SPIEKEROOG

Spiekeroog soll den Überlieferungen nach den Festländern als Speicherinsel gedient haben. Ob das Eiland, wie es manche Erzählung besagt, so auch zum Versteck für Klaus Störtebeker und seine Vitalienbrüder wurde, ist nicht erwiesen. Allerdings berichten die Annalen davon, dass die Insulaner 1450 ihr ganzes Hab und Gut an Seeräuber verloren haben. Erstmals 1398 als Spickeroch erwähnt, wurde die Insel 1738 auf einer Landkarte Spieker-Oeg und 1743 auf einer Grenzziehungskarte zwischen Ostfriesland und dem Jeverland Spijkerooge genannt. Wann genau man sich auf eine fortwährende Schreibweise festlegte, ist schwerlich festzulegen. Die ersten Bewohner ließen sich im Nordwesten der Insel nieder. Eine zweite Ansiedlung, später, alte Warve genannt, befand sich ebenfalls im Westen, doch verlagerten die

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Bewohner ihre Häuser schon ein wenig mehr in das Innere der Insel – denn allzeit dräute die See.

Nach der Allerheiligenflut anno 1570 siedelten sich die Spiekerooger im Bereich des heutigen Dorfkernes an. Doch die Insel war in jenen Zeiten nicht nur den Gefahren des Meeres ausgesetzt. Ob ihrer geografischen Lage geriet sie immer wieder in territoriale Machtkämpfe. So befand sich Spiekeroog (und zeitweise auch Langeoog) einst mitsamt dem Harlingerland außerhalb der Besitzgrenze der ostfriesischen Grafen, die sich der Reformation angeschlossen hatten. Das nutzte Junker Balthasar von Esens, Herr über das Harlingerland, und ließ neugläubige, vor allem Bremer Schiffe vor Spiekeroog und Langeoog kapern. Als die Bremer Hanse Vergeltung suchte, tat sie das auch auf Spiekeroog. Weil die Insel zur Zeit der niederländischen Befreiungs- und Glaubenskriege zum katholischen geldernschen Lehensgebiet zählte, stand sie – wider Willen – auf spanischer Seite. Nachdem Wilhelm von Oranien seinen Wassergeusen Kaperbriefe gegen spanische Besitzungen ausgestellt hatte, fielen diese auch über Spiekeroog her – besonders stark im Jahr 1570. Es wird erzählt, dass sich später Teile der Beute auf Norderney wiederfanden.

Im Jahr 1600 wurde das Harlingerland samt Spiekeroog wieder mit der Grafschaft Ostfriesland vereint. Anno 1625 lebten 13 Familien auf der Insel; das war auch das Jahr, in dem ein evangelisches Gotteshaus errichtet wurde – das auch als Schule genutzt wurde. Weil sich diese Kirche aber schon bald als zu klein erwies, bauten die Insulaner 1696 eine neue. Diese gilt heute als das älteste Gotteshaus einer ostfriesischen Insel – und als dörfliches Kleinod. Trotz aller politischen Verstrickungen, denen Spiekeroog lange ausgesetzt gewesen war: Die Bevölkerung lebte für damalige Verhältnisse nicht so schlecht. Die Männer verdingten sich in der Fischerei und der Schifffahrt und handelten mit Muschelschill, das auf dem Festland als Kalkbrennstoff begehrt war. Obschon die Weihnachtsflut von 1717 einige Opfer gefordert hatte, lebten 1738 rund 250 Männer, Frauen und Kinder auf der Insel – unter ihnen auch einige Langeooger, die ihr Zuhause aufgrund der Zerstörungen verlassen hatten. Doch während der napoleonischen Besatzung gerieten die Spiekerooger mehr als andere Insulaner in arge Bedrängnis. Wegen ihrer günstigen Lage zu Helgoland, ließen die Franzosen eine Festung auf der Insel errichten, an der Spiekerooger mitbauen mussten, und verhängten ein strenges Ausgehverbot. Ende Juli 1812 versuchten die Briten gar eine Invasion Spiekeroogs, die aber verlustreich fehlschlug. Als Napoleon, der mit seinen Truppen auf dem Weg nach Moskau war, davon erfuhr, zeichnete er den deutschen Befehlshaber der Spiekeroog-Besatzer mit dem Silbernen Adler der Ehrenlegion aus.

1813 war die Ära der Franzosen vorüber. Die ersten Badegäste kamen 1820 nach Spiekeroog – mit einem Schiff, das einmal in der Woche zwischen der Insel und dem Festland verkehrte. Aus diesen Anfängen sind Anweisungen bekannt, die den Insulanern gebieten, gegenüber fremden Besuchern freundlich und aufmerksam zu sein. Ab 1842 gab es eine tägliche Verbindung, und 1846 wurde Spiekeroog erstmals als Seebad erwähnt. Den 162 Badegästen, die in jenem Jahr auf der Insel logierten, standen je ein Herren- und ein Damenbadestrand zur Verfügung – und fünf Badekarren, die zuvor auf Norderney ausgedient hatten. 1849 konnten die Insulaner in dreißig Häusern 79 Gästebetten anbieten. Der Badebetrieb wurde von der Bade-Commission und dem Bade-Commissair Frerich Onken Frerichs überwacht, der als erster Badewärter der Insel gilt. 1855 ersteigerte man herrschaftliche Badeeinrichtungen aus Wangerooge, und 1878 wurde die erste Warmbadeanstalt eingerichtet. Um den Badestrand im Westen bequemer zu erreichen, konnten die Sommerfrischler ab 1885 per Pferdebahn dorthin gelangen. 1891 war nach dem Bau eines Anlegers Schluss mit dem lästigen Ausbooten der Gäste, und 1892 war auch die Gleisanlage zwischen Dorf und Fähranleger fertig. Die Pferdebahn zum Anleger blieb – als letzte Deutschlands – bis 1949 erhalten.

Wie alle anderen Ostfriesischen Inseln war auch Spiekeroog über die Jahrhunderte unzähligen Sturmfluten und den stetigen Wechselwirkungen des Ebbe- und Flutstroms in den Seegatten ausgesetzt. Die Strömungsverhältnisse bewirken einen Sandabbruch im Westen und eine Anlagerung im Osten – was den Gestaltwandel der einzelnen Inseln erklärt. Erst durch den Bau von Schutzwerken konnten diese Prozesse verlangsamt werden. Spiekeroog jedoch weist in seinem Osten im Vergleich zu seinen Inselschwestern die größten Landgewinne auf. Zwischen 1860 und 1960 wuchs dieser Teil um gut 4.000 Meter, und Experten haben herausgefunden, dass sich das Eiland im Verlauf von gut 300 Jahren um seine gesamte Länge nach Osten ausgedehnt hat. Da Wangerooge in jenem Zeitraum im Westen viel Land verloren hat, haben sich die beiden Inseln bis heute nicht vereint.

ALTE INSELKIRCHE

Mitten im Dorf von Spiekeroog steht das älteste Gotteshaus der Ostfriesischen Eilande – ohne Zweifel zugleich das schönste und beschaulichste: die Alte Inselkirche im Süderloog. Das backsteinerne Kirchlein ist 1696 errichtet worden und soll so manches Kleinod bergen, das auf geheimnisumwitterte Weise auf die Insel kam. Schlichtschönes Beispiel ist die hölzerne Pietà – eine Skulptur der trauernden Maria, die ihren vom Kreuz genommenen Sohn in den Armen hält. Sie soll von einem Schiff der spanischen Armada stammen, die 1588 in die berühmte Seeschlacht gegen England zog und im Sturm vor Spiekeroog gestrandet ist. Auch fand man bei Grabungen im Jahre 1869 in der Kirche einen Degen, eine Flagge und Münzen spanischer Herkunft – Relikte, die aber im Lauf der Zeit verloren gegangen sind. Das kleine Gotteshaus ist von einem baumbestandenen Kirchhof umgeben, auf dem es alte Grabsteine zu entdecken gibt, die auf die maritime Vergangenheit der dort Bestatteten hinweisen. Das Kirchlein, dessen Glocke im Dachreiter noch per Hand geläutet wird, wird für Andachten genutzt, für kulturelle Veranstaltungen in kleinerem Rahmen und für Trauungen. Dort hat beispielsweise 1982 der mittlerweile verstorbene Bundespräsident Johannes Rau, der Ehrenbürger Spiekeroogs war, geheiratet.

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