Miezi, o Miezi!

(2009)

 

»Ihre Augen sind viel blauer als deine«, sagte er und strich der Katze über den Nasenrücken. »Und sie hat eine so tolle Figur.« Zärtlich kraulte Paul sie hinter den Ohren. Miezi schnurrte übertrieben laut.

»Und dieses weiche Fell! Ist sie nicht wunderschön?« Nein. Ich fand sie hässlich. Sie war nur eine weiße Katze, nichts Besonderes. Und sie war böse. Ich hasste sie. Und sie verabscheute mich. Paul hatte sie verletzt im Straßengraben gefunden, zumindest hatte er mir das erzählt. Natürlich begleitete ich ihn zum Tierarzt, der jedoch nicht mehr als einen Kratzer am Schwanz diagnostizierte. Aber Miezi nutzte Pauls Mitleid aus, sie weinte und jaulte herzzerreißend, wenn er nicht in ihrer Nähe war. Dieses falsche Miststück! Sie warf sich auf den Boden, sobald er kam, und legte sich hin, als müsse sie sterben. Wäre sie doch tot! Als sie sich erholt hatte – obwohl es ihr nie schlecht gegangen war – lief sie mauzend hinter Paul her. Und so nannte er sie „Miezi“. Mich hatte er weder um mein Einverständnis gebeten, dass die Katze bleiben durfte, noch an der Namensnennung beteiligt. Ich hätte sie Zicke, Diva oder – noch besser – Sumpfkuh getauft. Wassertaufe. Mit dem Kopf tief in die Kloschüssel, abziehen und tschüss. Ich hasste Katzen, vor allem diese.

Sie lag im Bett zwischen Paul und mir. Sie durfte am Tisch sitzen, neben Paul. Und wenn wir fernsahen, streichelte er nur Miezi.

Wir gingen nur noch selten weg, denn Paul wollte Miezi nicht alleine lassen. Er lud auch unsere Freunde nicht mehr ein, diesen Stress wollte er Miezi nicht zumuten. Als wir zusammen kamen – Paul und ich – wurden seine Freunde zu meinen. Ich vermisste ihre Gesellschaft. Sie freuten sich stets, uns zu sehen. Wir galten als das perfekte Paar.

Das änderte sich. Durch Miezi. Obwohl wir schon drei Jahre zusammen waren, hatte Paul mir sein Büro noch nie gezeigt. Miezi nahm er mit auf die Arbeit.

 

Seit ein paar Tagen dachte ich über Trennung nach. Ich liebte Paul, aber ich wollte nicht länger nur die Nummer Zwei in seinem Leben spielen. Noch brachte ich es nicht übers Herz, ihn zu verlassen. Ich versuchte ihn, wieder für mich zu gewinnen. Ich umgarnte ihn, bot mich ihm in liebreizender Pose an. Er stieß mich zur Seite, und schaffte für Miezi Platz. Diese Zurückweisung schmerzte, aber meine Trauer war unaussprechlich, wenn ich daran dachte, Paul zu verlassen.

Mir blieb nur ein Weg, ihn wieder für mich allein zu haben: Miezi musste weg!

Wie sollte ich Paul dazu überreden, dieses hinterhältige Vieh vor die Tür zu setzen? Ich fügte mir Kratzer zu. Im Gesicht.

Paul sagte nur: »Selbst schuld, was ärgerst du Miezi auch?« Dann nahm er Miezi auf den Arm, flüsterte: »Armes Kätzchen, hat dir Honey weh getan?«

Honey! Pah. Das war ich doch schon lange nicht mehr für ihn! Er nannte mich viel lieber: »Meine Dicke!«

Ich behandelte Miezi wie Luft, doch das führte dazu, dass Paul – was ich kaum für möglich gehalten hatte – mich noch weniger beachtete.

Mir blieb nur eine letzte Möglichkeit: Ich begann sie zu lieben, umschmeichelte sie, streichelte sie, herzte und liebkoste das haarende Monster, sobald Paul in der Nähe war.

Er freute sich. Ja, er freute sich so sehr, dass er Miezi nicht mehr mit ins Büro nahm, sondern mir vertrauensvoll überließ. Ich sah meine Chance gekommen.

Ich könnte sie aus dem Fenster werfen, doch Katzen hatten sieben Leben. Wenn sie den Sturz schwer verletzt überlebte, würde mich Paul vor die Tür setzen, weil ich nicht aufgepasst hatte.

Vielleicht sollte ich sie dem Briefträger mitgeben, der fand Miezi doch »sooo süß«? Aber wenn er Paul erzählte, wie gut sich Miezi bei ihm eingelebt hätte oder sie zurückbrachte, weil er feststellte, dass er keine süße Katze, sondern eine blöde Kuh bekommen hatte?

Miezi musste sterben!

Sie würde in den automatischen Müllzerkleinerer passen. Aber die Sauerei – besser nicht.

Miezi sah mich an.

Ahnte sie etwas?

Sie setzte sich vor mich, legte die Ohren an und fauchte.

Mein Hass war groß, aber ihrer schien noch größer zu sein.

Die spitzen Schneidezähne blitzten.

Und ich war zu langsam. Miezi biss mir ins Bein, dann in den Po, zerkratzte mir den Rücken und die Schultern. Mit einem Schnurren in der Kehle malträtierte sie mich. Ich blutete, spürte Schmerzen. Überall. Ich versuchte mich zur Seite zu werfen, sie von mir herunter zu stoßen – doch das Mistvieh krallte sich in meiner Haut fest. Ich schrie, warf mich gegen das Regal und wurde von Büchern begraben. Mit mir Miezi.

Ich hielt die Luft an.

Ruhe.

Für einen Moment.

Wimmerte sie?

Ich wühlte mich unter den Büchern hervor. Weg von ihr. Sie lebte noch. So ein Mist! Alle meine Verletzungen stammten von Miezi. Blut. Schmerzen. Aber keine Brüche.

Ihr Wimmern schwoll zu einem Knurren an. Ich schloss meine Augen aus Angst, Miezi könnte unter dem Bücherstapel hervorspringen und sie mir mit einem Hieb auskratzen. Blind robbte ich mehr, als dass ich lief, in Richtung Tür. Ein Fauchen trieb mich an. Ich öffnete die Augen und rannte auf den Flur. Wenn Paul doch jetzt wieder käme. Er würde erkennen, wer hier das Böse war.

Oder?

Miezi setzte zum Sprung an. Ich sah es nicht, ich hörte nur das Scharren ihrer Krallen auf dem Parkett. Sie verfehlte mich und knallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Ich freute mich, hoffte, sie bliebe endlich liegen. Doch Miezi rappelte sich  hoch und starrte mich feindselig an. Uns trennte eine Armlänge. Pauls Armlänge. Aber der war nicht hier. Und ich war mir nicht sicher, wen von uns beiden er beschützen würde.

Ich rannte in die Küche, schlug einen Haken, stürzte mich ins Bad und dachte: gefangen! Ich hatte mich selbst in die Sackgasse manövriert. So dumm konnte auch nur ich sein.

Miezi hockte sich in den Türrahmen. Ein süßes Bild, Postkarten geeignet. Leider ahnte ich, dass ihre Absichten alles andere als süß waren. Sie leckte sich die rechte Pfote. Lächelte das Biest? Meine Wut wuchs. Und meine Angst – sie war größer.

Darum presste ich mich mit dem Rücken gegen die Badewanne, als müsse sich eine Türe öffnen, durch die ich verschwinden konnte. Ich blickte nach links, nach rechts, versuchte einen Fluchtweg zu finden. Verdammt! Sie war doch nur eine blöde Katze.

Nun fuhr sie sich über das Ohr – erst das linke, dann das rechte.

Sie putzte sich. Siegessicher.

Ich rutschte unter das Waschbecken. Erreichbar.

Ich schmiedete einen Plan. Möglich.

Dann hüpfte ich hoch, stieß mir den Kopf, stürzte nach vorne, an der Katze vorbei. Rasend schnell und elegant. Ich hatte sie überrascht.

Aber mit ihrer Eleganz und Schnelligkeit hatte ich nicht gerechnet. Nicht so! Noch während ich durch den Flur in Richtung Schlafzimmer preschte, um mich dort zu verstecken, stürzte sie sich auf mich. Wir wälzten uns auf dem Boden. Ich versuchte sie abzuschütteln. Vergebens. Sie saß seitlich auf mir, harkte die Krallen ihrer rechten Pfoten in meinen Bauch und die der linken in meinen Rücken. Ich jaulte auf. Verdammt! Ich knurrte sie an, beschimpfte sie, versuchte das Vieh von mir herunterzustrampeln, doch sie ließ nicht locker. Stattdessen biss sie mir in die Brust – diese Schmerzen – und zog die Vorderpfoten quer durch mein Fleisch. Sie würde mich töten!

Noch einmal bäumte ich mich auf, warf das Teetischchen um, das Paul so liebte und die darauf stehende Vase, die Paul fast noch mehr vergötterte als Miezi.

Vor Schmerzen biss ich in den Läufer, den Paul von seiner Oma geerbt und aus diesem Grund stets gepflegt und gekämmt hatte. Dann schnappte ich nach Miezi und erwischte ihr Ohr. Nun hatte sie nur noch eines. Ich spuckte es aus. Bäh! Katzenhaare in meinem Mund. Sie kreischte wütend. Ihr Blut spritzte an die weiße Tapete, die Paul vor einem Monat frisch gestrichen hatte. Meines klebte an ihr, an mir, auf dem Boden, dem Läufer und vermischte sich mit ihrem.

Sie ließ von mir ab, japste nach Luft, versuchte mit ihrer Pfote das nicht mehr vorhandene Ohr zu finden. Ich grinste über meinen ersten Punktsieg.

Die Wohnungstür ging auf und donnerte gegen meinen und Miezis Kopf, Blut nun auch auf der hellen Eichentür. Benommen blieben wir liegen.

Paul schrie. Lauter als wir geschrien hatten.

»Was hat sie dir angetan?« Er bückte sich. »Miezi, was hat sie dir nur …« Paul stoppte, nun erblickte er mich, dann sah er sich um.

Stumm. Zu lange stumm. Erst packte mich das Entsetzen, dann Paul, der sich anschließend die mauende Miezi unter den Arm klemmte. Jetzt hatte sie wirklich eine Wunde. Eine einzige, während ich mit blutigen Schrammen und Bisswunden übersät war.

Er schaffte uns weg. Uns beide.

Unsere Blessuren wurden versorgt.

 

»Welch böser Mensch hat euch nur so zugerichtet?«, fragte die Frau.

»Macht euch keine Sorgen, das kriegen wir wieder hin. Und dann finden wir ein Zuhause für euch.« Sie streichelte Miezi über den Rücken. »Ihr mögt doch Kinder?« Unser Schweigen nahm sie als Zustimmung. »Dann suche ich eine Familie, die eine einohrige Katze und einen honigfarbenen Mops zusammen aufnimmt.«

Sie steckte uns in einen Käfig. Gemeinsam.

Lächelnd verließ sie den Quarantäneraum des Tierheims.