Kapitel 10
Und die nächsten beiden Wochen? Nun, Robert gab den Othello, und Simon war in der Versenkung verschwunden.
Zu allem Überfluss hatte Paula jetzt auch noch einen anderen Dämpfer bekommen, nämlich vom Verlagshaus Schaller.
Sehr geehrte Frau Assmann,
es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass das von Ihnen eingereichte Manuskript ›Noir: Makabere Spiele in Èze‹ nicht in die Ausrichtung unseres Verlages passt.
Sowohl von dem eher uneindeutigen Genre als auch vom schriftstellerischen Idiom her erscheint uns Ihr Werk noch zu unausgereift, um publikationswürdig zu sein. Auch wirkt sich der latente Feminismus, mit dem Sie den vermeintlichen Kriminalroman in einzelnen Passagen unterlegen, verunsichernd auf die Erzählperspektive aus.
Da es sich Ihrem Schreiben nach um Ihr Erstlingswerk handelt, möchten wir Ihnen dringend empfehlen, sich von einem erfahrenen Mentor bzw. Lektor beraten zu lassen.
Anbei ein Prospekt mit den Neuerscheinungen unseres Hauses.
Mit freundlichen Grüßen
Arnulf G. Ziegler
Das hatte gerade noch gefehlt. Uneindeutiges Genre. Unausgereift. Und von wegen Feminismus. Das war todsicher so ein aufgeblasener Macho, dieser Ziegler. Kein Wunder, dass ihm die weiblich-ironische Stimme, mit der sie Serges Perspektive kontrastiert hatte, nicht in den Kram passte.
Nein. Sie wusste, dass ihr ›schwarzer‹ Krimi Format hatte. Dass ›Noir‹ ausgezeichnet und der Lektor ein absoluter Ignorant war. Sie würde das Manuskript in unveränderter Form einem anderen Verlag anbieten – einem Verlag, der damit umgehen konnte. Am besten einem feministischen.
Nur gut, dass Robert nichts davon wusste. Der würde sich ins Fäustchen lachen. Das wäre Wasser auf seine Mühle, besonders nach ihrer letzten Szene.
»Hältst du mich wirklich für solch einen Trottel? Denkst du, ich weiß nicht, dass ihr ein Verhältnis habt?«
»Okay, da war was. Aber nur kurz. Und es ist vorbei.«
»Hach! Da kann ich mich ja beglückwünschen. Aber ich muss mich wohl eher bei Simon bedanken. Er hat dich abgehalftert. Deshalb siehst du so verheerend aus. Deshalb bist du so unausstehlich. Vielen Dank, Herr Sternberg, dass Sie mir meine Frau zurückgeschickt haben. Wie steht es immer in den Werbeprospekten? Bei Nichtgefallen zurück. Umtausch innerhalb von 14 Tagen. Nach wie vielen Wochen hat er denn genug gehabt?«
»Du bist gemein, hundsgemein.«
So hatte sie sich nicht aufgeführt, damals, vor 15 Jahren. Als er seine Midlife-Crisis gehabt hatte. Mit seiner Assistentin, Frau Dr. Anne Schaadt. Die kleine, zarte Brünette mit den Rehaugen. Die kleine, zarte, zähe Karrieristin, die dann so groß herausgekommen war. Unsere Frau in Stanford, so wurde sie neulich in einer dieser unsäglichen Talkshows tituliert. Befreundet mit Condoleezza Rice. Condi.
Auf Jules Rat hin hatte Paula damals keine Szene gemacht. Zwar hatte sie Robert gezeigt, wie verletzt sie war, aber sie hatte die Sache ausgesessen. Und nach einem halben Jahr war es dann auch vorbei gewesen, als nämlich die Rehäugige einem noch vielversprechenderen Professor in die Staaten folgte und den guten Robert wieder zu seiner Hausmannskost an den heimischen Herd verbannte.
»Wie soll es denn jetzt mit uns beiden weitergehen? Wie stellst du dir das vor? Dass ich dir großmütig verzeihe?«
»Hast du dich eigentlich mal gefragt, wie es überhaupt dazu kommen konnte?«
»Soll ich jetzt etwa schuld sein? Das ist doch ein starkes Stück. Also, auf diesem Niveau diskutiere ich nicht.«
»Siehst du, genau das ist’s. Du machst sofort dicht.«
»Ich habe ja auch keine Fehler gemacht. Du hast mich betrogen. Und es scheint dir noch nicht mal leidzutun. Wahrscheinlich braucht Simon nur mit den Fingern zu schnippen und du rennst wieder zu ihm.«
»Wenn du so weitermachst, dann …«
»Was, dann?«
»Du wirst dich noch wundern.«
»Wenn sich hier einer wundern wird, dann du, Paula. Du sitzt nämlich am kürzeren Hebel. Beziehungsweise im Glashaus. Pass nur mal auf.«
Tja, und vorgestern hatte er schließlich seinen Koffer gepackt – unter Flüchen und wahrscheinlich mit völlig falscher Kleidung und ohne Sonnencreme und Reiseapotheke – und war mit einem Last-Minute-Flug nach Teneriffa abgerauscht. Ende Januar würde er zurück sein. Aber er informierte Paula wenigstens über Ziel und Dauer seiner Reise, im Unterschied zu ihr.
Nun saß sie tatsächlich allein da in dem großen Haus, und das auch noch über die Feiertage.
Sie griff zum Hörer, aber da war nur der Anrufbeantworter. Sie bat um Rückruf, doch nichts geschah. Und in der Apotheke hieß es jedes Mal, die Chefin sei gerade nicht da. Ob sich Jule verleugnen ließ? Zwar hatte sie ihr ziemlich den Kopf gewaschen nach dem Abend neulich, aber das hatte ja wirklich nichts mit ihnen beiden zu tun gehabt.
Paula blickte zum Küchenfenster hinaus. Schon wieder dieser Mann mit dem Cocker Spaniel. Der drehte seit ein paar Wochen hier ständig seine Runden. Na, wahrscheinlich war der Hund neu.
Endlich, kurz vor Weihnachten meldete sich Jule. Aus dem Krankenhaus. Hysterektomie – die Quelle weiblicher Hysterie sei ihr entfernt worden. Die Eierstöcke auch. Vorsichtshalber. Aber nein, nichts Bösartiges, keine Bange.
»Ich komme sofort vorbei. In einer Viertelstunde bin ich da.«
Stopp, Stopp. Die Operation sei schon zehn Tage her, Jule würde morgen entlassen.
»Und da meldest du dich erst jetzt? Warum hast du nicht früher angerufen?«
»Ach, ich wollte dich nicht beunruhigen. Du hast doch schon genug am Hals.«
Oh nein, sie hatte gar nichts mehr am Hals. Noch nicht mal Robert. War das nicht prima? Sie würde Jule morgen abholen und zu sich verfrachten. Über Weihnachten. Über ihren Geburtstag. Und über Neujahr. Sie würde sie bekochen und verhätscheln.
»Sei froh, dass du hier warm und trocken sitzt. Draußen ist es ganz abscheulich. Eiskalt.«
Paula hievte ihre Tragetaschen auf den Küchentisch. Brechend voll war’s gewesen, beim Bäcker, im Gemüseladen, überall. Und das am Vierundzwanzigsten.
»Sag mal, soll das etwa für uns zwei sein? Wenn wir das alles essen, werden wir ganz schön zulegen.«
»Ach, pfeif drauf. Außerdem – wir müssen nicht, wir dürfen. Wir lassen’s uns jetzt gut gehen, ohne Männer.«
»Apropos Männer. Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass hier dauernd einer mit so einem Mini-Setter vorbei kommt?«
»Das ist ein Cocker Spaniel. Na ja, so ein junger Hund muss eben öfter raus. Das dauert, bis der stubenrein ist.«
»Muss der immer die gleichen Runden drehen? Das nervt doch.«
»Jetzt hab dich nicht so. Der stört uns doch nicht. Hauptsache, er macht die Häufchen weg.«
»Na, wenn du meinst.«
Paula fing an zu kochen. Für Heiligabend, für den ersten Feiertag, für den zweiten Feiertag, und natürlich für ihren Geburtstag.
Ohne Jule wäre der Achtundzwanzigste eine Katastrophe geworden. Kein Mensch meldete sich. Johannes und Becca waren weg, sie waren mit Lukas und Charlotte über die Feiertage auf eine Insel – Sylt oder Amrum, irgendwas in der Art. Aber sie hätten wenigstens ein Kärtchen schreiben können. Und Markus, der war wohl mit seinem dubiosen Projekt beschäftigt. Oder mit Nikki. Robert ließ natürlich auch nichts von sich hören. Und Simon erst recht nicht.
»Komm, mach dir nichts draus. Das sind die Kerle wirklich nicht wert.«
»Hast ja recht. Weiß ich doch auch.«
Später allerdings, Jule hatte sich für ein Stündchen hingelegt, da griff Paula doch zum Telefon. Nur zum Testen. Sie musste sich ja gar nicht melden.
»Hier bei Sternberg.«
Paula fiel fast der Hörer aus der Hand. Schnell legte sie auf. Sie sank in den Sessel, ihr Herz schlug bis zum Hals. Nein, nein. Das musste die Putzfrau gewesen sein. Aber seit wann hatte Simon eine Putzfrau?
Sie würde Markus anrufen. Sie musste wissen, mit wem sein Sternchen gerade herumzog.
Aber nein, Markus hatte keine Ahnung. Außerdem hatte er gerade andere Sorgen. Die Finanzierung des Ministerprojekts war nämlich wieder mal gefährdet – eine furchtbare Sache. Er war am Boden zerstört.
»Jule. Tust du mir einen Gefallen?«
»Klar, jeden. Schließlich hast du ja Geburtstag.«
»Dann ruf doch mal Simons Nummer an. Nur um zu sehen, ob er da ist.«
»Sei nicht albern. Was soll das? Was versprichst du dir davon? Das ist doch Quatsch. Du bist doch kein Teenager mehr. Wie alt wirst du heute? 55?«
»Du brauchst überhaupt nichts zu sagen. Du kannst ja gleich wieder auflegen. Oder du sagst ›falsch verbunden‹.«
»Also, nein, Paula, bei aller Liebe – da mach ich nicht mit. Das ist doch idiotisch.«
»Na, dann eben nicht.«
Irgendwie hangelten sie sich durch ein dümmliches Vorabendprogramm und aßen dann ihr Rebhuhn. Doch noch vor dem Dessert machte Jule schlapp.
»Tut mir leid, ich bin fix und fertig. Ich muss ins Bett.«
Da saß Paula nun, die angebrochene Rotweinflasche vor sich. Dabei war es erst halb zehn. Sie goss sich noch ein Glas Spätburgunder ein.
Der würde nie mehr anrufen, dieser Schweinehund. Also würde sie ihn anrufen. Jetzt gleich.
»Sternberg hier … Hallo? Hallo? … Wer ist denn da?«
»Hier … ich bin’s … Paula.«
»Paula? Was willst du?«
»Also … Ich finde das schon traurig …«
»Was denn?«
»Dass ich dir keinen Anruf mehr wert bin.«
»Wieso?«
»An meinem Geburtstag …«
Knacken in der Leitung.
»Hallo? Simon? Bist du noch dran?«
»Ja, ich bin noch dran.«
»Jetzt sag doch was.«
»Paula, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Glaubst du, dass mir noch nach Glückwünschen zumute ist?«
»Ich hab das alles nicht so gemeint. Versteh mich doch. Bitte.«
»Was soll ich verstehen?«
Wortlos hörte Simon zu. Schließlich sagte er: »Okay. Ich hab’s zur Kenntnis genommen.«
»Es tut mir leid. Wirklich.« Paulas Stimme kippte. »Verzeih mir. Bitte!«
»Lass uns ein andermal drüber reden. Ich bin im Moment nicht allein.«
»Wer ist denn bei dir?«
»Das tut doch nichts zur Sache, Paula.«
»Ich weiß, es ist Nikki. Es ist doch Nikki, oder?«
»Was fragst du, wenn du es sowieso weißt?«
Sie legte den Hörer auf. Ganz vorsichtig, ganz langsam. Dann griff sie nach der Rotweinflasche.