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In Häftlingskleidung, an Händen und Füßen gefesselt, wurde ich in den Gerichtssaal geführt. Der große Raum war mit hellen Holzmöbeln, gediegenen Teppichböden und modernsten technischen Einrichtungen ausgestattet. In dieser Atmosphäre kannte ich mich wieder aus, im Gerichtssaal war ich in meinem Element. Der Kontrast zum Lärm und Dreck des Broward County Jail, das nur ein paar hundert Meter entfernt lag, war eindrucksvoll: Hier, so dachte ich, würde nach den Spielregeln eines demokratischen Rechtsstaates miteinander verhandelt.

Jeanne Baker war da, und zum ersten Mal sah ich auch Jan Jütting wieder. Erst vor ein paar Tagen hatten wir uns in Hamburg voneinander verabschiedet. Es tat so gut, jetzt einen von meinen Leuten an meiner Seite zu haben.

Wir standen zu dritt vor dem Richter: Sie hatten außer Andreas B. und mir auch Gerhard W. verhaftet. Jener Mann, über den die F.s mit uns gesprochen hatten, war kurz vor seinem Abflug nach Deutschland auf dem Flughafen von Miami festgenommen worden. Ich kannte ihn nur flüchtig als Bekannten von Andreas B. Jetzt standen wir gemeinsam als angebliche kriminelle Bande vor Gericht.

Es gab bereits eine erste, improvisierte Anklageschrift, verfasst von dem FBI-Beamten, der unsere Verhaftung veranlasst hatte. Uns wurde vorerst keine Möglichkeit eingeräumt, zur Sache Stellung zu nehmen. Haftrichter Barry Seltzer hatte bereits entschieden, wie es mit uns weiterging: Wir blieben vorerst im Gefängnis. Jedenfalls bis zum nächsten Termin, in einer knappen Woche. Im Rahmen eines sogenannten bond hearing könnten wir dann eine Freilassung gegen eine Kaution beantragen.

Jan Jütting war es noch am Montagabend gelungen, meine «Schlafmaschine» aus Andreas B.s Haus zu holen. Meine Verteidigerin bat den Haftrichter nun um die Erlaubnis, mir den Apparat im Gefängnis auszuhändigen, damit ich zumindest ohne Angst vor lebensbedrohlichen Atemaussetzern schlafen könnte.

Barry Seltzer war offenbar nicht ganz sicher, was er von diesem Gesuch halten sollte. Deshalb fragte er erst mal den Wachmann, der mich hergebracht hatte:

«Wo ist Berkau denn untergebracht?»

«Im Broward County Jail, Euer Ehren.»

«Und wie wird da mit solchen medizinischen Geräten umgegangen? Sind die erlaubt?»

«Ich weiß es nicht. Aber sie akzeptieren dort nicht einmal ärztlich verschriebene Medikamente, wenn ein Gefangener so was mitbringt. So streng sind die.»

«Ja, ich weiß davon, dass dort Medikamente nicht ausgegeben werden», erklärte der Richter. Das klang nicht gerade beruhigend. Dann fragte er Jeanne Baker: «Wissen Sie, was die im Broward County Jail zu diesem Gerät sagen würden?»

Jeanne Baker hatte die Frage schon geklärt. Ein Krankenpfleger hatte ihr zugesagt, man werde mir den Apparat aushändigen.

Etwas ungläubig hakte Seltzer nochmal nach: Das Gerät würde im Gefängnis wirklich erlaubt? Er bat Jeanne Baker, doch bitte nochmal zu klären, ob das auch kein Missverständnis sei. Und wenn sie dort drüben wirklich nichts dagegen hätten – dann würde auch er, der Richter, den Antrag abzeichnen.

Noch am selben Tag sorgte meine amerikanische Anwältin dafür, dass Jan Jütting als ihrem deutschen co-counsel erlaubt wurde, mich unbegrenzt im Gefängnis zu besuchen. Von jetzt an saßen wir jeden Tag in dem winzigen Besprechungsraum beieinander. Durch eine Glasscheibe hatten uns die Wachleute jederzeit unter Kontrolle. Auch Jeanne Baker nahm an einigen Besprechungen teil.

Allerdings waren die Bedingungen, unter denen diese Gespräche stattfanden, grotesk. Besuch durch Anwälte war zwar im Prinzip für bis zu acht Stunden pro Tag erlaubt, aber nur solange keiner von uns auf die Toilette musste. Sobald wir einen Wachmann in Anspruch nahmen, um einen von uns zum WC zu geleiten, war die Besuchszeit beendet. An Speisen oder Getränken waren wir unter diesen Umständen nicht interessiert. Es wäre natürlich auch nicht erlaubt gewesen, in den Besuchsräumen etwas zu essen oder zu trinken.

In den sogenannten hearing cells herrschte dank der hocheffektiven Klimaanlage stets eine geradezu arktische Kälte. Übermüdet und erschöpft, wie ich ohnehin schon war, fror ich oft jämmerlich. Doch sobald einer der Schließer bemerkte, dass mir Jan Jütting fürsorglich sein Sakko über die Schulter legte, schritt er ein. Für das Verbot, Kleidungsstücke meines Anwaltes zu tragen, gab es folgende Begründung: Es könnte ja passieren, dass ich, dermaßen verkleidet, unbemerkt das Gefängnis verließ.

Wir haben selbst in dieser bedrückenden Situation manchmal herzlich miteinander gelacht. Nur gelegentlich, so erinnert sich Jan Jütting heute, habe ich doch für einen kurzen Moment die Fassung verloren. Um dann wieder, schnell und konzentriert, an die Arbeit zu gehen.

Wir sprachen darüber, wie wir es ermöglichen könnten, eine hohe, sehr hohe Kaution anzubieten: Eine Million US-Dollar, den größten Teil davon nicht in bar, sondern in Form von Grundbucheintragungen auf meine Immobilien. Wenn sich das Gericht darauf einließ, würde ich vermutlich in Fort Lauderdale oder Miami bleiben müssen, vielleicht sogar mit einer elektronischen Fußfessel unter Hausarrest in einem Hotelzimmer oder Apartment. Aber ich könnte mir ein Laptop und einen Internetzugang besorgen und jedenfalls aus der Ferne für meine Kanzlei zur Verfügung stehen. Bis ich, in zwei Monaten vielleicht, nach dem Strafprozess nach Hause zurückkehren könnte.

Die Zeit, die uns in dieser kurzen Woche bis zum bond hearing noch blieb, nutzten wir dazu, alles vorzubereiten, was in meiner Kanzlei in Hamburg in den nächsten Wochen zu tun war. Jan Jütting und meine Töchter brauchten Vollmachten, Informationen und Handlungsanweisungen, um die Arbeit dort notfalls auch ohne mich zu bewältigen.

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz
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