20. KAPITEL

 

Caitlyn zuckte zusammen, als sie sah, wie Carlos schockiert das Gesicht verzog. »Mach dir keine Sorgen wegen...«

»Er hat was?«, unterbrach Carlos sie.

»Er... hat unsere Ehe gesegnet, aber...«

»Hast du ihm nicht gesagt, dass wir nur so tun?«

»Schsch, nicht so laut.« Sie huschte zum Eingang der Hütte und zog den Vorhang zu, der als Tür diente. »Wir sollten uns wie ein glückliches Ehepaar verhalten.«

»Wir sollten überhaupt nicht verheiratet sein. Warum hast du ihn nicht aufgehalten?«

»Dann wären wir aufgeflogen. Ich darf doch nicht zugeben, dass ich die Sprache verstehe.« Sie seufzte. »Dieser gerissene Ajay wusste genau, dass ich ihn nicht aufhalten kann. Er ist schon immer trickreich...«

»Moment.« Carlos hob eine Hand. »Caitlyn, es gibt Augenblicke, in denen man seine Tarnung aufgibt. Du weißt schon, Notfälle? Das war so einer. Du hättest das nicht zulassen dürfen.«

Autsch. »Ist es so schlimm, mich zu heiraten?«

»Du weißt, dass ich dich nicht wirklich heiraten kann.«

Sie stemmte ihre Hände in ihre Hüften. »Dann ist wohl dein Glückstag, ich glaube nämlich kaum, dass diese Zeremonie rechtlich verbindlich ist.«

»Na, Gott sei Dank.«

»Oh, ja.« Sie starrte ihn wütend an. »Ich falle fast um vor Freude.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte finster zurück.

Sie versuchte, nicht zu bemerken, wie sein Bizeps sich spannte und wie breit und stark seine Brust war. Oder wie warm und sexy seine nackte gebräunte Haut aussah. Die Dorfbewohner hatten sie zueinander passend angezogen. Seine blaue weite Hose hatte die gleiche Farbe wie ihre Seidenrobe. Die Tätowierung um seinen Hals zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der schwarzrote Panther schien sie zu beobachten. Sich ihr zu nähern.

Er deutete auf die Wand hinter ihr. »Dort hängt ein silbernes Kreuz.«

»Einige der Akha-Stämme sind zum Christentum konvertiert.« Sie sah das Kreuz an. »Wunderschöne Handarbeit, findest du nicht?«

»Bitte sag mir, dass Ajay kein Priester ist.«

»Ich... glaube nicht.« Sie wollte nicht zugeben, dass der Stamm ihn wahrscheinlich durchaus als spirituellen Führer ansah.

Carlos sah sie streng an. »Was genau hat er gesagt?«

»Das willst du gar nicht wissen.« Sie zog an den Schnüren, mit denen das Moskitonetz über der Pritsche zusammengebunden war. Es fiel hinab und umgab die weiße Baumwollpritsche mit einem durchsichtigen weißen Schleier.

»Doch«, sagte er leise.

Sie schlüpfte unter das Netz und setzte sich auf die Pritsche. »Er hat gesagt, wir sind verwandte Seelen, die auf der Erde sind, um sich zu lieben und einander zu beschützen.« Sie sah Carlos an.

Er stand immer noch am Eingang, angespannt und starr. »Ich werde dich beschützen. Mit meinem Leben.«

Das klang gut, aber den Teil mit der Liebe hatte er ignoriert. Sie zog ihre Knie an. »Er hat Gott gebeten, unsere Verbindung zu segnen, und gebetet, dass wir viele Kinder bekommen.«

Als Carlos schwieg, sagte sie schnell: »Das ist aber egal. Es war nicht amtlich. Die Hochzeit würde in den Staaten nicht anerkannt.«

Carlos' Augen leuchteten in der Dunkelheit bernsteingelb. »Ajay ist der Anführer seines Volkes, und er hat die Worte laut ausgesprochen und Gott als Zeugen berufen. Wo ich herkomme, wäre das genug.«

Ihr Herz machte einen Sprung. Carlos betrachtete sie wirklich als verheiratet? Einige Momente der Freude wandelten sich schnell in verletzten Stolz, denn es war offensichtlich, dass er nicht ihr Ehemann sein wollte. Ihre größte Angst kam zurückgekrochen und ließ ihr Selbstbewusstsein in sich zusammensinken. Nicht gut genug.

Draußen fing jemand an, eine Trommel zu schlagen. Eine weitere schloss sich an, dann noch eine. Die Dorfbewohner fingen an zu singen. Sie stöhnte und legte ihre Stirn auf den Knien ab.

Carlos setzte sich auf den Boden aus Holzdielen. »Was sagen sie?«

»Sie... wünschen dir viel Erfolg im Bett.«

Er schnaubte.

Die Trommeln schlugen lauter und schneller. Sie seufzte. Wie schön es wäre, sich im Takt dieses eindringlichen Schlages zu lieben.

Carlos bewegte sich unruhig auf dem Boden. »Wie lange dauert das?«

»Ich fürchte, sie machen weiter, bis wir...« Oh, zur Hölle damit. Peinlicher konnte es kaum noch werden. »Ich weiß, was wir tun können.«

»Was?«

»Showtime.« Sie streckte sich auf der Pritsche aus und atmete tief ein, um sich vorzubereiten.

»Was hast du vor?« Carlos rutschte ein Stück näher.

»Hier gibt es nichts zu sehen. Gehen Sie alle wieder nach Hause«, ahmte sie einen Polizisten an einem Tatort nach.

Carlos schnaubte, rutschte aber noch ein Stück näher an das Netz heran.

Ihre Hände glitten an ihrem Seidenmantel hinab, und Caitlyn stöhnte. Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen über ihre Hüften und ihren Brustkorb hinauf bis zu ihren Brüsten.

»Ahh«, keuchte sie und massierte dabei ihre Brüste, drückte sanft zu und stöhnte noch lauter.

Sie rollte sich auf den Bauch und dann wieder auf den Rücken. »Ja, ja!« Sie schlug mit den Fäusten auf die Pritsche. »Oh, Carlos!«

Sie nahm wahr, wie er scharf Atem holte. Sie stellte die Füße auf die Pritsche und presste ihre Knie zusammen. »Oh mein Gott!« Sie stöhnte laut und schnell. »Ja, ja!« Schließlich gab sie einen lang gezogenen Schrei von sich.

In der Ferne hörte sie die Dorfbewohner jubeln. Sie hob die Arme in die Luft. »Volle Punktzahl. Ziel erreicht!« Schief grinsend drehte sie sich zu Carlos um. »Okay, du bist dran.«

Er erstarrte. »Du machst Witze.«

»Wir sind in den Flitterwochen. Viel Spaß.«

»Schön.« Er stieß einen lauten Schrei aus.

Die Dorfbewohner schwiegen. In der Ferne zwitscherten Vögel.

Caitlyn lachte in sich hinein.

»Bei dir haben sie gejubelt«, murmelte er.

»Das war ja auch ein mickriger kleiner Schrei«, sagte sie. »Ich habe Männer schon wegen einer Pizza aufgeregter erlebt.«

Er knirschte mit den Zähnen. »Zweifeln sie an meinen Fälligkeiten?«

Sie kicherte. »Ich glaube nicht, dass sie noch Zweifel haben.«

»Zum Teufel damit.« Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein langes kehliges Brüllen aus, gefolgt von einigen Triumphschreien.

Die Dorfbewohner jubelten.

»Wow. Ich bin beeindruckt.« Oder auch nicht. Langsam ärgerte es sie, dass er sie schon wieder zurückwies. So hatte sie sich ihre Hochzeitsnacht nicht vorgestellt.

»Ich bin nicht gut darin, einen Orgasmus vorzutäuschen. Ich musste das noch nie.« Er musterte sie eindringlich. »Im Gegensatz zu manchen anderen Leuten.«

»Oh, das Kätzchen zeigt seine Krallen. Vielleicht war es mir nur nie wichtig...« Sie verstummte. Das wurde ihr zu persönlich. Und verdammt noch mal zu frustrierend.

»Wie lange tust du schon nur so?«, fragte er leise.

»Wer sagt, dass ich das mache? Ich kann dir verraten, meine Erfolgsrate ist erstaunlich hoch, besonders wenn ich selbst Hand anlege. Willst du zusehen?«

Er ignorierte die Frage. »Hattest du schon andere Männer?«

»Natürlich. Ganze Legionen. Ich halte seit drei Jahren den Weltrekord.«

Er schnaubte. »Das glaube ich dir nicht.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Soll schon mal vorkommen, dass ich lüge.«

»Warst du schon einmal verliebt?«

Ich bin jetzt gerade verliebt, du Vollidiot. Sie presste die Lippen aufeinander. »Warum willst du das wissen?«

Er setzte sich direkt neben das Netz. »Warst du schon einmal verliebt?«

Sie seufzte. »Ich liebe es, neue Erfahrungen zu machen. Ich liebe es zu reisen, neue Sprachen und Kulturen kennenzulernen, neue Speisen und Tänze zu versuchen. Aber was mein Herz angeht, da hört mein Sinn für das Abenteuer auf.«

»Warum? Hast du Angst, verletzt zu werden?«

»Wahrscheinlich. Als ich noch klein war, habe ich meine Schwester mehr als alles andere geliebt, und dann habe ich sie verloren. Danach habe ich Mr Foofikins geliebt und ihn verloren. Ich glaube, deshalb sammle ich so viele Schätze. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass sie mich verlassen.«

Carlos nickte. »Das verstehe ich. Ich habe jeden verloren, den ich geliebt habe.«

Mich würdest du nie verlieren. Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn liebte, doch wie könnte sie? Er würde sie nur wieder zurückweisen.

»Wer ist Mr Foofikins?«, fragte er.

»Mein Kater. Er war so schön. Ganz schwarz mit goldenen Augen. Er hatte Katzen-Leukämie, also stand unsere Beziehung von Anfang an unter keinem guten Stern.« Tränen traten ihr in die Augen. »Irgendwie wie die Sache mit uns beiden.«

»Es tut mir leid.«

Sie schwiegen. Caitlyn blinzelte, entschlossen, nicht zu weinen.

»Hattest du schon Liebhaber?«, fragte er leise.

Sie seufzte wieder. »Ich weiß nicht, ob man ihn einen Liebhaber nennen kann. Er hat gesagt, er liebt mich, aber... ich habe nie richtig... Ich habe ihn nicht geliebt. Ich glaube, ich war nur einsam.«

»Hast du bei ihm gelernt, deine Orgasmen vorzutäuschen?«

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. »Davon bist du ja geradezu besessen.«

»Deine Vorstellung war... ziemlich realistisch.«

»Oh, vielen Dank. Das lasse ich auf meinen Grabstein schreiben.«

»Ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie die Realität im Vergleich abschneidet.«

Sie schaute ihn an. Seine Gesichtszüge waren durch das weiße Moskitonetz nicht genau zu erkennen, aber sie konnte sehen, dass seine leuchtenden bernsteinfarbenen Augen auf sie gerichtet waren. Eine Welle der Sehnsucht erfasste sie. Sie würde Carlos nie etwas vormachen müssen. Sie wäre stets mit ganzem Herzen dabei - bis zu dem Moment, in dem er es brach.

»Tatsächlich«, murmelte er weiter, »bin ich sehr neugierig darauf zu sehen, wie du im wahren Leben reagierst.«

»Neugier ist der Katze Tod«, flüsterte sie.

»Das Risiko gehe ich ein.« Er hob das Netz an und schlüpfte darunter, zu ihr auf die Pritsche.

Ihre Haut fing vor Erwartung an zu kribbeln, doch ihr Herz klopfte vor Angst. »Carlos...«

»Schsch.« Er legte ihr eine Hand an die Wange. »Ich habe noch nie eine Frau so sehr gewollt wie dich.« Er küsste sie auf die Stirn, dann die Nase.

Tränen traten ihr in die Augen, als sie ihre Hände an sein Gesicht legte. Sie hatte sich von Anfang an nach ihm gesehnt, aber sie hatte nicht vor, den erbärmlichen, bedürftigen Schwächling zu geben. Wenn sie irgendetwas gelernt hatte bei der Sache, dann, dass sie stark sein musste. »Carlos, wenn du nicht vorhast, bei mir zu bleiben, dann tu es nicht.«

Fragend schaute er ihr in die Augen.

Es war seltsam, aber sie hatte sich ihm noch nie so nahe gefühlt wie jetzt, da sie ihn zurückwies.

Er strich ihr das Haar aus der Stirn. »Ich möchte dir Freude bereiten.«

»Warum? Weil ich es früher vortäuschen musste? Ich mache es nicht, nur weil du Mitleid mit mir hast.«

Er lehnte sich zurück. »Catalina, ich empfinde alles Mögliche für dich, aber kein Mitleid.«

Sie wartete ab, um zu sehen, ob er noch mehr über seine Gefühle sagen würde, doch er blieb stumm. Eine Träne lief ihr die Wange hinab.

Er neigte den Kopf. »Ich habe Mitleid, allerdings mit mir selbst, weil ich die schönste Frau der Welt gefunden habe und sie nicht haben darf.«

»Oh, Carlos.« Sie streckte die Hände nach ihm aus.

Er legte sich neben sie und nahm sie in die Arme. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter, und er wischte ihr die Tränen von der Wange.

Er war warm und wunderbar, und sie wusste, dass sie ihn von ganzem Herzen liebte. Seufzend schloss sie die Augen und schlief ein.

****

Carlos erwachte mit einem Ruck, als plötzlich Sonnenlicht in den Raum strömte. Eine Frau aus dem Dorf hatte den Vorhang aufgezogen, um die Morgensonne hineinzulassen. Nachdem sie gesehen hatte, dass Caitlyn und er noch auf der Pritsche lagen, hatte sie sich schnell abgewandt. Eine andere Frau stellte ein Tablett mit Frühstück auf den Boden, und dann gingen die beiden Frauen eilig davon.

Er stand auf, um hinauszusehen. Schwerer Nebel hing über den nahen Bergen. Er entdeckte ihre Rucksäcke unten an der Leiter, kletterte hinab und holte sie.

Ajay kam mit einem weiteren Dorfbewohner auf ihn zu, und beide grinsten ihn an.

»Ich bin Arnush«, stellte der Dorfbewohner sich vor. »Ich spreche bisschen Englisch. Ajay will wünschen euch Glück in der Ehe.«

Carlos sah Ajay schief an. Er überlegte, den Mann zu fragen, was er sich dabei gedacht hatte, ihn und Caitlyn einfach zu verheiraten, aber er konnte nicht. Sie hatte sich die ganze Nacht in seinen Armen so richtig angefühlt. »Du kannst deinem Anführer sagen, dass ich sehr dankbar bin.«

Arnush überbrachte die Nachricht und sagte dann: »Ajay möchte euch in Werkstatt sehen, nachdem ihr gegessen.«

»In Ordnung.« Carlos kletterte zurück in die Hütte. Er zog seine eigene Kleidung wieder an und weckte dann Caitlyn. Seine Frau. Seine wunderschöne Frau.

Nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte, war er nicht mehr wütend auf sie. Er war wütend auf sich selbst, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Ein Teil von ihm - ein überraschend großer Teil - wollte diese Ehe. Er liebte sie. Er sehnte sich nach ihr. Aber da war immer noch der andere Teil, der kleine schuldbeladene, der darauf bestand, dass er das Richtige tun musste. Er musste seine Art erhalten.

Während sie sich anzog, erleichterte er sich. Die Frauen des Dorfes hatten ihnen ein Frühstück aus Guaven, Bananen, Reis und heißem Tee gebracht. Nachdem sie alles verspeist hatten, gingen sie in die Werkstatt.

Ajay und Arnush waren bereits dort und tranken Tee. Ajay lächelte und sagte etwas zu Caitlyn.

Sie antwortete, legte die Hände zusammen und neigte den Kopf.

Carlos tat es ihr gleich, obwohl er keine Ahnung hatte, was gesprochen wurde. »Arnush, würdest du unseren Führer, Tanit, holen?«

»Ja, ich ihn finde.« Arnush ging eilig aus der Hütte.

Ajay bedeutete ihnen, sich auf die Bambusmatten neben ihn zu setzen. Er sprach, und Caitlyn übersetzte.

»Er sagt, ich könnte recht damit haben, dass unser Fremdenführer nicht vertrauenswürdig ist.« Caitlyn runzelte besorgt die Stirn. »Als wir letzte Nacht in den Dschungel gegangen sind, um uns zu erleichtern, ist Tanit ebenfalls vom Feuer aufgestanden. Ajay sagt, er ist in unsere Richtung gegangen.«

Carlos zuckte zusammen. »Dann könnte Tanit gesehen haben, wie ich mich verwandelt habe.«

Caitlyn nickte. »Ich fürchte, ja.«

Er erinnerte sich daran, wie Tanit seine Tätowierung bemerkt hatte. Und Caitlyn hatte ihn wegen Pats Telefongespräch gewarnt. Wenn Tanit etwas von einem Katzenmenschen erfuhr, sollte er sofort Pat anrufen, damit der den Meister informieren konnte, wer auch immer das war.

»Ich ihn finde«, verkündete Arnush, als er mit Tanit in die Werkstatt kam.

Der Fremdenführer lächelte sie zerknirscht an. »Es tut mir sehr leid. Ich habe verschlafen. Dieser Trank letzte Nacht hat mich umgehauen.«

»Ist schon gut.« Carlos winkte Tanit, sich zu ihnen zu setzen. »Ich wollte Ajay fragen, ob irgendwer im Stamm Panther in der Umgebung gesehen hat.«

»Natürlich.« Tanit setzte sich auf die Bambusmatte und stellte Ajay die Frage auf Thai.

Ajay nickte und antwortete in der gleichen Sprache.

Tanit wurde beim Zuhören blass. Carlos sah zu Caitlyn, weil er wusste, dass sie ebenfalls verstand, was Ajay sagte. Ihr Gesicht war ausdruckslos, aber sie hatte die Hände ineinander verkrampft.

»Ajay hat schon seit Monaten keinen Panther mehr gesehen«, berichtete Tanit. »Aber er sagt, es gibt im Norden eine Kreatur, die Menschen frisst.«

»Woher weiß er, dass sie Menschen frisst?«, fragte Carlos.

»Weil die Männer von dort nicht zurückkommen«, erklärte Tanit mit zitternder Stimme. »Es gab einen Mann im Dorf, der nach Norden gegangen ist, um Jagd auf ein Wildschwein zu machen, aber er ist nie zurückgekommen. Eine Woche später hat sich sein Vetter auf die Suche nach ihm gemacht, aber auch der ist verschwunden. Und jetzt geht niemand aus dem Dorf mehr nach Norden.«

Ajay sagte noch mehr, und Tanit übersetzte. »Es gibt Gerüchte, dass es sich bei dem Menschenfresser um eine riesige Katze handelt. Andere sagen, es ist eine böse Kreatur der Nacht.«

»Wir sollten das überprüfen«, sagte Carlos.

Tanit riss die Augen weit auf. »Wir können nicht in den Dschungel gehen und nach menschenfressenden Katzen suchen.«

Carlos sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Ich dachte, Sie wissen, worum es bei dieser Mission geht.«

»Schon, aber...« Tanit wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was, wenn es keine Katzenmenschen sind? Was, wenn es überhaupt keine Menschen sind, sondern nur Katzen, die Menschen fressen?«

»Wir könnten einige Tage hier verbringen«, schlug Caitlyn vor. »Die Katzen kommen vielleicht zu uns.«

Ajay sagte noch etwas.

Tanit sprang auf. »Das ist zu gefährlich. Ich... ich kann das nicht.« Er rannte aus der Werkstatt.

Ajay schnaubte und sagte etwas in der Sprache der Akha.

»Er sagt, unser Führer ist zu ängstlich«, übersetzte Caitlyn. »Dass er etwas zu verbergen hat.«

Ajay redete weiter, und sie hörte zu. Ihre Augen weiteten sich, und sie musste ein paar Mal schlucken.

»Was hat er gesagt?«, fragte Carlos.

»In den Bergen erzählt man sich eine Legende«, fing sie an. »Alle Völker flüstern diese Geschichte in der Dunkelheit, aber noch hat es niemand gewagt, die Regierung zu verständigen. Seit vierzig Jahren verschwinden hier Männer. Manche sagen, es sind die Tiger oder die Panther, aber alle sind sich einig, dass etwas Böses vor sich geht. Die Yao sagen, es ist eine übernatürliche Kreatur, die einem den Atem stiehlt und einen als seelenlosen Körper durch die Nacht wandern lässt. Sie nennen die Kreatur bei ihrem chinesischen Namen, Chiang-Shih.«

»Was heißt das?«, fragte Carlos.

Sie sah ihn besorgt an. »Das ist die chinesische Version eines Vampirs.«

Er lehnte sich zurück. »Ist das dein Ernst?«

»Die Stämme haben nichts gesagt, weil sie befürchten, dass man ihnen bei der Regierung nicht glauben würde. Und wahrscheinlich haben sie recht. Niemand glaubt, dass Vampire echt sind.«

Carlos nickte. »Aber wir wissen es besser. Wir sollten nachsehen.«

Sie zuckte zusammen. »Ich hatte befürchtet, dass du so etwas sagst. Das bedeutet eine Wanderung durch den Dschungel, was?«

»Du musst nicht mitkommen. Du kannst hierbleiben, und ich gehe mit Tanit.«

Sie verzog das Gesicht. »Ich traue ihm nicht. Ich komme mit.«

Carlos stand auf und reichte ihr eine Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. »Du bist die mutigste Frau, die ich kenne.«

Sie schnaubte. »Oder die dümmste.« Sie atmete tief durch. »Ich rede mir einfach ein, es ist ein Abenteuer. Ich liebe Abenteuer. Das ist meine Version der Geschichte, und dabei bleibe ich.«

Ajay stand auf und sagte wieder etwas. Er hob beide Hände in die Luft und legte sie ihnen dann jeweils auf eine Schulter.

»Er betet zu Gott, er möge uns beschützen«, flüsterte sie.

Carlos nickte. »Wir können es gebrauchen.«