Kapitel 2 – Nowhere Fast

 

A 45 Richtung Frankfurt

 

Frost

 

Die Nacht war kühl und dunkle Wolken bedeckten bedrohlich die Sterne, als kündeten sie von drohendem Unheil. Die Straßen waren leer, nicht die Zeit, sich draussen herumzutreiben. Nur ein einsamer Wagen warf sein Scheinwerferlicht durch die Nacht, als wollte er dem Dunkel trotzen.

Frost fegte über die Autobahn Richtung Frankfurt, er konnte das Hauptquartier noch heute Nacht erreichen. Auf der Beifahrerseite häuften sich leere Red Bull Dosen. Er war fix und fertig. Doch in seinem Kopf liefen die Gedanken auf Hochtouren. Von allen Kämpfen , die er gegen die Torgänger ausgetragen hatte war keiner so massiv gewesen wie der in Bielefeld. Es war, wie der Abt gesagt hatte: Der Krieg hatte begonnen.

Dann war da das Mädchen. Trotz allem, was sie erlebt haben musste, wirkte sie sehr gefasst. Sie war so normal. Wie jedes andere Schulmädchen. Wären da nicht die toten Monster gewesen, die um sie herum gelegen hatten. Waren sie von ihr getötet worden und wenn ja, wie? Oder hatte etwas anderes, Mächtiges, sie beschützt? Aber wer oder was sollte das gewesen sein, und warum?

Die Geheimnistuerei des Abtes machte das Ganze nicht besser. Klar befanden sie sich in einer Krisensituation, aber der Deutsche Orden kam damit seit Jahrhunderten zurecht und die Ritter vertrauten einander unbedingt. War der Orden unterwandert worden?

Er kannte den Abt zu wenig, um dessen Handeln einschätzen zu können. Das wäre ihm beim Großmeister leichter gefallen, für diesen hatte er schon viele Eisen aus dem Feuer geholt. Jedoch befand sich der unterwegs um Verbündete zu gewinnen. Wenn es dafür nur noch nicht zu spät war. Eindeutig war die Dringlichkeit in der Stimme des Abtes gewesen. Seine Anweisung, sein Befehl, unverzüglich ins Hauptquartier zu kommen, nachdem er das Mädchen abgeliefert hatte, zeigte, wie kritisch die Situation war.

Ich muss wach bleiben. Nur noch ein bisschen. Ist da noch eine volle Dose? Leer, leer, Mist. Da ist noch eine. Mit einer Hand öffnete er  sie und nahm einen tiefen Schluck. Dann wechselte er die Musik und drehte die Anlage auf. Der Wagen raste durch die Nacht, das hochtourige Brummen des Motors lieferte die Untermalung für Bruce Dickinsons Stimme die aus dem Autoradio klang ‚Six Six Six, the number of the beast.‘

Die Rockmusik dröhnte durch den Wagen der Kilometer um Kilometer fraß. Frost kannte dieses Gefühl, ausgepowert aber auch seltsam wach, die Umwelt auf das wesentliche reduziert, als würde sein Körper im Not-Programm laufen. Auf eine merkwürdige Art liebte er dieses Gefühl. Der einsame Wolf auf der Straße ins Nirgendwo. Unvermittelt fiel ihm noch etwas anderes ein. Mit einer Hand tippte er auf seinem Communicator, suchte im Internet nach Infos, einer speziellen Information. Natürlich kam er so nicht weiter. Er griff auf einige spezielle Datenbanken zu, die ihm nur durch die Mittel des Ordens und dem Kontakt zu einem guten Hacker zugänglich waren. Schliesslich hatte er die Information die er suchte und übertrug sie auf sein Navigationsgerät. Alles klar.

Am Frankfurter Kreuz verließ er nicht die Autobahn um zum Hauptquartier in der Großstadt zu gelangen sondern bog ab Richtung Köln. Der Abt konnte warten, der Orden hatte schließlich zweihundert Jahre gewartet.

 

Heimwelt

 

Kal-Sor

 

Lord Kal-Sor war kaum in seiner Burg angekommen als ihn die Nachricht erreichte. Sofort hatte er sich wieder bereit gemacht, seine prächtigste Rüstung bringen lassen und sich zum Sprungstein begeben. Er war der gefürchteste Ritter des Imperiums, doch den Absender dieser Nachricht ließ auch er nicht warten.

Er trat in das bläuliche Licht und befand sich wenige Augenblicke später auf dem Platz vor der kaiserlichen Bluthalle. Mit ruhigen Schritten überquerte er diesen und trat ein. Seine gewaltige, breitschultrige Gestalt sah in der von tiefblauen Ornamenten geschmückten Rüstung noch beeindruckender aus. Die Schulterstücke waren mit scharfen Zacken versehen, die einen Gegner mit einem Schulterstoss aufschlitzen konnten. Der gesamte Panzer war poliert und die Fackeln des Audienzsaals spiegelten sich darin. Dennoch sah man der Rüstung an, daß sie schon eine Vielzahl von Kämpfen erlebt hatte. Dies war kein Paradestück sondern ein hochentwickeltes Kriegsgerät. Ein langes, schlankes Schwert hing an Kal-Sors Seite. Scharf, schnell und tödlich. In seinen Panzerhandschuhen befanden sich verborgene Klingen, die mit der richtigen Bewegung seines Handgelenks herausfuhren und schon unzählige unachtsame Gegner getötet hatten.

Kal-Sor galt als der mächtigste Lord des Reichs. Unbarmherzig hatte er sich an die Spitze hochgekämpft, seine Gegner ohne Reue ausgelöscht, deren Anhänger gefoltert und getötet, ihre Familien versklavt. Eiskalt und brutal, wie es von einem Lord des Reichs erwartet wurde. Dennoch war ihm in diesem Augenblick unwohl zumute, ein seltenes Gefühl machte sich in seinem Magen breit.

Der Gottkaiser hatte ihn einbestellt.

Das für sich war schon Grund zur Unruhe genug. In Verbindung mit dem gerade fehlgeschlagenen Angriff wurde daraus beklemmende Angst.

Ohne Hast schritt der Kriegsherr auf den dunklen Thron zu. Seine Schritte hallten in der riesigen Halle wieder, die sich, gestützt auf dreißig Meter hohe Säulen, mehr als zweihundert Meter lang erstreckte. Die Bluthalle wurde sie genannt, weil ihr Boden bedeckt war von den braunen Flecken getrockneten Blutes. Der Mittelgang, den er entlang schritt, zeigte nirgendwo mehr die ursprüngliche Farbe des schwarzen Granitbodens. Zu vielen Anlässen wurde hier Blut vergossen. Zum Kaiser berufen zu werden, mochte durchaus so ein Anlass sein.

Wachen der kaiserlichen Garde säumten seinen Weg. Dahinter hatten sich die Mitglieder des Hofstaates versammelt. Eine Audienz des Kaisers gab es nicht häufig und viele Dinge wurden dann abgehandelt. Das Erscheinen des berüchtigten Lord Kal-Sor war der Höhepunkt dieser Audienz.

Sein Blick wanderte über die Reihen der Wachen. Ihre Treue zum Kaiser war legendär. Nur einmal, zumindest soweit bekannt, war eine Offizierin desertiert. Über diese Schande hatte sich ihre ganze Einheit selbst getötet. Soweit die offizielle Version. Gekleidet in das dunkle Blau der Garde schimmerten unter ihren Überhängen goldene Kettenhemden hervor. Bewaffnet mit Schwert, Streitkolben und einer von zweien mit gespannter Armbrust war ein jeder von ihnen ein Meister mit der Waffe und auch im waffenlosen Kampf. Dennoch wäre Kal-Sor durch ihre Reihen gepflügt wie der Schnitter durch das Feld. Nicht nur seine Rüstung und seine Waffen waren ihnen überlegen, nein, er hatte seine natürliche Begabung für den Kampf jahrzehntelang trainiert und seine Fähigkeiten durch dunkle Magie so verstärkt, dass er keinen Gegner fürchten musste. Fast keinen. Unwillkürlich wanderte sein Blick Richtung Thron.

Er hatte fast das Ende seines Weges erreicht. In Thronnähe standen einige der anderen Lords, einschliesslich seines alten Feindes Lord Bal-Kar. Von noch größerer Gestalt als Kal-Sor versuchte er schon Zeit seines Lebens diesen im Kampf, Macht und Grausamkeit zu übertrumpfen. Nie war ihm dies gelungen.

Ohne seinen Widersacher eines Blickes zu würdigen, blieb Kal-Sor genau an der vorbestimmten Stelle stehen und beugte Knie und Haupt. Der greise Zeremonienmeister verkündete mit überraschend lauter und fester Stimme

‚Lord Kal-Sor.‘

Dieser hielt den Blick gesenkt, bis er eine dunkle vor Macht vibrierende Stimme hörte.

Tritt vor, Lord.‘

Er erhob sich und trat fünf Schritte nach vorne. Er stand nun im Zentrum eines Kreises der von goldenen, im Boden eingelegten und säuberlich gereinigten Ornamenten eingefasst war. Am gegenüberliegenden Rand war die dunkle Steintreppe des Kaiserthrones zu sehen. Doch mehr als den Schemen eines mehr als zweimann-hohen pyramidenartigen Baus konnte er nicht erkennen. Dafür sah er umso genauer dreizehn Krieger, die in einem V vor dem Thron standen. Die Vollstrecker.

Ihre blauschwarz-glänzenden Rüstungen lagen eng an ihren Körpern an und schienen mehr Bestandteil ihrer selbst zu sein, als schwere Panzer. Ein jeder trug seine eigene Waffe, die nur die gleiche blauschwarze Farbe teilte wie die Panzer. Vollhelme mit schmalen Schlitzen verdeckten ihre Köpfe. Nur den Vollstreckern des Kaisers war es erlaubt, in der Bluthalle das Gesicht zu bedecken. Dunkle Umhänge, die ein Eigenleben zu führen schienen, wallten über ihre Schultern. Dies war die wahre Gefahr in dieser Halle. Selbst er, Kal-Sor, der Krieger, der gefüchteste Lord des Reiches, hätte gegen keiner dieser Kämpfer eine Chance gehabt. Nicht nur wegen ihrer magischen Rüstungen und Waffen. Nicht alleine weil sie schon als Kinder ausgewählt und zum Kampf erzogen worden waren. Nicht weil sie jede Kampftechnik der Heimwelt und der Kolonien bis zur Perfektion beherrschten und diese für ihre übernatürlichen Fähigkeiten weiterentwickelt hatten. Nicht wegen ihrer unbedingten Ergebenheit gegenüber dem Kaiser.

Nein, das Geheimnis ihrer Unbesiegbarkeit waren die Verkünder. Dreizehn Magier, ein jeder verbunden mit seinem Kämpfer, lagen, standen oder kauerten sie nahe bei ihrem Gegenpart.

Der eine in undurchdringliche Schleier gehüllt hinter dem Krieger stehend. Der andere, ein schlanker muskulöser Mann, vollkommen nackt bis auf einen silbernen Ring, der sein Glied und seine Hoden umspannte und einem dünnen Halsband mit einer Kette, die am Gürtel seines Vollstreckers befestigt war, lag lässig amüsiert lächelnd zu Füssen eines Gerüsteten.

Ein Verkünder war eine Frau, unterwürfig am Boden kauernd, spärliche Gewänder tragend die ihre herrlichen Brüste, vollen Schenkel und runden Pobacken mehr enthüllten als verbargen.

Zu Füßen eines anderen Vollstreckers schmiegte sich eine nicht ganz menschliche Frau an dessen Schenkel. Eine lange schwarze Zunge züngelte aus einem Mund mit spitzen Zähnen.

So waren sie jeder einzelne zu einer unbesiegbaren Einheit mit einem Kämpfer verschmolzen. Jedem Magier und jedem Krieger überlegen. Ihr Anführer stand direkt vor dem Thron. Sein Verkünder war eine schlanke Gestalt, in fliessende silberglänzende Gewänder verhüllt, die nicht erkennen liessen, ob es ein Mann eine Frau oder überhaupt ein Mensch war. Eine schwere Kette führte unter den Ketten zur Faust des Mannes. Schmerzbringer, der Anführer der kaiserlichen Vollstrecker.

Kal-Sor versuchte die Dunkelheit vor sich mit den Blicken zu durchdringen. Es war ihm fast, als sähe er kurz zwei rote Punkte wie glühende Augen in schwarzer Nacht. Vielleicht spielten seine Nerven ihm auch einen Streich.

Die Stimme des Gottkaisers, denn diese war es, die ihn nach vorne befohlen hatte, sprach weiter.

Lord, Euch ist es anvertraut worden, die Tore zu Kolonie Sieben zu überwachen und sicherzustellen, dass sie niemals geöffnet werden. Wie steht es um sie?‘

Vorsichtig antwortete Kal-Sor.

Meine Armeen halten die Stellung und mir liegt keine Meldung vor, dass eines der Tore geöffnet sei.‘

Die grollende Stimme des verborgenen Kaisers unterbrach ihn.

‚Ihr seid also sicher, dass keines der Tore geöffnet wurde?‘

Kal-Sor schluckte. Wurde es wärmer, oder kam es nur ihm so vor?

‚Ja, mein Kaiser.‘

‚Wie kann es dann sein, die Stimme des Kaisers wurde eine Spur lauter und hundert Grad kälter ‚dass Ihr einen massiven Angriff versucht habt, der fehlgeschlagen ist? Wie kann es sein, dass Ihr nicht nur meinen Befehl missachtet habt, die Kolonie nicht zu betreten sondern sogar eine ganze Armee dorthin gesandt habt? Und am allerschlimmsten, dass ihr kläglich gescheitert seid und die ganze Armee einschließlich eines ausgebildeten Kampftitanen verloren habt?‘

Die Worte des Kaisers hingen wie ein erhobenes Henkerschwert in der Luft. Kal-Sor erbleichte. Er versuchte gar nicht erst, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Irgendjemand hatte dem Kaiser diese wohlgehütete Information zugespielt. Grimmig sah er zu seinem Erzfeind Bal-Kar hinüber. Dieser grinste hämisch.  Kal-Sor wandte sich wieder nach vorne.

Nach einer kurzen Pause sprach der Gottkaiser weiter, seine Stimme war wieder ruhig geworden.

Lord Kal-Sor, manche Leute meinen, ihr seid zu schwach geworden für die Führung Eurer Armeen. Ich meine das nicht, aber vielleicht können wir das ja mit einem Zweikampf endgültig klären.‘

Der Lord atmete innerlich auf. Im Kampf hatte er nichts zu befürchten. Auch wenn Bal-Kar schon immer auf einen Zweikampf scharf war, konnte sein ehrgeiziger Rivale ihm nicht annähernd das Wasser reichen. Mit seiner Erfahlung und ohne falschen Stolz konnte Kal-Sor das nüchtern einschätzen. Also hatte der Kaiser ihn noch nicht aufgegeben und wollte stattdessen Bal-Kar vernichten. Zweikämpfe unter Lords waren nur mit Erlaubnis oder auf Anweisung des Kaisers möglich.

Mein Schwert ist bereit.‘

‚Gut. Der Herausforderer trete hervor’

Kal-Sor wollte sich schon zu Bal-Kar umwenden doch ein anderer trat in den Kreis. Mit Bewegungen von tödlicher Eleganz zog er dabei sein Schwert. Sein Gegner war Schmerzbringer, Vollstrecker und Champion des Kaisers.

Im Augenblick da Kal-Sor sah, wie der Vollstrecker die Kette in seiner Hand losliess und sich auf ihn zubewegte, wusste Kal-Sor, es war aus. Zumindest gewährte ihm der Kaiser die Ehre im Kampf zu sterben. Kurz dachte er voller Trauer an seine Frau, die er über alles liebte und seinen Sohn, der sein ganzer Stolz war. Beide würden seinen Tod nicht lange überleben.

Dann hörte er auf zu denken und zog mit unglaublicher Schnelligkeit sein Schwert. Einem Raubtier gleich warf er sich nach vorne und hieb seine Klinge von schräg unten auf den dunklen Vollstrecker. Mit einer kurzen Bewegung seines leicht gekrümmten langen Schwertes liess dieser den Angriff abgleiten. Schon zuckte Kal-Sors Klinge in einem Halbkreis geführt von oben gegen den Hals des Vollstreckers, während der riesige Kämpfer gleichzeitig seine mit Zacken bewehrte Schulter nach vorne warf, um Schmerzbringer mit der Wucht seines Körpers in Bedrängnis zu bringen.

Fast ohne sich zu bewegen beugte sich der Vollstrecker aus der Bahn des Angreifers, nahm mit seiner Klinge den Schwung der angreifenden Klinge auf. Mit einem Hau, der so schnell war, dass ihn keiner der Anwesenden wirklich sehen konnte, ließ er sein Schwert auf den Schädel des mächtigen Lords niederschmettern. In gerader Linie durchdrang sie den Schädelknochen, den Kopf und durchfuhr am Rückgrat entlang den ganzen Körper Kal-Sors ohne sich von der verzauberten Rüstung, Fleisch und Knochen aufhalten zu lassen. Der gewaltige Krieger sank in zwei Hälften zerteilt darnieder, ohne den tödlichen Hieb auch nur bemerkt zu haben.

Schmerzbringer hob seine blutige Klinge über sich und betrachtete interessiert, wie das frische Blut auf ihr dampfend vom durstigen Metall eingesogen wurde. Sekunden später strahlte sie wieder in düsterem Glanz. Er steckte sein Schwert in die Scheide zurück und nahm wieder ungerührt seinen Platz an der Spitze der Vollstrecker ein. Im Blutsaal herrschte Todesstille.

Durch diese erklang die kalte Stimme des Gottkaisers.

Bal-Kar, Dir übertrage ich nun die Armee Kal-Sors. Öffne ein Tor zu Kolonie Sieben und errichte einen Brückenkopf. Du hast einen Mond Zeit. Enttäusche mich nicht ebenfalls, denn Dein Tod wird nicht so leicht sein. Die Audienz ist beendet.‘

 

Shark-Kor

 

Der Gottkaiser beobachtete aus dem Schatten die Aufregung seines Hofstaats über die Ankündigung. Wie Aasfresser fingen sie schon an sich auszurechnen, wie sie von der neuen Welt profitieren konnten. Ihn interessierte nur eins. Die Quelle dieses Magie-Ausbruchs, den er gespürt hatte. Schon zu lange hatte er sich von der Prophezeiung zurückhalten lassen. Er war sich sicher, dass die Frau von der in der Weissagung gesprochen wurde der Ursprung dieser Störung in der Macht war. Diese Frau würde er finden und besitzen. Für alle Zeiten wäre seine Herrschaft dann gesichert. Endlich gab es mal wieder eine Herausforderung in seinem Dasein. Er rief einen Vollstrecker herbei.

 

Leander

 

Nach der Verkündung des Gottkaisers ging ein Raunen  durch die Halle, der tausendjährige Bann war aufgehoben und eine Welt war zur Eroberung freigegeben. Eine Welt voller Reichtümer und Möglichkeiten. Sämtliche Anwesenden begannen darüber nachzudenken, welche Chancen sich für sie auftaten. Bis auf einen: Bal-Kar. Ihm war bei den Worten des Gottkaisers das erfreute Grinsen auf dem Gesicht gefroren. Er raunte Leander erbost zu:

‚Sieht so ein Triumph über Kal-Sor aus? Ein Mond, wie soll ich das anstellen. Das ist eine Todesfalle!‘

Abrupt wandte er sich um und eilte gen Ausgang, wie der gesamte Hofstaat.

Ihm dicht auf den Fersen folgte sein Ratgeber Leander. Mit unbewegtem Gesicht hatte er alles verfolgt. Doch hinter den schmalen dunklen Augen hatte er voller Genugtuung das Ende von Kal-Sor beobachtet. Es hatte lange Zeit gebraucht und unter anderem gezielter Informationen an diverse Kontakte bedurft, um den Kaiser dazu zu bringen, sich von dem mächtigen Lord abzuwenden. Trotz allem hätte es ohne den fehlgeschlagenen Angriff und vor allem den Verlust des wertvollen Titans nicht gefruchtet.

Dass er selbst es gewesen war, der Kal-Sor zum voreiligen Angriff überredet hatte, wussten nur sehr wenige. Genau genommen hatten es nur sehr wenige gewusst. Alle Mitwisser waren eines plötzlichen gewaltsamen Todes gestorben.

Nun bekam er seinen Teil an Kal-Sors Besitztümern. Bal-Kars Männer standen schon zur Plünderung bereit. Ein wesentlicher Punkt seiner Abmachung betraf die Lady Sir-Tek, die frischgebackene Witwe des Kriegers. Bei dem Gedanken an sie musste er innerlich lächeln. Sein linker Mundwinkel in einem regungslosen Gesicht hob sich leicht, fast so etwas wie die Spur eines gemeinen Lächelns in den kalten Zügen.

Selbst nicht klein, musste Leander sich doch beeilen, um den Schritten Bal-Kars folgen zu können. Dabei entging ihm eine Gestalt in weiter Robe, die ihm aus dem Schatten der übergeworfenen Kapuze einen düsteren Blick zuwarf.

Der Blutsaal war Teil einer riesigen Anlage, die in einen gewaltigen schwarzen Felsen, Teil des Berges Djiarel, gebaut worden war. Mehrere großzügige aber auch verwinkelte Vorräume lagen vor dem Saal und mussten auf dem Rückweg durchquert werden, bevor die Besucher der Halle wieder vor dem Eingang standen.

Vor ihnen lag ein runder Platz mehrere hundert Fuß im Durchmesser, gesäumt von einer Vielzahl hohler Säulen, jede gekrönt von einem bläulich leuchtenden Edelstein. Jeder einzelne hätte schon die Nacht erleuchtet aber zusammen tauchten sie den ganzen Platz und die gigantische Front der kaiserlichen Festung in ein unirdisches, gleissendes blaues Licht. Die Steine dienten als Focus für die Reisezauber der Gäste, die nicht als Mitglied des Hofstaates direkt in der Festung wohnten. Der Kaiser hätte es nie zugelassen, dass jemand  mit bewaffneten Kriegsschiffen, gerüsteten Wanderfüsslern oder einem anderem Transportmittel anreiste, welches irgendeine Bedrohung darstellen konnte. In die Säulen passten kaum mehr als vier Mann, und die Fernsteine standen unter Kontrolle kaiserlicher Magier.

Noch auf dem Platz versammelte Bal-Kar seine Anführer um sich.

‚Holt Euch seine Schlösser und die Schiffe. Aber stellt vorher sicher, dass seine Männer von seinem Tod erfahren, dann werden sie keinen Widerstand leisten. Wer sich mir anschliesst, bleibt verschont….das gilt nicht für seine engsten Mitstreiter und für seine Familie. Seine Frau gehört Leander, also lasst sie in Ruhe. Sein Sohn gehört mir, bringt ihn mir lebend.‘

Ohne Kal-Sors Sohn würde er keinen Zugriff auf dessen Armeen bekommen. Seine Anführer nickten und machten sich auf den Weg.

Bal-Kar wandte sich an seinen Berater.

Du hast den Kaiser gehört. Wie sollen wir in einem Mond das zustande bekommen, an dem Kal-Sor seit Jahren arbeitete?‘

Seine Miene war düster. Schon bereute er den schlauen Worten seines Ratgebers gefolgt zu sein.

 

‚Seid nicht besorgt, mein Lord. So erfolglos war Kal-Sor gar nicht, in Wirklichkeit stand er kurz vor einem entscheidenden Sieg. Hätte er nicht übereilt und mit zu schwachen Kräften losgeschlagen, wäre die Welt gefallen. Wir haben einen geheimen Verbündeten, der eine große Anzahl von Anhängern um sich geschart hat und, welche Ironie, inmitten unserer größten Gegenspieler. Eine Armee von wilden Kreaturen ist schon jenseits des Tores. Verteilt in einer riesigen Welt, aber sie sind da und warten nur auf unsere Bestienbändiger, um sie uns zu Diensten zu machen. Unsere Magie ist stark dort und schützt unsere Armeen zusätzlich. Wir werden Eure Streitkräfte mit denen des unglücklich verblichenen Kal-Sors vereinen und ich habe bereits eine Vereinbarung mit dem Zirkel der Magier. Diese Welt gehört uns.‘

‚Habt Ihr da nicht eine Kleinigkeit vergessen? Wie sollen wir das Tor öffnen? Ein Groß-Tor zu errichten und zu kontrollieren dauert Monate!‘

Um ein Tor in andere Welten zu öffnen, bedarf es mächtiger Magie. Je größer das Tor desto mehr Magie und langwieriger die Rituale. Für ein Tor, das ein für eine Invasionsarmee geeignet war, bedurfte es wahrlich gewaltiger Magie und Monate der Vorbereitung und Durchführung. Leider wurde die Magie durch die beiden Gilden kontrolliert, Magier und Hexen, und die liessen sich diese teuer bezahlten.

Leander hatte jedoch schon einen Plan.

‚Darum kümmere ich mich. Sorgt Ihr nur dafür, dass Eure Truppen bereit sind.‘

Schlagartig verbesserte sich die Stimmung Bal-Kars. Laut lachend folgte er seinen Männern durch die Fernsteine.

Leander schaute ihm nach. Für das Problem mit dem Tor hatte er bereits eine Lösung. Eine riskante Angelegenheit, doch er scheute kein Risiko. Wichtig war, dass der Deutsche Orden vernichtet wurde. So viele Fäden die es in der Hand zu halten galt, so viele Dinge zu beachten. Am Ende jedoch winkte die Herrschaft über eine neue Welt. Hatte er erst diese, so war sein Endziel nicht mehr weit. Die gesamte Macht über das Reich zu übernehmen.

Etwas anderes beschäftigte seine Gedanken mehr. Das Mädchen. Sein bester Aufklärer, Meuchelmörder und Bestienbändiger war mit einem Spezialauftrag hinter dem Tor unterwegs. Groch, der Schatten. Er sollte klären, was dort schiefgegangen war, denn eigentlich hätte der Angriff Kal-Sors ihn viel weiter bringen sollen. Das Tor hätte nie zusammenbrechen dürfen. Unerklärlicherweise war er schon im Ansatz gestoppt worden. Ein Auftragsmagier hatte von seltsamen Schwingungen beim Angriff berichtet. Leider lebte keiner mehr, der ihm mehr berichten konnte. Dafür hatte ihm sein Verbündeter jenseits des Tores von einem Mädchen berichtet, das wie durch ein Wunder den Angriff überlebt hatte. Leander glaubte nicht an Wunder. Doch er glaubte an Prophezeiungen. Er musste dieses Mädchen haben. Und Groch würde es ihm bringen.

Es gab viel zu tun, aber zuerst, so nahm er sich vor, wollte er sich um sein Vergnügen kümmern. Schon bei dem Gedanken daran fühlte er wie sich seine Bauchmuskeln zusammenzogen und sein Glied steif wurde. Die Frau eines toten Lords wartete auf ihn. 

 

Wildenstein

 

Kayleigh

 

Noch während Kayleigh bewusstlos zusammensackte war der ältere Mann zu ihr gesprungen und hatte sie aufgefangen. Seine Reflexe waren überraschend schnell, sein Griff fest und sicher. Wenige Sekunden später kam sie wieder zu sich und sah direkt in sein besorgtes Gesicht. Bitte frage jetzt nicht ob alles in Ordnung ist, dachte sie für sich. Bei dieser Frage wäre sie wahrscheinlich in hysterisches Lachen ausgebrochen. Zum Glück tat ihr der Mann den Gefallen und lächelte nur aufmunternd.

‚Ich glaube die junge Dame braucht jetzt vor allem etwas Schlaf.‘

Ohne viele Worte und Aufhebens führte er sie durch das Tor. Vereinzelte Orientierungsleuchten warfen trübe Lichtkegel auf alte Gemäuer. Sie waren tatsächlich in einer Burg. In der kaum erhellten Dunkelheit brachte ihr Begleiter sie sicher über holpriges Pflaster durch ein weiteres Tor und schließlich bis zu einer großen, schweren Eichentür.

Kayleigh konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und ihr Führer bemerkte das. Entschlossen nahm er ihr den Gitarrenkoffer aus der Hand und hängte ihn sich um.  Mit kräftigen Armen hob er sie hoch. Mit dem Rücken drückte er die Tür auf und trug sie den Rest des Weges durch Räume und Gänge. Viel bekam sie nicht mehr mit. Vor einem Zimmer irgendwo im ersten oder zweiten Stock stellte sie der grauhaarige Helfer behutsam auf die Beine und öffnete die Tür. Sie sah ein Zimmer mit einem frischbezogenen Bett.

‘Leg Dich schlafen, alles wird gut.‘ Mit diesen Worten ließ er sie allein.

Vollkommen erschöpft trat Kayleigh ein, stellte ihre Gitarre zur Seite, zog die verschmutzten Klamotten aus und legte sich wie sie war ins Bett. Angst, Misstrauen, Verzweiflung waren nicht stärker als diese tiefe Müdigkeit. Innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen.

Draußen brauten sich düstere Wolken drohend zusammen.

 

Bonn

 

Frost

 

Der Wagen rollte leise durch die Nacht. Sich genau umschauend fuhr Frost durch das Gewerbegebiet bei Bonn und bog in eine kleine Nebenstraße. Es war kurz nach Mitternacht. Er stellte das Fahrzeug versteckt ab und bewegte sich in den Schatten auf sein Ziel zu: Ein kleines flaches Gebäude, das wohl früher als Büro gedient hatte. Von einem Stacheldrahtzaun umgeben lag das Grundstück vor ihm. Die Fenster des Hauses waren mit Läden versehen worden.  Offensichtlich diente es jetzt als Wohnhaus. Der Zaun war kein Problem, an der richtigen Stelle kletterte er geschickt hinüber. Ein paar Schritte bis zum Haus. Müde lehnte er sich an die Wand und überlegte, wie er hineinkommen sollte. Doch die Frage erübrigte sich von selbst. Ein kalter Lauf bohrte sich in seinen Nacken. Langsam drehte er sich mit erhobenen Händen um.

‚Frag mich nicht, warum ich dafür zweihundert Kilometer gefahren bin, aber ich brauche dringend ein Bett und viel Schlaf.’

Rita Tomas schaute den grinsenden Mann kopfschüttelnd an. Sie hatte ja geahnt, dass dieser Typ nicht so leicht kleinzukriegen war.

 

Rundorf

 

Ben

 

Einige hundert Kilometer weiter hatte sich Bruder Ben ein kleines Hotel abseits der Straße gesucht. Den mit High-tech ausgestatteten Van hatte er davor geparkt um am nächsten Morgen die Heimreise zum Hauptquartier anzutreten. Es war immer etwas Besonderes ausserhalb des Klosters unterwegs zu sein, losgelöst von den Regeln und Formalien des Ordensalltags. Diese Einsätze waren für ihn eine erfreuliche Abwechslung seines Alltags. Er dachte an Frost, der eigentlich nie im Kloster anzutreffen war, wenn er nicht gerade Bericht erstattete oder auf eine Disziplinar-Strafe wartete. Auch wenn der Ritter nicht mit irgendwelchen Aufträgen unterwegs war verbrachte er seine Zeit irgendwo da draußen. Ben selbst führte seine Aufträge meistens vom Hauptquartier aus. Technik, Computer, das war sein Ding und die limitierten Mittel einer mobilen Überwachungseinrichtung wurden seinen Fähigkeiten nicht gerecht. Das wussten auch seine Oberen. Seit zwei Jahren trug er das Abzeichen des Ordens und in der Zeit hatte er sich dort immer wohl gefühlt. Die vielen Freundschaften, die er geschlossen hatte, machten das Kloster trotz der vielen Regelungen zu einem fröhlichen und sicheren Heim für ihn. In Gedanken verloren bemerkte er plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung vor dem Hotelfenster.

Er hatte gerade das Zimmer im zweiten Stock betreten und die Läden noch nicht zugezogen. Schnell suchte er in seinem Gepäck nach seiner Waffe. Was immer das gewesen war, es sollte nicht in fünf Meter Höhe an seinem Fenster vorbei huschen. Da war seine Pistole, eine handliche Automatik, Standardbewaffnung für nicht kämpfende Ordensbrüder. Das Gefühl des kalten Metalls gab ihm ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Langsam bewegte Ben sich rückwärts Richtung Tür, den Blick auf das Fenster geheftet. An die Wand neben der Tür gepresst, überdachte er seine Optionen. Natürlich konnte er zum Fenster gehen und prüfen, was da gewesen war. Doch nachdem, was er die letzten Tage erfahren und erlebt hatte, überwog seine Vorsicht eindeutig seine Neugier. Ein schneller Rückzug war angebracht, aber  wenn wirklich jemand, oder etwas, da draußen gewesen war, dann war sein Fahrzeug auch schon identifiziert. Er musste ein anderes ausborgen.

Seine Hand tastete zum Türknauf und drehte ihn. Unvermittelt zerbrach das Fenster seines Zimmers mit lautem Krachen und ein gewaltiger, dunkler Körper stürzte herein. Ben riss die Tür auf und rannte über den Gang zur Treppe. Hinter ihm krachte etwas scheppernd durch die Zimmertür.

Nicht umschauen.

Mit einem Satz war er auf der Treppe und rannte hinunter. Schnauben und röchelndes Atmen ertönte vom Gang. Das Monster hinter ihm nahm gerade seine Witterung auf. Aufgeputscht von Adrenalin  brauchte Ben nur Sekunden, um den ersten Stock zu erreichen. Über sich hörte er wie etwas gewaltiges Richtung Treppe polterte und dabei durch den Gang schrammte. Erste Rufe aufgeweckter Gäste wurden laut. Krallen kratzten über die ersten Treppenstufen. Ben sprang förmlich auf den nächsten Treppenabsatz. Mit vor Furcht rasendem Herzen erreichte er die Eingangshalle. Er hörte schon das Bersten der Treppengeländer und das verzerrte Knurren seines Verfolgers.

Nur noch wenige Meter bis zum Ausgang. Ein paar Schritte, jeder einzelne schien ihn viel zu viel Zeit zu kosten und er riss die Tür auf. Der Parkplatz lag vor ihm. Links eine Reihe von Gästefahrzeugen, rechts ebenfalls, darunter sein Van.

Wohin? Bens Blick wanderte von links nach rechts. Beim Van mochten ihn schon weitere Angreifer erwarten, andere Fahrzeuge würden ihn kostbare Sekunden kosten, um sie zu knacken. Er entschied sich für seinen eigenen Wagen und wollte losspurten, aber etwas ließ ihn innehalten.

Am Ende des Parkplatzes trat eine dünne, ganz in enges schwarzes Leder gekleidete Gestalt ins schummrige Licht der alten Neonleuchten. Ein schmaler Mann mit einem Schädel wie ein Totenkopf und einem irren Blick grinste ihn hämisch an. Neben ihm kauerte ein riesiges sechsbeiniges Wesen mit geifernden Fängen in einem riesigen Maul und schuppenbewehrter ledriger Haut. Die Gestalt in schnallenbesetztem Leder verbeugte sich leicht und rief Ben einen spöttischen Gruß zu.

‚Guten Abend werter Mönch, ich hoffe wir haben nicht Eure Nachtruhe gestört. Wenn dem so sein sollte, möchte ich mich dafür entschuldigen. Seid versichert, ich werde Euch dafür ewige Ruhe schenken. Natürlich, nachdem wir uns intensiv unterhalten haben. Sehr intensiv.’

Bei seinen letzten Worten sprang eine lange, schmale Klinge aus irgendeiner Vorrichtung seines linken Ärmels und blitzte bösartig. Die Stimme des Mannes hatte den Unterton eines Wahnsinnigen. Ben hatte Angst. Kalte, klamme Angst die seinen Magen krampfen ließ und mit eiserner Faust zusammendrückte. Todesangst.

‚Was willst Du?‘

‚Nur ein paar Informationen über ein kleines Mädchen. Und natürlich deinen Tod.‘

Ben wollte nicht sterben. Nicht hier und jetzt, von einem verrückten Freak zu Tode gefoltert. Die süße Braunhaarige von der Essensausgabe fiel ihm ein. Erst letzte Woche hatten sie ein paar Worte gewechselt und er wollte unbedingt einmal mit ihr ausgehen. Er hatte noch nie eine Freundin gehabt aber mit ihr konnte es bestimmt etwas werden. Irgendeine Verbindung bestand zwischen ihnen.

Seine Eltern hatte er lange nicht mehr besucht, bitte, er wollte sie wiedersehen. Tausend Dinge fielen ihm ein, die er in seinem jungen Leben noch vor hatte. Doch er würde niemals jemanden verraten. Niemals. Was konnte er machen? Irgendetwas musste er tun bevor Panik und Adrenalin ihn lähmten. Hinter sich hörte Ben einen schweren Körper durch die Eingangshalle toben. Da, links, eine Bewegung ein weiteres der klauenbewerten Monster hinter den Autos. Jedes Zögern verringerte seine Chancen. Er zwang seine Starre nieder und rannte los. Keine zwanzig Meter bis zum Van. Die längsten Meter seines Lebens.

Noch zehn Meter, die irre Gestalt hob den rechten Arm, das Wesen neben ihm schien sich zum Sprung zu ducken.

Noch fünf Meter, die Eingangstür des Hotels zersplitterte unter dem Ansturm eines massigen Körpers.

Drei Meter, die Schiebetür des Vans fuhr zischend auf.

Zwei.

Die schwarze Gestalt mit dem grauenhaften Grinsen machte eine kurze Bewegung mit der linken Hand. Die Bestie neben ihr machte einen riesigen Satz auf Ben zu. Mit einem Sprung hechtete er in den Van und die schussfeste Tür schloss sich blitzschnell hinter ihm. Sein Herz raste und er stieß die angehaltene Luft aus. Geschafft. Oh Gott. Gerade noch geschafft. Jetzt weg hier. Tränen der Erleichterung schossen Ben in die Augen. 

Da erschütterte ein Schlag das Fahrzeug und eine Pranke mit zentimeterlangen Krallen riss die Seitenwand des Vans auf als sei sie aus Papier. Zwei weitere Hiebe und die Wand war vollkommen zerfetzt. Ben starrte in zwei winzige Augen über einem sich öffnenden Rachen.

Eine eiskalte Ruhe überkam ihn, noch einmal zogen Gesichter von Freunden und Familie vor seinem inneren Auge vorbei und er wusste, es war vorbei. Er würde sie nie wiedersehen. Hätte er es nur vorher gewusst. Wie viel Zeit hatte er verschenkt. Zu spät.

Eine Klaue hieb nach Ben und fuhr tief in das Fleisch seines Oberschenkels, ließ seinen Knochen wie Glas splittern. Vor Schmerz schreiend streckte er sich nach dem Knopf unter dem Tisch mit den Kontrollinstrumenten. Mit Befriedigung spürte er das leichte Klicken des Kontaktes als er ihn mit letzter Anstrengung erreichte.

 

Groch

 

Groch der Schatten, oder auch der Häuter wie er gelegentlich genannt wurde, schaute voller Vorfreude zu wie sein Liebling das Opfer packte. Dann sah er nur noch einen gleißenden Feuerball, gefolgt von dem Krachen einer gewaltigen Explosion. Eine Druckwelle warf ihn Dutzende von Metern zurück.

Als er sich wieder aufgerappelt hatte, war von dem Fahrzeug, dem Jäger und dem Menschen nur noch ein Krater und herabregnende Trümmerteile übrig, die glühend in der Nacht leuchteten. Nachdenklich sah der Torgänger die Reste an. Er hatte den Mönch wohl unterschätzt, das würde ihm nicht noch einmal passieren.

Nun gut, viel hätte ihm der Mönch sowieso nicht erzählen können. Sein Kontakt würde ihm mitteilen wo das Mädchen jetzt war und dann konnte er sich in aller Ruhe direkt mit ihm beschäftigen. Schade, dass Leander es lebend wollte.

 

Aus dem Hotel kamen nun überall aufgeregte Rufe und die ersten Gestalten zeigten sich an den Fenstern. Groch richtete seine Aufmerksamkeit auf das Gebäude und gab seinen verbliebenen Begleitern ein stummes Zeichen. Zielstrebig rannten sie zum beschädigten Gebäude auf der Suche nach warmen Fleisch. Aus den Rufen wurden Schreie und Groch lachte lauthals und irre in den dunklen Himmel über ihm, bis auch der letzte Schrei verstummt war.

 

Zwischenwelt

 

Schwarz

 

Er liebte das Chaos. Als einer von sieben Dämonenlords gehörte er auch zu den Wesen, die Chaos überall verbreiteten, wo es nur ging. Doch die letzten Jahrhunderte hatte sich fast so etwas wie eine feste Ordnung eingespielt. Der Gottkaiser herrschte, alle anderen gehorchten. Selbst die mächtigen Dämonenlords, die in ihrer eigenen, der Zwischenwelt, herrschten, beugten sich dem mächtigen Gottkaiser. Die Kriege, Kämpfe, Gemetzel die noch überall auf den Kolonien geführt wurden waren Kleinkram, kaum für eine kleine Belustigung gut. Schwarz war angeödet. Wie alle anderen wartete er nur darauf, dass der Herrscher der Heimwelt eine Schwäche zeigte. Bisher vergeblich. Umso aufmerksamer wurde er, als der Gottkaiser Interesse für ein kleines Mädchen in einer noch freien Welt zeigte. Glücklicherweise waren seine Diener schon in dieser Welt tätig. Mal sehen, was sie heraus bekamen.