Prolog – Bad Attitude

 

Bielefeld

 

Kayleigh

 

‚Wenn es an Dir hinge, die Welt zu retten und Du könntest es auch. Du müsstest alles opfern, Schmerz und große Leiden erdulden, aber Du könntest es. Würdest Du es tun? Kayleigh?‘

Die Stimme ihrer Lehrerin riss Kayleigh aus ihren Tagträumen. In denen stand sie als Gitarristin ihrer Lieblingsband ‚69 Soldiers of Fortune‘ vor Tausenden von Fans und badete in ihrem frenetischen Jubel. Weiße Lichter schnitten durch die Nacht, wanderten über die rhythmisch wogende Menge. Aus riesigen Lautsprecherboxen barsten dröhnende Bässe und heulende Riffs. Neben ihr blinzelte ihr der Sänger vielversprechend zu. Er rief ihr etwas zu. Rock’n’Roll ist reine Magie, spürst Du es? Wollen wir heute Nacht…

‚Kayleigh!‘

Mist. Warum immer sie. Lasst mich einfach in Ruhe. Ich schreibe eure Klassenarbeiten, absolviere eure Prüfungen und in einem Jahr bin ich hier raus. Bis dahin lasst mich einfach meine Zeit absitzen. Aber Lehrer sahen das anders. Sie seufzte innerlich. Zum Glück gehörte es zu den Standardtechniken  einer achtzehnjährigen Schülerin Fragen von Lehrern im Unterbewusstsein abzuspeichern, auch wenn man dem Unterricht überhaupt nicht gefolgt war. Sie rief die Frage aus dem unterbewussten Speicher ab. Ob sie die Welt retten würde? Komische Vorstellung. Sie war durchschnittlich groß, durchschnittlich schlau und fühlte sich in keiner Weise zum Superhelden berufen. Ihre einzige Begabung und Leidenschaft war Gitarre spielen. Aus Sicht der Schule leider ‚nur‘ E-Gitarre. Damit fiel sie für die Folklore-Gruppe aus. Ihre Antwort war klar.

‚Nein, ich denke nicht.‘

Frau Dengler, eine engagierte ältere Lehrerin, hakte nach.

‚Warum nicht?‘

Kayleigh dachte an ihre Kindheit, von einem Verwandten zum anderen durchgereicht, weil sich zuerst ihr Vater und dann völlig überfordert ihre Mutter aus dem Staub gemacht hatten. An ihr Umfeld in Bielefeld. Menschen die sie komisch anschauten, nur weil sie gerne Doc-Martens-Stiefel trug  und sich Kajal um die Augen malte. Etwas, das in einer echten Großstadt nicht einmal aufgefallen wäre. An den Hass der ihr von rechten Skins entgegenschlug, die Bedrohungen und Prügel die sie regelmäßig einstecken musste. Die Antwort fiel ihr leicht.

‚Weil die Welt noch nie was für mich getan hat.‘

Zwei Reihen hinter ihr rührte sich Kalle. Glatzköpfig, hohl und Faschist.

‚Brauchst nur Deine Beine breit machen und ich tue gerne was für dich!‘

Seine Kumpels grölten, andere Mitschüler lachten oder schimpften. Frau Dengler ermahnte ihn energisch. Kayleigh drehte sich um. Sie wusste schon, dass sie es bereuen würde, aber ihr Mund war schneller.

Melde Dich nochmal, wenn Dein Kleiner erwachsen ist. So eine Drei-Sekunden-Nummer ist nichts für mich.‘

Seine wütende Antwort ging im Grölen der Klasse unter. Kalles  Gesicht wurde knallrot und schrie irgendetwas. Mitten in den Krach ertönte der Pausengong und alle sprangen auf um das Klassenzimmer zu verlassen. Sie packte so schnell sie konnte Tasche und ihren Gitarrenkoffer und hetzte an der protestierenden Frau Dengler vorbei Richtung Tür. Kalle zornbebend hinterher. Auf den Gang und die Treppe hinunter bis zum ersten Absatz schaffte sie es. Weiter nicht. Eine Hand packte sie an der Schulter und warf sie gegen die Wand. Wütend baute sich der kräftige Neunzehnjährige vor ihr auf, drückte sie an die Mauer des Treppenhauses.

‚Ich mach‘ Dich fertig, Schlampe.‘

Ihr Herz schlug bis zum Hals. Jetzt würde es weh tun. Diesem Typ war alles zuzutrauen und keiner wagte es sich einzumischen. Bei seinem Ruf verstand sie es sogar. Warum hatte sie auch nicht ihre Klappe gehalten?

Sie wurde gepackt und in eine abseits gelegene Kammer gezerrt. Scheiße, das war übel. Sie versuchte zu schreien, doch einer von Kalles Kumpeln drückte ihr die Hand auf den Mund. Er selbst zückte ein Messer und hielt es ihr an die Wange. Sein Atem stank nach Thunfisch. Sie hasste Thunfisch.

Jetzt werden wir Dein hübsches Gesicht mal nach meinem Geschmack markieren.‘

Er grinste völlig abgedreht und stumpfsinniger Sadismus glänzte in seinen Augen. Sie versuchte sich zu wehren, doch sie hatte keine Chance gegen die Männer die sie hielten. Die Klinge des Messers legte sich auf ihre Haut, Kalle leckte sich die Lippen.

Genau in diesem Augenblick hörte Kayleigh das erste Mal die Stimme. Vielleicht war Hören auch das falsche Wort. Die Stimme schien direkt in ihrem Kopf zu sein. Ganz leise und wie von weit weg. Aber sie war da. Und sie sagte deutlich: Lauf!

 

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Irgendwann würde sich Kayleigh fragen, ob das der eine Augenblick gewesen war, in dem sich ihre ganze Welt verändert hatte. Nein, nicht nur ihre, sondern die Welt aller Menschen. Und die Welten vieler anderer. War dies der Augenblick, nachdem nichts mehr sein würde, wie es einmal gewesen war? In dem ihr altes Leben ausgelöscht wurde und sie in ein neues, gefährliches, beängstigendes, unvorstellbares Leben verwandelte? Die Milli-Sekunde in der das Universum kurz stockte um die Geburt einer neuen Kayleigh zu sehen? Eines Geschöpfes, das den Lauf der Dinge verändern würde?

 

Jetzt aber stellte sie sich diese Fragen nicht. Sie hörte nur die Stimme in ihrem Inneren, starrte in das geifernde Gesicht ihres Klassenkameraden und wurde dann zurückgeworfen von den Erschütterungen einer gewaltigen Explosion. Das ganze Gebäude bebte. Vom Gang ertönte Kreischen und Schreie. Die Hölle brach los.

 

Heimwelt

 

Shark Kor

 

Tausend Jahre früher. Shark Kor hatte eine ganze Welt erobert und sich zum Kaiser der Heimwelt ernannt. Als die Tore entdeckt wurden und sieben neue Welten jenseits der Tore fand sein Eroberungsdrang ein neues Ziel. Mit unaufhaltsamer Gewalt, unendlicher Grausamkeit und dem Einsatz seiner zahllosen Krieger und Magier eroberte er eine Welt nach der anderen. Er nannte sie Kolonien. Als die Herrscher dreier Kolonien vor ihm knieten, ernannte er sich selbst zum Gottkaiser. Nichts konnte seiner Macht widerstehen.

Nun hatte er sich die Berichte über die siebte Kolonie angehört. Eine Welt voller Kriege und Kämpfe, zersplittert in hunderte von Königreichen, regiert von Schwert und Feuer. Nur Magie gab es scheinbar nicht auf dieser Welt. Ein leichtes Opfer. Der Gottkaiser wandte sich an seinen Seher. Der muskulöse groß gebaute Mann war tief über eine Schale voller Blut gebeugt. Violette Dämpfe stiegen daraus auf und hüllten ihn in einen schillernden Nebel. Nach langer Zeit waberten die Schwaden immer unruhiger und lösten sich dann in einen wild tanzenden Wirbel auf. Der Seher warf seine langen schwarzen Haare zurück und sah den Gottkaiser an.

‚Diese Welt ist gefährlicher für Dich als alle anderen. Eine Frau habe ich gesehen.  Ihr Kopf gehüllt in Feuer, ihre Augen aus Jade und ihre Gefährten von tödlicher Macht. Eine große Bedrohung geht von ihr aus. Diese Frau wird Dein Schicksal entscheiden. Unendliche Macht oder Vernichtung.‘

Er hatte gelernt, seinem Seher zu vertrauen. Eine ganze Nacht grübelte er über die Prophezeiung. Am nächsten Morgen stand seine Entscheidung fest. Sechs Kolonien fügten sich nur unwillig unter ihr Joch. Auf der Heimwelt übten sich sein Hofstaat, seine Kriegsmeister und die Gilden in Ränkespielen um seine Macht auszuhöhlen und er fühlte sich müde. Er gab  den Befehl, die Tore zur siebten Kolonie für tausend Jahre zu versiegeln und den Eroberungszug ruhen zu lassen. Die Bewohner dieser fernen Welt ahnten nicht, wie knapp sie der Unterjochung und Versklavung entkommen waren. Der Unterwerfung ihrer Welt, die sie selber ‚Erde‘ nannten.

 

Tausend Jahre vergingen.

 

 

Bielefeld

 

Dämon

 

Angst. Die riesige geflügelte Gestalt konnte sie riechen und spüren.  Panische Angst. Mehr als Todesangst. Angst vor dem Entsetzlichen und Unbegreiflichen.

Das unmenschliche Wesen konnte diese Angst auch schmecken. Mit seiner langen violettblauen Zunge, die über den nackten Körper der Menschenfrau glitt. Ein Geschmack der immer wieder die Begierde in ihm hochlodern ließ. Die gespaltene Zungenspitze glitt über das sich windende Fleisch des schreienden Opfers. Fast zärtlich zog sie eine feuchte Spur über die vollen Brüste und wanderte von da über den zarten Bauch, schmeckte den salzigen Schweiß der weißen Haut. Die tentakelgleiche Zunge wand sich um die weit gespreizten Schenkel, die in ihren Fesseln zuckten.

Zufrieden reckte sich der Dämon auf und spreizte mächtige Flügel die sich mit einem ledrigen Knattern entfalteten. Zwischen seinen aus Muskelsträngen geformten Schenkeln vom Durchmesser einer ausgewachsenen Tanne richtete sich ein übergroßer Phallus auf. Länger als ein menschlicher Unterarm und ebenso dick. Blau, pulsierend, gekrönt von einer fast schwarzen, glänzenden Eichel in der Größe einer Männerfaust. Das Ungeheuer ließ seinen Blick durch die riesige Halle wandern. Maschinen aus Eisen standen an verschiedenen Stellen oder hingen an gewaltigen Kränen und Ketten von der Decke. Brennende Ölfässer bildeten die Beleuchtung für seinen improvisierten Tempel. In der Mitte war ein etwa sechs Meter hoher Pfahl im Boden verankert worden, bedeckt mit magischen Zeichen. Jetzt, kurz vor der Vollendung des Rituals, begannen die Zeichen blutrot zu leuchten. An seiner Spitze drehte sich langsam eine leuchtende Pyramide die pulsierend leuchtete. Es war soweit. Viele Meter über ihnen an der Oberfläche machte sich die ansteigende Energie in einer gewaltigen Explosion Luft.

Der Dämon vermerkte mit Befriedigung das Donnern der ausbrechenden Energien. Hier im tiefen Untergeschoss war der Boden bedeckt von Blut. Körper niedergemetzelter Menschen lagen überall. Grausam grinste der Dämon. Dies war nur der Auftakt zu einer gewaltigen Orgie des Entsetzens die sie über diese Welt bringen würden. Sein Blick wanderte weiter zu seinem menschlichen Verbündeten, der das Ritual vorbereitet  und ihn gerufen hatte, es zu vollenden. Der gewaltige Dämonenkörper zitterte in Gedanken an den Duft des Blutes, der ihn geführt hatte, die Welle des Grauens, auf der er durch den Unraum geglitten war. So mächtig er war, hatte es doch eines Magiers bedurft, ihm den Weg zu zeigen. Der Verräter hatte sich nur zu gerne ihrer Seite angeschlossen und wartete jetzt ohne ein Zeichen von Unruhe oder gar Reue auf den Vollzug des finalen Opfers.

Das gehörnte Wesen wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem nackten Körper zu, der mit gestreckten Armen und Beinen vor ihm auf eine Werkbank gefesselt war. Er würde die Menschenfrau mit seinem Geschlecht pfählen und dabei ihre Angst und ihren Schmerz genießen. Am Ende würden ihm die explodierenden Schwingungen aus Grauen und Ekstase ermöglichen, das Ritual zu vollenden. Der Kriegsherr Kal-Sor würde zufrieden sein, das Tor geöffnet und diese Welt verloren.

Irgendwo in der Stadt über ihm begannen Sirenen zu heulen.

 

Berlin

 

Frost

 

Shapiev hatte den schlanken Mann mit dem unverschämten Grinsen, der unordentlichen Frisur und den grauen Augen vollkommen unterschätzt. Vor wenigen Wochen war er aus dem Nichts aufgetaucht. Hatte gesagt er hieße ‚Frost‘ und hatte ihm gedroht. Nein, nicht gedroht, er hatte ihm mitgeteilt, dass der Bandenführer seine Organisation auflösen solle. Andernfalls würde er dies tun. Dabei hatte er so frech gegrinst, dass sich Shapiev fragte, warum er ihn lebend hatte ziehen lassen.

Heute nun würde er diesen Frost wieder treffen. Er, Shapiev, den man nur den Russen nannte und sein letzter Mann, denn seine Schutzgeldorganisation war vernichtet, sein kleines Imperium Geschichte. Der andere hatte seine Worte wahr gemacht. Dafür würde er den Kerl töten. Hier und heute. Sie standen auf dem Dach eines kleinen Hochhauses. Von hier konnte man direkt auf den kleinen Imbiss sehen, bei dem er sich gleich mit dem Mann treffen würde, von dem er immer noch nicht wusste, wer er war, zu welcher Organisation gehörte und was seine Beweggründe waren. Alles egal, denn in einer Stunde würde dieser Typ tot sein. Erschossen von einem Hochpräzisions-Scharfschützengewehr. Shapiev gab seinem Mann letzte Anweisungen. Plötzlich klingelte sein Handy. Unwillig griff er in seine Jackentasche nahm den Anruf an und knurrte ein mürrisches ‚Ja?’ hinein.

‚Shapiev, Du hast es immer noch nicht kapiert. Dumm für Dich, denn ich hätte Dich tatsächlich ziehen lassen. Siehst Du den Punkt auf Deiner Brust?’

Panisch blickte der Verbrecher auf den roten Fleck eines Ziellasers, der direkt auf seinem Herz leuchtete.

‚Bitte, tue es nicht, ich habe Familie….’ Er begann zu betteln, zu flehen und hatte schon mit seinem Leben abgeschlossen, als er durch das Handy ein aufdringliches Piepen und entfernt eine weitere Stimme hörte. Dann fluchte sein Richter und sprach ihn wieder an.

‚Sieht aus, als hättest Du Glück gehabt. Ich möchte Deine Visage nie wieder sehen, verschwinde von hier und fang ein anständiges Leben an.’

 

Frost sah durch sein Zielfernrohr wie sich der Russe eiligst vom Dach verzog. Es war nicht schwierig gewesen dessen Gedankengänge zu erraten, den Heckenschützen auszuschalten und sich selbst in eine günstige Position zu bringen. Allerdings musste er sich jetzt um etwas Wichtigeres kümmern. Er sprach in sein zweites, ganz besonderes Handy: ‚Ben, habe verstanden und wiederhole: Alarmstufe Rot, massiver Kontakt in Bielefeld. Bin unterwegs.’

Es gab großen Ärger.

 

Heimwelt

 

Kal-Sor

 

Wie eine Statue stand Kal-Sor da und beobachtete seine kleine Armee, die sich vor dem noch geschlossenen Tor drängte. Horden von Monstren bewehrt mit Klauen, Reißern und Flügeln, gebändigt nur von den Biestmeistern, die sie mit eisernem Willen magisch kontrollierten.  Scharen von Grems. Niedere Wesen, die gutes Fußvolk für brutales direktes Vorgehen abgaben. Auf seine eigenen Krieger hatte er verzichtet. Auch wenn die Gelegenheit die ihm Leander verschafft hatte, sehr günstig war. Er traute dem zwielichtigen Mann nicht genug, um bei dieser Aktion seine eigenen Männer in die Waagschale zu werfen. Dafür hatte er etwas anderes dabei. Ein gewaltiger Kampftitan, die ultimative Waffe, überragte seine Armee wie ein Turm, nein, wie ein Berg.

Nach außen hin mit unbewegtem Gesicht jubelte Kal-Sor innerlich. Endlich würde die Eroberung beginnen. Die Erde hatte einmal einen Aufschub von tausend Jahren erhalten. Jetzt jedoch war ihre Zeit gekommen.