Faulspiel

»Gleich erwischt es ihn! Schau hin!«

Andy knuffte seinen Freund und Geschäftspartner in die Seite. Greg nickte und beobachtete das Innere der Lagerhalle, das von Flutlichtstrahlern in mehrere Lichtinseln geteilt wurde. Dort erstreckte sich ein labyrinthischer Parcours bestehend aus Spanplatten, die man mit Eichenbalken abgestützt hatte.

Gerade jetzt torkelte der Zombie mit der Rückennummer Eins in eine hinein. Andy drückte einen Schalter, worauf ein mechanisches Klackern ertönte, gefolgt vom Tuckern eines Benzinmotors.

Auf den Rängen rings herum raunte ein Teil der Zuschauer. Es war die Hälfte, welche auf den Zombie Nummer Eins getippt hatte. Gespannt ruckten die Körper im Halbschatten nach vorn, um alles genau in Augenschein zu nehmen, was dort unten in der Mitte der Lagerhalle geschah.

Auch das Schaf, das man auf einer freien Stelle festgepflockt hatte, wurde unruhig. Es roch die beiden Toten, welche sich durch das Labyrinth auf es zubewegten, einzig durch einige Fallen und Hindernisse von ihm getrennt. Und die letzte Falle für Zombie Nummer Eins war eben in Gang gesetzt worden.

Aus einer Vertiefung der Pressspan-Wand schob sich eine merkwürdige Apparatur. Ein horizontaler Balken, an dessen Ende sich eine Holzscheibe drehte, angetrieben von einem Keilriemen. Und auf der Scheibe hatte man vier Sensen befestigt, die nun in einem fort durch die Luft fauchten. Liebevoll nannte Andy die Maschine ›Hakenkreuz-Sens-o-Mat‹.

Der Zombie stutzte einen Moment lang, dann lief er einfach weiter auf die Maschine zu. Er achtete nicht darauf, dass die einzig gefahrlos zu passierende Stelle rechts außen verlief und der Rest des Flurs von den sich drehenden Sensen abgedeckt wurde.

Die Schneide des Werkzeugs fuhr ihm in den Hals, riss den Zombie zu Boden. Daraufhin zerfetzte ihm die nächste Sense das Schlüsselbein, die dritte hackte den rechten Arm halb ab, was die vierte endgültig erledigte, ehe die erste wieder an der Reihe war und dem sich mit einem ungläubigen Stöhnen aufrichtenden Zombie den Schädel spaltete. Raunend betrachten die Zuschauer das Schauspiel der Zunge, die in der offenen Mundhöhle frei herumzuckte, ehe sie mit einem Klatschen zu Boden fiel.

Applaus brandete auf und verebbte wieder.

»Mal sehen, ob Zombie Nummer Zwei es schafft!«

Andy grinste und blickte gebannt auf den zweiten Zombie, der sich von unten her in Richtung Mitte des Lagerhauses durcharbeitete. Die ersten Hindernisse hatte er bereits geschafft: Strohballen, die es zu überklettern galt; ein bis auf einen Spalt zugemauerter Gang, durch den man sich quetschen musste; die Schul-Schwamm-Falle, wo die Zombies mit nassen Schwämmen aus einer Tennis-Trainingsmaschine beschossen wurden. Das hatte auch der erste Zombie in der oberen Hälfte des Labyrinths geschafft, und zwar wesentlich schneller als Nummer Zwei. Jetzt folgte die letzte Prüfung.

Auch im zweiten Bereich des Labyrinths hatten Andy und Greg die Hakenkreuz-Sens-o-Matic installiert. Es sollte ja fair zugehen! Die Wettbeteiligten hatten ein Anrecht darauf, sonst wäre ja die Wettchance unterschiedlich verteilt gewesen. Und nichts war schlimmer für das Wettgeschäft als der Anschein von Unfairness, von Faulspiel.

Der verfaulende Untote dort unten verstand aber nichts davon. Er setzte stur seinen Weg fort und änderte auch nichts daran, als Andy den anderen Knopf drückte, worauf der Benzinmotor ansprang, der horizontale Balken aus der Wand kippte und die Sensen sich zu drehen begannen.

Die Wettzuschauer tuschelten untereinander. Sollten diesmal diejenigen Recht behalten, welche darauf gesetzt hatten, dass keiner der beiden Zombies die Mitte der Lagerhalle erreichen würde, wo das Schaf als Fress-Belohnung wartete? Momentan sah es ganz danach aus.

Doch da änderte der Zombie seine Richtung. War es Instinkt, war es Vorhersehung? Auf jeden Fall taumelte der Mann nach rechts und krachte gegen die Wand. Er schob sich an ihr entlang und an den rotierenden Blättern der Sensen vorbei.

Nach zwei Ecken torkelte er auf das entsetzt aufblökende Schaf zu, das voller Panik am Seil zerrte. Dann hatte der Zombie es erreicht und machte sich über das Tier her.

Ein Klingeln ertönte.

»Na, dann werde ich mal«, sagte Greg und seufzte. Er schulterte das Gewehr und sah sich suchend um. »Wo ist eigentlich April?«

Andy verzog das Gesicht zu einem Zitronengrinsen. »Die ist unpässlich heute, ist mal wieder in diesem Monat soweit. Frauengeschichten, du kennst das ja.«

Greg hob eine Braue. »Ach so. Richte ihr einen lieben Gruß von mir aus, wenn du nachher nach Hause gehst.«

Andy nickte. Greg ging an ihm vorbei aus dem Beobachtungsraum und die Treppe zum Labyrinth hinunter. Er hörte Andys Stimme aus den Lautsprechern, die überall ringsum an den Rängen hingen.

»Das Spiel ist vorbei, meine Damen und Herren! Vergessen Sie nicht, ihren Wettgewinn bei mir abzuholen! Bis zum nächsten Mal, auf Wiedersehen!«

Dem folgte laute Rockmusik.

Greg öffnete die eiserne Sicherheitstür, die direkt zur Mitte des Labyrinths führte, wo der Zombie mit verwirrtem Ausdruck kniete, in den Händen rohes Schafsfleisch haltend, von dem Röte herabtroff. Seine untere Gesichtshälfte und sein Hemdkragen waren blutverschmiert.

Der Untote sah verblüfft in die schwarze Mündung des Gewehrs, das Greg auf ihn richtete. Dann explodierte sein Kopf in einer roten Wolke.

Wenige Augenblicke später saßen Andy und Greg im Beobachtungszimmer hoch über dem Parcours und zählten die Einnahmen des Abends.

»Knapp 10.000! Die versammelte Unterwelt von Chicago war sehr spendabel heute!« Greg schnalzte mit der Zunge.

Andy hob warnend den Zeigefinger: »Ja, aber denk daran, dass wir dem Paten noch die Hälfte abgeben müssen! Bleibt immer noch ein hübsches Sümmchen!«

»Und der Pate hat wieder zwei seiner persönlichen Feinde weniger.« Greg lachte und zeigte auf die beiden Zombies, die in schwarze Müllsäcke verpackt darauf warteten, dass im Morgengrauen der bestochene Fahrer von den Chicagoer Stadtwerken vorbeikam und sie in die Verbrennungsanlage mitnahm.

»Tja, dabei hat alles mit einem Haiti-Urlaub damals angefangen, weißt du noch?«, meinte Andy mit einem träumerischen Blick an die Zimmerdecke.

»Klar«, antwortete Greg und strich sich die blonden Haare streng nach hinten. »Es war ein großes Glück, dass wir diesen Voodoopriester vor dem Ertrinken gerettet haben.«

»Stimmt. Und, dass er uns als Geschenk dieses Pulver mitgegeben hat … Wahnsinn!« Andy stand auf und kramte in seinem Koffer. »Das Pulver, mit dem man Menschen zu Zombies machen kann! Genial!«

Er hob ein durchsichtiges Päckchen in das Licht. Weißes Pulver befand sich darin. Greg stöhnte ehrfurchtsvoll. »Die Geschäftsidee des Jahrhunderts! Mit deinen Kontakten zur Unterwelt und meinen handwerklichen Fähigkeiten war es ein Klacks: Anmieten einer Lagerhalle, Bau des mittig geteilten Labyrinths für zwei Zombies inklusive mehrerer Fallen, wie der Wasserrohrgraben und die Sensenmaschine. Und die Feinde des Paten werden zu Unterhaltungszombies mit Wetteinsatz! Genial! Geringe Kosten, hoher Erlös! Eine typisch amerikanische Win-Win-Situation des reinsten Kapitalismus! An American Dream come true!«

Andy ließ das Päckchen verschwinden und holte aus seinem Koffer eine Champagnerflasche hervor. Er drehte sich um, entkorkte die Flasche und hantierte an etwas herum, das Greg nicht sehen konnte, da ihm Andy den Rücken zukehrte.

Als dieser sich umdrehte, perlte der Champagner in zwei Gläsern. Andy reichte Greg eines und sagte: »Auf unseren hundertsten Zombie! Hoch lebe unser Geschäftsmodell!«

Greg nahm das Glas und stieß mit Andy an.

»Auf ein langes Leben!«

»So sei es!«, pflichtete Andy bei, wobei Greg einen seltsamen Unterton zu hören glaubte. Er trank. Der Champagner schmeckte ungewohnt bitter. Und als er das Glas absetzte, meinte er ein merkwürdiges Glitzern in Andy Augen zu bemerken. Ihm schwindelte.

Er dachte noch: KO-Tropfen! ‒ dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Als er wieder zu sich kam, lag er nackt und frierend auf dem Betonboden der Lagerhalle. Er wollte sich aufrichten, stellte jedoch verblüfft fest, dass er es nicht konnte. Mühsam den Kopf hebend sah er, dass Stricke um seine Knöchel gewunden waren. Die Seile endeten an kurzen Eisenpfählen, die mittels Bolzen im Boden ankerten und seine Beine in gespreizter Position hielten. Auch mit den Armen war so verfahren worden. Es gab keinen Zweifel, wer das getan hatte.

»Andy, du verfluchter Hurensohn! Wenn das ein Witz sein soll, ist es ein schlechter! Mach mich los!“, schrie Greg in das Halbdunkel der Lagerhalle.

Ein Stöhnen aus der Finsternis antwortete ihm. Innerlich erstarrte Greg zu Eis.

Ein Zombie!, schoss es ihm durch den Kopf.

»Hey, alter Freund! Bind mich los. Du hast mich erschrecken wollen, ist schon in Ordnung. Es ist dir gelungen. Aber jetzt ist genug!«

Keine artikulierte Antwort. Das Stöhnen wanderte von links nach rechts. Kam näher. Plötzlich ertönte das Tuckern eines Benzinmotors.

Ein Krächzen, ein Fiepen, dann erscholl Andys Stimme aus den Lautsprechern:

»Hast gedacht, dass ich nicht bemerke, was du mit April heimlich treibst, hä?«

Greg war verdattert. Woher wusste Andy …? Sie waren so vorsichtig gewesen …!

»Die heimlichen Telefonate, die geflüsterten Verabredungen, die verstohlenen Blicke. Ich weiß alles! April hat mir alles gestanden!«

»Ich werde sie nie mehr anrühren! Versprochen! Aber lass mich los!« Greg schwitzte. Zum Tuckern des Motors gesellte sich ein Fauchen von scharfem Metall.

Aus den Lautsprechern kam ein »Ts, ts, ts«, gefolgt von einer Pause. Und dann: »Zu spät für Reue, lieber Freund. Adieu!«

Greg schrie ein panisches »NEIN!« in die Nachtluft der Lagerhalle, die erfüllt war vom Hacken der Sensen, die auf Fleisch trafen und es durchtrennten.

Eine unwirkliche Stille legte sich anschließend auf die Szene.

Und aus dem Schatten wankte eine Gestalt auf Greg zu: Halb zerfetzte Kleidung, der Unterkiefer hing schlaff herab, ein Arm fehlte, Blut rann an den Oberschenkeln entlang, langes wirres rotes Haar, ein zerstörtes, schlaff herabhängendes Gesicht.

Und dennoch erkannte Greg, dass es sich bei dem Zombie um eine Frau handelte.

Und bevor sie sich auf den Leckerbissen stürzte, formte sein Mund lautlos einen Namen.