst, Verspannung und unterschwellige Aggressionsgefühle den Stuhlgang blockieren. Inzwischen geben die Bundesbürger über 300 Millionen Mark jährlich für Laxative aus.

Auch wenn milde pflanzliche Abführmittel erhältlich sind, sollte man sich ihrer so wenig wie möglich bedienen. Der Dauergebrauch kann zu einem »Laxativ-Kolon« führen, zu einem Schwächezustand der Darmmuskulatur. Besser wäre es, auf die richtige Ernährung zu achten. Wildkräuter und Rohkost, Vollkorngetreide und Obst, dazu genügend Bewegung und ein freudiges Temperament. Das würde auch die natürlichen, pflanzlichen Laxativa überflüssig machen. Im Notfall bedient man sich des im Darm aufquellenden Flohsamenwegerichs oder des Leinsamenschrots.

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