5. Kapitel


Der junge Mann hatte ein Dutzendgesicht und trug unauffällige, gepflegte Kleidung. Sein Haar war ordentlich geschnitten, das Gesicht glatt rasiert.
Ein Mann, der schwer zu beschreiben war. Das galt allerdings nur, bis er den Mund aufmachte. Denn er sprach mit Schweizer Akzent. Und das war in Hamburg allemal etwas Besonderes.
Der junge Mann zog eine Telefonkarte aus der Tasche und ging in eine der Fernsprechzellen an der U-Bahn-Station Stephansplatz. Er wählte eine Nummer, die er auswendig gelernt hatte. Das Telefon auf der anderen Seite wurde abgenommen.
»Ich bin es.«
»Sind Sie wahnsinnig, hier anzurufen!«, wütete der ältere Mann am anderen Ende der Leitung. Der Schweizer lachte leise.
»Nein, wahnsinnig bin ich nicht. Obwohl die Hamburger Zeitungen ja glauben, ein Irrer hätte die Parkverbrechen auf dem Gewissen.«
»Was wollen Sie? Warum sind Sie noch nicht in Südamerika?«
»Passprobleme. Falsche Papiere sind teuer, mein Freund. Die Polizei hat einige gute Fälscher aus dem Verkehr gezogen. Und die Übrigen gehen nun mit den Preisen hoch.«
»Mir kommen die Tränen! Sie haben ja wohl genug Geld von mir erhalten!«
»Wie man es nimmt.«
»Vor allem, weil Sie eigentlich versagt haben.«
»Versagt? Das Mädchen ist mausetot, oder?«
»Ja, aber der Rentner nicht. Und auch nicht dieser Kerl, dieser Jogger.«
»Sie haben gesagt, die anderen müssten nicht unbedingt krepieren.«
»Ich habe aber auch nicht gesagt, dass Sie absichtlich vorbeischießen sollen!«
»Das ist meine Angelegenheit. Ich habe auf drei Leute geschossen. Das war vereinbart. Das Mädchen ist tot. Da habe ich auch meinen Teil des Vertrags eingehalten.«
»Und was wollen Sie jetzt von mir?«
»Geld, mein Freund. Mit nur zehntausend Euro mehr kann ich übermorgen einen erstklassigen brasilianischen Pass bekommen.«
»Wollen Sie mich erpressen?«
»Kein Gedanke!«, sagte der Schweizer. »Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren. Ich bin auf zufriedene Kunden angewiesen. Mundpropaganda, nicht wahr? Ich kann schließlich keine Werbung für mein Geschäft machen.«
Er lachte, als hätte er einen besonders guten Witz gemacht.
»Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, Ihnen noch etwas zu bezahlen. Sie haben bereits mehr als genug bekommen.«
»Schade, denn ich sitze jetzt in Hamburg fest. Mit jedem Tag, den ich hier verbringe, steigt das Risiko für Sie.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Nein, wirklich nicht. Wie gesagt – die Kunden müssen zufrieden sein. Aber ich bin eben leider ein Risiko für Sie, solange ich mich nicht in Rio de Janeiro von meinem Auftrag erhole.«
»Also gut, Sie bekommen Ihr Geld. Aber erst übermorgen.«
»Warum so spät? Zehntausend Euro sind doch Kleingeld für Sie!«
»Darum geht es nicht. Ich habe nur im Moment sehr viel zu tun. Und ich will Ihnen das Geld lieber persönlich geben. Mitwisser kann ich nicht gebrauchen.«
»Sie sind ein kluger Mann. Ah, da fällt mir ein: Falls Sie mich beseitigen wollen – vergessen Sie's!«
Der ältere Mann am anderen Ende der Leitung schwieg.
»Ich habe ein Geständnis bei einem Hamburger Anwalt deponiert«, fuhr der Schweizer fort. »Ich muss ihn stündlich anrufen, damit er den Umschlag nicht öffnet und an die Polizei weiterleitet. Wenn Sie mich töten oder töten lassen, können Sie nicht verhindern, dass Sie selbst auffliegen. Es sei denn, dass Sie gleichzeitig auch alle Hamburger Advokaten beseitigen ...«
»Sie kriegen Ihr Geld«, knurrte der ältere Mann. »Aber eben erst übermorgen. Wo und wann ...?«
Bevor er den Satz beenden konnte, fiel ihm der junge Mann in der Telefonzelle ins Wort.
»Ich werde mich rechtzeitig wieder bei Ihnen melden. – Auf Wiederhören!«
Er hängte den Hörer auf die Gabel. Dann verließ er die Telefonzelle.