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Inzwischen hatte sich meine Verhaftung in Hamburg herumgesprochen. Anfangs hatten nur der engste Kreis um meine Familie und die Kanzlei etwas davon gewusst. Wir wollten Gerüchte vermeiden, die der Anwaltspraxis und der Immobilienverwaltung großen Schaden hätten zufügen können.

Jetzt aber war klar, dass ich nicht so bald zurückkehren konnte, um die Informationspolitik selbst in die Hand zu nehmen. In Hamburger Zeitungen waren ein paar Artikel erschienen, mit einem Foto von mir, das sich die Journalisten von der Internetseite des Broward Sheriff’s Office heruntergeladen hatten. Es zeigte mich bartlos und mit kurzem Haar, sodass mich viele Kollegen und Bekannte darauf gar nicht erkannt haben.

Der Tonfall der Hamburger Berichterstattung war erstaunlich hämisch, und in der Sache steckten die Artikel voller Fehlinformationen. Besonders eifrig berichtete der Journalist Olaf Wunder von der «Hamburger Morgenpost» über meinen Fall, zum Beispiel so:

«B. und zwei Komplizen war vorgeworfen worden, im Januar einen ehemaligen Geschäftsfreund, den in den USA lebenden … erpresst zu haben. Dabei ging es um 1,5 Millionen Dollar. Um an das Geld zu kommen, sollen sie … gedroht haben: ‹Entweder du zahlst oder dir und deiner Familie stößt was Schlimmes zu.› Pech für B. und die anderen: Sie wurden seit ihrer Ankunft in den USA von Agenten des FBI beschattet. Nach MOPO-Informationen ermittelten die Fahnder gegen die Deutschen wegen des Verdachtes der Geldwäsche. Das FBI hörte Gespräche ab. So wurden die Beamten zufällig Zeugen der Erpressung.» In der MOPO vom 6. Mai 2006 stand auch, dass ich mit 25 Jahren Haft zu rechnen hätte und demnach 78 wäre, wenn ich freikäme. Das «Altonaer Wochenblatt» meldete gar, es seien bis zu 45 Jahre Haft zu erwarten.

Meine Familie beschloss, diese Art der Presseberichte einfach nicht weiter zu beachten. Stattdessen organisierte meine Tochter Anne ein Treffen für meine Freunde in meiner Kanzlei. Gemeinsam mit Jan Jütting berichtete sie ihnen über meine Situation und darüber, wie wichtig es jetzt für mich war, mit ihnen allen in Verbindung zu bleiben.

Das führte dazu, dass ich schon wenig später sehr viel Post bekam: Briefe, die mir Mut zusprachen, aber auch von Schock, Unverständnis und Hilflosigkeit berichteten, die durch die Nachricht von meiner Verhaftung und Verurteilung ausgelöst worden waren. Viele schilderten mir auch einfach, wie das Leben in Hamburg weiterging, was im Stadtteil passierte und dass endlich der Frühling begonnen hatte. Ich war dankbar für jede einzelne Zeile und nahm mir für die Beantwortung viel Zeit. Ich versuchte, meinen Freunden so gut es ging zu erklären, was mit mir passiert war. Ich korrespondierte mit ihnen über das, was sie mir aus ihrem Leben erzählten. Manche von ihnen hatte ich lange nicht gesehen, obwohl wir in Hamburg nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt lebten. Ich bat darum, mir Kopien von Medienberichten über aktuelle Themen zu schicken. Mein Freund Uli Stellfeld versorgte mich von diesem Moment an mit der schönsten Regelmäßigkeit mit Tausenden von Druckseiten über das Zeitgeschehen in Europa: Zeitungsartikel, die er aus dem Internet herunterlud und dann in Form eines Briefes an mich versandte. Meine Tochter versuchte indessen, mir Bücher in derselben Form zukommen zu lassen: als Textdateien, die sie in lange Briefe hineinkopierte. In gebundener Form waren Bücher im Broward County Jail ja verboten.

Meiner Familie schrieb ich lange Briefe über alle geschäftlichen Schritte, die jetzt nötig waren, um eine Insolvenz von meiner Kanzlei abzuwenden. Natürlich fiel es mir schwer, die Verantwortung dafür in die Hände meiner Kinder abzugeben. Ich hatte das Gefühl, ihnen viel zu viel aufzubürden, und das auch noch viel zu früh. Ich hatte mich bisher für unentbehrlich gehalten; jetzt spürte ich nur noch Ohnmacht.

Schon wenige Wochen nach meiner Verurteilung kam meine Tochter Anne wieder nach Florida. Sie konnte mich jeden Tag besuchen. Vormittags sahen wir uns, durch die Glasscheibe im Gefängnis voneinander getrennt. Nachmittags telefonierten wir per Ortsgespräch stundenlang weiter. Das ging nur, solange sie in Florida war. Schritt für Schritt arbeiteten wir alle Angelegenheiten durch, die jetzt zu Hause zu erledigen waren.

Ende Mai flog sie nach Hamburg zurück. Wir hatten uns kaum voneinander verabschiedet, da schickte ich ihr diesen Brief hinterher:

«Liebe Anne,

vielleicht wunderst Du Dich, so schnell nach Deiner Rückkehr einen Brief von mir vorzufinden. Ich möchte Dir aber auf diesem Wege so schnell wie möglich sagen, was für eine großartige junge Frau Du bist und was für großartige Geschwister Du hast. Eure Besuche bei mir haben auf mich eine ungeheuer positive Ausstrahlung. Das zeigt sich jetzt gerade wieder, Du bist noch hier, während ich das schreibe. Ihr seid mehr als mein Leben.

Das macht mich an dieser Stelle auch sehr verletzlich. Der Gedanke, dass es Euch nicht gut gehen könnte, ist unerträglich. Bitte sorgt deshalb für Euch, so gut es irgend geht. Ich kann vorübergehend so gut wie kaum helfen.

Das mag möglicherweise besser werden, wenn sich unsere Kommunikationsmöglichkeiten verbessern, ich hoffe das jedenfalls sehr. Ihr seid einer enormen Belastung durch meine Situation ausgesetzt. Aber ich weiß auch um Eure Stärke und darum, dass Ihr Hilfe von Christiane, Jan und vielen anderen habt. Glaube mir, dass ich daraus die allermeiste Zuversicht gewinne. Ich habe Euch wahrlich keine einfachen Aufgaben in Hamburg zurückgelassen, aber ich habe mit dieser Entwicklung auch nicht gerechnet. Ich weiß spätestens seit Deinem Besuch, dass Ihr, oder vielleicht besser: wir alles schaffen werden, was es zu schaffen gibt, und das ist sehr gut so! Ich liebe Euch über alles!»

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz
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