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Die Umstände, unter denen die Besuche meiner Kinder im Broward County Jail stattfanden, waren bedrückend. Aber die Stimmung unter uns war eigentlich ziemlich gut: Wir hofften darauf, wir rechneten in diesen Tagen heimlich damit, dass wir uns schon in wenigen Wochen in einer ganz anderen Umgebung wiedersehen würden: zu Hause, in Hamburg. Niemand konnte sich wirklich vorstellen, dass die Jury mich schuldigsprechen würde. Auch meine Anwältin war optimistisch, aber sie versuchte, unsere Erwartungen zu dämpfen: Man musste mit allem rechnen.

Die Anklage, formuliert von Staatsanwalt Christopher Clark, lautete nicht auf Erpressung, sondern auf conspiracy to commit extortion, auf eine «Verschwörung, um eine Erpressung zu begehen», einen Straftatbestand, den es in Deutschland gar nicht gibt (mehr zum Thema conspiracy s. Seite 90 f.). Und dies war nicht der einzige der Unterschiede, die ich erst jetzt zu verstehen begann: In unserem Rechtssystem gilt die Staatsanwaltschaft als «neutralste Behörde der Welt»; sie ermittelt gegen den Angeklagten, muss aber auch Beweise prüfen, die ihn entlasten. Im amerikanischen Strafprozess hingegen stehen sich Staatsanwalt und Verteidigung als streitende Parteien gegenüber.

Der Gerichtssaal wird dadurch zum Schauplatz eines Wettstreites: Vorne sitzen, um den eigentlichen Kampfplatz herumgruppiert, die Richter, der Staatsanwalt, die Angeklagten mit ihren Verteidigern und, auf einer Tribüne leicht erhöht, die Geschworenen. In der Mitte befindet sich der Zeugenstand, vor allem aber viel Platz. Auf diesem Feld läuft fast immer jemand herum, um seine Worte mit großen Gesten und raumgreifenden Bewegungen zu unterstreichen.

Staatsanwalt und Verteidiger stehen in Zivilkleidung vor Gericht. Jedes Detail ihres Auftritts ist wichtig, weil es Eindruck auf die Geschworenen machen könnte – das sind ja Menschen, die oft zum ersten Mal in ihrem Leben an so einem Spektakel teilnehmen. Meine Anwältin Jeanne Baker erschien stets sorgfältig zurechtgemacht in einem edlen Kostüm. Staatsanwalt Clark trug immer einen dunklen Anzug, und zwar jeden Tag einen anderen.

Richter Dimitrouleas gab sich diesem ganzen Spektakel gegenüber demonstrativ entspannt. Meist saß er zurückgelehnt auf seinem Stuhl, wippte ein wenig hin und her und wirkte, als seien seine Augen fast geschlossen. Seine übrigen Gesichtszüge verschwanden fast vollständig hinter seinem dunklen Bart. Es war unmöglich, zu erkennen, was in ihm vorging.


Donald VanHoose war der erste Zeuge, der für die Staatsanwaltschaft in den Zeugenstand trat: Der FBI-Ermittler war ein eher unauffälliger Mann von etwa 30 Jahren. Vor Gericht erschien er im dunklen Anzug. Und so saß er auch neben Bill Schureck, seinem Vorgesetzten, und Staatsanwalt Clark während des gesamten Verfahrens im Gerichtssaal.

VanHoose präsentierte sich als schlichter, aber eifriger Ermittlungsbeamter. Bis vor anderthalb Jahren war er einfacher Polizist in Kansas gewesen; mit ein paar Fortbildungsmaßnahmen hatte er es jetzt zum FBI geschafft, wo er in der Eurasian Organized Crime Unit diente. Von internationalen Geschäftsbeziehungen verstand er nichts, wie er mehrmals freimütig bekannte, ebenso wenig beherrschte er irgendeine Fremdsprache. Donald VanHoose hatte am Silvestertag des Jahres 2005 von Bill Schureck erfahren, dass es einen neuen Fall gab, den er verantwortlich übernehmen sollte. Für Montagmorgen, den 2. Januar, um acht Uhr war ein Treffen im Haus von Carl F. angesetzt.

In den zwei Stunden, die sich die beiden Ermittler an diesem frühen Montagmorgen nahmen, um sich von angeblichen Erpressungsopfern den Fall schildern zu lassen, hatte Frau F. angeblich überhaupt nichts gesagt – bis auf die Frage, ob man Wasser oder Tee trinken wolle. Carl F., ein wohlhabender Geschäftsmann und Familienvater in einem der besten Wohnviertel von Fort Lauderdale, machte dafür einen überaus glaubwürdigen Eindruck auf Donald VanHoose. Fast kindlich beteuerte er in der Vernehmung immer wieder: «Ich habe F. geglaubt, weil er es so gesagt hat!» Er wusste nicht, dass es ein deutsches Gerichtsurteil gegen diesen honorigen Kaufmann gab – und als er es schließlich kennenlernte, verstand er es nicht. «Mit solchen Sachen kenn ich mich nicht aus», wiederholte er fast stereotyp.

VanHoose hatte auch nichts unternommen, um die F.s und ihre Kinder vor der angeblichen Bedrohung zu schützen. Er hätte Carl F.s Auto mit einer GPS-Ortungsbox ausstatten können, so etwas besaß das FBI. Er hätte durch einen Blick ins Telefonbuch feststellen können, ob die Adresse der Familie für jedermann zugänglich war. Er hätte versuchen können, etwas über unsere angebliche Tatwaffe, seinen angeblichen unmittelbaren Bedroher – Gerhard W. – herauszufinden, der mit Frau und Kindern zum Weihnachtsurlaub in Florida weilte. Nichts davon war geschehen.

Der FBI-Ermittler hatte noch ein weiteres Problem: Er konnte nichts von den Gesprächen verstehen, die Carl F. am Telefon und später auch mit uns im Haus von Andreas B. auf Deutsch führte. Er war auf Übersetzer angewiesen, und die brauchten viel Zeit, um Transkripte und Übersetzungen anzufertigen, diese nach Washington zu schicken, dort überprüfen, abzeichnen und wieder zurückschicken zu lassen. Für die Übertragung eines Telefongesprächs von fünf Minuten in die deutsche Sprache, so gab eine der FBI-Übersetzerinnen vor Gericht an, brauche sie vier Stunden, für ein Meeting von einer Stunde Dauer etwa drei Tage. So viel Zeit hatte VanHoose nicht, bevor er uns verhaften ließ.

Letztendlich war es auf den Inhalt des Gespräches am 14. Januar 2006 also nicht mehr angekommen. Meine Festnahme hatte bereits festgestanden, als mein Flugzeug auf dem Rollfeld von Miami zum Stehen kam. Schon an diesem 13. Januar hatte VanHoose einen Durchsuchungsbefehl für Andreas B.s Haus beantragt – und wie sich jetzt herausstellte, war dieser Antrag fast wortgleich mit der «Anklageschrift», die er drei Tage später dem Haftrichter vorlegte. Unser Termin mit Carl F. und seinem Anwalt hatte nur noch dem Zweck gedient, mich nach Florida zu locken, um mich zu verhaften.

VanHoose hatte Carl und Sabine F. mit versteckten Mikrophonen und einer Videokamera ausgestattet und ihnen genau gesagt, was sie zu tun hatten. Sie sollten, nach einigen Scheingefechten, alle unsere Forderungen und Bedingungen akzeptieren und sich so als willfährige Erpressungsopfer präsentieren. Und auch Hermann W., ihr deutscher Anwalt, wurde genau in diese Inszenierung eingewiesen. Ich verstehe bis heute nicht, warum mein Hamburger Kollege an diesem abgekarteten Spiel teilgenommen hat.

Während der FBI-Mann stundenlang, erst vom Staatsanwalt, dann von den Verteidigern befragt wurde, dämmerte mir allmählich, warum Carl F. in diesem Teil des Gespräches ganz unvermittelt auf ein paar Dinge zu sprechen gekommen war, die Jahre zurücklagen und hier eigentlich überhaupt nichts zu suchen hatten: Es hatte tatsächlich einmal eine ziemlich massive verbale Auseinandersetzung zwischen Carl F. und mir als dem rechtlichen Vertreter der ACCONSA in Deutschland gegeben. Einer der Anleger verlangte sein Geld zurück, und das lag bei Carl F. Um ihn auszahlen zu können aber war die ACCONSA auf die Rückgabe des Betrages angewiesen. Ich hatte F. im Rahmen einer unserer Verhandlungen ziemlich wütend auf diese Situation hingewiesen. Jetzt war er darauf plötzlich wieder zu sprechen gekommen. Er hatte mich dazu bringen wollen, etwas über die Gefährlichkeit der Anleger der ACCONSA zu sagen, mit denen ich mich auseinanderzusetzen hatte. Und damit sollte ich dann zum Dritten im Bunde seiner angeblichen Erpresser und Bedroher werden.

Ich war an diesem fatalen Vormittag des 14. Januar 2006 über diese Wendung in unserem Gespräch irritiert und verärgert gewesen. Schließlich war ich nicht nach Florida gekommen, um mir diffuse Befürchtungen der F.s anzuhören oder über Vorfälle zu sprechen, die längst Schnee von gestern waren – zumal der betreffende Anleger von der ACCONSA längst aus anderen Mitteln abgefunden worden war. Ich sagte deshalb, was dazu zu sagen war: dass er sich garantiert keine Sorgen machen müsse, wenn wir den Konflikt nun durch eine Einigung ein für alle Mal beenden könnten.

Das sollte eine Erpressung darstellen? Am 6. Februar 2006, zwei Monate vor dem Prozess, hatte ich einen langen Brief an meine Anwältin geschrieben, in dem ich mich mit diesem Vorwurf ausführlich auseinandersetzte. «Berkau erklärte, dass er für die Sicherheit der Familie garantieren könne», so zitierte ich damals den amerikanischen Staatsanwalt. Und ich fragte Jeanne Baker: «Gut, ich habe gelernt, dass das, rechtlich gesehen, eine Erpressung darstellt. Aber was wäre die Schlussfolgerung, wenn ich gesagt hätte, dass ich nicht für die Sicherheit der Familie garantieren könnte? Du wirst mir erklären, Jeanne, dass dies auch eine Drohung und auch eine Erpressung wäre. Was also tun? Aufstehen und sofort die Polizei anrufen, wenn eine Frage wie diese während einer Geschäftsverhandlung aufkommt? Aber halt: Das kann auch eine Drohung sein! Täusche ich mich?»

Damals war ich ziemlich fassungslos über die kafkaeske Logik des Systems, in das ich hineingeraten war. Jetzt, zwei Monate später, fühlte ich mich schon sehr viel besser. Die Aussagen von VanHoose hatten oft Gelächter im Gerichtssaal und bei Bill Schureck und Chris Clark offensichtliches Entsetzen ausgelöst. Es lief ziemlich gut für uns.

In Dubio: Conspiracy

Den Straftatbestand der conspiracy, der Verschwörung, gibt es im amerikanischen Recht schon seit über hundert Jahren. Diese strafrechtliche Klammer macht es möglich, praktisch das gesamte soziale Umfeld, in dem eine Straftat stattfindet oder auch nur beabsichtigt wird, zu kriminalisieren. Besonders bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder politischer Gruppen ist diese Möglichkeit von Beginn an ein willkommenes Instrument für die Strafverfolger gewesen. Inzwischen wird es in den USA aber praktisch gegen jede Form von Kriminalität eingesetzt und stellt eine Einladung zur Willkür dar: Der Vorwurf lautet conspiracy, wenn sich zwei Menschen darüber unterhalten, dass man doch mal versuchen könnte, eine Bank zu überfallen. Und wenn einer von den beiden sich dann zum Beispiel auf den Weg macht, um sich die Überwachungskameras in dieser Bank etwas genauer anzusehen. Conspiracy kommt als Vorwurf auch in Frage, wenn jemand auf der Party eines Drogendealers zu Gast ist. Wegen conspiracy kann ein Werkstattbesitzer verurteilt werden, in dessen Werkhalle nachts geklaute Autos umgespritzt werden, ohne dass er es mitbekommt. Die conspiracy erlaubt es, alle Personen im Umfeld einer Tat für alles verantwortlich zu machen, was auch nur einer von ihnen tut oder sagt.

Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble schlug 2007 vor, im Zuge der Terrorbekämpfung auch in Deutschland den Straftatbestand der «Verschwörung» einzuführen. Er erntete dafür massive Kritik und hat diesen Vorstoß nicht weiterverfolgt. Ähnliche, aber erfolglose Proteste hatte es gegeben, als 1976 der Paragraph 129a ins deutsche Strafrecht eingeführt wurde: Er stellt die «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung» unter Strafe. Auch hier können Menschen für Straftaten verurteilt werden, die andere begangen haben oder zu begehen beabsichtigen – wenn sie deren Zwecke explizit unterstützen. Dennoch gelten für die Anwendung dieses Paragraphen sehr viel deutlichere Einschränkungen als für die conspiracy im amerikanischen Recht.

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz
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