BALTRUM

Baltrum, das kleine Eiland in der Mitte der sieben ostfriesischen Inselschwestern, hieß einmal Balteringe (altfriesisch für Weideland). Das geht aus einer Lehnurkunde hervor, die auf das Jahr 1398 datiert und von Häuptling Widzel tom Brok unterzeichnet wurde. Er war seinerzeit das Oberhaupt der Familie tom Brok, zu deren Herrschaftsgebiet die Ostfriesischen Inseln zählten. 1585 taucht die Insel in Dokumenten mit dem Namen Baltryge auf, was so viel heißt wie schlechter oder gefährlicher Rücken.

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Karte von Baltrum durch Karl Ludwig von Le Coq mit dem Inseldorf, 1805

Viel älteren Ursprungs sind jene Deutungen, die davon erzählen, dass Baltrum einst eine religiöse Kultstätte gewesen sein soll. Dort habe man dem germanischen Frühlingsgott Balder gehuldigt und ihm ein Heim (Hum) gegeben. So oder so: eine Besonderheit des Eilandes ist es, dass es kaum Aufzeichnungen aus jener Zeit gibt, in der sich die ersten Bewohner auf der Insel niederließen. Was man weiß, ist, dass Baltrum in der Vergangenheit häufig schwersten Angriffen durch die See ausgesetzt war. Noch im 17. Jahrhundert war die Insel nach Westen um vier Kilometer länger. Wie stark Baltrum vom Meer deformiert wurde, wird bildhaft deutlich, wenn man sich vorstellt, dass das älteste Gotteshaus auf dem heutigen Ostende von Norderney gestanden haben muss. Auch hinterließ die Nordsee, nachdem 1717 und 1721 schwere Sturmfluten über die Insel hereingebrochen waren, eine tiefe Furche.

Die wenigen Einwohner verdienten sich ihren kargen Lebensunterhalt mit dem Gewinnen von Muschelkalk und damit, dass sie Schafe vom Festland auf ihrem Eiland weiden ließen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Baltrumer keine eigene Kirchenglocke anschaffen konnten und anno 1735 dankbar die Burgglocke aus Esens als Geschenk annahmen. Um 1800 musste das Inseldorf aufgegeben werden, weil es versandete. So entstanden das Westdorf (etwa 800 Meter westlich der heutigen Insel) und eine Siedlung im Osten. In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1825 wurde die Insel durch eine gewaltige Sturmflut, die beinahe alle Häuser zerstörte, in zwei Teile gerissen. Dort, wo sich bis zu jener Zeit das Westdorf befunden hatte, schwappen längst die Wellen – den Freizeitkapitänen ist dieses Areal zwischen Norderney und Baltrum als Othelloplate bekannt – benannt nach dem Wrack der TALLY O. 1826 wurde – zum mindestens fünften Mal – ein Gotteshaus gebaut, das bis heute genutzt wird und den Namen Alte Inselkirche trägt. Gleich nebenan befindet sich ein Glockengerüst samt eines Geläuts, das von einem gestrandeten holländischen Segelschiff stammt und längst zum Wahrzeichen der Insel geworden ist – ein Symbol, das sich auch im Wappen Baltrums wiederfindet. Nachdem 1872 die ersten Buhnen errichtet worden waren, wurde der Einfluss des Meeres geringer, und die Insel kam erstmals 1876 als Seebad ins Gespräch. 1892 und 1895 eröffneten die ersten Hotels, doch die Entwicklung des Fremdenverkehrs verlief beschaulich. Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, kamen in der Saison etwa fünftausend Badegäste auf die Insel, 1960 waren es immerhin beinahe 17.000. Die Baltrumer hatten es ohne Zweifel nicht eilig, ihr Eiland mit zu vielen Besuchern zu teilen. So zumindest lässt es sich erklären, dass die Insel erst seit 1966 anerkanntes Nordseeheilbad ist und ihre Einwohner sie liebevoll Dornröschen der Nordsee nennen.

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ALTE INSELKIRCHE

Sie ist das zweitälteste Gotteshaus auf einer ostfriesischen Insel und Mittelpunkt des Dorfes: die Alte Inselkirche. Sie entstand 1826 zu einer Zeit, in der die Baltrumer in kargen Verhältnissen lebten, denn erst ein Jahr zuvor war die sogenannte Februarflut über die Insel hereingebrochen. Entsprechend klein ist der Kirchenraum, der nur 50 Gläubigen Platz bietet. Auch der Glockenturm mutet bescheiden an, wenngleich er das Wahrzeichen der Insel birgt: ein einfaches Holzgerüst, in dem die Glocke eines holländischen Segelschiffs hängt. Diese Glocke, die einst am Strand von Baltrum angespült wurde, findet sich auch im Wappen der Insel wieder und ist Titel einer Gästezeitschrift, die während der Saison vom Heimatverein herausgebracht wird. In der Alten Inselkirche finden heute nur noch Taufen oder Trauungen statt und gelegentlich kulturelle Veranstaltungen.

GROSSES DÜNENTAL

Das dichtbewachsene Große Dünental im Inselosten ist bereits 1950 unter Naturschutz gestellt worden. Die interaktive Gezeitenpfad-Station 9 gibt Auskunft über diese im besten Wortsinn vom Winde verwehte Landschaft, in der manches grünt und gedeiht, was andernorts nicht mehr zu finden ist – und somit seltene Vogelarten anzieht. Auch singt hier während des Frühlings die Baltrumer Nachtigall – so nennen die Insulaner jene Kreuzkröten, die sich im dortigen Sumpfgebiet heimisch fühlen.

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Das »Alte Zollhaus«

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HEIMATMUSEUM

Das Heimatmuseum Altes Zollhaus ist in zweifacher Hinsicht ein musealer Ort: Zum einen ist es den Mitgliedern des Heimatvereines gelungen, ein historisch wertvolles Gebäude der Insel zu erhalten, zum anderen bietet es der Vergangenheit Raum. Es handelt sich dabei um einen Bummert – eine ländliche Hausform, die allein in Ostfriesland zu finden ist und einst Platz für zwei Familien und deren Vieh bot. In diesem Baltrumer Gebäude waren früher auch eine Zollstation und eine Schwesternstation untergebracht, in der mancher Insulaner das Licht der Welt erblickte. 1998 begannen die Bemühungen, das geschichtsträchtige Haus als Museum zu bewahren, im Mai 2007 konnte die Eröffnung gefeiert werden. Die Ausstellung gibt heimat- und naturkundliche Einblicke, dokumentiert das einstige Leben auf Ostfrieslands kleinster Insel und hat dabei so manches Kleinod zu bieten. Ein Beispiel dafür ist zweifelsohne die Zigarrenkiste von Tjark Ulrich Honken Evers, deren Inhalt vom tragischen Ende des jungen Baltrumers erzählt. Einen Tag vor Heiligabend 1866 ließ sich der Seefahrtschüler von Westeraccumersiel nach Baltrum übersetzen, um mit seiner Familie Weihnachten zu feiern. Doch der Schiffer setzte den jungen Mann im dichten Nebel versehentlich auf einer Sandbank aus. Niemand hörte dessen Rufe, und so war das Schicksal des 21-Jährigen mit der steigenden Flut besiegelt. In seiner Verzweiflung schrieb Tjark Abschiedszeilen an seine Eltern und Geschwister in sein Notizbuch, legte es samt des Bleistiftes in eine Zigarrenkiste und knotete die Kiste in sein Halstuch. »Gott gebe, dass ihr diese Zeilen von meiner Hand erhaltet«, hatte er geschrieben und tatsächlich: Das von ihm geschnürte Paket wurde am 3. Januar 1867 am Strand von Wangerooge angetrieben und gelangte so zu seiner Familie; Tjarks Leichnam wurde nie gefunden. Diese und andere Geschichten werden dem Besucher per Audioführer, der im Eintrittspreis enthalten ist, geschildert. Das Heimatmuseum ist während der Saison werktäglich von 10 bis 12 Uhr sowie von 15 bis 18 Uhr und nach Absprache geöffnet (das gilt auch für Führungen); mehr unter www.baltrum.org

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DAS DÜNENGRAB

Die Identifikation mit ihrer Heimat ist den Baltrumern naturgegeben. Schon immer. So kam es im Juli 1849 zu einem Ereignis, das den Baltrumern wohl wie ein göttlicher Fingerzeig erschien und darum in die Historie des Eilandes einging. Die Geschichte des Hendrik Dirk de Boer liest sich so tragisch wie sagenhaft. Der holländische Kapitän soll mit seiner Tjalk JALTINA aufgrund widriger Wasserstände im Watt vor Baltrum gelegen haben, als ihm nach einigen Tagen der Proviant ausging. Als der Schiffer im Dorf um Weißbrot und Genever bat, konnten ihm die Insulaner ob ihrer armseligen Lebensumstände allein Schwarzbrot und Ziegenmilch anbieten. Niemals wolle er auf so einem elenden Sandhaufen leben und erst recht nicht begraben sein, soll der Holländer daraufhin geflucht haben. Doch es kam anders. Weil der harte Ostwind blieb, musste Hendrik Dirk de Boer im Watt ausharren und verschied an Bord – einfach so, im Alter von 54 Jahren. Als die Besatzung der JALTINA den Toten auf dem Inselfriedhof begraben wollte, liefen die Insulaner Sturm. Ein christliches Begräbnis für einen, der Baltrum verflucht hatte? Niemals! Der Mann aus Veendam bekam schließlich einen Platz in den Dünen. Bis heute erinnert dort ein schlichter Gedenkstein mit niederländischer Inschrift an den unglückseligen Seefahrer. Die hölzerne Originalgrabstele befindet sich im Heimatmuseum.

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GEZEITENHAUS UND GEZEITENPFAD

Das Nationalparkhaus Baltrums nennt sich Gezeitenhaus, denn ein Themenschwerpunkt der Einrichtung ist das Phänomen Ebbe und Flut im Weltnaturerbe Nationalpark Wattenmeer. Neben einer Ausstellung zur Flora und Fauna des Eilandes werden in der Saison regelmäßig naturkundliche Inselführungen angeboten. Das Gezeitenhaus, das sich in unmittelbarer Hafennähe befindet, öffnet mit Beginn der Osterferien und schließt mit Ende der Herbstferien; mehr unter www.gezeitenhaus-baltrum.de

Sieben Kilometer lang ist der sogenannte Baltrumer Gezeitenpfad; ein Lehrpfad, der 2006 anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer eröffnet wurde. Er beginnt bei den Wattflächen am Hafen, führt über die Küstenschutzanlagen am Westkopf der Insel, quert den Strand und die Insel, verläuft entlang von Dünen und Dünentälern, kommt an den Hellerwiesen zurück nach Westen und endet im Gezeitenhaus von Baltrum, das 1987 als Nationalparkhaus eröffnet worden ist. Es gibt 18 Stationen entlang des Pfades (vier davon sind interaktiv) mit Informationstafeln, die Einblicke in die Gezeiten, die Inselhistorie, den Küsten- und Naturschutz sowie in die touristische Entwicklung des Eilandes geben.

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Der Sanddorn findet sich auf allen Ostfriesischen Inseln. Er wird auch Fasanenbeere genannt, denn die »Inselhühner« picken die leuchtenden Früchte gerne.

HISTORISCHES PFAHLSCHUTZWERK

Heute ist es ein Küstenschutzdenkmal, gebaut wurde es einst als Wellenbrecher: Das Historische Pfahlschutzwerk zwischen Westkopf und Hafen. Die etwa 300 Meter lange Holzkonstruktion ist das letzte Teilstück einer Schutzanlage, die zwischen 1883 und 1889 den gesamten Westkopf der Insel umspannte und so sichern sollte. In den Jahren 1930/1931 wurde sie von Grund auf erneuert, später unter Denkmalschutz gestellt und im Jahre 2008 wiederum instand gesetzt.

KIRCHEN

Kaum vorstellbar, aber wahr: Aufgrund der Verlagerung der Insel würden heute zwei der einstigen Baltrumer Kirchbauten auf Norderney stehen. Da die Alte Inselkirche mit dem aufkommenden Tourismus zu klein wurde, ließ die evangelisch-lutherische Gemeinde in den Jahren 1929/1930 eine neue Kirche errichten. 1959 erhielt das Gotteshaus zwei Seitenschiffe, 1964/1965 wurde zudem der Kirchturm erhöht und die bisherige Einzelglocke um zwei weitere kleinere Glocken ergänzt. Heute haben 300 Gläubige in dieser Kirche Platz. Dem heiligen Nikolaus ist die katholische Kirche Baltrums gewidmet. Das Gotteshaus hat eine Architektur, die gewissermaßen der Saison angepasst worden ist. Es besteht aus einem geschlossenen Bereich, in dem winters etwa 50 Besucher Platz finden, und bietet sommers einen reetgedeckten Vorhof für rund 300 Kirchgänger. Schöne Hingucker sind die bunten Glasfenster, die Szenen aus dem Leben des heiligen Nikolaus darstellen.

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