12

 

Es war einfach, in Myrnins Hütte zu kommen. Die Schwierigkeit bestand nicht darin hineinzukommen, sondern wieder herauszukommen. Wo die Bretter nicht dicht aneinander anschlossen, durchschnitten dünne Lichtstreifen die Finsternis, aber es war trotzdem schwierig, etwas zu sehen, und es behagte ihr nicht, in der Dunkelheit um Myrnins Schlupfwinkel herumzuschleichen. Nicht mal im Halbdunkel. Auf dem Regal bei der Tür entdeckte sie eine Taschenlampe und knipste sie an. Ein weißer Lichtkegel huschte über den staubigen Fußboden und zeigte ihr die schmale Treppe weiter hinten, die nach unten führte.

Sie bewegte sich sehr langsam. Sehr vorsichtig. »Myrnin?« Sie sagte es leise, weil er sie hören würde; er hatte ihr erzählt, dass er wegen der Stille und der mangelnden Gesellschaft sehr empfindliche Ohren hätte.

Er antwortete nicht.

»Myrnin?« Claire konnte am Fuß der Treppe die harten Umrisse von Licht sehen. Er hatte alle Lichter an, es sah aus wie – das Licht hatte eine seltsame Farbe, eine Mischung aus fluoreszierenden Glühbirnen und Öllampen, aus Kerzen und Glühlampen. »Myrnin, ich bin’s, Claire. Wo sind Sie?«

Sie hätte ihn fast nicht gesehen, weil er sich nicht rührte. Normalerweise war Myrnin immer in Bewegung – wie ein Kolibri bewegte er sich schnell von einem vielversprechenden Reiz zum anderen. Aber was in der Mitte des Raumes stand, sah zwar aus wie Myrnin – aber es rührte sich nicht. Vampire atmeten ein wenig; das Blut, das sie den Menschen entzogen, brauchte Sauerstoff, hatte Claire herausgefunden, wenn auch viel weniger als bei einem normalen Menschen. Aber seine Brust hob und senkte sich nicht, seine Augen waren geöffnet und starr und er bewegte sich überhaupt nicht. Er sah sie nicht einmal an. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf irgendeinen Punkt an der Seite.

»Myrnin?« Sie stellte langsam ihre Tasche ab. »Ich bin’s, Claire. Können Sie mich hören?«

Seine Brust hob sich ein klein wenig und er flüsterte: »Raus hier. Geh.«

Und Tränen quollen aus seinen großen, starren Augen und liefen über seine bleichen Wangen.

»Was ist? Was ist passiert?« Sie vergaß alle Vorsicht und ging auf ihn zu. »Myrnin, bitte sagen Sie mir, was nicht stimmt!«

»Du«, sagte er. »Es ist falsch.«

Und dann brach er einfach zusammen. Fiel zu Boden, als hätten seine Knie versagt, und der ganze Rest ebenfalls. Es war kein eleganter Fall und ein normaler Mensch hätte sich dabei verletzt, vielleicht sogar schlimm. Myrnins Kopf schlug mit einem massiven Knall auf dem Boden auf und Claire kauerte sich neben ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Brust – sie war sich nicht sicher, was sie tun, wonach sie tasten sollte. Nicht nach dem Puls – Vampire hatten keinen, zumindest keinen, den ein Mensch entdecken konnte. Das wusste sie, seit sie sich mal an Michael angelehnt hatte.

»Ich kann das nicht«, sagte Myrnin. Seine kalte Hand zuckte nach vorne und packte sie am Arm, so heftig, dass es bestimmt blaue Flecken gab. »Warum bist du da? Du solltest doch gar nicht kommen!«

»Wovon reden Sie?« Claire versuchte, sich loszureißen, aber sie hätte genauso gut an einem Brückenkabel ziehen können.

Myrnin konnte ihr alle Knochen brechen, wenn er wollte. Oder wenn er nicht aufpasste. »Myrnin, Sie tun mir weh. Bitte...«

»Warum?« Er schüttelte sie und sie konnte die Panik in seinen Augen sehen. Deshalb holte sie tief Luft und vergaß, dass es wehtat, wo er sie festhielt. »Es war nicht vorgesehen, dass du wieder hierherkommst!«

»Amelie schickte mir eine Nachricht. Sie schrieb, ich hätte nur zwei Tage, um zu lernen...«

Myrnin stöhnte und ließ sie los. Er bedeckte seine Augen mit den Händen, rieb sich über das Gesicht und sagte: »Hilf mir auf.« Claire legte ihre Hand unter seinen Arm und schaffte es, ihn aufrecht hinzustellen, sodass er sich gegen einen massiven Laborschrank lehnen konnte, der am Boden festgeschraubt zu sein schien. »Zeig mir die Nachricht.«

Sie ging zurück zur Treppe, schnappte sich ihren Rucksack und holte die Nachricht hervor. Myrnin faltete sie mit zittrigen Fingern auseinander und schaute sie sich genau an.

»Was? Ist sie gefälscht?«

»Nein«, sagte er langsam. »Sie hat dich zu mir geschickt.« Er ließ die Notiz in seinen Schoß sinken, als wäre sie unerträglich schwer geworden, und lehnte seinen Kopf gegen die harte Oberfläche des Laborschranks. »Dann hat sie wohl die Hoffnung aufgegeben. Sie handelt aus Angst, aus Panik. Das sieht ihr nicht ähnlich.«

»Das verstehe ich nicht!«

»Genau das ist das Problem«, sagte Myrnin. »Du verstehst es nicht. Und du wirst es nicht verstehen, Kind. Das hatte ich ihr zuvor schon erklärt – auch der intelligenteste Mensch kann das nicht schnell lernen. Und du bist so wahnsinnig jung.« Er klang müde und sehr traurig. »Und nun kommen wir zum letzten Teil, Claire. Denk mal darüber nach: Amelie schickt dich zu mir, obwohl sie weiß, dass du meiner Meinung nach unsere Probleme nicht lösen kannst. Warum sollte sie das wohl tun? Du weißt, was ich bin, was ich mache, wonach ich lechze. Warum würde sie dich mir vor die Nase setzen, wenn sie nicht wollte, dass ich... dass ich...«Er schien sie anzuflehen, ihn zu verstehen, aber was er sagte, ergab keinen Sinn. »Du weißt nicht, wozu sie fähig ist, Kind. Du weißt es nicht!«

Es lag so viel Furcht in seiner Stimme und in seinem Gesicht, dass sie echtes Grauen packte. »Wenn sie nicht wollte, dass Sie mich unterrichten, warum hat sie mich dann zu Ihnen geschickt?«

»Die Frage ist: Warum hat Sie dir immer so gewissenhaft eine Begleitung zur Verfügung gestellt und schickt dich jetzt ganz allein zu mir?«

»Ich...«Sie hielt inne, weil sie sich an etwas erinnerte. »Sam sagte, ich solle Sie nach den anderen fragen. Nach den anderen Lehrlingen. Er sagte, ich sei nicht die Erste...«

»Samuel ist ziemlich intelligent«, sagte Myrnin und presste fest die Augen zu. »Du glühst, du glühst wie die feinste aller Lampen. So viele Möglichkeiten in dir. Ja, es gab andere, die Amelie schickte, damit sie lernen. Vampire und Menschen. Den Ersten habe ich fast aus Versehen getötet, musst du verstehen, aber die Wirkung – weißt du, je intelligenter der Verstand, desto länger dauert meine Klarheit, das dachten wir zumindest am Anfang. Der Zweite...nur einen Monat und so weiter, in immer kürzeren Abschnitten, je weiter meine Krankheit voranschritt.«

»Sie schickte mich hierher, damit ich sterbe«, sagte Claire. »Sie möchte, dass Sie mich umbringen.«

»Ja«, sagte Myrnin. »Sie ist clever, nicht wahr? Sie kennt meine Verzweiflung so gut. Und du glühst so hell, Claire. Die Versuchung ist beinahe...«Er schüttelte heftig den Kopf, als würde er versuchen, etwas aus seinem Gehirn zu werfen. »Hör mich an. Sie versucht, das Unausweichliche abzuwenden, aber ich kann diesen Handel nicht akzeptieren. Dein Leben ist so zerbrechlich, es beginnt erst; ich kann dir nicht einen halben Tag davon stehlen oder auch nur eine Stunde. Es führt zu nichts.«

»Aber – ich dachte, sie sagten, ich könnte lernen...«

Er seufzte. »Ich wollte es glauben, aber es ist nicht möglich. Ja, ich könnte dich lehren – aber du würdest nicht mehr als eine begabte Imitatorin, eine Mechanikerin, keine Ingenieurin. Es gibt Dinge, die du nicht lernen kannst, Claire, oder bestenfalls in vielen Jahren. Es tut mir leid.«

Myrnin behauptete gerade, sie sei dumm, und Claire fühlte einen heißen, seltsamen Funken Zorn. »Lassen Sie meinen Arm los!«, fuhr sie ihn an und er war so überrascht, dass ein Teil der Leere in seinen Augen verschwand und Sorge wich. Langsam entspannten sich seine Finger. »Erklären Sie es mir. Sie sind nicht allwissend, vielleicht haben Sie ja etwas vergessen.«

Myrnin lächelte, aber es war nur ein Schatten seines üblichen manischen Grinsens. »Das habe ich sicherlich«, stimmte er zu. »Aber pass auf, Claire: Meine Muskeln gehorchen mir bereits nicht mehr. Bald werde ich nicht mehr laufen können und dann wird mir die Stimme in der Kehle stecken bleiben. Danach folgen Blindheit und Wahnsinn und ich werde den Rest des Tages an einem schwarzen, finsteren Ort eingesperrt sein und stumme Schreie ausstoßen, während ich verhungere. Wenn es auch nur einen Strohhalm Hoffnung gäbe, diesem Schicksal zu entgehen – glaubst du nicht, ich würde danach greifen?«

Er sagte das so... ruhig. Als wäre es bereits geschehen. »Nein«, sagte Claire. Sie konnte nicht anders. »Nein, das wird nicht passieren.« Irgendwie hatte sie gedacht, er würde einfach...verschwinden. Ohne Schmerzen. Aber diese Art von Folter – das hatte er nicht verdient. Nicht einmal Oliver verdiente so etwas. »Wie – wissen Sie, wodurch es verursacht wird?«

Myrnin lächelte, aber es war ein bitteres Lächeln. »Einst dachte ich, ich wüsste es. Amelie weiß vieles von dem, was ich vergessen habe, und du kannst die Hinweise in den Notizbüchern finden. Natürlich war ich vorsichtig, doch wenn du genau hinschaust, kannst du meine Theorien finden. Aber das ist nicht weiter von Bedeutung. Ich fühle, wie ich in die Finsternis abdrifte. Es gibt keine Rückkehr.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Ich habe gesehen, wie es passiert. Es ist immer dasselbe. Amelie wird mich wegschließen, weil sie keine andere Wahl hat. Sie muss versuchen, das Geheimnis zu wahren, und ich werde sehr lange brauchen, um zu sterben, weil ich schon so alt bin.« Er schüttelte den Kopf. »Darauf kommt es nicht an. Nicht mehr. Alles, worauf es ankommt, ist, dass du nach Hause gehst, Kind, und niemals hierher zurückkommst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich diese unerwartete Willensstärke ein zweites Mal aufbringen werde, ein solch wunderbares, warmes Geschenk abzulehnen.«

Es war bescheuert. Sie mochte Myrnin nicht, sie konnte ihn nicht mögen. Er war furchterregend und seltsam und hatte nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal versucht, sie umzubringen.

Warum also war ihr nach Weinen zumute?

»Und wenn wir die Kristalle verwenden?«, platzte sie heraus. Myrnins Augen wurden schmal. »Ich habe viel gelernt, als ich sie eingenommen habe. Was, wenn wir sie jetzt nehmen? Wir beide? Würde das helfen?«

Er schüttelte bereits den Kopf. »Claire, es wäre vergeblich. Selbst wenn wir weiter nach einem Heilmittel forschten – die Zeit ist zu knapp.«

»Das Heilmittel für Ihre Krankheit!« Sie fühlte plötzlich Hoffnung aufkeimen, als sie in ihrem Rucksack herumkramte und den Kristallstreuer hervorholte. »Ist das nicht das, was bisher dabei herausgekommen ist?«

»Stimmt. Clever, dass du das entdeckt hast. Aber es hat Jahre gedauert, es zu entwickeln, und es kann trotzdem bestenfalls die Symptome lindern. Selbst eine riesige Dosis wird bei jedem von uns innerhalb weniger Stunden nachlassen und die Folgen für dich...«

»Aber wenn wir ein Heilmittel finden, ein echtes Heilmittel?«

»Es ist naiv zu glauben, dass wir so etwas innerhalb von Stunden perfektionieren könnten. Nein, ich denke, du gehst jetzt besser. Ich war heute sehr großzügig. Du solltest mich das wirklich genießen lassen, so lange ich kann.« Er betrachtete den Streuer in ihrer Hand und einen Moment lang glaubte sie, den Funken dieses aufgeweckten Interesses zu sehen, das ihn bei ihren früheren Treffen so sehr angetrieben hatte. »Wenn ich dir meine Forschungen zeige, könntest du vielleicht in diese Richtung weiterforschen. Für die anderen.«

»Sam sagte, alle seien krank. Selbst Amelie.«

Myrnin nickte. »So wie ich jetzt bin, werden sie auch sein. Jeder lebende Vampir wird dies in den nächsten zehn Jahren durchmachen, es sei denn, es wird aufgehalten.«

Zehn Jahre! Nein. Nicht Michael.

Sie konnte nicht untätig zusehen, ohne zu versuchen, es aufzuhalten. Wenigstens um seinetwillen.

***

»Amelie brachte uns nach Morganville, damit wir Zeit gewinnen, um einen Weg zu finden, unser Überleben zu sichern. Sie glaubte – sie glaubte, dass die Menschen den Schlüssel zu dieser Seuche haben könnten, und sie glaubte auch, dass wir es uns nicht mehr länger leisten könnten, so zu leben wie bisher, nämlich nachts auf Beutezug zu gehen und uns zu verstecken. Sie glaubte daran, dass Menschen und Vampire zusammen leben und arbeiten und gemeinsam eine Lösung für unsere Krankheit finden könnten. Das wurde natürlich rasch unmöglich. Nachdem sie es den ersten paar Vampiren erzählt hatte, wurde ihr klar, dass sie verrückt würden, wenn sie wüssten, was auf sie zukam, dass sie wahllos töten würden. Deshalb wurde es zu einem Geheimnis, zu einem schrecklichen Geheimnis. Sie erzählte ihnen einen Teil der Wahrheit, dass sie ein Heilmittel dagegen suchte, dass wir unfruchtbar sind. Aber niemals den Rest.«

»Morganville ist also... eine Art Labor. Sie versucht, ein Heilmittel zu finden und uns gleichzeitig alle zu beschützen.«

»Ganz genau.« Myrnin rieb sich wieder mit den Händen über das Gesicht. »Ich werde müde, Claire. Besser du gibst mir von den Kristallen.«

Sie streute einige in seine Hand. Ihre Blicke trafen sich.

»Mehr«, sagte er. »Die Krankheit ist fortgeschritten. Ich werde eine große Dosis brauchen, um auch nur eine Weile bei dir zu bleiben.«

Sie schüttete ungefähr einen Teelöffel voll heraus. Myrnin warf es sich ein, verzog das Gesicht, weil es so bitter war, und schluckte. Ein Beben durchzuckte ihn und sie sah förmlich, wie Erschöpfung und Verwirrung von ihm abfielen. »Hervorragend. Das war wirklich eine erstaunliche Entdeckung. Jammerschade um den Doktor. Im Ernst, er war sehr klug.« Oje. Myrnin driftete wegen der Drogen in seine manische Phase ab. Das war gefährlich. »Du bist sehr klug. Vielleicht kannst du dir mal die Notizen durchlesen.«

»Ich...ich fange gerade erst mit Biochemie für Fortgeschrittene an...«

»Unsinn, deine angeborenen Fähigkeiten sind offensichtlich.« Er deutete auf den Kristallstreuer in ihrer Hand. »Nimm das.«

»Nein, das ist Ihre Medizin, nicht meine.«

»Und sie wird dir helfen, mit mir mitzuhalten, wir haben nämlich sehr wenig Zeit, Claire. Sehr wenig.« Seine Augen waren hell und klar wie die eines Vogels und sie enthielten ungefähr ebenso viel Zuneigung. »Du kannst mir auf zwei Arten behilflich sein. Du kannst die Kristalle nehmen oder du kannst auf andere Weise dazu beitragen, meine Phase der Klarheit zu verlängern.«

Sie setzte sich auf ihre Fersen zurück. »Sie sagten, das würden Sie nicht tun.«

»Das habe ich in der Tat. Aber weißt du, die Krankheit macht einen sentimentalen Narren aus mir. Wenn ich einen Erben für mein Wissen finden soll und ein Heilmittel für mein Volk, kann ich mich mit solchen Überlegungen nicht belasten.« Sein Blick schweifte fremd und hungrig über sie hinweg. »Du glühst so wahnsinnig hell, weißt du?«

»Ja«, murmelte sie. »Das sagten Sie schon.« Schrecklich. Schrecklich, dass Myrnin sich auf diese Weise verändern konnte, innerhalb einer Minute vom Freund zum Feind mutierte. Welches war der echte Myrnin? Gab es so etwas überhaupt?

Claire schüttete einen halben Teelöffel Kristalle in ihre Handfläche.

»Mehr«, sagte Myrnin. Sie fügte noch ein wenig hinzu, aber er griff nach dem Streuer und häufte eine großzügige Portion in ihre Hand. »Du hast so viel zu lernen und bist so sehr im Nachteil. Besser auf Nummer sicher gehen als es hinterher bereuen.«

Sie wollte es nicht nehmen – na ja, eigentlich schon, weil der Erdbeergeruch der Kristalle die Erinnerung zurückbrachte, wie die Welt dabei ausgesehen hatte: Klar wie ein Diamant, unkompliziert, einfach.

Schwer, das nicht zu wollen.

Myrnin sagte: »Nimm es, Claire, oder ich werde dich nehmen müssen. Wir haben keine weiteren Züge mehr auf unserem Schachbrett.«

Sie streute sich die Kristalle auf die Zunge und hätte beinahe gewürgt, weil sie so bitter waren. Der Erdbeergeschmack wurde davon überdeckt und sie hinterließen einen fauligen, kalten Nachgeschmack auf der Zunge. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, sie müsste sich übergeben...

Und dann schnellte alles in einen scharfen, perfekten Fokus.

Myrnin sah nicht länger seltsam und armselig aus. Er hatte sich in eine brennende Energiesäule verwandelt, die kaum noch von seiner Haut zusammengehalten zu werden schien. Irgendwie konnte man sehen, dass er krank war, er hatte eine Dunkelheit an sich, wie Fäulnis im Mark eines Baumstamms. Der Raum bekam ein magisches Glitzern. Neurotransmitter, dachte sie. Ihr Gehirn bewegte sich in einer Geschwindigkeit von einer Million Kilometer pro Sekunde, was sie schwindlig und atemlos machte. Meine Reaktionszeit muss sich um das Zehnfache verkürzt haben.

Myrnin sprang auf die Füße, packte sie an der Hand und schleifte sie zu den Regalen, wo er fieberhaft Bücher herauszog. Notizbücher, Lehrbücher, handgeschriebene Fetzen. Zwei schwarz eingebundene Aufsatzhefte, solche, wie Claire sie im Laborunterricht benutzte. Sogar einige der billigen blauen Bücher, die sie für Essay-Tests verwendete. Alles war in zierlicher, perfekter Handschrift vollgeschrieben.

»Lies«, sagte er. »Beeil dich.«

Sie brauchte die Seiten nur durchzublättern. Ihre Augen erfassten die Dinge wie Kameras und ihr Gehirn war so schnell und effektiv, dass sie den Text praktisch sofort übertrug und verstand. Fast zweihundert Seiten und sie blätterte sie durch, so schnell ihre Finger vermochten.

»Und?«, fragte Myrnin.

»Das ist falsch«, sagte sie und blätterte zurück zum ersten Drittel des Notizbuchs. »Genau da. Sehen Sie? Die Formel ist falsch. Die Variable passt nicht zur vorigen Version und der Fehler zieht sich immer weiter...«

Myrnin stieß einen scharfen, grimmigen Schrei aus wie ein jagender Falke und riss ihr das Buch aus der Hand. »Ja! Ja, ich sehe es! Dieser Narr. Kein Wunder, er konnte mir nur wenige Tage Kraft geben. Aber du, Claire, oh, du bist anders.«

Sie wusste, dass sie sich vor dem langsamen Raubtierlächeln, das er ihr schenkte, fürchten sollte, aber sie konnte nicht anders.

Sie lächelte zurück.

»Geben Sie mir das Nächste«, sagte sie. »Und lassen Sie uns anfangen, Kristalle herzustellen.«

***

Als sich die Wirkung verminderte, traf es Myrnin zuerst. Er nahm mehr, aber sie konnte sehen, dass es dieses Mal nicht richtig anschlug. Die Schwäche kehrte zurück. Er hatte beim letzten Mal nur wenig von den Kristallen genommen, um die Wirkung zu verlängern, auch wenn die Veränderung dann nicht so dramatisch war.

Dieser Zusammenbruch war, als wäre er mit hundertfünfzig Stundenkilometern auf eine Backsteinmauer geknallt.

Es begann damit, dass er das Gleichgewicht verlor, sich wieder fing und ein Tablett vom Labortisch stieß; er versuchte, es noch aufzufangen, ein Kunststück, das er noch eine Stunde zuvor mühelos vollbracht hätte, aber er verfehlte es total. Frustriert starrte er auf seine Hände und gab dem Tablett einen heimtückischen Tritt. Es segelte quer durch den Raum und traf mit einem spektakulären Klappern die gegenüberliegende Wand.

Claire richtete sich von dem Tablett auf, auf das sie gerade die Kristalle zum Trockenen ausbreitete. Sie konnte die Wirkung ebenfalls spüren – ihr Gehirn wurde langsamer, ihr Körper begann zu schmerzen. Für Myrnin musste es wegen seiner Krankheit noch schlimmer sein. Es war falsch, das zu tun, dachte sie. Es war falsch, weil seine manische Phase immer in Wahnsinn umschlug, und er hatte sich so sehr gewünscht, wieder er selbst zu sein.

Aber die Kristalle, die da auf dem Tablett trockneten, konnten das ändern oder zumindest hoffte sie das. Es war nicht so, dass Myrnin sich geirrt hätte, aber sein letzter Assistent hatte Fehler gemacht; ob absichtlich oder nicht, das konnte Claire nicht sagen. Aber die Kristalle auf dem Tablett würden wirkungsvoller sein und länger anhalten.

Myrnin würde sich wieder stabilisieren können.

»Es ist kein Heilmittel«, sagte Myrnin, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

»Nein, aber Sie gewinnen dadurch Zeit«, sagte Claire. »Hören Sie, ich kann morgen wiederkommen. Versprechen Sie mir, dass sie die Kristalle hierlassen, okay? Versuchen Sie noch nicht, sie einzunehmen, sie sind noch nicht fertig. Und sie sind stärker, deshalb müssen Sie mit einer kleinen Dosis beginnen und sich vorarbeiten.«

»Sag mir nicht, was ich zu tun habe!«, bellte Myrnin. »Wer ist hier der Meister? Wer ist der Lehrling?«

Das kam ihr bekannt vor – und gefährlich. Sie senkte den Kopf. »Sie sind der Meister«, sagte sie. »Ich muss jetzt gehen. Es tut mir leid. Ich komme morgen wieder, in Ordnung?«

Er antwortete nicht. Seine dunklen Augen waren auf sie fixiert und sie kam nicht dahinter, was er dachte. Er stand direkt an einem Abgrund.

Claire nahm den Streuer mit den weniger wirkungsvollen Kristallen und stopfte sie in ihren Rucksack – es war nicht mehr viel übrig, aber es würde für jeden von ihnen noch eine Dosis reichen, und wenn er in seiner manischen Phase irgendetwas mit den neuen Kristallen anstellte, könnte das nötig sein. Sie musste Amelie nach einer Art Kassette fragen, in der sie Sachen verwahren konnte...

»Warum?«, fragte Myrnin. Sie sah stirnrunzelnd zu ihm auf. »Warum hilfst du uns? Wäre es für die Menschen nicht besser, wenn wir dahinsiechten und ausstürben? Wenn du mir hilfst, hilfst du allen Vampiren.«

Claire wusste, was Shane getan hätte. Er wäre hinausspaziert und hätte es als Sieg auf der ganzen Linie betrachtet. Eve hätte vielleicht dasselbe getan, wenn da nicht Michael wäre.

Und sie...sie half. Half. Sie konnte nicht einmal genau sagen, warum, außer, dass es ihr falsch erschien, sich abzuwenden. Sie waren nicht alle böse und sie konnte Leute wie Sam und Michael nicht dem Allgemeinwohl opfern.

»Ich weiß«, sagte Claire. »Glauben Sie mir, ich bin nicht glücklich darüber.«

»Du tust es, weil du Angst hast«, sagte er.

»Nein, ich tue es, weil Sie es brauchen.«

Er starrte sie nur an, als könnte er sich nicht zusammenreimen, was sie sagte. Zeit zu gehen. Sie fröstelte, schulterte ihren Rucksack und eilte zur Treppe. Sie schaute immer wieder zurück, aber sie sah nie, wie Myrnin sich bewegte... Trotzdem stand er jedes Mal an einer anderen Stelle, immer ein wenig näher, sooft sie sich umdrehte. Es war wie ein Spiel für Kinder, nur war es tödlicher Ernst. Wenn sie ihn anschaute, rührte er sich nicht.

Claire drehte sich um und ging rückwärts, wobei sie ihn anstarrte. Myrnin kicherte und das Geräusch hallte wie das Rascheln von Fledermausflügeln im Zimmer wider.

Als sie mit den Absätzen an die unterste Stufe stieß, wandte sie sich um und rannte los.

Er hätte sie einholen können, aber das tat er nicht. Sie stürzte durch die Tür des Schuppens hinaus auf die Gasse hinter dem Haus, sie keuchte, schwitzte und zitterte.

Er kam nicht nach. Sie glaubte nicht, dass er ihr über die Treppe hinaus hätte folgen können. Sie war sich nicht sicher, warum – vielleicht wurde Myrnin wie ein Flaschengeist gefangen gehalten, genau wie niemand Morganville verlassen konnte oder wie die Erinnerungen der Leute gelöscht wurden.

Sie fühlte, wie sich die Haare in ihrem Nacken bewegten, und dann hörte sie eine Stimme. Ein undeutliches Flüstern. Shane? Was machte Shane hier?

Er war im Schuppen. Er war im Schuppen und er war in Schwierigkeiten. Sie musste zu ihm...

Claire griff nach der Türklinke des Schuppens, noch bevor sie wusste, was sie da tat.

»Myrnin, hören Sie auf damit!«, keuchte sie und wich zurück. Sie wandte sich um und rannte die Gasse hinunter in Richtung der relativ sicheren Straße.

Erst als sie dort angelangt war, stellte sie fest, dass schon die Dunkelheit hereinbrach.

Eddie würde sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr abholen und sie war weit von zu Hause entfernt. Zu weit, um zu Fuß zu gehen.

Claire war schon dabei, Michael zu Hause anzurufen, als sie ein Polizeiauto bemerkte, das langsam durch die Sackgasse fuhr. Kein Vampirstreifenwagen – dieses hier hatte nur leicht getönte Vorderscheiben, auch wenn die hinteren völlig schwarz waren. Claire blinzelte in das blendende Licht und winkte. Die Wirkung der Kristalle ebbte rasch ab und sie fühlte sich unbeholfen, seltsam und erschöpft. Sie wollte einfach nur noch schlafen. Sie wäre auch mit dem Teufel persönlich mitgefahren, wenn sie dafür ein paar Minuten die Füße ausruhen konnte.

Der Streifenwagen hielt an und das Fenster auf der Beifahrerseite wurde heruntergekurbelt. Claire beugte sich vor, um hineinzuschauen.

Officer Fenton. »Du solltest nicht allein hier herumlaufen«, sagte er. »Du solltest es besser wissen. Alle suchen nach dir. Deine Freunde haben dich als vermisst gemeldet.«

»Oh«, sagte sie. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Ihr war gar nicht klar gewesen, wie lange sie weg war. »Ich... könnten Sie mich vielleicht nach Hause bringen? Bitte?«

Er zuckte die Achseln. »Spring rein.« Dankbar stieg sie ein und schnallte sich an. Inzwischen tat ihr alles weh – ihr Kopf, ihre Augen, jeder Muskel ihres Körpers. Und sie hatte das Gefühl, dass es sich erst noch verschlimmern würde, bevor es sich verbessert. »Wo wir gerade von deinen Freunden sprechen – wie geht es ihnen? Ich habe gehört, was Shane zugestoßen ist. Wirklich eine Schande.«

»Er kommt wieder in Ordnung«, sagte sie.

»Und der andere? Michael?«

»Ihm geht es gut«, sagte sie. »Warum?«

»Ich frage nur. Wahrscheinlich wäre es gut, ihn im Auge zu behalten, da eigentlich er das Ziel dieses Anschlags war«, sagte Fenton. Er wendete den Wagen in einem langsamen, knirschenden Bogen und entfernte sich von der Gasse. »Weil es der Typ speziell auf ihn abgesehen hatte.«

Claire tat zu sehr der Kopf weh, um sich zu unterhalten. »Vermutlich«, stimmte sie matt zu. Und dann fügte ein letztes Aufblitzen kognitiver Klarheit Chemikalienketten zusammen und sie fühlte, wie ihr Herz einen Sprung machte und schneller hämmerte. »Woher wissen Sie das?«

»Was?«

»Ich meine, dass Sam nicht das eigentliche Ziel war? Er war bewusstlos, als Sie ihn fanden. Er kann nichts gesagt haben.«

»Bewusstlos? So ein Unsinn. Er war tot.«

»Aber trotzdem, er hätte nicht sagen können...« Die Dinge fügten sich zusammen und das Gesamtbild sah schlecht aus. Sehr schlecht. »Sie waren vor den Sirenen da.«

»Wovon redest du eigentlich?«

»Als wir hinausgeschaut haben, sahen wir, dass sie hinter Sams Auto angehalten hatten, und wir dachten einfach, sie hätten ihn dort gefunden. Aber sie haben ihn nicht einfach so gefunden, als er auf der Straße lag...«

Officer Fenton drückte das Gaspedal durch und der Streifenwagen schoss mit hoher Geschwindigkeit vorwärts. Er schaltete das Blaulicht ein. Sie hörte den harten, klickenden Ton, den sie von sich gaben, und blaue und rote Blitze durchzuckten die Nacht.

»Wohin bringen Sie mich?«

»Halt die Klappe.«

Claire legte die Hand auf den Türgriff, aber sie fuhren so schnell, dass sie nicht hinausspringen konnte. Sie wusste, dass sie sich zumindest ernstlich verletzen würde. »Wenn Sie mir etwas tun, wird die Gründerin...«

»Genau darauf legen wir es an«, sagte Fenton hämisch. »Halt die Klappe.« Und auf einmal schlug er zu und es wurde schwarz um Claire.

***

»Sie kommt zu sich«, sagte eine Frauenstimme. Claire kannte diese Stimme von irgendwoher. Langsam öffnete sie die Augen. Richtig, Fentons Frau, die unangenehme Krankenschwester. Claire hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Schwester Fenton behandelte Claire, als hätte sie irgendeine total widerliche Krankheit, und trug sogar Gummihandschuhe, um Claire an den Stuhl zu fesseln.

Sie waren in einer Art Schuppen hinter einem Fotogeschäft und außer der Krankenschwester und Officer Fenton standen noch ein paar Leute herum. Die anderen kannte Claire kaum. Einer davon führte an der Universität Wartungsarbeiten durch, sie hatte ihn dort ein paarmal gesehen. Einer war ein Angestellter bei der Bank. Einer war der unscheinbare Typ mit glattem Gesicht, der Claire heute Nachmittag Amelies Nachricht zugestellt hatte. Claire erfuhr, dass er ihren Boten getötet hatte. Er verbrachte viel Zeit damit zu recherchieren, wer für Amelie arbeitete, und er versuchte herauszufinden, wo Amelie wohnte.

Er war derjenige, der sich zu ihr vorbeugte, seine Hände auf ihre Armlehnen gestützt, und sagte: »Für Kollaborateure haben wir nichts übrig. Nicht mal für kleine, minderjährige Kollaborateure.«

Shane wäre voll auf diese ganze Vampirkiller-Geheimbundsache abgefahren. Claire wollte einfach nur nach Hause. Ihr Mund fühlte sich widerlich und trocken an und sie zitterte inzwischen von den Nachwirkungen der Kristalle. Myrnin hatte recht gehabt: Die Folgen waren nicht gerade angenehm. »Captain Durchblick, nehme ich an«, sagte sie.

Er lachte. Er hatte schöne weiße Zähne, keine Spur von Vampirzähnen. »Bist du nicht das Mädchen, das so clever ist? Wie ich sehe, wirst du deinem Ruf gerecht.« Er tippte mit dem Finger auf ihr goldenes Armband. »Nicht viele Atmende haben die Gründerin je zu Gesicht bekommen und schon gar niemand hat je so eine Sonderrolle bekommen. Sam Glass war der letzte vor dir. Wusstest du das? Du trägst sein Armband. Obwohl sie es wahrscheinlich ein wenig verkleinert haben.«

Sie wand sich ein wenig, aber die Seile waren zu stramm. »Was wollen Sie von mir?«

»Einfluss«, sagte Officer Fenton. »Die Vampire scheinen dich zu mögen.«

»Nicht alle«, sagte Claire. Wenn man Oliver darum bitten würde, zu ihrer Rettung zu eilen, würde er wahrscheinlich allenfalls gähnen. »Und wenn Sie glauben, Amelie würde sich für mich opfern, dann sind Sie verrückt.« Amelie hatte sie bereits verraten und verkauft, indem sie sie zu Myrnin geschickt hatte, mit der klaren Erwartung, dass Myrnin sie... fressen würde. Die Tatsache, dass er das nicht getan hatte, war nur Claires Glück zu verdanken. »Tatsächlich glaube ich nicht, dass einer von ihnen einen Finger für mich rühren würde...«

»Michael Glass würde«, sagte Captain Durchblick. »Und er ist derjenige, den wir wollen. Natürlich weiß sie das. Sie hat alles in ihrer Macht stehende unternommen, ihn von uns fernzuhalten.« Er klappte sein Handy auf und wählte per Kurzwahl eine Nummer. »Sag ihm, wo du bist.«

Claire starrte ihn zornig an. »Nein.« Sie presste die Lippen zusammen, als sie am anderen Ende Michaels entferntes Hallo hörte. Ich werde nichts sagen. Ich werde keinen Laut von mir geben...

Hinten im Schuppen öffnete sich eine Tür und jemand kam herein. Dünn, schmierig, in einer schwarzen Lederjacke mit Loch in der Tasche. Irrsinnige Augen. Abdrücke von Vampirzähnen am Hals.

Jason.

Er nahm Captain Durchblick das Handy aus der Hand. »Hi, Mikey, hier ist Jason. Halt einfach die Fresse und hör zu. Ich habe Claire und ich denke gerade über all die Dinge nach, die ich mit ihr anstellen könnte, bis du hier bist. Besser du beeilst dich.«

»Nein!«, platzte Claire heraus und merkte, dass das ein Fehler war. Sie hatte damit soeben bestätigt, dass sie da war, und jetzt hatte Michael keine Wahl, oder? »Michael, nicht!«

Sie konnte Michaels Stimme hören, verstand aber nicht, was er sagte. Jason hielt sich das Handy wieder ans Ohr und hörte zu. »Ja, genau richtig. Du hast eine halbe Stunde, um hier aufzutauchen, oder ich bringe sie dir stückchenweise vorbei. Oh, und das ist keine Falle, sondern ein Geschäftsvorschlag. Komm allein, dann spaziert ihr beide lebend hier raus.« Pause. »Wo? Komm schon, Mann. Du weißt genau, wo. Der Captain wartet schon.«

Er klappte das Handy zu, warf es in die Höhe und fing es lächelnd wieder auf. Seinen Blick wandte er dabei nicht von Claire ab.

Michael würde das nicht tun. So dumm konnte er einfach nicht sein, oder? Aber Shane war im Krankenhaus. Er konnte niemanden um Hilfe bitten, allenfalls die anderen Vampire, und die würden keinen Finger krumm machen, um Claire zu retten. Sie war sich auch nicht mehr sicher, ob es Amelie etwas ausmachen würde, es sei denn, sie wollte sie als Myrnins Mitternachtssnack aufbewahren.

Die Tür des Schuppens öffnete sich wieder und sowohl Captain Durchblick als auch Jason wandten sich um.

Detective Travis Lowe trat ein und schloss die Tür. Claire durchzuckte tiefe Erleichterung und Zufriedenheit, was sich jedoch ebenso schnell wieder verflüchtigte. Lowe schaute Jason und Captain Durchblick an, als hätte er erwartet, sie hier vorzufinden, und als sein Blick zu Claire wanderte, reagierte er nicht, außer dass er verärgert und gequält wirkte.

Oh Gott. Er war einer von ihnen, wer auch immer sie waren.

»Hättet ihr überhaupt noch mehr Mist bauen können?«, fragte er leise und boshaft. »Ich sagte doch, dass Glass nicht wichtig ist. Wir haben das hier nicht nötig.«

»Er ist der Jüngste. Er ist ein Symbol, Mann«, sagte Captain Durchblick. »Und er war einer von uns. Er ist ein Verräter.«

Einer von uns? Meinte er – nein, das konnte er nicht meinen. Er konnte nicht meinen, dass Michael diese Leute kannte, dass er Teil dieser schmuddligen kleinen Verschwörung war... aber Jason hatte so getan, als wüsste Michael, wo sie waren.

Schwester Fenton zerstörte diese Hoffnung, indem sie sagte: »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Michael weiß zu viel. Wenn er beschließt zu reden, sind wir alle tot. Das Risiko können wir nicht eingehen. Nicht mehr.« Sie warf ihrem Mann einen finsteren Blick zu. »Wenn du es nicht vermasselt hättest...«

»Das kannst du mir nicht in die Schuhe schieben! Das Vampirauto kam aus der Einfahrt des Vampirhauses – woher sollte ich wissen, dass es nicht er war?«

Natürlich. Kein Wunder, dass sie das die ganze Zeit beschäftigt hatte – das Haus hatte sie alle aufgeweckt, weil sein Besitzer bedroht war. Obwohl Michael nicht da war, hatte es schon allein auf die Absicht reagiert.

Officer Fenton war nicht derjenige, der zuerst am Tatort war; er war derjenige, der Sam gepfählt und zum Sterben liegen lassen hatte und dann so tat, als sei er Hansdampf in allen Gassen. Wenn Richard Morrell nicht aufgetaucht wäre und sich beeilt hätte, Sam aufzulesen, hätte er sein Ziel erreicht.

Claire schluckte schwer und richtete ihren Blick auf Detective Lowe. »Ich dachte, Sie gehören zu den Guten.«

Schmerz und Überdruss huschten über sein Gesicht. »Claire...« Er schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Nicht in Morganville. Keiner kann hier einfach sein, wer er ist.«

»Er kann nichts dafür«, sagte Jason und grinste wie ein Wolf. »Wenn er seinen Partner zurückmöchte, wird er keinen Blödsinn machen.«

Detective Hess. Sie hatten ihn. Kein Wunder, dass sie ihn seit Tagen nicht gesehen hatte – und kein Wunder, dass sich Lowe so seltsam benommen hatte. Sie schaute sich Officer Fenton genauer an und entdeckte, dass er einen dunklen Bluterguss auf der linken Wange hatte, der zu Detective Lowes aufgeschürften Knöcheln passte. Fenton war in dem Haus gewesen, womöglich mit Detective Hess, und Lowe hatte ihm einen Haken verpasst.

Lowes Blick war finster und trübselig. Er schaute Claire nicht an. »Das Kind hat nichts mit alldem zu tun«, sagte er.

»Das Kind hängt mit den hochkarätigsten Vampiren herum«, schoss Schwester Fenton zurück. »Wie viele Menschen kennen Sie, die Zugang zur Gründerin haben? Sie lässt nicht mal ihre eigenen Leute an sich heran! Natürlich hat sie etwas damit zu tun. Wahrscheinlich viel mehr, als Sie wissen.«

Das entsprach mehr der Wahrheit, als Schwester Fenton ahnte. Claire dachte darüber nach, was sie von Myrnin gelernt hatte – die Vampirkrankheit, die beweglichen Türen überall in der Stadt, das Netz der Gründerinnenhäuser – und merkte, dass sie genug wusste, um Morganville zu zerstören.

Sie tat ihr Bestes, verängstigt und ahnungslos auszusehen. Ersteres war zumindest nicht besonders schwer.

Als Jason herübergeschlendert kam und seine Hand auf Claires Schulter legte, zuckte sie zusammen. Er stank wie eine Müllkippe im Sommer und aus seinem Mantel zog ihr ein leichter Blutgeruch in die Nase. Er hat auf Shane eingestochen. Und er hatte dabei auch noch gelächelt.

»Nimm deine Hände weg«, sagte sie und wandte sich um, um ihn direkt anzustarren. »Ich habe keine Angst vor dir.«

Lowe packte Jason am Arm, schleuderte ihn herum und ließ ihn mit dem Gesicht voran in die grobe Holzwand des Schuppens krachen. »Ich auch nicht«, knurrte er. »Und ich bin nicht an einen Stuhl gefesselt. Lass sie.«

»Ganz großer Held«, sagte Schwester Fenton bitter. »Du und Hess, ihr seid beide so was von armselig.«

»So, bin ich das?« Lowe drehte Jasons Arm schmerzhaft nach oben. »Ich bin hier nicht derjenige, der zum Spaß Mädchen vergewaltigt und ermordet.«

»Jason ist auch nicht derjenige, der das tut«, sagte Fenton. »Er spricht nur gern davon.«

Claire sagte: »Woher hätte er dann von der Leiche bei uns im Keller wissen sollen?«

Alle schauten sie an. »Ich habe nie einen Bericht über eine Leiche in eurem Keller gesehen«, sagte Lowe. »Nur über die in der Gasse hinter dem Haus.«

Jason lachte, ein Geräusch wie ein trockenes Krachen. »Sie haben sie weggebracht. Hey, Claire, hast du je daran gedacht, dass das vielleicht gar nicht ich war? Vielleicht war es einer von deinen beiden Liebhabern innerhalb des Hauses. Shane ist psychisch nicht gerade stabil, weißt du? Und bei Michael kann man zurzeit eh nicht wissen.«

Sie wollte ihn anbrüllen, aber sie sparte sich ihre Energie auf. Sie hatte schmale Handgelenke und Captain Durchblick hatte sie nicht gerade gut gefesselt. Sie fühlte, wie die Seile ein wenig nachgaben, sie brauchte sie nur noch ein wenig mehr zu lockern, dann würde sie mindestens eine Hand freibekommen. Die raue Oberfläche des Seils schnitt ihr in die Haut, aber sie zog weiter und versuchte dabei, es nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Plötzlich fühlte sie einen stechenden Schmerz im Handgelenk, als der Schnitt, den Jason ihr zugefügt hatte, wieder aufbrach und langsam Blut an ihrem Handgelenk herunterrann.

Das half, zusammen mit dem Schweiß, der ihr an den Armen herunterlief. Sie hustete und gleichzeitig zog sie, sodass sie ihre rechte Hand von den Fesseln befreien konnte und sich dabei eine brennende Schramme zufügte. Sie ließ sie hinter ihrem Rücken und begann, an dem Knoten zu arbeiten, der ihre linke Hand am Querholz des Stuhls festhielt.

»Also, was sind Sie?«, fragte sie, um die Stille auszufüllen und sie davon abzulenken, was sie gerade machte. »Vampirjäger?«

»So etwas in der Art«, sagte Officer Fenton.

»Nicht dass ich etwas davon mitbekommen hätte«, schnaubte Claire. »Shanes Dad hat die Stadt aufgemischt und ist für alle Vampirmorde verantwortlich, von denen ich weiß. Was haben Sie getan?«

»Halt die Klappe«, sagte Schwester Fenton rundheraus. »Du bist gerade mal ein paar Monate hier, wenn überhaupt. Du hast keine Ahnung, wie es ist, in dieser Stadt zu leben. Wenn wir bereit sind, werden wir handeln. Frank Collins hat die richtigen Ansichten, aber er ist kein großer Planer.«

»Sie planen also eine Revolution«, sagte Claire. »Nicht nur willkürliche Angriffe.«

»Würdet ihr bitte aufhören, der Gefangenen von unseren Plänen zu erzählen?«, blaffte Captain Durchblick. »Herrgott noch mal, schaut ihr keine Filme an? Haltet einfach die Klappe!«

»Sie wird niemandem davon erzählen«, sagte Officer Fenton auf eine solch flapsige Art, dass Claires Herz sank.

Sie hatten nicht vor, irgendwelche Versprechen einzuhalten, die sie Michael gegeben hatten. Auf keinen Fall würden sie Michael oder sie lebend hier rausspazieren lassen.

Tu es nicht Michael. Komm nicht meinetwegen hierher.

Doch fünfzehn Minuten später wurde die Tür aufgerissen und ein Vampir stürzte herein, der in eine schwere Decke gehüllt war. Der fettige Geruch von verschmortem Fleisch erfüllte den Schuppen, dann versetzte der Vampir der Tür einen Tritt, dass sie zufiel, und brach keuchend an ihr zusammen. Beißender Rauch stieg in einer dicken Wolke von ihm empor. An einigen Stellen konnte Claire unter der Decke verkohlte Haut erkennen.

»Wurde auch Zeit«, knurrte Fenton. Dann zog er einen schwarzen Stock aus einer Kiste neben ihm und stach ihn dem Vampir in die Brust. Einen Moment lang glaubte Claire, es sei ein Pfahl, aber dann sah sie Funken fliegen und der Vampir ging in einem Knäuel aus Decken und Rauch zu Boden.

Er war mit einer Elektroschockwaffe außer Gefecht gesetzt worden.

Captain Durchblick zog einen Holzpfahl hervor und drehte den Vampir um. Claire schrie. Irgendwie hatte sie geschafft, nicht daran zu denken, dass es sich um Michael handelte, aber das Aufblitzen von goldenem Haar und das blasse Gesicht waren unverkennbar.

Seine blauen Augen waren offen, aber er konnte sich nicht rühren. Auf seinen Händen und Armen waren Brandwunden, aber er lebte...

Captain Durchblick brachte den Pfahl in Position.

Claire kam taumelnd auf die Beine und warf sich nach rechts. Ihre linke Hand war noch immer an die Querstange des Stuhls gefesselt, aber durch den Schwung konnte sie ihn mit knochensplitternder Kraft Captain Durchblick direkt in den Rücken rammen. Er wurde gegen die Wand gedrückt. Claire packte den Stuhl und hielt ihn wie einen Schild vor sich, als Officer Fenton mit der Elektroschockwaffe nach ihr stieß. Sie schlug sie beiseite und schaffte es, Fenton mit mindestens einem der Stuhlbeine in der Magengegend zu treffen, während sie um Hilfe schrie. Fenton torkelte nach hinten.

Travis Lowe fluchte und ließ Handschellen um Jasons Handgelenke einrasten. »Setz dich«, befahl er und zog seine Waffe. Er sah angestrengt und grimmig aus, aber entschlossen. »Zurück, Fenton. Du auch, Christine. Dreht euch zur Wand.«

»Das kannst du nicht tun«, sagte Officer Fenton. »Trav, wenn du uns in die Quere kommst...«

»Ich weiß. Dann kriegt ihr mich dran. Ich bemühe mich, nicht vor Angst in die Hose zu machen.« Lowe nickte Claire zu, die den letzten Knoten löste, mit dem ihre linke Hand an den Stuhl gefesselt war. »Leg ihnen Handschellen an. Ich gebe dir Deckung.« Er warf ihr zwei weitere Paare zu und sie hantierte ungeschickt mit dem ungewohnten Gewicht in ihren tauben Fingern. Als sie sich vorbeugte, um sie aufzuheben, griff Captain Durchblick, der zwar am Boden lag, jedoch bei Bewusstsein war, über Michaels reglosen Körper, packte sie am Fuß und zog. Claire schrie auf und stürzte zu Boden. Captain Durchblick zerrte sie zu sich her.

Lowe wirbelte herum, zielte mit der Waffe auf ihn, aber es war zu spät. Captain Durchblick hatte ein großes, fieses Ding von einem Messer und hielt es Claire direkt unter dem Kinn an die Kehle. Es fühlte sich kalt an und dann heiß, als es sich in die zarte Haut drückte. »Nimm das Messer runter, Jeff«, bellte Lowe. Drohend machte er einen Schritt nach vorne. »Mir ist es ernst, ich werde dich umlegen.«

Er wurde von hinten mit der Elektroschockwaffe erledigt. Claire beobachtete, wie er sich krümmte und fiel, und Panik stieg in ihr hoch. Jetzt werden sie uns umbringen. Alle drei. Vier, wenn man Joe Hess mitrechnete, der irgendwo anders gefangen gehalten wurde.

Sie hörte ein scharfes, lautes Knacken und eine bleiche, starke Hand krachte durch die Bretter neben Captain Durchblicks Kopf. Sie packte ihn am Kragen und zog. Der gesamte Bretterbereich brach zusammen und Captain Durchblick wurde nach hinten gerissen. Claire fühlte, wie das Messer ihren Hals entlangglitt, aber es war nicht genügend Kraft dahinter. Er ließ es fallen, ruderte, um das Gleichgewicht zu halten, mit den Armen, dann war er draußen im hellen, staubigen Sonnenlicht, wo ein trockenes, knipsendes Geräusch zu hören war.

Oliver betrat den Schuppen. Er hatte einen schwarzen Ledertrenchcoat, einen schwarzen Hut mit breiter Krempe und schwarze Handschuhe an. Er schenkte ihnen allen ein Vampirlächeln.

»Ah, das hat gutgetan«, sagte er. Er zog Michael in eine sitzende Position neben Claire, dann trat er vor die beiden.

»Hätte früher sein können«, flüsterte Michael. Er zitterte am ganzen Körper, aber er erwachte allmählich aus seiner Lähmung. Claire umarmte ihn. Er kramte in seiner Tasche und zog ein Taschentuch hervor, das er gegen Claires Hals presste. Sie hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie blutete.

Oliver ignorierte sie und ging zu den Fentons hinüber, die versuchten, die Tür zu erreichen. Er zuckte wie der Blitz an ihnen vorbei, in dieser lässigen, schlangenartigen Geschwindigkeit, derer Vampire fähig waren, wenn sie wollten, und Claire schauderte, als sie den Gesichtsausdruck der beiden sah.

Sie wussten, was ihnen bevorstand.

»Macht euch keine Sorgen«, sagte Oliver. »Es wird einen fairen Prozess geben. Da Samuel nicht gestorben ist und ihr auch heute keinen Erfolg hattet, werdet ihr für das, was ihr getan habt, nicht brennen.« Er griff nach Christine Fentons Handgelenk, zerriss ihren Ärmel und legte ihr silbernes Armband frei. Es lag eng an ihrem Handgelenk an, aber er ließ einen Finger unter das Metall gleiten und es zerbrach entlang einer unsichtbaren Nahtstelle. Er steckte das Armband in seine Tasche und machte dasselbe dann mit Officer Fenton.

Die Stellen, an denen sich ihre Armbänder befunden hatten, waren widerlich blass und Christine rieb ihr Handgelenk, als wäre der Schock der frischen Luft auf ihrer Haut schmerzhaft.

»Gratulation«, sagte Oliver. »Ich entlasse euch aus euren Verträgen.«

Und dann packte er Christine. Claire erhaschte einen Blick auf seine silbrigen, scharfen Vampirzähne, die blitzartig herunterfuhren, dann knallte er die Frau gegen die Schuppenwand und biss zu.

Claire verbarg ihr Gesicht an Michaels Brust. Er legte seine Hand auf ihr Haar und hielt sie fest, damit sie nicht sah, wie Christine Fenton starb.

Sie hörte, wie die Leiche der Frau auf dem Boden aufschlug, dann hörte sie, wie Oliver mit dumpfer, finsterer Stimme sagte: »Jetzt bist du an der Reihe.«

Ein scharfes, knipsendes Geräusch, und eine weitere Leiche fiel zu Boden.

Als Michael sie losließ, schaute Claire nicht zu den Leichen hin. Sie konnte nicht.

Sie schaute Oliver an, der auf Travis Lowe hinunterstarrte. Der Detective begann gerade, sich wieder zu rühren. »Was ist mit dem da?«, fragte Oliver. »Freund oder Feind?«

Er wartete keine Antwort ab, sondern packte Lowe am Kragen und zerrte ihn hoch.

»Freund! Freund!«, schrie Claire hektisch und sah, wie Lowe vor Erleichterung die Augen schloss. »Sein Partner wird vermisst. Ich glaube, sie halten ihn irgendwo fest.«

Oliver zuckte mit den Achseln, offensichtlich interessierte ihn das nicht. Er ließ Lowe zurück auf den Boden plumpsen und drehte sich langsam im Kreis. »Da war noch einer«, sagte er. »Wo ist er?« Er holte tief Luft und atmete dann mit einem angewiderten Husten aus. »Jason. So, so.«

Irgendwann, während Oliver damit beschäftigt war, die Fentons zu töten, war Jason durch die Tür entkommen und Michael hatte ihn nicht aufgehalten. Vielleicht war er zu schwach, vielleicht hatte er aber auch nur Angst um Claire. Wie auch immer – Jason war längst weg.

»Ich werde ihn finden«, sagte Oliver. »Solange er unsere Interessen nicht bedroht hat, war ich tolerant, aber jetzt reicht es.«

Er warf einen Blick auf Michael und Claire. »Geht nach Hause.« Er stolzierte davon, hinaus in die Sonne, ohne sich noch einmal umzuschauen. Drei Tote und er machte nicht einmal eine kurze Pause.

Travis Lowe gelang es, sich in eine sitzende Position aufzurichten, stöhnend stützte er den Kopf in die Hände. »Ich hasse Elektroschocker.« Er blickte auf und richtete seine blutunterlaufenen Augen auf Claire. »Bist du okay? Zeig mir mal deinen Hals.«

Sie entfernte das Taschentuch. Es war nur wenig blutverschmiert. Ihr Handgelenk war schlimmer; sie wickelte das Taschentuch als provisorische Bandage darum und dachte: Ich werde Michael ein paar neue Taschentücher kaufen müssen. Warum sie das ausgerechnet jetzt dachte, wusste sie nicht. Vielleicht wollte sie sich einfach vorstellen, sie könnte ein normales Leben führen.

Michael stand auf und half zuerst Claire auf die Füße, danach Lowe. Er zog Schlüssel aus seiner Tasche und warf sie Lowe zu. »Fahren Sie den Wagen so heran, sodass der Kofferraum direkt an der Tür ist«, sagte er. »Öffnen Sie ihn und hupen Sie, wenn Sie so weit sind.«

Lowe nickte und ging nach draußen ins blendende Sonnenlicht. Michael legte beide Hände auf Claires Schultern und sah auf sie hinunter, dann legte er ihr die Hände auf die Wangen.

»Mach das nicht wieder«, sagte er.

»Ich habe doch gar nichts gemacht. Ich habe mich von einem Cop im Auto mitnehmen lassen, das war alles...«

»Das meine ich nicht«, sagte er. »Myrnin. Tu es nicht wieder. Du kannst dort nicht mehr hin. Nächstes Mal wird er dich umbringen.«

Er wusste, wo sie gewesen war. Na ja, wahrscheinlich war das nicht schwierig zu erraten gewesen.

»Du hättest nicht kommen sollen«, sagte sie. »Du wusstest doch, dass es eine Falle war. Bist du verrückt oder was?«

»Ich habe Oliver angerufen«, sagte Michael.

»Das hast du nicht!«

»Es hat funktioniert, oder?«

Sie schaute sich zu den drei Toten im Schuppen um. »Ja.«

Einen Moment lang sah er aus, als wäre ihm übel, und er wollte etwas sagen, aber dann ertönte draußen die Hupe und er sagte stattdessen: »Unsere Mitfahrgelegenheit ist vorgefahren.«

Sie nickte und ging hinaus ins gleißende Licht. Etwas streifte sie, es bewegte sich schnell und dann schlug der Kofferraumdeckel der Limousine zu, noch bevor sie zwei Schritte gemacht hatte.

Claire stapfte zur Beifahrerseite des Wagens. Sie war erschöpft und alles tat ihr weh; außerdem verspürte sie das blödsinnige Bedürfnis zu weinen, deshalb schwieg sie den ganzen Nachhauseweg über.