7. Kapitel
Heike war bester Laune, als sie am nächsten Morgen zum Präsidium
radelte. Sie nahm das Mountainbike, weil sie nicht damit rechnete,
Außendienst zu machen. Wahrscheinlich würde sie sich den ganzen Tag
an diesem verflixten Harvestehude-Fall »festhalten«, während der
wahre Mörder von Julia Sander weiterhin frei herumlief
...
Die Hauptkommissarin merkte, wie sehr diese Vorstellung ihre gute
Laune untergrub. Daher entschloss sie sich, nicht länger darüber
nachzudenken ...
Doch dann kam alles anders.
Pünktlich um acht Uhr saß Heike an ihrem Schreibtisch, der sogar
halbwegs aufgeräumt war. Jedenfalls für ihre
Verhältnisse.
Seufzend schlug sie die Akte auf.
»Guten Morgen, Heike.«
Die Kriminalistin blickte auf. Ben war gerade eingetrudelt. Ihr
Dienstpartner machte keinen sehr zufriedenen Eindruck. Er wirkte
bleich und übernächtigt.
»Hast du herumgesumpft?«, fragte sie augenzwinkernd.
»Nur im Internet«, knurrte Ben. »Ich habe mich schlau gemacht, was
Serienmörder angeht. Noch schlauer, sollte ich vielleicht sagen. Es
gibt unglaublich viele Informationen. Aber nichts, was zu unserem
aktuellen Fall passt.«
»Zu deinem Fall, Ben. Ich bin raus.«
»Weißt du was, Heike?« Der Hauptkommissar senkte die Stimme. »Ich
glaube inzwischen immer stärker, dass ich mich geirrt habe. Und
dass du Recht hast. Fast alle berühmten Serienmörder der Geschichte
waren ... na ja, sie waren Amateure. Sie mordeten, aber es fehlte
diese Präzision wie bei dem Schuss auf Julia Sander. Und vor allem
hat keiner von ihnen absichtlich danebengeschossen, wie bei den
Anschlägen auf Wilhelm Krone und Marcus Brunner.«
»Dr. Magnussen wird sich nicht darüber freuen, dass du deine
Meinung geändert hast«, lästerte Heike. Sie war immer noch bester
Laune.
In diesem Moment kam Dr. Magnussen herein. Heike hatte ihn an dem
Morgen noch nicht gesehen. Er schaute sie mit einem seltsamen Blick
an. So, als ob sie bisher verkleidet gewesen wäre und ihr wahres
Ich erst jetzt enthüllt hätte.
Oder habe ich einen Blusenknopf zu viel auf?, dachte Heike und
schaute unwillkürlich an sich herunter. Doch sie war mit ihrer
beigen Hemdbluse, der Wildlederweste und einer schwarzen Hose mit
ausgestellten Beinen korrekt gekleidet.
»Guten Morgen, Herr Dr. Magnussen«, sagte Heike brav.
»Ich wollte Ihnen nur kurz mitteilen, dass Sie ab sofort wieder an
dem Serienmörder-Fall mitarbeiten«, sagte Dr. Magnussen. Die
Augenlider des Kriminaloberrats flatterten. Das hatte Heike noch
niemals an ihm bemerkt. Einzig die kalte Tabakspfeife steckte wie
angewachsen in seinem Gesicht. Er bewegte sich steif, als ob er im
Stehen geschlafen hätte. Man sah ihm an, dass ihm noch eine weitere
Bemerkung auf der Zunge lag. Aber er beherrschte sich.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren kehrte er in sein Dienstzimmer
zurück.
In diesem Moment tat er Heike beinahe leid. Offenbar hatte der
Kriminaloberrat an diesem Morgen telefonisch gewaltig eins auf den
Deckel bekommen. Und zwar vom Innensenator höchstpersönlich. Eine
andere Erklärung konnte es nicht geben. Der Politiker hatte Dr.
Magnussen praktisch gezwungen, Heike wieder an den Fall Julia
Sander zu setzen.
Die Kriminalistin klappte die Harvestehude-Akte zu. Es gab nur
einen Weg, den sie beschreiten konnte. Sie musste sich dieses
Vertrauens als würdig erweisen und den Fall lösen ...