Von Zwangsjacken, einem verlassenen Capri und dem Kratzen an der Oberfläche

Vor Jahren hat mir Markus K. Korb einmal das Foto einer Zeichnung geschickt, die ihn in einer Zwangsjacke zeigte – zusammen mit Tobias Bachmann, mit dem er ›Das Arkham-Sanatorium‹ (Atlantis-Verlag 2007) geschrieben hat, und Timo Kümmel, einem begnadeten Illustrator. Das Foto erschreckte mich zuerst, hatte ich doch bis dahin von Markus das Bild eines völlig ›normalen‹ Menschen vor Augen. Doch mittlerweile habe ich am eigenen Leib erfahren müssen, dass man, will man solche Geschichten wie Markus glaubhaft schreiben und zum Ausdruck bringen, seinen Verstand in eine derartige Jacke mit Schnallen zwängen muss.

Als Markus mich bat, das Vorwort für seine neueste Storysammlung zu schreiben, war ich natürlich direkt Feuer und Flamme. Zum einen verbindet mich mit Markus seit Jahren eine Freundschaft, in deren Verlauf man sich leider viel zu selten über den Weg läuft. Zum anderen habe ich dem kleinen großen Mann aus Schweinfurt eine Menge zu verdanken. In einer Zeit, als meine eigene Karriere noch in weiter Zukunft lag – in einem fernen, grauen Land – war ich bereits (und bin es natürlich immer noch) ein großer Fan von Markus´ Geschichten. Nachdem ich seine Bände ›Die Ernten des Schreckens‹ (erschienen 2009 im Atlantis-Verlag) und ›Nachts‹ (2005 im Eldur-Verlag) verschlungen hatte, fasste ich Mut und schrieb Markus einfach einmal an, in der Hoffnung, dass ich von ihm einige Tipps erhalten könnte, was das Schreiben und Bewerben bei Verlagen betrifft. Markus enttäuschte mich nicht, er war offen und freute sich über meine Meinung zu seinen Geschichten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein reger Briefwechsel – heutzutage eher als ›E-Mail-Wechsel‹ bezeichnet. Als ich ihn irgendwann fragte, ob ich es mir erlauben dürfte, zu einer seiner Geschichten (›Im verlassenen Capri‹ – erschienen in der Storysammlung ›Wasserscheu‹, Atlantis-Verlag) eine Fortsetzung zu schreiben, willigte er sofort ein und teilte mir später auch seine ehrliche Meinung zu meinem ›Werk‹ mit. Die Ansicht eines Autoren, den ich aufgrund seiner zahlreichen Horrorgeschichten und seines Stils, seiner ›Schreibe‹ wegen, verehre, motivierte mich damals, mit meinen eigenen Geschichten weiterzumachen und – trotz zahlreicher Absagen – nicht aufzugeben, mich bei diversen Verlagen zu bewerben (unter anderem auch bei einem Kinderbuchverlag, wie ich, sehr zu meiner Schande, gestehen muss).

Markus versteht es wie kaum ein anderer deutschsprachiger Autor seine Erzählungen mit geschichtlichem Hintergrund in einen Kokon aus Grauen zu spinnen und seinem Leser eine gehörige Gänsehaut zu verpassen. So nimmt er sich zum Beispiel in ›Die Ernten des Schreckens‹ (Atlantis Verlag, 2011) dem heiklen Thema ›Krieg‹ an und verpasst ihm einen noch größeren Schrecken, indem er unheimliche Aspekte einfließen lässt. In seinen Geschichtensammlungen ›Grausame Städte 1 und 2‹ (Blitz-Verlag 2004 und 2008) zeigt er uns, was unter der zivilisierten Oberfläche bunter Städte lauern kann und lässt Städte wie Prag oder Berlin in einem völlig anderen, dunkleren Licht erscheinen.

In dem hier vorliegenden neusten Erzählband aus Markus’ Feder ›Amerikkan Gotik‹ greift er Themen auf, die mit der USA und ihrer Geschichte zusammenhängen, betrachtet aus dem Blickwinkel eines deutschen Phantastik-Autoren. Beispielsweise behandelt er in der titelgebenden Erzählung ein Thema, das zurzeit nicht nur in Deutschland und Amerika heiß diskutiert wird: Das nationale Gedankengut, das nicht selten in selbstverliebtem, borniertem Nationalsozialismus ausufert.

Aber auch in anderen Storys kratzt Markus K. Korb an der Oberfläche einer scheinbar heilen Gesellschaft und legt die wahren Gefühle, Ängste und Einstellungen von Menschen frei, die mit allen Mitteln versuchen, ihre althergebrachte Weltanschauung zu wahren.

So löst der Antagonist in der Geschichte ›Entfremdung‹ – und dies soll das einzige Beispiel bleiben, da ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten möchte – das Problem der ›Rassenunterwanderung‹ auf unkonventionelle, grausame Weise an Kindern von Einwanderern.

Wer Markus kennt, weiß, dass er seine Welt mit offenen und kritischen Augen betrachtet. Es ist eine Gabe, die bei jedem Schriftsteller unabdingbar ist.

Das, was er sieht, hat er in dieser Storysammlung zusammengetragen, um vielleicht den einen oder anderen von uns zum Nachdenken zu bewegen. Denn Markus möchte mit seinen Geschichten nicht nur schockieren – was ihm mit Leichtigkeit gelingt –, sondern einen tief in uns verborgenen Nerv berühren.

Ich trinke auf Ihr Wohl und einige nachdenkliche Stunden nach dem Genuss dieses Buches.

Michael Dissieux