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Der Körper wurde oft mit einer Festung verglichen, von der aus der Geist als König und die Seele als Königin regieren. Dieses Bild darf nicht als eine Verpanzerung oder als ein defensives Abgeschottetsein verstanden werden. Im Gegenteil, die Festung ist offen, Kaufleute, Händler, Gaukler, Sänger und andere – das sind die Sinneseindrücke, Informationen, Nährstoffe usw. – gehen frei ein und aus. Und oft – nachts im Traum oder in der ekstatischen Vision – verlassen König und Königin ihren Wohnsitz.

Gelegentlich jedoch gerät diese Burg unter Beschuß. Feinde – Streß, Umweltverschmutzung, ansteckende Krankheiten usw. – bedrohen ihre Integrität. Die Festung hat jedoch ein gut ausgebautes Verteidigungsoder Abwehrsystem, das aus mehreren Schutzwällen und klugen Verteidigungstruppen (Immunzellen) besteht. Dieses Schutzsystem unserer leiblichen Zitadelle wollen wir hier genauer betrachten. Gleichzeitig wollen wir sehen, welche Heilkräuter bei der Verteidigung notwendige Hilfe leisten können.

Der erste Schutzwall: die Haut

Für die meisten von uns ist die Haut lediglich die Grenze ihres Körpers und dient als Verpackung für alles, was an Säften und Geweben im Körper zu finden ist. Wer denkt schon daran, daß die Haut, die 16 Prozent unseres Körpergewichts ausmacht und somit das zweitschwerste Organ des Körpers ist, zu den wichtigsten Organen unseres Abwehrsystems gehört. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Körpertemperatur und des Wasserhaushalts (Schwitzen, Gänsehaut), und sie ist ein Spiegel der Seele: Wir erbleichen vor Schreck, werden schamrot, »frösteln«, wenn uns etwas nicht geheuer ist, bekommen Pickel bei emotionellen Störungen und Warzen vom ständigen Besorgtsein.

Beim Erwachsenen bildet die Haut eine Gesamtfläche von zwei Quadratmetern. Auf der ganzen Fläche scheiden Talgdrüsen Fettsäuren aus, die potentiell gefährliche Bakterien und andere Mikroben hemmen, das natürliche Säuregleichgewicht aufrechterhalten und dafür sorgen, daß die Haut geschmeidig bleibt. Zu häufiges Waschen ist ungesund, weil es diesen Schutzschild schädigt.

»Wir sind robuster als ihr Njemetskis«, neckte mich einmal ein Russe, »weil wir uns nicht so oft waschen!« Ein alter Gärtner warnte mich ebenfalls vor dem vielen Waschen, denn es mache »die Knochen weich«, und der Bauernphilosoph Arthur Hermes, der in seinen letzten vier Jahrzehnten nicht ein einziges Bad genommen hatte und sich zudem selten wusch, behauptete: »Das viele Waschen spült den Ätherleib weg!« Es muß dazu gesagt werden, daß der wasserscheue Weise keinen unangenehmen Körperduft verströmte. Ganz im Gegenteil, er roch nach Erde, Wald und Herdfeuer.

»Der Körpergeruch hat vor allem mit der seelischen Beschaffenheit zu tun. Wer viele Dämonen in sich beherbergt, wird schrecklich stinken, auch wenn er es mit Waschen und Parfümieren zu verdecken bemüht ist; der seelisch reine Mensch dagegen wird einen Weihrauch ähnlichen Duft ausströmen!« erklärte Hermes, als er darauf angesprochen wurde.

In all dem steckt sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber man darf nicht vergessen, daß die Haut – wie Nieren, Darm und Lunge – ein wichtiges Ausscheidungsorgan ist.

Ein Viertel der Abfallprodukte und Schlacken, die sonst über den Harn ausgeschieden werden, verlassen den Körper durch die Poren. Bei Nierenkranken ist es noch mehr. Also ist – den oben erwähnten Aussagen zum Trotz – Baden und Waschen für den normalen Menschen, der einigermaßen gesellschaftsfähig bleiben will, unerläßlich. Am besten benutzt man dafür milde Kräuterseifen: bei fettiger (seborrhöser) Haut Seifen mit adstringierenden Kräutern (Hamamelis-, Ringelblumen- oder die indische Neemseife), die die Haut straffen und tonisieren; bei trockener Haut Seifen mit erweichenden Kräutern (mit Veilchen-, Eibisch-, Iris-, Schlüsselblume- oder Gänseblümchenzusätzen). Wichtig ist auch die Rückfettung. Dafür kommen Cremes mit hautfreundlichen Kräutern wie Iris, Kamille, Schlüsselblume und Gänseblümchen in Frage.

Die Haut ist aber nicht nur ein Ausscheidungsorgan, sondern nimmt ebenso bereitwillig Stoffe auf. Wer eine lange Flugreise hinter sich hat, wird zum Beispiel ein Vollbad zu schätzen wissen. Die Luft in modernen Flugzeugen ist oft trockener als die in der Sahara. (Durchaus mit Absicht, denn feuchte Luft ist ein Gewichtsfaktor, der sich auf den Treibstoffverbrauch auswirkt.) Der dehydrierte Körper nimmt das Wasser dankbar auf, und wenn man dem Bad noch einige beruhigende Kräuter zufügt, etwa Melisse, Baldrian oder Kamille, wird der Jet-Lag beträchtlich abgemildert. (Fairechild 1993:90)

Die Haut eignet sich auch bestens zum Aufnehmen von Arzneien. Die berühmten Kräuterhand-und Fußbäder des Maurice Mességue beruhen auf dieser Fähigkeit der Haut. Herzsalben werden gern auf die Beine aufgetragen, denn damit umgeht man das Verdauungssystem. Das gleiche gilt für die psychedelischen Flugsalben, mit denen sich die so genannten Hexen einrieben. Über die Haut aufgenommen, lassen sich die giftigen Nachtschattengewächse viel leichter handhaben, als wenn sie geschluckt werden.

Kräuterbäder

Als besonders wirksam erweisen sich warme Bäder mit Kräuterzusätzen. Im allgemeinen beträgt die Badedauer fünf bis zehn Minuten bei einer Badetemperatur von ca. 37 Grad. Ein bis zwei Handvoll des jeweiligen Heilkrautes werden überbrüht und nach fünf Minuten abgeseiht. Der Sud wird dem Badewasser zugefügt. So hat es Kräuterpfarrer Kneipp gemacht, der diese schon bei den Kelten beliebte Therapiemethode wieder neu belebt hat. Die heilenden Energien der ätherischen Öle und anderer Substanzen werden über die Haut an Blut, Lymphe und Nerven weitergeleitet und wirken schließlich auf die inneren Organe ein. Allein der würzige Kräuterduft und die Farbe des Badewassers tun Leib und Seele gut.

Man kann fast alle Heilkräuter in Form eines Bades genießen, sogar den Schwarztee, der ja nichts anderes ist als ein ostasiatisches Heilkraut. Ein starker Schwarztee im Bad ist wegen der starken Gerbsäure gut für die Haut; er heilt und trocknet Hautausschläge und Verbrennungen und nimmt Insektenstichen das Jucken. Hier einige der wichtigsten Heilbäder mit erwiesener Wirksamkeit:

1. Baldrian

Bei Verspannung und Nervosität tut ein Baldrianbad gut. In diesem Fall macht man aber keinen heißen Tee, den man in die Wanne gießt, sondern einen sechs Stunden vorher angesetzten Kaltwasserauszug (ein gehäufter Eßlöffel pro Bad genügt, weil sonst die Gefahr besteht, in der Badewanne einzuschlafen). Das Erhitzen des Baldrians blockiert wichtige Wirkstoffe.

2. Eiche

Aufgekochte Eichenrinde im Bad wirkt adstringierend und hilft bei verschiedenen Hauterkrankungen.

3. Koniferen

Bei Nervenleiden, rheumatischen und neuralgischen Zuständen tut ein belebendes Fichtennadelbad gut. Dazu gießt man die würzig duftende Abkochung junger Fichtenzweige (Tannen- oder Kiefernzweige gehen auch) in das Badewasser.

4. Hafer

Ein Bad mit Haferstroh wirkt Wunder bei nervlicher Erschöpfung und Depression. Zwei Pfund gehäckseltes Stroh eine Stunde lang gekocht ist das richtige Rezept für ein Vollbad. Das Alkaloid Avenin stimuliert das zentrale Nervensystem. Wegen der im Stroh enthaltenen Kieselsäure kommt das Haferstrohbad auch der Haut zugute. Übrigens hat das Schlafen auf Haferstrohmatratzen eine ähnliche Wirkung. Auch als Nahrung wirkt der Hafer nervenstärkend.

5. Heublumen

Unter Heublumen versteht man die Rückstände, die auf dem Boden des Heuschobers übrigbleiben, wenn das Heu verfüttert worden ist. Sie bestehen vor allem aus den unreifen Ähren der Wiesengräser und den Blüten verschiedener Wiesenkräuter wie Schafgarbe, Odermenning, Wiesensalbei, Frauenmantel oder Klee. Da diese Pflanzen in den Kunstweiden der heutigen Viehwirtschaft kaum mehr enthalten sind, sammle und mische ich mir diese »Heublumen« selbst.

Das Heublumenbad vermittelt die ätherischen Kräfte einer blühenden Sommerwiese. Es wirkt stoffwechselanregend und ist bei Rheuma, Stoffwechselleiden und Grippe angesagt. Pro Bad werden ein halbes Pfund der »Heublüten« aufgekocht und dem Badewasser zugefügt.

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6. Magenwurz

Drei oder vier der dicken, aromatischen Wurzeln des Kalmus oder der Magenwurz, werden zerkleinert und aufgekocht dem Bad beigegeben. R. F. Weiß, der Altmeister der Phytotherapie, empfiehlt das Bad als »ein sehr gutes Mittel für allgemeine Erschöpfungszustände in der Rekonvaleszenz, bei niedrigem Blutdruck mit Kreislaufstörungen, zur Unterstützung bei Anämie, Stoffwechselleiden, Diabetes.« (Weiß 1991:440) Kalmus wirkt bei nervösem Magen, vegetativer Dystonie und als Aphrodisiakum.

7. Lavendel

Ein Bad mit aufgebrühtem Lavendel hilft ebenfalls bei vegetativer Dystonie, beruhigt und pflegt zugleich die Haut.

8. Rosmarin

Das Kraut ergibt einen aromatischen Badezusatz. Ein Rosmarinbad nimmt man am besten morgens, weil es sehr anregend und kreislaufstimulierend wirkt. Es ist in den Wechseljahren angesagt, weil es, ähnlich wie Moorbäder, eine Östrogene Wirkung haben soll. Die Sage erzählt von der 72jährigen Königin von Ungarn, die sich mit Rosmarinbädern so jugendlich frisch hielt, daß der polnische König um ihre Hand anhielt.

9. Achillea

Ein Schafgarbentee im Bad wirkt wundheilend, er tonisiert das Bindegewebe und besonders die Muskulatur des kleinen Beckens.

10. Senfmehl

Bei Keuchhusten oder Bronchitis kann ein heißes Bad mit Senfmehl helfen. Die schwefelhaltigen Senföle werden von der Haut aufgenommen und über die Lunge – wo sie ihre heilende Wirkung entfalten – wieder ausgeschieden.

11. Zitronenmelisse

Ein Tee aus Zitronenmelisse wirkt entspannend, beruhigend und magenstärkend. Aromatherapeutisch wirkt er auf das limbisehe System.

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12. Ackerschachtelhalm

Das Zinnkraut ist ein mächtiger Heiler. Das kieselhaltige Kraut wird eine Viertelstunde lang gekocht und als Sitzbad bei Nieren- und Blasenleiden verwendet. Es wirkt auf Bindegewebe und Knochen, kommt also bei Knochenbrüchen und Bandscheibenschäden in Betracht. Ein Vollbad wirkt auch gut bei Rheuma, Pilzbefall, Hauterkrankungen (Neurodermitis, Ekzeme) und lokalen Durchblutungsstörungen.

Hautreize: Moxibustion und Punk

Eines der vielen Verdienste des Sebastian Kneipp ist, daß er die immunologische Wirkung von Hautreizen wiederentdeckt hat. Darauf beruht sein System von Kaltwassergüssen, Wickeln und Bädern. Aber nicht nur Wasser hat diese Wirkung, sondern auch Rutenschläge und die Anwendung von brennenden, scharfen Kräutern. Es ist noch gar nicht so lange her, daß man nach der langen, düsteren Winterszeit Mensch und Vieh mit frisch ergrünten Birkenzweigen »quiekte«; der Schlag mit der Birkenrute sollte ihnen die Kraft der wiedererweckten Natur vermitteln und ihnen Gesundheit und Fruchtbarkeit bringen. Auch wälzte man sich hier und da in den jungen Brennesseln. Diese drastische »Frühjahrskur« bringt sämtliche Säfte in Wallung und wirkt deswegen »verjüngend«.

Auch Ärzte machten sich die immunstärkende Wirkung der Hautreize zunutze, indem sie Senfpflaster oder den ätzenden Saft des zerstampften Hahnenfußkrauts auf erkrankte Körperteile applizierten. Diese, in der Sprache der Mediziner Rubefazienzien genannten Kräuter reizen die Haut und bringen das Blut an die Oberfläche. Und wo das Blut als Lebensträger Zugang hat, ist die Heilung gewisser. Etwas sanfter und unter Einbeziehung subtiler ätherischer Energieströmungen wirkt die Aroma-Massage, bei der verschiedene ätherische Öle in die Haut einmassiert werden.

Eine noch stärkere und gezielter eingesetzte Form der hyperämisierenden Hautreizung ist die Moxibustion. Es handelt sich dabei um das Abbrennen kleiner, getrockneter und gepreßter Kräuterkügelchen auf genau bestimmten Akupunkturpunkten. In Ostasien verwendet man dafür schwelende Kegel aus Beifuß (Artemisia vulgaris). Das Wort Moxa kommt aus dem Japanischen und bedeutet »Brennkraut« beziehungsweise »Beifuß«. Um Vernarbung zu verhindern, legen die chinesischen Ärzte eine hauch dünne Scheibe Knoblauch oder Ingwer zwischen Haut und Brennkegel.

Der Ursprung dieses Heilverfahrens verliert sich in den Nebeln der Steinzeit. Die Vorfahren der Indianer haben es wahrscheinlich mit in die Neue Welt gebracht, denn noch immer verbrennen die Apachen dünne, angespitzte Beifußstäbchen auf schmerzenden Körperstellen. (Kindscher 1992:49) Die Waldlandindianer benutzen zum selben Zweck kleine Stückchen getrockneten Holundermarks. »Pank« nannten sie diese glimmenden Stengel – eine Bezeichnung, die die weißen Siedler auf arbeitsscheue Halbstarke übertrugen, die an Straßenecken herumlungern und die Unverschämtheit besaßen, öffentlich Zigaretten zu rauchen: Punks oder neudeutsch Punker. (Storl 1996:44)

Für die verletzte Haut, bei Verbrennungen, Schnitt-, Schurf- und Bißwunden, bietet die Natur eine ganze Fülle von hervorragenden Wundheilkräutern an. Es sind Pflanzen wie die Braunelle, die Zaubernuß (Hamamelis), der Storchenschnabel oder der Ziest, die (dank ihrer Gerbsäure) das wunde Fleisch regelrecht »gerben«, das heißt, sie wirken zusammenziehend (adstringierend), blutstillend, entwässernd und entziehen den eindringenden Bakterien ihre Lebensgrundlage. Die werden nämlich gleich mitgegerbt. Andere, etwa der Ackerschachtelhalm, enthalten zusätzlich noch Kieselsäure, die das Bindegewebe stärkt. Wiederum andere Wundheilpflanzen, zum Beispiel Aloe oder Beinwellwurzel, enthalten viele Schleimstoffe, die das Gewebe einhüllen und schützen. Wiederum andere haben reinigende Saponine, die den Zellstoffwechsel günstig beeinflussen. Meistens wirkt jedoch die komplexe Kombination von diesen Inhaltstoffen und vielen anderen. Die Kamille enthält zudem das stark entzündungshemmende Chamazulen, ein himmelblaues ätherisches Öl. Kräuter wie die Ringelblume oder die Schafgarbe, wegen ihrer wundheilenden Kraft auch Soldatenkraut und Beilhiebkraut genannt, weisen ein breites Spektrum an wirksamen Inhaltsstoffen auf. Auf Wundheilkräuter und ihre Anwendung hier näher einzugehen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Auf jeden Fall kann man sich mit Hilfe dieser Pflanzen so manchen Arztbesuch und so manches Antibiotikum ersparen.

Husten, Niesen, Blinzeln

Zur ersten Verteidigungslinie des Abwehrsystems gehören auch autonome Reflexe wie Husten, Niesen und Blinzeln.

Universal ist der Glaube, daß Krankheit durch das Eindringen von Fremdkörpern in den Leib verursacht werden kann. Diese Fremdkörper können kleine Nägel, Splitter oder Steinchen sein, die ein böser Zauberer heimlich hineinzaubert, oder auch bösartige »Würmer«, Käfer und Insekten, die durch die Körperöffnungen Eingang finden. Diese Introjektionen brauchen nicht unbedingt materieller Natur zu sein. Es kann sich durchaus um Entitäten handeln, die nur in einer »astralen« Dimension vorhanden sind und die der hellsichtige Schamane durch Kristalle oder die Einnahme von psychedelischen Kräutern »sehen« und anschließend herausräuchern oder heraussaugen kann. Wenn der Heiler dann triumphierend den kleinen blutigen Wurm oder das hineingezauberte Haar vorzeigt, bedient er sich notwendigerweise der Kunst der Taschenspielerei – das Sichtbarmachen, die »Visualisation« ist jedoch ein wichtiger Aspekt der Heilungsvorgangs.

Wenn man die pathogenen Fremdkörper – heute sind es Viren und Mikroben statt Zaubersteinchen und Geisterwürmer – schon an den Eingangspforten des Körpers abwehren kann, bedarf es keines aufwendigen Heilvorgangs, um sie loszuwerden. Wenn sie, von der Luft oder vom Staub getragen, in die Lungen gelangen, kann ein heftiger Expirationsstoß durch den Mund (Husten) oder durch die Nase (Niesen) sie wieder hinausbefördern.

Das Niesen gilt bei den meisten Völkern nicht nur als physischer, sondern auch als seelischer Reflex, der der Abwehr schädlicher, unsichtbarer Entitäten dient. In der Tat ist die Nase so etwas wie ein Schwellenhüter, der unsere leiblich-seelische Integrität wahrt. Der Riechsinn ist der älteste der Sinne. Die Nasenschleimhaut mit ihren 10 Millionen Riechrezeptoren ist unmittelbar mit dem Zentralnervensystem verbunden. Die Reize gehen direkt ins Unbewußte, rühren an den Trieben und Emotionen und rufen lang verschüttete Erinnerungen wach. Die olfaktorischen Wahrnehmungen gehen besonders tief und sind besonders fein, und vielleicht ist unser Unbewußtes doch in der Lage, die »unsichtbaren, krankmachenden Wesenheiten« riechend wahrzunehmen. Das unterschwellige Meer der angenehmen und unangenehmen Gerüche bestimmt unsere Sympathien und Antipathien.

Was diese Pforte passiert und was abgewiesen wird, ist im wahrsten Sinne des Wortes schicksalsentscheidend. Kein Wunder, daß »Gesundheit«, »Helf Gott« und andere Heil- und Segenswünsche bei den meisten Völkern den Niesvorgang begleiten. Oder daß das Niesen (wie auch sein Gegenteil, das Gähnen) bei schamanistischen Seancen häufig das Erscheinen eines Hilfsgeistes oder eines anderen »Jenseitigen« ankündigt.

Der indische Ayurveda rät uns, das Niesen auf keinen Fall zu unterdrücken. Falsche Vorstellungen, die sich in der Seele einnisten wollen, werden genauso hinausgepustet wie unangebrachte Sexualphantasien. Auch in unserer Kultur schenkte man dem Niesen viel Beachtung. Bei den Kelten hieß es, indem ein krankes Kind niest, treibt es die bösen Geister aus, und der Zauber ist gebrochen. Im Mittelalter glaubte man, das Niesen verrate die Anwesenheit von Geistern. Konsequenterweise wurde das Pulver der schwarzen Nieswurz (Helleborus), genau wie das des weißen Germers (Veratrum) Besessenen und Geisteskranken verabreicht. Die humorpathologischen Ärzte verwendeten die schwarze Nieswurz, um »schlechte Säfte« zu purgieren: die ins Hirn gestiegene »schwarze Galle«, die Depressionen (Melancholie) verursacht; die übermäßige Ansammlung von Schleim, der träge und phlegmatisch macht, und die gelbe Galle, die jähzornig macht.

Noch bis in dieses Jahrhundert galt Niesen als gesund. Man schnupfte den »Schneeberger«, der neben Tabak auch Nieswurz und Maiglöckchenpulver enthielt, um »das Gehirn zu reinigen«.

Wenn unser wunderbares Riechorgan aufgrund von Schnupfen oder Grippe versagt, helfen uns verschiedene Kräuter. Tees aus Holunderblüten, Augentrost und Goldrute helfen, den Schnupfen schnell loszuwerden. Dazu kann man Dampfinhalationen mit Heilpflanzen machen, die ätherische Öle enthalten, wie Kamille, Eukalyptus oder Fichtennadeln.

Auch das Blinzeln und der Tränenfluß gehören zu den ersten Abwehrreaktionen. Wenn diese Abwehr versagt und Staub oder Wind die Augen irritieren und Bindehautentzündungen, Gerstenkörner oder Triefaugen hervorrufen, so ist dagegen manch Kräutlein gewachsen. An erster Stelle steht der Augentrost (Euphrasia officinalis). Die alten Ärzte erkannten in der blaßvioletten Blüte mit der dunkelvioletten Äderung und dem gelben Pünktchen die Signatur eines kranken Auges. Wenn man gereizte Augen mit Augentrosttee ausspült – entweder mit einem Augenbad oder einem Umschlag – gehen die Beschwerden rasch zurück. Auch skrofulöse Augenerkrankungen bei Kindern werden durch die äußerliche Anwendung des hübschen Rachenblütlers sehr gemildert. (Weiß 1991:433) Innerlich, als heißer Tee getrunken, hilft Augentrost bei Schnupfen und Nebenhöhlenentzündungen. Der nah verwandte Klappertopf (Rhinanthus), ebenfalls ein Halbschmarotzer, der auf trockenen Wiesen wächst, soll eine ähnliche Wirkung haben.

Aus der, von den Germanen als »Auge des Sonnengottes Baldur« bezeichneten, Kamille lassen sich ebenfalls reinigende, beruhigende Augenumschläge (Aufschläge) bereiten. Besser ist jedoch der Augentrost.

Als Augentonikum und vorbeugend gegen Grauen Star und Sehschwäche benutzte man früher das Schöllkraut (Chelidonium majus). Chelidonium bedeutet »Schwalbenkraut«. Die Griechen glaubten, daß die Schwalbenmütter die Augen ihrer Jungen damit einreiben, damit sie sehen können. Maria Treben, die vieles von der alten Kräuterkunde wieder bekannt gemacht hat, zerrieb einen Schöllkrautstengel zwischen den Fingern, verdünnte den ätzenden, goldgelben Saft mit frischem Tau und strich ihn mit dem Zeigefinger über die geschlossenen Augenlider. »Ich habe jedesmal die wohltuende Empfindung, als ob ein Schleier von meinen Augen weggezogen würde«, schreibt die Kräuterfrau. (Treben 1986:48)

Etwas für die Lungen

Mit jedem Atemzug ziehen wir den lebenserhaltenden Sauerstoff, das Geschenk der Pflanzen, in unsere Lungen. Im Wald, im Gebirge oder am Meer spüren wir diese belebende Kraft am stärksten. In den Städten, Fabriken und Büros dagegen ist die Luft nicht so rein. Egal wie sauber man das Zimmer geputzt hat, die einfallenden Sonnen strahlen lassen unzählige, winzige, in der Luft schwebende Staubkörperchen sichtbar werden. Diese tanzenden, flimmernden Partikel sind ideale Luftschiffe für Mikroben jeglicher Art. Mit jedem Atemzug gelangen sie in unseren Körper. Zum Glück sind die Bronchien innen von unzähligen kleinen Flimmerhärchen (Zilien) überzogen. Die Härchen bewegen sich ständig wie ein wogendes Weizenfeld. Ihre Aufgabe ist es, die in Schleim gehüllten Fremdkörper aufwärts zu bewegen, so daß sie ausgehustet werden können. Übrigens, ein guter Grund mit dem Tabakrauchen aufzuhören: Nikotin lähmt die Zilien.

Wird die Eingangspforte der Lungen dennoch von pathogenen Eindringlingen überwältigt und kommt es zu Schleimhautentzündungen im Nasen- oder Rachenraum oder sind gar die Lungen selbst angeschlagen, dann stehen erneut Kräuter als Verbündete zur Verfügung, um die körperliche Unversehrtheit wieder herzustellen. In Frage kommen da zunächst erweichende, schleimhautschützende Heilkräuter (Muzilaginosa) und dann, um das Abhusten zu erleichtern, schleimlösende Kräuter (Expektorantien).

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Als reizlindernde, schleimhaltige Hustenmittel bieten sich zum Beispiel folgende an: Eibisch, als Kaltwasserauszug oder Sirup; Malve oder Käsepappel als Gurgelmittel und Tee; die Blüten der Königskerze, Spitzwegerichkraut, Isländisches Moos und, falls man eine amerikanische Quelle hat, die Innenrinde der amerikanischen Ulme (slippery elm, Ulmus fulva). Diese Schleimdrogen können auch von kundiger Hand miteinander gemischt werden.

Eine besondere Rolle spielt der Huflattich, dessen lateinischer Name tussilago »ich vertreibe Husten« bedeutet. Der gut schmeckende Huflattichtee (Blätter und Blüten) wirkt nicht nur schleimhautschützend, sondern auch bronchialberuhigend. Bei allen Lungenleiden, auch bei chronischen, ist er das bevorzugte Hustenmittel. Leider hat die vom BGA eingesetzte Kommission E diesem wunderbaren Heilkraut eine Negativ-Monographie erstellt. Das bedeutet, daß es nicht mehr im Handel vertrieben werden darf, denn es enthalte Spuren des berüchtigten, leberkrebserzeugenden Pyrrolizidin. Aber wie wir schon im ersten Kapitel andeuteten, sind die Alkaloid-Mengen so gering, daß sie für den Menschen wirklich keine Gefahr darstellen. (Weiß 1991:261) Auf den Huflattich würde ich nie verzichten; ich halte mich an den guten Rat von Frau Dr. med. Veronika Carstens, Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten, die da sagte: »Wenn man den Huflattich verbietet, dann pflanze ich ihn mir eben in meinem Garten an!«

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Das Abhusten des dickflüssigen Sputums wird durch Tees oder Sirups aus saponinhaltigen Heilpflanzen erleichtert. Dazu zählen die Wurzeln der Schlüsselblume (Primula officinalis), die Wurzeln des wohlriechenden Veilchens (Viola odorata), des Seifenkrauts, der Bibernelle (Pimpinel la saxifraga), des echten Alants sowie das Kraut des Lungenkrauts.

Mit jedem Atemzug nehmen wir nicht nur Lebenskraft (Od, Prana) auf, sondern auch die unsichtbaren spirituellen Energien, die unsere Umwelt durchfluten. Inspirationen werden uns beim Atmen ebenso zuteil wie negative Gedanken- und Gefühlsschwingungen, die eine Atmosphäre geistig verseuchen. Das lateinische Wort inspiratio bedeutet schließlich beides, Einatmung und Eingebung.

Ist die Luft seelisch unrein, fällt es sensiblen Menschen oft ebensoschwer, frei zu atmen, als wäre sie voll Rauch oder Staub. Unwillkürlich müssen sie husten, schnauben oder schniefen. Hält eine solche Situation länger an, kann es zu klassischen psychosomatisch respiratorischen Leiden kommen, zu Heuschnupfen, Emphysemen oder Asthma.

Für den Heuschnupfen, einen Dauerschnupfen mit Niesreiz, wird allgemein der Pollenflug verantwortlich gemacht. Aber er hat auch eine starke seelische Komponente. Viele Heuschnupfenallergiker berichten, daß sie weniger anfällig sind, wenn es ihnen gutgeht, wenn sie sich beispielsweise verlieben oder von einem reichen Onkel Geld geerbt haben. Lindernd wirkt für viele der Leidenden ein heißer Holunderblütentee. Wirksam ist auch der Aufguß des ephedrinhaltigen Meerträubels (Ephedra vulgaris) oder des Augentrosts (Euphrasia officinalis). Auch eine Hanftinktur, eine Hanfinhalation oder ein Hanftee wird gelegentlich angewendet, um die mit der Allergie verbundenen seelischen Knoten zu lockern.

Lungenemphyseme, die nicht unmittelbar von der Luft verschmutzung (Staublunge) herrühren, sind oft psychogen. Der Leidende bekommt keine Luft, die Atmosphäre seines sozialen Umfeldes droht ihn zu ersticken. Auch hier hilft das Meerträubelkraut. Es läßt leichter atmen und er hellt dank seiner amphetaminartigen Wirkung die Stimmung.

Beim Asthmatiker hingegen scheint es, als traue er sich nicht auszuatmen. In der repressiv-autoritären Atmosphäre, in der er lebt, empfindet er unbewußt, daß jedes Aushauchen seine Mitmenschen stört. Das Leiden läßt sich schwer vertreiben, da es durch die familiäre oder berufliche Situation mitbedingt ist. Lindernd wirkt neben dem bewährten Ephedra-Tee allenfalls das Einatmen von ätherischen Ölen wie Thymian, Eukalyptus oder Ysop. Am besten hilft wohl die altmodische »Asthmazigarette«, die ihre Wirkung vor allem dem Bilsenkraut oder dem Stechapfel verdankt. In den USA waren diese Zigaretten rezeptfrei in Drogerien und Apotheken erhältlich, bis die Behörden schließlich darauf kamen, daß Hippies diese Glimmstengel zu »Reisezwecken« mißbrauchten.