WANGEROOGE

Erstmals urkundlich erwähnt wird Wangerooge in einem Dokument aus dem Jahre 1306; darin geht es um das Strandrecht zwischen Bremen und dem Gau Östringen. Der erste Insulaner, dessen Existenz schriftliche Erwähnung fand, war der Schiffskapitän Thethardus. Er soll 1327 an einer Verschwörung gegen Graf Wilhelm von Holland beteiligt gewesen sein – benannt wird er darin als oppidani in Wangeroch insule; oppidani steht für den Bürger eines befestigten Ortes (oppidum). Tatsächlich bestand damals auf der Insel bereits das Kirchdorf mit der Nikolaikirche, die zur Gaukirche Hohenkirchen und somit zum Erzbistum Bremen gehörte. Um 1400 gehörte Wangerooge – wie die anderen Ostfriesischen Inseln – zum Herrschaftsbereich der Häuptlingsfamilie tom Brok. Dass sie ihren Besitz auf dem Festland und den »alsucken Eilanden wie Borkyn, Just, Buise, Osterende, Boltinge, Langoch, Spiekeroch ende Wangeroch« anno 1398 dem mächtigen Herzog von Bayern übertrugen und als Erblehen zurückerhielten, kann man durchaus einen diplomatischen Schachzug nennen. Mit dem Schutz des mächtigen Herzogs im Rücken, konnten sich die tom Broks so alle anderen Häuptlinge, die gern nach Raubritterart durchs Land zogen, vom Hals halten. Als in jener Zeit der Heringsfang in der Nordsee rund um Helgoland zu florieren begann, waren auch Wangerooger Fischer mit von der Partie. Auch als hierfür ein Helgoländer Rechtsbuch verfasst wurde, wirkten daran Fischer von Wangerooge mit und namentlich ein Richter Olrich Smyt van Wangeroch. Doch nicht nur der Hering war in die Nordsee gekommen – auch die Freibeuter um Klaus Störtebeker und Goedeke Michels wechselten um 1400 von der Ost- in die Nordsee. Sie fanden Unterschlupf bei Häuptling Edo Wiemken von Rüstringen. Edo, so erzählen die Annalen, war auch selbst der Piraterie nicht abgeneigt und schickte Kaperschiffe von seinem Jadehafen aus auf See. Doch das ließen sich die Bremer Hanse und auch die Holländer nicht lange gefallen. Letztere fielen zweimal über Wangerooge her, zerstörten die Kirche, verwüsteten das Dorf, schlugen elf Männer tot und verschleppten Frauen und Kinder – heißt es.

Schon im 14. Jahrhundert wurde Wangerooge auf alten Karten als wichtiger Ansteuerungspunkt für Seefahrer erwähnt. So muss es nicht verwundern, dass der Graf von Oldenburg 1597 dort als nautischen Markierungspunkt den mächtigen Westturm errichten ließ – ein beinahe burgartig anmutendes Gebäude, das über Jahrhunderte als das größte auf den Inseln galt. Schon einmal hatte an seiner Stelle ein Turm gestanden; er hieß Nikolaiturm, war mehrfach geplündert worden und 1595 schließlich gänzlich eingestürzt. Der neue Turm war nach einer Bauzeit von mehr als fünf Jahren 1602 fertiggestellt. In seinem Erdgeschoss lagerten die Insulaner Strandgut oder nutzten es als Gefängnis. Im ersten Stock war eine Kirche eingerichtet. In vier weiteren Stockwerken lebte unter anderem der Lampenwärter und befand sich eine Glockenkammer.

Der 24.000 Taler teure Turm inmitten des Ortes schien den Insulanern wie für die Ewigkeit gebaut, doch weit gefehlt: Das Meer suchte sich seinen Weg, und 1865 wurden sämtliche Häuser, die nach und nach rings um den Turm entstanden waren, bei einer schweren Sturmflut fortgespült. Auch wanderte die Insel in den folgenden Jahrzehnten nach Osten, sodass der 56 Meter hohe Turm schließlich allein vom Strand aufragte. Die Fluten setzten dem Bauwerk weiterhin zu, doch sein eigentliches Ende fand es erst durch Menschenhand. 1914 wurde das Wahrzeichen gesprengt, denn mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wollte man verhindern, dass das Gebäude feindlichen Schiffen den Weg zur nahe gelegenen kaiserlichen Marinebasis in Wilhelmshaven wies. Ein Nachfolgebau wurde 1933 nach alten Plänen errichtet – allerdings weiter östlich. Übrigens: Der Hooge Toorn, der immer zum Selbstbewusstsein der Insulaner gehörte, findet sich auch im Wappen Wangerooges wieder.

Zur Allerheiligenflut 1570 bestand das Inseldorf aus circa 50 Häusern, um 1650 gab es etwa 60 Häuser, in denen rund 360 Menschen lebten. Auch die jämerliche Wasser-Flutt, die sich zu Weihnachten 1717 ereignete und über die gesamte Küste hereinbrach, forderte auf der Insel Tribut: viel Weideland ging verloren. Die Insulaner lebten sommers vom Fischfang wie auch vom Strandgut, fuhren zur See oder verdingten sich mit dem Schillfang; ganze Schiffsladungen Muschelschalen wurden so aufs Festland und in die Kalkbrennereien transportiert. Wangerooge und die Herrschaft Jever gehörten damals, seit dem Tod von Graf Anton Günther von Oldenburg anno 1667, zur Herrschaft des Fürsten von Anhalt-Zerbst. Als der Fürst 1793 kinderlos starb, fielen die jeverschen Besitztümer an seine Schwester, die russische Zarin Katharina II. Die Zarin ließ sich einen Bericht über Land und Leute anfertigen, in dem die Lebensumstände auf der Insel beschrieben wurden und die Wangerooger selbst, die »wild, rau und hartherzig im Gegensatz zu den menschenfreundlichen Landleuten des festen Jeverlandes« seien.

Das erste deutsche Nordseebad Norderney (1798) bestand bereits seit sechs Jahren, als auch auf Wangerooge der Bädergedanke aufkam – Initiator war der Inselvogt Tjark Friedrich Ammann. Doch die napoleonische Zeit machte die ersten Erfolge zunichte: Um dem Schmuggel Einhalt zu gebieten, ließen sich die Franzosen auf der Insel nieder und drohten gar mit der Sprengung des Westturmes. Nach der Niederlage Napoleons fiel das Jeverland samt Wangerooge wieder an den russischen Zaren, der es 1818 an das inzwischen zum Großherzogtum erhobene Oldenburg zurückgab. Der Großherzog selbst ging sofort daran, die Seebadeanstalt zu fördern – er stellte 5.000 Reichstaler zur Verfügung. 1823 konnten bereits 1800 Sommerfrischler gezählt werden – und Wangerooge avancierte zum Hofbad. Bis die Silvesterflut 1854/1855 über die Insel hereinbrach und sie in drei Teile riss. Die meisten der 350 Bewohner verließen darauf das Eiland, und die Oldenburger Regierung wollte die Insel ganz aufgeben, wenn sich nicht knapp ein Drittel der verbliebenen Wangerooger geweigert hätte. Sie gründeten ein neues Dorf im Osten, dort, wo 1856 der Leuchtturm errichtet worden war.

Aufgrund der Nähe zu Wilhelmshaven war Wangerooge im Ersten und im Zweiten Weltkrieg von militärisch-strategischer Bedeutung. Der Luftangriff vom 25. April 1945 ist manchem Wangerooger noch im Gedächtnis: 482 britische, kanadische und französische Bomber warfen in nur 15 Minuten 6.000 Sprengbomben über der Insel ab, die danach in Schutt und Asche lag; mehr als 300 Menschen starben.

Seit 1975 ist die tideabhängige Insel, die zum Verwaltungsbezirk Oldenburg und zum Landkreis Friesland gehört, staatlich anerkanntes Nordseeheilbad – mit der Oldenburger Farbgebung Rot-Gelb-Blau im Wappen.

ALTER LEUCHTTURM

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Er ist das Ziel vieler Verliebter, die aus ganz Deutschland und darüber hinaus anreisen: der Alte Leuchtturm von Wangerooge, in dessen einstiger Wachstube seit 1996 ein rundes Trauzimmer eingerichtet ist. Das schwarz-rot-weiß gestrichene Wahrzeichen der Insel ist nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt, jedoch müssen die Brautpaare 150 Stufen erklimmen, wenn sie den Bund fürs Leben in luftiger Höhe schließen möchten. Der 30 Meter hohe Turm entstand 1855 auf Geheiß des Großherzogs von Oldenburg am damaligen Ostende der Insel und ging ein Jahr später in Betrieb. 1927 ist das Bauwerk, das seit 1896 elektrisch betrieben wurde, noch einmal um neun Meter erhöht worden. Seine Zeit als Wegweiser für die Schifffahrt war am 7. November 1969 zu Ende, weil in der Zwischenzeit im Westteil der Insel ein neuer Leuchtturm entstanden war. Seit 1972 wird der Alte Leuchtturm, der zugleich das älteste Gebäude Wangerooges ist, als Aussichtspunkt genutzt – mehr als eine Million Schaulustige sollen sich indessen hinaufgewagt haben, denn bei guter Sicht kann man bis zum 42 Kilometer entfernten Helgoland gucken. 1980 ist im Erdgeschoss des Turmes überdies ein Heimatmuseum eingerichtet worden, dessen Exponate Inselgeschichte dokumentieren. Während die kleinen Besucher Gefallen an der Modelleisenbahn finden, gibt es für die anderen Bernsteinfunde oder längst vergilbte Kurgast-Listen zu bestaunen. Und auch am und vor dem Alten Leuchtturm ist Inselhistorie präsent: Zum einen gibt es an seiner Außenseite den Wappenstein des Hauses Anhalt-Zerbst zu entdecken, der schon an dem 1687 erbauten Feuerturm angebracht war. Zum anderen glänzt auf dem Vorplatz die letzte Wangerooger Dampflok, die von 1929 bis 1967 über die Insel schnaufte und dabei mehr als 350.000 Kilometer zurücklegte.

CAFÉ PUDDING

Es heißt so, weil es sich architektonisch ausnimmt wie ein gut platziertes Dessert: Das »Café Pudding« am Ende der Zedeliusstraße direkt an der Strandpromenade ist nicht zuletzt ob seiner Geschichte ein Wahrzeichen der Insel. Einst stand dort eine Dünenbake als Signal für die Küstenschifffahrt, die nach ihrem Abbruch zu Anfang des Ersten Weltkrieges nicht wieder aufgebaut wurde. Der Platz blieb aber bei den Wangeroogern der Dünenbakenhügel, auch noch nachdem an dieser Stelle 1944 ein kleiner Bunker als Vorposten für den Kriegshafen Wilhelmshaven entstanden war. Als der Bunker nach Kriegende gesprengt werden sollte, sicherte sich Bäckermeister Folkerts den Hügelplatz für einen Kiosk, der wenige Jahre später zum Café wurde. Heute kann man im runden Café Pudding den ganzen Tag über mit Meerblick essen und trinken; sommers auch draußen.

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INSELWESTEN

Wer am Anleger in Wangerooge angekommen ist und in die Inselbahn steigt – sie ist die einzige Meterspurbahn der Deutschen Bahn –, hat sogleich einen beeindruckenden Blick auf den weitläufigen Westen der Insel. Der vier Kilometer lange Schienenstrang führt durch Salzwiesen, auf denen neben vielen Pflanzenarten im Sommer das Schlickgras und der Strandflieder blühen. Dort befindet sich auch die sogenannte Lagune, ein verzweigtes Areal mit kleinen Salzwasserseen, das durch Sand- und Schlickentnahme beim Bau des Westgrodendeiches entstanden ist. Dieser umschließt seit 1912 den rund 47 Hektar großen Westinnengroden. Den Inselwesten kann man zu Fuß oder per Fahrrad erkunden – entweder »wattseitig« oder durch die Dünen. So führt ein Radweg am Westturm vorbei zum Inselhafen, wo in der Saison Segelboote festmachen. Übrigens: Dass Wangerooge über ein für die Ostfriesischen Inseln einzigartiges Gewässersystem verfügt, ist auch auf den schweren Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Er hinterließ Hunderte von Kratern, in denen sich im Laufe der Zeit zumeist nur wenige Quadratmeter große Süß- beziehungsweise Brackwasserbiotope entwickelten.

KIRCHEN

Zwei Kirchen sind auf Wangerooge zu finden: Die Nikolai-Kirche ist nach dem Bischof von Myra, dem heiligen Nikolaus, benannt, der ja auch als Schutzpatron der Seefahrer gilt. An ihrer Stelle befand sich einst eine kleine Kapelle (1866 errichtet), die nur 55 Sitzplätze bot und den Anforderungen auch nach einer Erweiterung alsbald nicht mehr genügte. Sie wurde abgerissen und durch ein neues evangelisches Gotteshaus ersetzt, das 1910 fertiggestellt werden konnte. Die erste katholische St.-Willehad-Kirche Wangerooges, die 1901 erbaut worden war, wurde 1945 durch Bomben zerstört. Erst 1962 ist der Grundstein für ein neues Gotteshaus in der Westingstraße gelegt worden; 1964 wurde diese Kirche, deren Interieur viele biblisch-maritime Facetten aufweist, dem Bischof von Bremen geweiht, der im 8. Jahrhundert als Glaubensbote für die Friesen wirkte.

KRIEGSGRÄBERSTÄTTE

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Die Insel war ob ihrer Nähe zu Wilhelmshaven in beiden Weltkriegen von militärisch-strategischer Bedeutung. So kam es, dass im Zweiten Weltkrieg Bunker gebaut und Flugabwehr- und Jagdfliegereinheiten stationiert wurden – Maßnahmen, die Wangerooge am 25. April 1945 zum Verhängnis werden sollten. 311 Menschen starben an diesem Tag bei einem schweren Luftangriff der Alliierten. Nur wenige Häuser blieben erhalten – eines der Gebäude ist der Bahnhof, der 1906 entstanden war. Ein Ort der Einkehr ist der von einem Kiefernwäldchen umgebene Ehrenfriedhof, der ebenso an die Bombenopfer erinnert wie das schlichte Holzkreuz am Hartmannsstand. Es ist auf jenem Dünenbunker errichtet worden, in dem 14 Soldaten und sechs Marinehelferinnen während des verheerenden Angriffs zu Tode kamen – und seither unter dem Beton begraben sind.

MINSENER OOG

Wer sich bis an die Ostspitze Wangerooges vorwagt, kann von dort aus die kleine Insel Minsener Oog entdecken. Sie entstand ab 1908 aus einer Sandbank, auf der man Buhnen und Leitdämme angelegt hatte, um das Fahrwasser nach Wilhelmshaven vor Versandung zu schützen.

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NAVIGATOR

Seit 20 Jahren steht die Skulptur der Navigator am westlichen Ende der Strandpromenade, direkt vor dem Servicegebäude der Kurverwaltung. Die mehr als drei Meter hohe Figur, die von dem italienischen Bildhauer Paolo Marazzi geschaffen wurde, symbolisiert einen Seefahrer, der seinen Kurs hält – selbst wenn die Umstände widrig erscheinen. Künstler und Stifter dokumentieren mit dem Navigator ihre Verbundenheit zu Wangerooge.

NEUER LEUCHTTURM

Der neue Leuchtturm ist seit dem 7. November 1969 in Betrieb, denn durch den Ausbau des Jadefahrwassers für Großtanker war ein modernes Bauwerk vonnöten. Der rot-weiße Turm aus Stahlbeton ist mit 65 Metern das höchste Gebäude der Insel. Der rote Blitz seiner Drehoptik im Turmkopf hat eine Reichweite von 56 Kilometern, strahlt also bis nach Helgoland und darüber hinaus; außerdem verfügt der Turm über ein Leit- und Quermarkenfeuer in 25 Metern Höhe, das eine Strahlungsweite von 15 Seemeilen hat. Die Anlage wird von der Seezeichenzentrale in Schillig ferngesteuert und überwacht. Der Turm ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

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