8. Kapitel
Auch andere Teile der Hamburger Polizei konnten sich an diesem
Morgen über mangelnde Aufregung nicht beklagen.
Die Geduld der Sonderkommission Organisierte Kriminalität wurde
endlich belohnt. Der St. Pauli-Drogenkönig Eddie Behrens sollte
eine neue Ladung Kokain erhalten. Gleichzeitig ließ er seine
Truppen an Kleindealern antanzen, damit sie mit ihm abrechneten und
neue Ware in Empfang nahmen.
Eine Gelegenheit, wie sie für die Polizei so schnell nicht
wiederkehren würde. Eddie Behrens war immer noch vorsichtig.
Deshalb fand der Drogendeal nicht in St. Pauli selbst
statt.
Der Dealerkönig empfing seinen Hofstaat in einer stillgelegten
Schlosserei in dem ruhigen Stadtteil Hamm. Die Straße hieß
Pröbenweg. Eine ruhige Seitenstraße ohne
Durchgangsverkehr.
Kein gesetzestreuer Bürger wäre auf die Idee gekommen, dass hier
ein Rauschgiftgeschäft im großen Stil ablief. Doch die Polizei war
unauffällig vor Ort.
Gleich zwei Trupps des Mobilen Einsatzkommandos warteten auf das
Startsignal. Die Beamten trugen blaue Kampfanzüge mit dem weißen
Schriftzug POLIZEI auf dem Rücken. Außerdem schusssichere
Kevlar-Westen, Gesichtsmasken und Helme. Sie verbargen sich in zwei
neutralen Lieferwagen.
Einige Scharfschützen hatten sich mit ihren
Zielfernrohr-Präzisionsgewehren auf den umliegenden Dächern
postiert. Über Sprechfunk standen sie in Kontakt mit der
Einsatzzentrale. Die befand sich in einem der getarnten
Lieferwagen.
»An alle Einheiten! In drei Minuten wird die Straße für den
Durchgangsverkehr gesperrt!«, sagte der Einsatzleiter über Funk.
»Der Zugriff auf die Schlosserei erfolgt exakt um 14.12
Uhr!«
»Ein Mann nähert sich der Schlosserei«, meldete der Scharfschütze,
der östlich von dem Zielobjekt auf dem Flachdach eines
dreistöckigen Bürogebäudes lag. Er wirkt unverdächtig. Ob er zu
Behrens' Leuten gehört, ist fraglich ... Ich korrigiere! Der Mann
hat eine Pistole im Gürtelholster. Er hat eben seine Jacke
zurückgeschlagen, um in die Hosentasche zu greifen.«
»Wir können nicht riskieren, dass er Behrens warnt!«, zischte der
Einsatzleiter. »Zugriff sofort, auf den Mann und auf die
Schlosserei!«
Der dunkelhaarige Passant staunte nicht schlecht, als plötzlich
drei vermummte Polizisten in Kampfanzügen aus dem geparkten
Lieferwagen sprangen.
»Polizei! Hände hinter den Kopf und keine Bewegung!«
Diese Warnung überhörte der Kerl. Die Beamten des
Sondereinsatzkommandos begriffen sofort, dass sie es mit einem
eiskalten Profi zu tun hatten.
Er riss seine Waffe aus dem Holster und feuerte drauf
los!
Die Kugel riss einen Polizisten von den Beinen. Allerdings war es
zum Glück nur der Geschossaufprall, der den Beamten vorübergehend
außer Gefecht setzte.
Seine kugelsichere Kevlar-Weste rettete ihm das Leben. Seine
Kollegen nahmen den Schützen in die Zange. Die beiden anderen
SEK-Beamten gingen gleichzeitig in die Hocke, ihre Dienstwaffen vom
Typ SIG Sauer P 228 im Beidhandanschlag.
»Fallenlassen!«
Der Mann wusste, wann er verloren hatte. Mit einem verzerrten
Grinsen auf den Lippen öffnete er die Finger seiner Schusshand. Die
Waffe klirrte auf die Gehwegplatten.
Während dies geschah, wurden Tränengasgranaten in die Schlosserei
gefeuert. Weitere Beamte des Spezialkommandos stürmten das
unauffällige Gebäude. Schüsse fielen. Eine Megafon-Stimme forderte
die Verbrecher in dem Schlossereigebäude auf, sich zu
ergeben.
Der Mann, der Lukas Augustin hieß, wurde zu Boden gepresst. Einer
der SEK-Beamten hielt ihm die Pistolenmündung gegen die Schläfe,
während der andere ihm Plastikfesseln anlegte.
Erst nach und nach dämmerte dem Mörder von Julia Sander die
furchtbare Wahrheit.
Diese Spezialeinheit hatte es gar nicht auf ihn abgesehen! Er war
zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und dadurch in die Falle
geraten.
Der Killer fragte sich, was er jetzt tun sollte.
Plötzlich erschien ein Kerl mit Handkamera auf der Bildfläche. Er
sprang aus einem Ford Granada und richtete sein Objektiv auf Lukas
Augustin.
Einer der vermummten Beamten scheuchte den TV-Reporter
weg.
»Verschwinde, Benni! Die Aktion ist noch in vollem Gang. Hör' auf
zu filmen, oder ich verhafte dich wegen Behinderung der
Polizeiarbeit!«
Der Kerl in der abgeschabten Lederjacke murmelte etwas von
Pressefreiheit.
»Es gibt nachher eine Pressekonferenz im Präsidium«, knurrte der
SEK-Mann. »Und nun sieh' zu, dass du Land gewinnst!«