Prolog


Julia Sander zitterte vor Angst.
Die junge Frau ging durch den Stadtpark – wie jeden Tag. Warum auch nicht? Das weitläufige Gelände wurde bevölkert von Eltern mit spielenden Kindern, von Hundebesitzern mit ihren vierbeinigen Lieblingen, von Joggern, Sonnenanbetern und natürlich von wachsamen Wärtern.
Es gab also keinen Grund, gerade heute nicht den Stadtpark zu durchqueren. Jedenfalls tagsüber. Nachts kam Julia ohnehin nicht auf die Idee, das Parkgelände zu betreten. Das war ihr zu gefährlich.
Aber jetzt stand die Sonne noch hoch am Himmel. Julia eilte den breiten Doppelweg hinunter, der vom Planetarium zur Hindenburgallee führt. Sie warf ihr langes dunkles Haar zurück, das ihr ein leicht exotisches Aussehen verlieh. Bei dieser Gelegenheit konnte Julia unauffällig über die Schulter hinter sich schauen.
Nichts!
Abgesehen von einer jungen Mutter mit Kinderwagen, die ihr soeben entgegengekommen war und die nun ihr Baby weiter Richtung Jahnkampfbahn schob. Vor sich sah Julia zwei alte Männer, die auf einer Bank saßen und lebhaft über irgendetwas diskutierten. Im Vorbeieilen hörte die junge Frau Wortfetzen wie »HSV«, »Meisterschaft« und »nicht unterkriegen lassen«. Unwillkürlich musste sie schmunzeln. Sie wünschte sich plötzlich, mit anderen Menschen tauschen zu können. Wie schön es wäre, deren Probleme zu haben. Und nicht ihre eigenen. Eine Morddrohung war schließlich keine Kleinigkeit ...
Mord!
Machte Julia sich nicht selbst verrückt? So schnell wurde man nicht umgebracht, selbst in einer so kriminellen Stadt wie Hamburg nicht!
Doch kaum war ihr dieser ermutigende Gedanke gekommen, als sie die dunkle Gestalt sah. Es war ein Mann. Bildete sie es sich nur ein oder hatte er eine Waffe in der Hand?
Voller Panik begann Julia zu laufen. Dafür trug sie nicht das passende Schuhwerk. Aber das war ihr egal. Sie hetzte in ihren halbhohen Pumps die schmalen Parkwege entlang, als sei der Leibhaftige hinter ihr her.
Sonst sah man hier immer jede Menge Parkwärter. Nur ausgerechnet heute nicht! Oder doch? War es nicht einer dieser Uniformierten, der dort zwischen den Bäumen hervortrat?
Hoffnung keimte in der jungen Frau auf. Hoffnung, die sich schlagartig in helle Panik verwandelte. Denn es war ihr Verfolger, der ihr nun den Weg versperrte. Irgendwie musste er es geschafft haben, sie zu überholen, auf einem der Parallelwege an ihr vorbeizuziehen. Oder wurde sie von mehreren Männern eingekreist?
Julia keuchte, wollte sich auf dem Absatz umdrehen. Doch es war zu spät. Ein Geräusch ertönte. Es klang, als würde eine aufgeblasene Brötchentüte zerplatzen. Dann spürte Julia einen furchtbaren Schmerz in der linken Brusthälfte. Es war die letzte Empfindung in ihrem sechsundzwanzigjährigen Leben.
Julia Sander stürzte in einen schwarzen Abgrund, aus dem es kein Zurück mehr gibt.