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Erbrechen und Durchfall

Die Speiseröhre und der Magen sind die nächsten Eingangspforten, durch die Krankheitserreger oder Giftstoffe in die Festung des Körpers eindringen können. Nase und Geschmacksknospen alarmieren das autonome Nervensystem, wenn ein fauliger, stinkender, bitterer oder ungewohnt scharfer Geschmack das in den Mund Genommene verdächtig erscheinen läßt. Hat man schon geschluckt, wird automatisch der Brechreflex aktiviert, und der unbekömmliche Brocken fliegt im hohen Bogen wieder hinaus. Aber auch wenn er nicht sofort erbrochen wird, erwartet den eingeschleusten Krankheitserreger ein Säurebad (pH Wert 3), das nur die wenigsten von ihnen überleben.

Selbstverständlich hat der Brechreflex, wie alle autonomen Funktionen des vegetativen Nervensystems, eine starke seelische Komponente. Es sind nicht nur vergammelte Speisen, zuviel Alkohol oder der Gestank von Verwesung und Kot, was Menschen »zum Kotzen« finden. Oft ist es auch das, was man sonst noch so schlucken mußte: Enttäuschung, Erniedrigung, Frust, Lügen. Auch das ist unbekömmlich und krankmachend.

Dieser Reflex spielte und spielt in der Heilkunde aller Kulturen eine Rolle. Neben abführenden und schweißtreibenden Mitteln nahmen die indianischen Medizinmänner oft auch Brechmittel (Emetika), um sich vor einer Heilseance oder vor der Begegnung mit den Geistwesen zu reinigen. Auch den Kranken wurden Brech- und Purgiermittel gegeben, um die Krankheit, sei es in Form eines bösen Geistes oder einer magischen Introjektion, hinauszubefördern. Die ägyptischen und griechischen Heilpriester gaben ihren Patienten ebenfalls Brechmittel und Abführmittel, ließen sie fasten und beräucherten sie, damit sie gereinigt in den Tempelschlaf geleitet werden konnten.

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Bei den galenischen Ärzten des Mittelalters stand das Purgieren, das Austreiben der »schlechten Säfte«, im Mittelpunkt ihrer Therapie. Sie glaubten, daß nicht nur der Magen-Darm-Trakt durch Erbrechen und Einläufe von schädlichen Humoren gereinigt würde, sondern durch eine Art Saugaktion auch die dahinterliegenden Gewebe und inneren Organe. Die Beseitigung der »Kakochymie« würde sich auch auf die seelische Gesundheit auswirken und dem Patienten die Schwermut, die Trägheit, den Zorn oder die Eitelkeit nehmen. Als pflanzliche Brechmittel nutzten Ärzte und Heiler Bitterdrogen (u. a. Enzian) in erhöhter Dosis, Senfmehl, Holunderblätter, Waldbingelkraut, Veilchenwurzeln und vor allem, bis zur Einführung der südamerikanischen Brechwurzel (lpecacuanha), die Haselwurz (Asarum europaeum).

Das induzierte Übergeben ist heute generell aus der Mode gekommen. Nur Ipecacuanha findet man noch im Medizinschrank. Das Brechmittel eignet sich hervorragend bei Vergiftungen von Kindern und ist einfacher zu handhaben als eine Magenspülung. (Weiß 1991:265)

Wie eng der Brechreiz mit dem Seelenzustand in Verbindung steht, zeigt die afrikanische Giftprobe. Die Giftprobe ist ein wichtiger Bestandteil des traditionellen Justizsystems. Bei einem Kapitalverbrechen, vor allem bei einem Voodoo-Mord, muß der Angeklagte seine Unschuld unter Beweis stellen, indem er auf eine Tribüne steigt und in aller Öffentlichkeit einen Giftbecher leert. Die giftige Brühe wird, unter Beimengung von Eidechsen, Schlangen und eventuell dem Herz eines vorangegangenen Opfers, aus der Rinde des Tali-Baumes (Erythrophloeum guineese) hergestellt. (Davis 1985:238) Der Häuptling, dessen Aufgabe es ist, die Giftrinde abzuschälen, bittet den Deva des Baumes um Hilfe: »Wir sind gekommen und rufen dich an, einen Streit zu schlichten. Du bist ein Baum, der nie lügt, ein mächtiger Baum. Du läßt allen Gerechtigkeit widerfahren!« Ist der Angeklagte unschuldig, wird er sich nach dem Trinken der scheußlichen Brühe übergeben müssen, und er wird leben; ist er dagegen schuldig, wird er das Gift nicht erbrechen können und wird sterben müssen. Dieses Gericht ist kein gewöhnliches Gottesurteil, wie es den Hexen in Europa zugemutet wurde, sondern beruht auf genauster Kenntnis der Funktion des vegetativen Nervensystems und der toxikologischen Wirkung der Ingredienzien. Einem Lügner wird das Gift wie Blei im Magen liegen, da der durch die Angstreaktion aktivierte Sympathikus nicht nur Adrenalin ins Blut jagt, sondern auch sämtliche Regungen des Verdauungssystems lähmt. Der Unschuldige dagegen wird es mit Leichtigkeit herausspeien können. (Grossinger 1982:132) Der Ethnomediziner Georg Harley berichtet von einer selbstsicheren alten Mano-Frau, die die Zuschauer von ihrer Unschuld überzeugte, indem sie gleich zwölf Giftbecher hintereinander trank, alle sofort wieder erbrach und dann, ihren perönlichen Triumph auskostend, stolz von der Tribüne hinabstieg. (Harley 1941:156)

Zu der Überzeugung, daß böse, krankheitsverursachende Geister beim Erbrechen aus dem Leibe fahren, gelangte auch ein holländischer Priester. Immer wieder hätte er hellsichtig wahrgenommen, wie leibhafte kleine Teufelchen dabei das Weite suchten. Daß diese Beobachtung ihre Richtigkeit hat, wissen viele Studenten intuitiv: Ein gelegentliches Saufgelage im Beisein bester Freunde ist geeignet, eine regelrechte seelische Katharsis herbeiführen. Alle im Universitätsmilieu aufgeschnappten, halbverdauten, oftmals falschen und letztendlich krankmachenden Ideen, Vorstellungen und Einbildungen kommen im Alkoholrausch nach dem römischen Motto in vino veritas zur Sprache und finden im Freundeskreis anstandslose Bewertung. Dabei wird der ganze »Bullshit« – so nannten wir es auf dem College – schleunigst eliminiert. Nach dem »Kotzen«, fühlte man sich erleichtert und seinen Freunden wieder näher.

Diese bei uns gesellschaftlich eher verpönte Art der Seelenwäsche ist fester Bestandteil traditioneller Einweihungs- und Pubertätsriten. Holger Kaiweit schreibt über die Erziehung zum Medizinmann bei den Seminol-Indianern: »Jeden Morgen gab der alte Schamane seinen Schülern Brechmittel; Fasten und Brechen, so glaubten die Seminolen, erhöhe die persönliche, moralische, intellektuelle und religiöse Kraft.« (Kalweit 1987:22)

Natürlich kann der Brechreiz auch zum Problem werden, wenn der Magen nervös ist und das Essen nicht drinnen bleiben will. Auch da helfen Kräuter, die sogenannten Anti-Emetika: Dill, Fenchelsamen, Pfefferminztee, Gewürznelken. Bei Sodbrennen, Übersäuerung und Magenübelkeit leistet ein Mädesüßtee oder ein Schluck des bitteren Wermuttees gute Dienste.