Kapitel 28
»Das ist wirklich ein Knüller. Das hätte ich dir nicht zugetraut. Paula, du bist echt phänomenal.« Markus grinste. »Stell dir mal vor, Robert sieht dich so. Auf das Gesicht wäre ich gespannt.«
»Darauf kann ich verzichten.«
»Ich kenne nur eine Geschichte, die das toppt. Das war Marie-Claire, eines meiner Filmsternchen. Eigentlich heißt sie Klara. Was die machte, das war noch cooler. Die säbelte sich die Haare erst so kurz ab wie du, und dann ging sie auch mit dem Ladyshave dran. Aber die nahm sich nicht bloß die Seiten und den Nacken vor – der sieht übrigens, na ja, nicht ganz so toll aus, das hat wohl da hinten nicht so richtig geklappt. Also, Marie-Claire zog sich drei Bahnen über den Schädel, so, wie man das seit Neuestem mit den Schamhaaren macht.«
Er lachte leise.
»Markus, nein! Davon hab ich ja noch nie gehört. Überhaupt, woher weißt du, was Frauen heutzutage mit ihren Schamhaaren machen?«
»Ja, liest du denn diese Lifestyle-Magazine nicht, die beim Arzt rumliegen?«
»Nein. Eher starre ich Löcher in die Wand.«
»Oh, oh, das ist unter dem Niveau unserer Dichterin.«
»Ich dichte nicht. Ich bin Romanschriftstellerin.«
Markus, die Bierflasche am Mund, verschluckte sich fast.
»Spaß beiseite, Paula, weißt du eigentlich, wie viel Glück du hattest?«
»Wieso?«
»Na, wegen deiner blöden Kerzen.«
»Was für Kerzen?«
»Als ich gestern Abend hier ankam und du total besoffen auf der Couch lagst, da brannten ringsherum lauter Kerzen. Wenn ich die nicht rechtzeitig ausgepustet hätte, wäre die Bude abgefackelt.«
Paula starrte ihn an.
»So, wie du guckst, hast du einen gewaltigen Filmriss, meine Liebe. Mach das bloß nicht wieder, wenn du allein bist. Versprichst du mir das?«
»Hm. Ja, natürlich.«
Das Versprechen konnte sie leicht geben, denn allein beim Gedanken an Alkohol wurde ihr übel.
»Sag mal, Markus, was mache ich jetzt bloß wegen der Bilder? So kann ich wohl kaum zum Fotografen. Und der Schnappschuss ist jetzt endgültig überholt.«
»Das kriegen wir hin. Lass mich kurz überlegen.«
»Eigentlich fallen mir nur zwei Dinge ein – eine Perücke oder eine Künstlerkappe.«
»Bloß keine Perücke, Paula. Das ist das Allerletzte. Das sieht man doch gleich.«
»Aber heute gibt es doch ganz tolle, das ist nicht mehr wie früher.«
»Lass es dir gesagt sein: Man sieht es.«
»Ja, du vielleicht – als Filmmensch.«
»Nein, auch die anderen, glaub mir.«
Er nahm noch einen Schluck. Dass er morgens um elf schon Bier trinken konnte, verstand Paula nicht. Heute natürlich erst recht nicht.
»Aber was meintest du vorhin mit Künstlerkappe?«
»Mensch Markus, viele Künstler tragen doch Kappen, Mützen oder Hüte, quasi als Markenzeichen. Udo Lindenberg zum Beispiel oder Roger Cicero oder diese Annett Louisan.«
»Louisan? Kenn ich nicht. Ist das auch eine Autorin?«
»Nein, eine Sängerin.«
»Ah, so einen Firlefanz machen doch wirklich nur die aus dem Showgeschäft. Das ist doch nichts für seriöse Schriftsteller.«
»Aber da gibt es ganz bestimmt auch welche, mir fällt gerade nur keiner ein.«
»Na, selbst wenn. Ist es bei einem einzigen Roman nicht ein bisschen früh für ein Markenzeichen?«
»Du bist gemein.«
»Ich bin nicht gemein, Paula, ich bin nur realistisch. Außerdem kann so eine Künstlerkappe, wie du es nennst, auch leicht zur Narrenkappe werden. Du weißt doch, der Künstler und der Hofnarr – da gab es schon immer Parallelen.«
Paula zog eine Schnute.
»Ich mache dir einen Vorschlag. Du rufst jetzt im Verlag an und fragst, ob das mit dem Foto vielleicht noch vier, fünf Wochen Zeit hat. Bis dahin sind deine Haare anderthalb Zentimeter länger und der Friseur kann das, was ein bisschen schiefgelaufen ist, korrigieren.« Markus lachte. »Schief im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Dann sehe ich aber immer noch nicht viel besser aus.«
»Glaub mir, du wirst ganz super aussehen. Außerdem machen so kurze Haare jünger.«
»Danke. Den Kommentar habe ich gerade noch gebraucht.«
»Stimmt doch. Schau dich mal im Spiegel an.«
»Und zu welchem Friseur soll ich gehen, deiner Meinung nach? Zu diesem Stümper wohl kaum, und die anderen haben ewige Wartezeiten.«
»Zu meinem.«
»Zum Herrenfriseur?«
»Warum nicht? Bei dem jetzigen Schnitt bist du dort genau richtig. Dort kriegst du das besser gemacht als in jedem Damensalon.«
Na ja, vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Paula entsann sich jetzt, dass sie in ihren Zwanzigern schon mal bei einem Herrenfriseur gewesen war, und der hatte es ganz toll hinbekommen. Und jetzt konnte es eigentlich nur noch besser werden.
Vom Verlag her gab es glücklicherweise keine Probleme. Zwar würde es zeitlich ein bisschen eng werden, aber doch, man würde das schon noch schaffen.
Als Paula die Story erzählte – allerdings leicht verändert, denn dass die verschnittenen Haare auch etwas mit einem sinnlosen Besäufnis zu tun hatten, musste keiner wissen –, da stieß sie auf volles Mitgefühl. Welcher Frau war das noch nicht passiert? Außerdem war Hille Himmelsthür nun brennend neugierig, wie Paula mit der neuen Frisur aussah.
Und sie sah toll aus. Sowohl in natura – was Markus wieder und wieder betonte, mit dem unbescheidenen Hinweis, dass es ja schließlich seine Idee gewesen sei – als auch auf dem Foto, das sie Hille Himmelsthür Mitte September schickte. So viel Bestätigung tat Paula natürlich gut, denn sie war total verunsichert gewesen. Aber nun glaubte sie es selbst.
Sie glaubte inzwischen auch an den Erfolg ihres Buches, da alle im Verlag des Lobes voll waren. Die Angst vor dem Verriss, die sie immer wieder geplagt hatte, schien auf einmal wie weggeblasen.
Ausgerechnet Markus war es, der zur Vorsicht mahnte. Aber vielleicht war das gar nicht so erstaunlich, denn er hatte schon genügend Pleiten erlebt.
»Mach dir keine allzu großen Hoffnungen, Paula. Ich finde die Werbekampagne, die die planen, für eine blutige Anfängerin reichlich überzogen. Lass dir eines gesagt sein: Je größer die Vorschusslorbeeren, desto tiefer der Absturz.«
»Meine Güte, Markus, du bist ja eine richtige Unke.« Paula schüttelte den Kopf. »Die kennen sich doch aus, die wissen doch, was sie tun.«
Allerdings hatte sie die Idee mit der Homestory auch etwas abwegig gefunden. Doch die war schnell vom Tisch gewesen, als Paula klar machte, dass sie sich um nichts in dieser Welt neben Robert aufs Sofa setzte – nur wegen eines Fotoshootings. Nein, das war absolut nicht drin, weder das repräsentative Haus mit dem schönen Garten noch der akademische Gatte. Sie lebte nun mal getrennt von ihrem Ehemann, und zwar in einer mickerigen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung.
Hille Himmelsthür war enttäuscht gewesen. Paula vermutete allerdings, dass Hille auf die große Versöhnung hoffte, wenn der Roman erst mal in den Buchhandlungen lag. Was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte, war Paula allerdings schleierhaft.
Endlich war es so weit. Das Buch würde Anfang November ausgeliefert, das hieß, die Lesungen konnten ab dem Zwölften terminiert werden.
»Die Lesungen sind ganz wichtig. Die müssen Sie jetzt schnell organisieren. Hier in Hamburg können wir Ihnen behilflich sein, aber zunächst sollten Sie in Bremen starten. Da kennen Sie sich ja bestens aus.«
Nun, Paula kannte sich leider gar nicht so gut aus. Sie wusste zwar, welches die beliebtesten Leseplattformen waren, aber sie hatte keine Beziehungen. Buchhandlungen, Stadtbibliothek, die gefragten Lokalitäten der Kulturszene mussten abgeklappert werden. Dabei kamen Fragen auf. Mit Musik oder ohne? Mit Moderator oder ohne? Was kosteten die Räume? Gab es auch welche umsonst? Sollte man Eintritt nehmen oder nicht?
Paula stand recht hilflos da. An die anderen Probleme mochte sie noch gar nicht weiter denken. Angst vor dem Publikum – sie hatte schon miterleben müssen, wie keine Miene verzogen wurde, wie Hände schwächelten, wenn es um Applaus ging. Dann ihr Vortrag, rhetorisch war sie noch total ungeübt, und nicht zuletzt die Frage, welche Passagen sie auswählen sollte. Sie war einmal bei einer Buchpremiere gewesen, da hatte die junge Autorin Kapitel um Kapitel runtergelesen, so dass Paula am Schluss glaubte, den ganzen Roman zu kennen. Also hatte sie ihn nicht gekauft. Ja, und das war doch der Zweck der Übung – die Lesung sollte Werbung sein. Ihre ›Hyänenfrau‹ musste doch reißenden Absatz finden.
Detlef Schortens. Der kannte sich aus. Der hatte auch die nötigen Kontakte. Allerdings hatte er auch immer wahnsinnig viel um die Ohren. Aber fragen kostete ja nichts. Also rief ihn Paula an.
Selbstverständlich würde er helfen, soweit es seine Zeit erlaubte. Und er machte ihr auch gleich Vorschläge. Drei Lesungen: eine in der Buchhandlung in der Obernstraße, eine im ›Ambiente‹ am Osterdeich, eine in der Krimi-Bibliothek.
»Das ist aber kein richtiger Krimi, Detlef.«
»Das macht nichts. Dort finden alle möglichen Lesungen statt. Das müsstest du eigentlich wissen.«
Die drei Räumlichkeiten hatten den Vorzug, nichts zu kosten, und es würde ein jeweils anderes Publikum angesprochen. Detlef kannte sich da aus.
»Sag mal, würdest du die Lesungen auch moderieren?«
Ja, klar, gern. Nur die erste nicht. Da war er in London.
»Das ist ja blöde. Ausgerechnet die erste.«
»Fang im ›Ambiente‹ an, das ist eine schöne, intime Atmosphäre. Da brauchst du gar keinen Moderator. Nimm einen Musiker dazu.«
Der Musiker würde natürlich Gage haben wollen.
»Weißt du jemanden, der nicht gar so teuer ist?«
»Hm, ich hätte da einen Gitarristen, den könnte ich mal fragen.«
Als zwei Tage später die schlechte Nachricht kam, dass der Gitarrist schon vergeben war, fasste Paula einen kühnen Entschluss. Sie würde Markus nehmen. Zur Not kriegte der das hin.
Und Markus hängte sich voll in die Sache rein. Er hatte im Moment sowieso wieder mal eine Flaute und saß nur gelangweilt herum.
»Wir machen die Musik per Videoclip. Ich habe ja das ganze Equipment, das ist kein Problem.«
Paula war begeistert. Markus, der Filmemacher, würde das Kind schon schaukeln.
»Aber ja keinen Clip von Nikki!«
»Wo denkst du hin, Nikki kann doch gar nicht singen. Außerdem ist die nicht mehr im Lande, die ist mit ihrem Ivor unterwegs, Klinken putzen. Sie wartet auf ihren großen Durchbruch.« Er schaute Paula zweifelnd an. »Aber dass du ihr immer noch hinterhergrollst – da kommst du mir wie ein alberner Teenager vor. Inzwischen müsstest du doch längst über dieser Affäre stehen.«
Die Vorbereitungen waren arbeitsintensiver und zeitaufwändiger, als sie sich das vorgestellt hatte, und die Sache mit der Technik schien auch recht kompliziert zu sein. Markus bestand deshalb auf einem Ortstermin, einen Tag vor der Lesung. Eine Art Generalprobe. Und die lief alles andere als reibungslos. Stundenlang saßen sie da und kämpften mit den elektronischen Tücken, bis Paula entnervt das Handtuch warf.
»Ich gehe jetzt – du wirst das schon schaffen.«
Markus brummelte etwas vor sich hin, was nicht sonderlich liebenswürdig klang. Aber Paula scherte sich nicht darum. Eine holperige Generalprobe war doch ein gutes Omen für die Premiere. Das wusste sie noch von Onkel Paul, der, wie alle Theaterleute, wahnsinnig abergläubisch gewesen war.
Am nächsten Abend jedoch hatte sie dieses Glücksklee-Denken wieder vergessen. Voller Lampenfieber machte sie sich mit Markus auf den Weg.
»Und die Geräte sind alle aufgebaut und funktionieren?«
»Ja, kein Problem.«
»Und diese Evi macht den Büchertisch?«
»Natürlich, keine Sorge.« Markus hatte im letzten Moment noch die Tochter eines Freundes aufgetrieben, die sich um Aufbau und Verkauf der Autorenexemplare kümmerte. Paula würde im Anschluss an die Lesung signieren.
»Und du wirst mich auch vorstellen? Damit ich das nicht selbst machen muss?«
»Ja, klar.«
»Und du vergisst auch nicht, meinen Künstlernamen zu benutzen?«
»Natürlich, Paula.«
»Siehst du. Du darfst mich nicht Paula nennen. Du musst Paola sagen. Paola Assmy.«
»Den Unterschied hört doch keiner.«
Den Unterschied hörte wirklich keiner. Außer Evi und dem Pressefritzen, den Detlef herbeordert hatte, waren nämlich nur drei Leute da. Ein Rentner, der sich eigentlich für die ›Sicherheitstipps für Senioren und Seniorinnen‹ im Bürgerhaus nebenan interessierte, aber die Wochentage verwechselt hatte und noch nicht heimwollte. Ein junges, magersüchtig wirkendes Mädchen mit Kladde und Stift, die sich ihrem Bekunden nach auch zur Schriftstellerin berufen fühlte. Und schließlich die Frau hinterm Tresen, die eigentlich auf ein gutes Geschäft gehofft hatte – da sie hier doch keine Raummiete nahmen.
Am schnellsten war der Lokalredakteur wieder weg, dem ein Blick auf dieses Ambiente genügt hatte. Die anderen versuchten sich noch in ein paar höflichen Sätzen, die junge Frau wollte sogar ein Buch signiert haben, wenn möglich, umsonst. Sie musste nämlich sehr sparen, was man unschwer an ihrem Zottelrock und dem verwaschenen Pulli erkennen konnte. Ein zweites Exemplar ging an Evi, für ihre unschätzbaren Dienste – ob die das wirklich haben wollte, schien allerdings fraglich.
Ja, und dann ging es ans Abbauen und ans Einpacken, und das dauerte. Und schlussendlich half Paula, von Markus heftig unterstützt, doch noch den Getränkeumsatz des Lokals zu steigern.