28. KAPITEL

 

Caitlyn hatte gehofft, beim Aussteigen aus dem Flugzeug erkennen zu können, wo sie sich befanden, aber leider bekam sie dazu keine Gelegenheit. Ein einziges Mal während des Flugs kamen Pat und seine bewaffneten Handlanger in den Frachtraum hinunter, um nach ihnen zu sehen. Sie bat darum, auf die Toilette zu dürfen, und Pat erlaubte es ihnen, einer nach dem anderen und in Begleitung von Wachen. Carlos und Rajiv bekamen je drei bewaffnete Begleiter.

Sie hoffte, dass Pat sich mit seinen Kollegen unterhalten würde, aber die Männer schwiegen, da sie jetzt wussten, dass Caitlyn Thai verstand. Sie schickte ihrer Schwester weiterhin Bilder von dem Flugzeug, aber sie wusste nicht, ob Shanna die Botschaften empfing. Nach vielen Stunden spürte sie endlich, wie das Flugzeug zur Landung ansetzte, und hörte, wie das Fahrwerk sich absenkte.

Als das Flugzeug ruckartig aufsetzte, erstarrte Rajiv. »Was war das?«

»Wir sind gerade gelandet«, sagte sie in seiner Sprache. Er versuchte, mutig zu wirken, aber sie merkte, dass er nervös war. Er flog zum ersten Mal und war zum ersten Mal fort von zu Hause.

»Weißt du, wer das Flugzeug fliegt?«, fragte Carlos.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden in Uniform gesehen. Einer der Handlanger wird wohl wissen, wie man fliegt.«

Das Flugzeug schien eine Ewigkeit zu rangieren.

»Ich habe auf dem Weg zur Toilette etwa sechs Sterbliche gezählt«, flüsterte Carlos.

Sie nickte. »Der Kerl, der mich begleitet hat, heißt Sawat.«

»Der riesige Trottel mit der gebrochenen Nase?« Carlos sah zu den Särgen hinüber. »Es wäre besser, wenn wir die Sterblichen überwältigen können, ehe die Vampire aufwachen.«

»Ihr könnt euch nicht verwandeln, solange ihr die Halsbänder umhabt. Und wir haben keine Waffen. Ich denke, wir sollten warten, bis wir von Bord gehen. Und dann versuchen wir gleich zu fliehen.«

Carlos kniff nachdenklich die Augen zusammen.

»Was auch immer du tust, lass dich bitte nicht schon wieder umbringen«, murmelte sie.

Er runzelte die Stirn. »Es ist nicht so, als würde mir das Spaß machen.«

Das Flugzeug blieb stehen. Caitlyn wurde nervös, weil sie befürchtete, dass Carlos und Rajiv einen halsbrecherischen Fluchtversuch wagen würden, sobald Pat mit seinen Gehilfen ankam.

Sie warteten. Und warteten.

Schließlich rollte sich Rajiv auf dem Boden zusammen und schlief ein.

»Merda«, murmelte Carlos. »Sie warten darauf, dass die Nacht hereinbricht...«

»Und die Vampire aufwachen«, beendete sie seinen Gedanken.

Die Zeit kroch nur so dahin. Caitlyn wickelte die Decke um sich selbst und Carlos und döste.

Ein plötzliches Knarren weckte sie. Carlos deutete mit dem Kopf in Richtung der Särge. Sie schauderte, als die Deckel sich langsam öffneten.

Die Vampire schwebten aus ihren Särgen und landeten im Stehen. Sie waren alle Chinesen, soweit sie das einschätzen konnte, und in bestickte rote Seidenroben gekleidet. Ihr langes schwarzes Haar war zu Zöpfen geflochten, die ihnen den Rücken hinabhingen, und ihre Fingernägel waren gelb und etwa fünfzehn Zentimeter lang.

Die Vampire drehten sich zu ihr um und zischten, wobei sie ihre scharfen gelben Fangzähne zeigten.

Caitlyn schauderte und rückte näher an Carlos heran. Sie hoffte nur, dass sie und ihre Freunde nicht als Frühstück gedacht waren.

»Wenn einer von denen versucht, dich zu beißen«, flüsterte Carlos, »breche ich ihm den Hals.«

Pat und sechs weitere Männer kamen hinab in den Frachtraum. Sawat öffnete den Käfig der Vampire und verbeugte sich, als sie einer nach dem anderen herauskamen. Auch Pat und seine Männer verbeugten sich tief. Die Vampire packten drei der Männer und vergruben ihre Zähne in deren Hals.

Caitlyn zuckte zusammen. Die Männer wehrten sich nicht. Sie ergaben sich ruhig und verbeugten sich wieder tief, nachdem die Vampire sie losgelassen hatten.

»Wir sind in San Francisco angekommen?«, fragte der größte der Vampire auf Chinesisch.

»Ja, Meister«, antwortete Pat in der gleichen Sprache. »Im Tempel ist alles bereit.«

San Francisco? Caitlyn übermittelte sofort ein Bild der Golden Gate Bridge an ihre Schwester.

»Dann wird es Zeit für uns zu gehen.« Der größte Vampir ging auf Caitlyn und ihre Freunde zu.

Pat und seine sechs Handlanger rannten zum Käfig. Einige richteten ihre Schusswaffen auf sie, während die anderen die Kette packten, die mit Carlos' silbernem Halsband verbunden war. Sie rissen daran, um Carlos zu sich zu ziehen. Er wehrte sich, aber der Ring drückte ihm gegen die Kehle und schnitt ihm die Luft ab, sodass er schließlich nachgab und sich von ihnen ziehen ließ. Caitlyn zuckte mitfühlend zusammen, als sein Hinterkopf gegen die Metallstäbe schlug.

Sobald Carlos an den Stäben festsaß, zog Sawat ihm das T-Shirt am Rücken hoch. Caitlyn keuchte auf, als Pat eine Spritze in Carlos' Rücken stieß.

Pat warf ihr einen Blick zu. »Das ist nur ein Betäubungsmittel. Wir brauchen euch alle lebendig.«

Sawat grinste. »Für den Augenblick.«

Carlos schloss flatternd die Augen und brach zusammen. Pat und seine Handlanger machten das Gleiche mit Rajiv, öffneten dann den Käfig und nahmen beiden Katzenmenschen das silberne Halsband ab. Die Vampire betraten den Käfig, und zwei von ihnen packten Rajiv und Carlos und teleportierten sich davon. Sie kamen bald zurück und nahmen die Handlanger und Pat mit.

Der dritte Vampir kam auf Caitlyn zu. Sie wich zurück, und ihr Herzschlag donnerte in ihren Ohren.

»Wenn wir die Wiederauferstehung von Meister Han feiern, will ich die Frau«, sagte er auf Chinesisch. »Ich sauge sie leer und verbrenne ihr Fleisch dann als mein Rauchopfer.«

Sie schluckte und schickte noch ein weiteres eindringliches Bild der Golden Gate Bridge an ihre Schwester. Der Vampir stürzte sich mit unfassbarer Geschwindigkeit auf sie. Bevor sie zurückweichen konnte, hatten seine langen Fingernägel sich schon um ihren Arm geschlossen. Er teleportierte sich mit ihr, und alles um sie herum wurde schwarz.

Sie stolperte bei ihrer Ankunft und fiel auf die Knie, als der Vampir sie von sich stieß. Carlos und Rajiv lagen vor ihr bewusstlos auf dem Boden.

Sie kauerte sich auf dem Boden zusammen und sah sich um. Anscheinend befanden sie sich auf einem Holzpodest am Ende eines rechteckigen Raumes. Rot lackierte Balken stützten die gewölbte Decke. Die nackten weißen Wände waren ebenfalls mit rot lackiertem Holz eingefasst. Am Ende des weiten Raumes stand ein großer Messinggong zwischen zwei schwarzen Türen, die mit Gold verziert waren. Pat stand neben dem Gong, und er trug jetzt eine schwarze Seidenrobe mit Kapuze. Die sechs Handlanger hatten sich an der Rückwand aufgereiht, jeder mit einem großen Zeremonienschwert bewaffnet.

Das musste der Tempel sein, von dem die drei Vampire gesprochen hatten. Sie entdeckte die drei auf der anderen Seite des Podests. In der Mitte stand ein Altar aus Holz, der mit goldenen Drachen besetzt war. Darauf lag der Körper eines großen Mannes, in rote goldbestickte Seide gehüllt.

Ein Schauer lief Caitlyn den Rücken hinab. Der Mann auf dem Altar musste Meister Han sein. Der Gong erklang, und sie sah in Richtung Eingang, als Pat ihn ein weiteres Mal schlug. Die Türen öffneten sich, und paarweise kamen Männer herein, die schwarze Seidenroben trugen, die Kapuzen tief hinabgezogen, um ihre Köpfe zu bedecken und ihre Gesichter zu verbergen. Zwanzig zählte sie insgesamt.

Die letzten schlossen die Türen hinter sich und stellten sich dann zu den anderen Mönchen in ihren schwarzen Roben, die fünf Reihen mit einem Durchgang in der Mitte gebildet hatten. In jeder Reihe standen vier Männer.

Pat schlug noch einmal den Gong.

»Meister Han! », riefen die Mönche im Chor, ließen sich dann auf die Knie fallen und verneigten sich tief.

Caitlyn fiel auf, dass einer der Mönche etwas langsamer als die anderen zu reagieren schien, als wüsste er nicht genau, wie das Ritual ablief. Die bewaffneten Handlanger an der Wand waren ebenfalls auf die Knie gefallen. Neben ihr fingen Carlos und Rajiv an, sich zu regen.

Pat marschierte den Mittelgang hinab und schwang ein Fass aus Messing, das eine Spur aus Rauch hinter sich herzog. Der Duft von Weihrauch erfüllte die Luft, und die Mönche fingen an zu singen.

Carlos und Rajiv setzten sich auf und sahen sich misstrauisch um. Caitlyn vermutete, dass Carlos ihre Gegner zählte und abschätzte, wie die Chancen standen, sie in der Schlacht zu schlagen. Sie wusste nicht, wie gut die zwanzig Mönche kämpfen konnten, und dann waren da noch die sechs bewaffneten Handlanger, Pat und die drei Vampire. Damit stand es dreißig gegen drei. Wirklich schlecht also.

Carlos war ein sehr guter Kämpfer und könnte wahrscheinlich sieben oder acht von ihnen ausschalten, ehe er gefangen genommen oder getötet wurde. Schon wieder. Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf und flehte ihn mit den Augen an, nicht übereilt zu handeln.

Pat trat auf das Podest und stellte sein Rauchfass auf einen Messingständer. »Wächter, seht euren Meister!« Er hob die Arme, während er auf den Altar zuschritt.

Die Mönche richteten sich auf und riefen: »Meister Han!«

»Es ist fünfundvierzig Jahre her, seit Meister Han den kriegführenden Fraktionen der drei Vampir-Lords Frieden gebracht hat«, verkündete Pat. »Es war Meister Han, der die Vampire und ihre Anhänger durch ein gemeinsames Ziel vereint hat. Durch Meister Han haben wir Macht gewonnen und neue Territorien besetzt. Durch Meister Han ist uns bewusst geworden, dass wir ganz Asien erobern können!«

Die Vampire und Mönche jubelten.

»Und dann...« Pats Stimme wurde traurig. »Dann ist das Undenkbare geschehen. Meister Han und seine Truppen haben den Sieg über ein Dorf in Tibet verkündet und verlangt, dass man ihnen die schönste Jungfrau als Gabe überreicht. Das Dorf hat das Mädchen geschickt, randvoll mit Gift, und als Meister Han von ihr getrunken hat, ist er in einen tiefen Schlaf gefallen.«

Die Mönche murmelten missbilligend.

»Wir haben unseren Meister gerächt«, fuhr Pat fort. »Wir haben das Dorf bis auf die Grundmauern niedergebrannt und alle hingerichtet, die darin gelebt haben!«

Die Mönche jubelten.

»Wir haben den Meister hierher nach San Francisco gebracht, zu Dr. Chou, der dafür bekannt ist, dass er über das größte Wissen über alte Legenden und Kräuterheilkunde verfügt. Fünf Jahre lang haben wir versucht, unseren Meister zu erwecken.« Pat deutete auf einen der Mönche. »Dr. Chou ist schon lange davon überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, unseren Meister zu erwecken.«

Der Mönch stand auf und schob seine Kapuze zurück, unter der dünnes ergrauendes Haar zum Vorschein kam. »Antike Texte berichten uns, dass ein Toter zum Leben erweckt werden kann, wenn eine Katze darüber hinwegspringt. Nicht jede Katze ist dafür geeignet. Es muss eine magische Katze mit großer Macht sein.«

»Und jetzt haben wir die mächtigsten Katzen der Welt!«, rief Pat und deutete auf Carlos und Rajiv.

Caitlyn schnaubte. Deswegen hatte man sie entführt? Damit Carlos sich verwandelte und über einen bewusstlosen Vampir sprang? Sie sah ihn an und verdrehte die Augen.

Er runzelte die Stirn und schüttelte kaum merklich den Kopf.

Und dann wurde ihr klar, warum er die Situation nicht lustig finden konnte. Wenn er über Meister Han sprang und das den Vampir nicht auf magische Weise heilte, würde man ihm dafür die Schuld geben, dass der Plan nicht funktioniert hatte. Wahrscheinlich würden sie dann alle hingerichtet. Und bei einem Kampf wären sie absolut in der Unterzahl.

Pat deutete auf Carlos. »Es wird Zeit! Du wirst dich verwandeln und über den Meister springen!«

Carlos stand langsam auf, sah sich im Raum um und schüttelte dann den Kopf. »Nein, danke.«

Die Mönche keuchten auf.

Pat zuckte zusammen. »Du wirst dich dem Meister nicht verweigern.« Er gab den sechs bewaffneten Handlangern ein Zeichen, und sie hielten mit gezogenen Schwertern auf das Podium zu.

Einer der Mönche, der, der langsamer als die anderen gewesen war, sprang plötzlich auf und raste in Vampirgeschwindigkeit auf Caitlyn zu. Seine Kapuze rutschte zurück, und sie glaubte Erkennen in Carlos' Augen aufblitzen zu sehen.

Der Vampirmönch packte sie von hinten und hielt ihr ein Messer an den Hals. Vor Angst gefror ihr förmlich das Blut in den Adern.

»Du wirst über den Meister springen«, befahl Pat Carlos. »Sonst musst du zusehen, wie deine Frau stirbt.«

Caitlyn stockte der Atem, da Carlos zögerte.

Er wechselte einen Blick mit dem Mönch, der sie gefasst hielt, und drehte sich dann schulterzuckend zu Pat um. »Mach ruhig. Ich habe sie sowieso satt.«

Sie schnaubte empört.

Pat machte große Augen. »Was?«

Carlos winkte ab. »Sie ist lausig im Bett. Sie liegt einfach nur da und lässt mich die ganze Arbeit machen.«

Caitlyn schnaubte noch einmal. Meinte er das ernst? Ihr brach das Herz, als sie sah, wie alle Mönche murmelten und mitfühlend mit den Köpfen nickten.

»Tut ihr nichts!«, rief Rajiv in seiner Sprache. Er rannte auf den Altar zu und verwandelte sich im Sprung in einen Tiger, während er über Meister Han hinwegflog.

»Nein!«, rief Carlos.

Die Mönche sprangen auf.

Rajiv landete auf der anderen Seite des Altars und verwandelte sich zurück in einen Menschen. Sein Hose hatte er anbehalten, sie war in Fetzen gerissen.

Ein vielstimmiges Keuchen breitete sich im Raum aus, als der Körper von Meister Han zu zucken begann. Die Mönche hüpften auf und ab und schrien vor Freude. Meister Han schwebte in die Luft und stand dann aufrecht auf dem Altar. Sein Gesicht war hinter einer goldenen Maske verborgen.

»Oh Mist«, murmelte der Mönch, der Caitlyn festhielt, auf Englisch. Er drückte einen Knopf an seiner Armbanduhr. »Angus, komm sofort her!«

»Was?« Caitlyn drehte den Kopf, um den Mann anzusehen.

Er zwinkerte. »J. L. Wang, stets zu Diensten.« Er reichte ihr das Messer und zog dann unter seiner Robe zwei Schwerter hervor. Eines warf er Carlos zu.

Carlos und J. L. sprangen von dem Podest und rannten auf die Handlanger zu. Caitlyn zuckte zusammen, als Schwerter klirrend aufeinandertrafen. Einige der Mönche flohen in Richtung der Türen, aber ehe sie dort ankamen, materialisierte Angus sich mit einer Gruppe Vampire vor dem Eingang. Caitlyn erkannte Emma, Phineas, Connor, Ian, Roman und zu ihrem größten Erstaunen ihren Vater.

Schreie hallten durch den Tempel, als die Männer, die sich den Vampiren stellten, schnell umgebracht wurden. Rajiv rannte zu Caitlyn und griff sich auf dem Weg den Messingständer, von dem das Rauchfass zu Boden fiel. Er stellte sich neben sie und hielt den Ständer wie eine Waffe vor sich.

Sawat machte einen Satz auf das Podest, das Gesicht vor Zorn verzerrt, und kam auf sie zu. »Ich bringe euch beide um.« Er hob das Schwert und stürmte los.

Sie warf das Messer, das J. L. ihr gegeben hatte.

Sawat schrie auf, als es sich tief in seinem Schritt vergrub.

Sie zuckte zusammen. Rajiv sah sie argwöhnisch an und wich zurück.

»Ich habe auf die Brust gezielt«, versicherte sie. »Ehrlich.«

»Meister Han!«, rief Pat. »Ihr müsst Euch in Sicherheit bringen!

»Nein!« Carlos rannte auf das Podest zu, um Meister Han aufzuhalten. J. L. folgte dicht hinter ihm.

Pat sprang vor den Altar und holte ein Messer aus seiner Robe, um seinen Meister zu beschützen. Carlos schlug mit seinem Schwert nach Pat und verwundete ihn. Dann hieb er nach Meister Han, doch der verschwand.

»Nein!« Carlos lief auf die drei Vampire zu. Einer von ihnen raste zum verwundeten Pat, packte ihn und teleportierte sich mit ihm davon.

»Nehmt mich mit!«, kreischte Sawat, die Hände auf seinen bluttriefenden Schritt gepresst. Er funkelte Caitlyn wütend an. »Das werde ich dir nie vergessen, Schlampe.« Er verschwand, da sich einer der Vampire mit ihm gemeinsam teleportierte.

Der dritte Vampir teleportierte sich mit Dr. Chou davon. Der Kampf endete, denn alle verbliebenen Mönche und Handlanger waren entweder tot oder hatten sich ergeben.

Carlos rannte zu Caitlyn. »Geht es dir gut?«

Sie verschränkte die Arme und starrte ihn zornig an. »Du hast mich satt? Ich liege einfach da, und du musst die ganze Arbeit machen?«

Er schnaubte. »Das hab ich nur gesagt, um Zeit zu schinden, Schatz. Ich wusste gleich, als ich J. L. gesehen habe, dass Hilfe unterwegs ist.«

»Du kennst ihn?«

»Sicher.« Carlos klopfte J. L. auf die Schulter. »Er arbeitet für MacKay. Ich wusste, dass er dir nichts tut.«

J. L. nickte. »Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich wusste, dass es besser ist, wenn ich dir ein Messer an die Kehle halte, als wenn einer von den anderen Typen es tut.«

»Wie habt ihr uns gefunden?«, fragte Caitlyn.

»Als deine Schwester uns erzählt hat, dass du in San Francisco bist, habe ich mich undercover in Chinatown umgesehen«, erklärte J. L. »Angus und die anderen haben sich ins Haus des ansässigen Vampirzirkels teleportiert, das sich ganz in der Nähe befindet, und dort auf meinen Anruf gewartet.«

»Und weil J. L. ein Vampir ist, hat er einen Peilsender in seinen Arm implantiert«, fuhr Carlos fort. »Ich wusste, dass Angus und die anderen kommen würden.«

Caitlyn atmete erleichtert aus. Shanna hatte ihre Bilder empfangen. »Gott sei Dank.« Sie umarmte J. L. »Danke. Ich hatte solche Angst, dass Carlos allein gegen alle kämpft und schon wieder stirbt.«

Carlos runzelte die Stirn. »Ich hatte einen Plan. Ich wollte den Messingständer greifen, auf den Altar springen und damit drohen, ihn durch Meister Hans Herz zu rammen, wenn sie nicht ihre Waffen hinlegen und dich und Rajiv gehen lassen.«

J. L. nickte. »Kein schlechter Plan.«

»Und was wäre dann passiert?«, fragte Caitlyn. »Wie hattest du vor zu entkommen?«

Carlos trat von einem Fuß auf den anderen. »So weit war ich noch nicht.«

Sie wusste nicht, ob sie schreien oder weinen sollte. Immer war ihm ihre Sicherheit wichtiger als seine eigene. »Ich liebe dich so sehr.«

Er grinste und zog sie in seine Arme.

»Dann ist es vorbei?«, fragte Rajiv in seiner Sprache.

»Ja«, antwortete Caitlyn und drehte sich ihm zu. »Wir können dich nach Hause bringen, wenn du willst. Oder wenn du interessiert bist, könntest du bestimmt bei der Firma anfangen, für die diese Leute hier arbeiten. Sie heißt MacKay Security and Investigation, und sie macht Jagd auf die Bösen.«

»Wie Meister Han?«, fragte Rajiv. »Ich würde gern für sie arbeiten.« Er ließ den Kopf hängen. »Es ist meine Schuld, dass Meister Han wieder auferstanden ist. Ich habe es nur getan, weil ich dachte, sie bringen dich um.«

Sie umarmte den jungen Wertiger. »Niemand macht dir einen Vorwurf, Rajiv. Du hast gezeigt, dass du ein sehr mutiger Krieger bist.«

»Was ist los?«, fragte Carlos.

»Ich glaube, Rajiv würde gern für Angus arbeiten«, antwortete sie.

»Ich stelle ihn vor.« J. L. bedeutete Rajiv, ihm zu folgen. Er drehte sich um und rutschte fast in der Blutlache aus, die Sawat hinterlassen hatte. »Verdammt. Der hat echt seine Eier in San Francisco gelassen.«

Carlos lachte und zog Caitlyn wieder in die Arme. »Ist wirklich alles in Ordnung?«

»Ja.« Sie legte den Kopf an seine Brust. »Aber ich könnte eine schöne lange Auszeit vertragen.«

Seine Arme schlossen sich fester um sie, aber er schwieg. Sie konnte sich denken, was ihm durch den Kopf ging. Ihre Auszeit würde nicht lange dauern. In zwei Wochen würde sie sich das erste Mal verwandeln. Und es vielleicht nicht überleben.

Sobald sie sich zurück zu Romatech teleportiert hatten, hielt Carlos bei Sean Whelan um die Hand seiner Tochter an. Anschließend, sobald seine Nase aufgehört hatte zu bluten, rief er Father Andrew an, um alles Nötige in die Wege zu leiten.

Sie heirateten in der nächsten Nacht in der Kapelle von Romatech. Roman bot an, Caitlyn zum Altar zu führen, weil ihr Vater sich geweigert hatte, zu kommen. Shanna war ihre Brautjungfer und Coco und Raquel die Blumenmädchen. Carlos bat Fernando, für ihn Trauzeuge zu sein. Constantine war Ringträger.

Es versetzte Carlos einen schmerzhaften Stich mitten ins Herz, mitanzusehen, wie Caitlyn ihre Hochzeitsnacht mit Fieber und Erbrechen verbrachte. Nachdem sie zu Romatech zurückgekehrt waren, hatte er Roman und Shanna gestanden, dass er Caitlyn gebissen hatte und fürchtete, sie in zwei Wochen zu verlieren.

Shanna, Roman und sein leitender Chemiker, Laszlo, arbeiteten die ganze Nacht an einem Mittel, das Caitlyn die Verwandlung erleichtern sollte. Das Medikament bestand aus synthetischem Blut in Caitlyns Blutgruppe, vermischt mit ein wenig Werpanther-DNA, die sie aus seinem Blut gewonnen hatten. Sie vermuteten, ihre Chancen bei der Verwandlung wären höher, wenn ihr Körper sich langsam an die Werpanther-DNA gewöhnte, statt sich plötzlich und vollkommen zu verwandeln, wenn der Mond voll war.

Shanna hatte so große Angst, dass ihre Schwester sterben könnte, darum bestand sie darauf, dass Caitlyn die erste Dosis sofort nahm, in ihrer Hochzeitsnacht. Innerhalb weniger Stunden wurde Caitlyn furchtbar krank.

In der nächsten Nacht wurde ihr eine weitere Dosis verabreicht, dieses Mal mit etwas mehr Werpanther-DNA. Wieder wurde sie krank.

Das ging eine Woche so weiter, und Carlos befürchtete das Schlimmste. Werpanther-DNA machte sie krank. Wie sollte sie da je ihre Verwandlung überleben?

Caitlyn weigerte sich, mit der Behandlung aufzuhören, weil Roman glaubte, dass der Plan funktionierte. Sie bestand darauf, positiv und hoffnungsvoll zu bleiben. Ihre optimistische Einstellung war eines der Dinge, die Carlos am meisten an ihr liebte, deshalb versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen, wie viel Angst er hatte.

Als die Vollmondnacht gekommen war, bekamen die Angestellten von Romatech frei. Nur Shanna, Roman und Connor blieben im Gebäude. Phineas und Howard verbrachten die Nacht im Haus der Draganestis bei Tino und Sofia. Carlos wusste, dass Shanna die Kinder nicht dabeihaben wollte, wenn der Albtraum wahr werden würde.

Shanna hatte versucht, die Laube im Garten von Romatech gemütlich für sie einzurichten. Sie hatte eine Matratze hineingelegt und viele Decken. Roman hatte Carlos eine Spritze mit Schmerzmitteln gegeben, falls Caitlyn sie brauchte. Als der Mond langsam aufging, umarmten Caitlyn und Shanna sich fest und mit Tränen in den Augen.

Dann führte Carlos sie schweren Herzens und voller Angst hinaus in die Laube. Er sah zurück zur Cafeteria von Romatech, in der er Shanna sehen konnte, die nervös auf und ab ging, während ihr Mann und Connor danebenstanden.

Als der Mond am Himmel höher stieg, ging Caitlyns Atem immer schwerer. Der erste Schmerz kam über sie, kaum dass sie die Laube betreten hatten.

Sie rollte sich auf der Matratze zusammen und schloss fest die Augen. Als der Schmerz verging, brachte Carlos sie dazu, sich auszuziehen. Sie zitterte, also wickelte er sie in eine der Decken und hielt sie fest.

Noch einmal traf sie der Schmerz, und sie schrie auf. Bald wiegte sie sich vor und zurück und schluchzte leise.

»Willst du das Schmerzmittel?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich stehe das durch, Carlos. Ich gebe nicht auf.«

Tränen ließen seine Sicht verschwimmen. »Du bist die mutigste Frau, die ich je getroffen habe.«

Sie schrie auf und sackte auf der Matratze zusammen. Dann erhob sie sich auf alle viere und fing an zu beben. Als Krallen aus ihren Fingerspitzen wuchsen, brüllte sie vor Schmerz. Ihre Arme fingen an zu schimmern und wurden dann schwarz. Ihre Hände verwandelten sich in Tatzen.

»Du schaffst es, Caitlyn.«

Sie schrie noch einmal, als ihre Beine brachen und sich zu Pantherbeinen formten. Dann bog sich ihr Rücken durch. Ihre Knochen knackten und verschoben sich. Ihr Schluchzen wurde zu einem Knurren.

»Mein Kopf«, flüsterte sie. »Er explodiert.«

Er hielt sie fest. Ihr Körper war jetzt schwarz und geschmeidig.

Sie schrie noch einmal. Ihr Kopf verformte sich, und ihr Schrei wurde zu einem Brüllen. Schwer atmend brach sie auf der Matratze zusammen.

»Du hast es geschafft.« Er hielt ihren Kopf in seinen Händen und blickte in ihre herrlichen türkisfarbenen Augen. »Catalina, meine wunderschöne Katze, du hast es geschafft«, wiederholte er.

Sie leckte seine Hand mit ihrer rauen Zunge.

Carlos zog sich aus und verwandelte sich ebenfalls. Sie lag immer noch auf der Matratze, doch ihr Atem hatte sich beruhigt. Er stupste sie an. Komm spielen.

Sie hob ihren Kopf. Du kannst telepathisch mit mir reden?

Ja. Diese Gabe habe ich auf der dritten Stufe bekommen. Werpanther der ersten Stufe können es normalerweise nicht, aber du hattest schon vorher übersinnliche Gaben. Er stieß sie noch einmal mit dem Kopf an. Komm schon, lauf mit mir.

Sie erhob sich auf alle viere und folgte ihm aus der Laube. Sie sah zur Cafeteria hinüber. Shanna stand am Fenster, und als sie die beiden Werpanther entdeckte, sprang sie auf und ab, jubelte und stieß ihre Faust in die Luft. Sie und Roman umarmten einander und lachten.

Carlos lachte leise und trottete dann auf den Wald zu. Deine Sinne werden schärfer sein. Du kannst im Dunkeln sehen.

Ich fühle mich stark , sagte sie. Wie ein Jäger.

Sie rannten über das ganze Gelände von Romatech. Sie lernte zu springen und ihre Krallen zu wetzen. Sie versuchte sogar ein paar Mal, Carlos anzuspringen. Als der Mond langsam wieder unterging, kehrten sie in die Laube zurück.

Die Zurückverwandlung in menschliche Gestalt war nicht mehr so schmerzhaft. Dennoch legte sie sich auf die Matratze und atmete schwer. »Mein Gott, ich bin völlig erschöpft. Ich könnte eine Woche lang schlafen.«

Carlos verwandelte sich zurück und deckte sie zu. »Du hast es geschafft, Catalina. Ich bin so stolz auf dich.«

Sie seufzte schwer. »Ich bin froh, dass es vorbei ist. Jetzt kannst du aufhören, mich immer so schuldbewusst anzuschauen. Es hat mir wehgetan zu sehen, wie sehr du leidest.«

Ihm kamen fast die Tränen. »Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben könnte. Ich liebe dich mehr, als ich sagen kann.«

Sie berührte sein Gesicht. »Ist schon gut. Wir haben es überstanden.« Sie lächelte. »Sieht so aus, als bekäme ich demnächst Kätzchen.«

Lächelnd strich er ihr das Haar aus der Stirn. »Unsere Kinder sind ganz normale Menschen, bis sie die Pubertät erreichen und sich zum ersten Mal verwandeln.« Er legte den Kopf schräg. »Das nehme ich zurück. Kein Kind von dir wäre je vollkommen normal.«

»Hey.« Sie schlug ihm auf die Schulter.

Er lachte leise. »Ich meine, deine Kinder sind wahrscheinlich wunderschön, außerordentlich klug und übersinnlich begabt.«

»Oh. Na gut, das stimmt wohl.« In ihren Augen funkelte es belustigt. »Und unsere Kinder wissen wahrscheinlich, wie sie sich aus jeder Situation mit schönen Worten herausreden.«

»Ich mag sie jetzt schon.« Er küsste ihre sommersprossige Nase.

»Ich auch.« Sie schlang die Arme um seinen Nacken. »Vielleicht sollten wir gleich damit anfangen, immerhin gehörst du zu einer gefährdeten Spezies. Das sind wir dem Artenschutz schuldig.«

»Ich liebe es, wenn du mir sexy Dinge ins Ohr flüsterst.«

Sie lachte. »Ich liebe es, wenn du schnurrst.«

Er vergrub seine Nase hinter ihrem Ohr und knurrte leise.

Sie erschauerte.

Er zog mit den Lippen einen heißen Pfad ihren Hals hinab. »Catalina, bist du sicher, dass du nicht zu erschöpft bist?«

»Ich bin vollkommen ausgelaugt. Aber ich habe mir gedacht, ich kann einfach nur daliegen und dich die ganze Arbeit machen lassen.«

Er hob seinen Kopf und sah sie betreten an. »Das vergibst du mir nie, was?«

Ihre Mundwinkel zuckten. »Wer weiß.«

»Ungezogenes Kätzchen.«

Lachend rollte sie ihn auf den Rücken und setzte sich rittlings auf ihn. Sie drückte seine Schultern nach unten, beugte sich über ihn und schnappte nach seinem Ohr. »Es wird nicht mehr gestorben, hörst du? Ich erlaube dir nicht mehr, für mich zu sterben.«

Er lachte in sich hinein. »Für dich, mein Schatz, will ich für immer leben.«


Ende - Love at Stake 09 - Der verflixte siebte Biss