25. KAPITEL

 

Es war schon nach Mitternacht, als es Carlos endlich gelang, Angus in Moskau zu erreichen. Der Leiter von MacKay Security and Investigation war erst zehn Minuten wach, aber er hatte den Bericht, den Phineas geschickt hatte, bereits gelesen. Sofort teleportierte er sich zu Carlos in den Turm, gemeinsam mit seinem Agenten in Moskau, Mikhail.

Während Carlos Mikhail die Hand schüttelte, fragte er sich, wie alt der russische Vampir sein mochte. Er sah aus wie ein mittelalterlicher Wikinger mit seinem weißblonden Haar, das ihm bis auf den Rücken reichte, und den stechend blauen Augen, die immer auf der Suche nach Gefahr schienen. Er schien der starke verschwiegene Typ zu sein, denn er sagte kaum ein Wort, als Angus ihm Carlos und Caitlyn vorstellte. Auf dem Rücken trug er ein Schwert, genau wie Angus, aber während Angus einen blaugrün karierten Kilt trug, hatte Mikhail sich für eine schwarze Lederhose entschieden.

Kyo aus Japan war eine Stunde früher angekommen und hatte bereits den Peilsender ausgetestet, den Carlos in der Höhle hinterlassen hatte. Er hatte sich problemlos in die Höhle und wieder zurück teleportiert. Danach hatte er sich die Zeit damit vertrieben, den Männern im Dorf zu zeigen, wie er mit seinem Samurai-Schwert umgehen konnte, und mit den jungen Frauen zu flirten.

Im Turm stellte Angus die Kühltasche, die er mitgebracht hatte, auf dem Holzboden ab. »Emma hat uns einen Vorrat an synthetischem Blut eingepackt, für den Fall, dass es uns gelingt, den Soldaten in der Höhle zu wecken.« Er nickte Caitlyn zu. »Wie geht es dir, Mädchen?«

Sie lächelte. »Gut, danke.«

»Sie macht sich ausgezeichnet«, sagte Carlos. »Ich weiß nicht, wie ich es ohne sie geschafft hätte.«

Angus nickte mit dem Anflug eines Lächelns. »Dann läuft alles gut? Ihr seid nicht in Gefahr gewesen?«

Carlos trat von einem Fuß auf den anderen. »Unser Fremdenführer, Tanit, ist in der Höhle gestorben. Auf einem Speer aufgespießt.«

»Mist«, murmelte Angus.

Mikhail zog nur eine Augenbraue hoch.

»Die Höhle war voller Fallen«, erklärte Caitlyn.

»Och.« Angus zuckte zusammen. »Ich bin froh, dass ihr beide es überlebt habt.«

Carlos trat wieder von einem Fuß auf den anderen. »Ehrlich gesagt, ich bin gestorben.«

»Schon wieder?« Angus sah ihn fassungslos an. »Lad, damit musst du aufhören.«

»Er hat es getan, um mich zu beschützen«, sagte Caitlyn zu seiner Verteidigung. »Er hat mir das Leben gerettet.«

»Na, dann ist ja gut.« Angus nahm sein Handy aus dem Sporran, der vor seinem Kilt hing. »Ich rufe Robby in Budapest an, damit er zu uns kommt. Nur für den Fall, dass wir es mit ein paar wütenden Vampiren zu tun bekommen.«

Nach ein paar Minuten kam Robby an, gemeinsam mit Zoltan Czakvar, dem Zirkelmeister von Osteuropa.

Zoltan sah Angus zornig an. »Ich habe gehört, etwas Aufregendes geht vor, und du hast mir nicht Bescheid gesagt?«

»Ja, wir können die Aufregung kaum ertragen«, murmelte Mikhail trocken.

Angus lachte und schlug Zoltan auf den Rücken. »Du bist immer willkommen, alter Freund.«

Zoltan begrüßte Mikhail und Carlos und bedachte Caitlyn mit einem Lächeln. »Guten Abend. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«

»Das ist Caitlyn.« Carlos legte einen Arm um ihre Schultern. »Meine Frau.«

Zoltan schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich komme immer zu spät.«

»Hast du gesagt deine Frau?«, fragte Angus. »Wann ist das passiert?«

Caitlyn lächelte. »Der Anführer des Stammes hat ein paar Worte gesprochen. Es ist nichts Offizielles.«

»Ist es wohl«, knurrte Carlos.

Sie sah ihn ungeduldig an. »Es ist nicht rechtlich bindend.«

»Darum kümmern wir uns, sobald wir nach Hause kommen.«

»Soll das etwa ein Antrag sein?«

»Ich dachte, das hätten wir schon hinter uns.«

»Genug!« Angus hob seine Hände. »Wir haben eine Aufgabe zu erledigen.«

Robby grinste. »Klingt wirklich so, als wären sie schon verheiratet.«

Carlos warf ihm einen genervten Blick zu. »Musst du gerade sagen, Big Red. Ich wette, du musstest Olivia um Erlaubnis bitten, ehe du hergekommen bist.«

Robby runzelte die Stirn und schwieg.

Carlos schnaubte und reichte Angus dann den Monitor des Peilsenders. »Kyo hat es bereits versucht. Es funktioniert.«

»Und wo ist Kyo?«, fragte Angus.

»Da draußen.« Mikhail zeigte auf das Dorf. »Ich hole ihn.« Der Russe verschwand und kam Sekunden später zurück, eine Hand fest um Kyos Arm gelegt.

»Was?« Kyo sah sich um und sprang zurück, als er Mikhail entdeckte. »Heiliger Strohsack! Du bist ja riesig.«

»Wir sind bereit«, verkündete Angus. »Kyo, du warst schon einmal dort, du nimmst Carlos mit. Ich nehme Caitlyn. Mikhail, bring du die Kühltasche.«

Einige Sekunden später materialisierte Carlos vor dem Eingang der Höhle. Als Erstes sah er nach, ob mit Caitlyn alles in Ordnung war. Dann zog er die Taschenlampe aus seinem Gürtel, schaltete sie an und betrat die Höhle. »Unser Führer hat den Ort hier als Tempel des Todes bezeichnet.«

»Riecht wie der Tod«, murmelte Angus.

Carlos rümpfte die Nase. Caitlyn legte sich eine Hand über den Mund und hustete. Tanit war eindeutig noch da.

In der Höhle richtete Carlos seinen Lichtstrahl auf die Überreste des buddhistischen Mönchs. »Der arme Kerl hat die erste Falle ausgelöst.«

»Wir glauben, dass er die Gebete hinterlassen hat.« Caitlyn richtete ihre Taschenlampe auf die gelben Papierstreifen, die über ihnen hingen. »Er hat versucht, das Böse in der Höhle daran zu hindern, zu entkommen.«

»Und ihr glaubt, dieses Böse ist ein chinesischer Vampir?«, fragte Angus.

»Ja«, antwortete Caitlyn. »Sie nennen ihn Chiang-Shih. Tanit hat ihn Meister Han genannt. Er hat gesagt, Han ist groß und mächtig und hat Tausende umgebracht.«

»Der Professor in Bangkok ist einer der Wächter dieses Meisters«, fügte Carlos hinzu.

»Was ist das?« Zoltan zog an den Schals, die von den Seilen an der Decke herabhingen.

»Das hat Caitlyn gemacht, um sich über den Abgrund zu schwingen«, erklärte Carlos.

»Ich hätte die Schals gerne zurück.« Caitlyn sah sie sehnsüchtig an. »Und den silbernen Panther. Das sollten Geschenke »

sein.

»Kein Problem.« Zoltan schwebte an die Decke, um die Schals zu befreien.

Carlos zeigte den anderen Vampiren die Grube mit den Eisenspeeren. »Das war die zweite Falle.«

Angus runzelte beim Anblick des toten Tanit die Stirn. »Wir sollten ihn ordentlich begraben.«

»Wir haben keine Schaufel mitgebracht«, murmelte Robby.

»Wir könnten ihn im riesigen Grabsaal bei den anderen Leichen lassen«, schlug Caitlyn vor, während sie die Schals zusammenfaltete, die Zoltan für sie befreit hatte. »Er war ein Sklave von Meister Han, es wäre also nur passend für ihn, in dessen Tempel des Todes seine letzte Ruhe zu finden.«

Angus nickte. »Leuchtet ein. Wer will ihn aus der Schlucht raufholen?« Er sah Robby eindringlich an.

»Och, überlass mir ruhig die Drecksarbeit. Schönen Dank auch.« Robby spähte in den Abgrund. »Die Speere liegen etwa einen Meter auseinander. Ich sollte es schaffen, dazwischen zu schweben.«

»Du wirst es merken, wenn nicht«, murmelte Mikhail.

Carlos fragte sich, ob der Russe scherzte. Es war schwer zu sagen bei seinem stoischen steinharten Gesichtsausdruck.

»Ich helfe dir«, bot Zoltan an.

Während Robby und Zoltan sich langsam in den Abgrund sinken ließen, teleportierten die anderen Vampire sich mit Carlos und Caitlyn auf die andere Seite.

Carlos sah bedauernd auf den blutbefleckten Steinboden, wo er gestorben war. »Hier entlang.« Er führte Caitlyn und die Vampire durch die schmale Öffnung in den großen Begräbnissaal. Dort zündete er die Fackeln an, und alle zweihundert Tonfiguren wurden sichtbar.

»Heiliger Strohsack!«, rief Kyo.

»Hol’s der Teufel«, flüsterte Angus.

Mikhail hob eine Augenbraue.

»Ich glaube, wir sind allein, aber nur für alle Fälle...« Angus ergriff sein Schwert.

Mikhail und Kyo zogen ebenfalls ihre Schwerter.

Caitlyn führte sie die Stufen hinab in den unteren Teil des Raumes. »Zuerst dachte ich, das wären Symbole für eine tote Armee, aber Carlos hat ein paar der Figuren geöffnet, und wir haben Skelette darin gefunden.«

»Was wir nicht verstehen, ist, warum ein Vampir sich so viel Mühe macht, ein paar Leichen zu konservieren«, fügte Carlos hinzu, während sie die Höhle durchquerten. »Aber als wir den Soldaten im Vampirkoma gefunden haben, wurde uns klar, dass Meister Han versucht haben muss, sie alle in ein Vampirkoma zu versetzen.«

Angus sah sich mit gerunzelter Stirn um. »Wenn das stimmt, gibt es vielleicht noch weitere Überlebende.«

»Wir müssen alle überprüfen«, schloss Mikhail. Er reichte die Kühltasche an Angus weiter und fing an, eine Tonfigur nach der anderen mit dem Griff seines Schwertes aufzuschlagen, um zu sehen, ob sich wirklich nur ein Skelett darin befand.

»Ich helfe dir.« Kyo fing an einer anderen Reihe an.

In Vampirgeschwindigkeit arbeiteten die beiden die Reihen nacheinander ab.

Caitlyn schauderte. »Ich stelle mir die ganze Zeit vor, wie es wäre, wenn sie alle plötzlich aufstünden und auf mich zukämen.«

Carlos legte ihr einen Arm um die Schulter. »Sie können dir nichts tun.«

Angus schüttelte den Kopf. »Wenn Meister Han Erfolg gehabt hätte, wäre es ihm gelungen, all diese Männer zur gleichen Zeit zu verwandeln. Er hätte damit sofort eine Armee aus Vampiren zur Verfügung.«

Robby und Zoltan betraten die große Höhle. Sie trugen Tanits Leiche zwischen sich und legten ihn an den Rand einer Reihe Tonfiguren.

»Dieser Ort ist unglaublich.« Robby ging mit schwingendem Kilt auf sie zu.

»Aye, aber wir können von Glück sagen, dass Meister Han keinen Erfolg hatte«, sagte Angus.

»Wie könnt ihr euch da sicher sein?«, rief Mikhail vom anderen Ende der Höhle, nachdem er die letzte der Figuren aufgeschlagen hatte. »Es könnte noch weitere Höhlen wie diese geben.«

Das brachte sie alle zum Nachdenken.

»Tanit hat gesagt, dass Meister Han Tausende umgebracht hat«, flüsterte Caitlyn. »Hier sind nur etwa zweihundert.«

»Kyo, ich will, dass du und dein Team in Tokyo diesen Meister Han unter die Lupe nehmt«, befahl Angus.

»Hai!« Kyo zerschlug die letzte Tonfigur mit seinem Samurai-Schwert. »Diese Typen sind alle tot.«

»Gut.« Angus drehte sich zu Carlos um. »Zeig uns diesen Soldaten.«

»Hier entlang.« Carlos führte sie einige Stufen hinauf in den nächsten Raum.

Da keine Feinde in Sicht waren, steckten die Vampire ihre Waffen ein. Angus stellte die Kühltasche auf den Boden.

Carlos ging an den ersten zwei Altären vorbei, auf denen die Lehmfiguren nur Skelette enthielten. Der dritte Altar war noch genau so, wie sie ihn zurückgelassen hatten. Major Russell Ryan Hankelburg lag dort in seiner grünen Uniform.

Kyo sah ihn zweifelnd an. »Sieht tot aus.«

»Er ist nicht tot«, sagte Mikhail. »Er ist nicht verwest.«

»Seine Muskeln sind nicht erstarrt«, fügte Caitlyn hinzu. »Als wäre er in der Zeit eingefroren.«

Angus legte eine Hand auf die Brust des Majors und hob dann dessen Lider, um seine Augen zu untersuchen. »Aye, er liegt in einem Vampirkoma.«

»Wie lange schon?«, fragte Robby.

»Wir schätzen etwa vierzig Jahre«, antwortete Carlos.

Zoltan schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie gehört, dass ein Mensch so lange aushalten kann.«

»Aye.« Angus zog seinen Highland-Dolch aus seinem Kniestrumpf. »Aber er wird die Nacht nicht überleben, falls sein Körper die Verwandlung abstößt.«

»Er ist stark«, sagte Mikhail. »Er wird kämpfen.«

»Wir werden sehen.« Angus schnitt sich in den Unterarm. Als Blut aus der Wunde quoll, hielt er sie an die Lippen des Majors.

Nichts geschah.

Angus zog dem Major die Mütze vom Kopf und klopfte ihm gegen die Schläfe. »Komm schon, Lad.«

Mikhail schüttelte die Beine des Majors.

»Er muss so weit in die Dunkelheit gesunken sein«, sagte Zoltan, »dass er nicht mehr weiß, wo oben ist.«

Angus strich etwas Blut auf den Mund und die Nase des Majors. »Wach auf, Lad.« Er sah Caitlyn an. »Vielleicht reagiert er besser auf eine weibliche Stimme.«

»Okay.« Sie beugte sich vor und legte ihm eine Hand auf die Stirn. »Russell, hörst du mich? Russell, komm zurück. Komm nach Hause.«

Der Körper des Majors bäumte sich auf. Er öffnete keuchend den Mund.

»So ist es gut.« Angus tropfte ihm etwas Blut in den Mund.

Der Major hustete.

»Du musst trinken.« Angus ließ mehr Blut in den Mund des Majors laufen.

Der Major schluckte, und sein Körper fing an zu zittern. Er packte Angus am Arm und trank aus der Wunde.

»Kommt es so zur Verwandlung?«, fragte Caitlyn. »Er muss das Blut eines Vampirs trinken?«

»Aye«, antwortete Angus. »Erst muss ein Vampir ihn vollkommen leersaugen. Alles sterbliche Blut muss verschwunden sein, damit er in ein Vampirkoma fällt. Normalerweise dauert so ein Koma nicht länger als eine Nacht.«

Der Major ließ Angus' Arm los und öffnete die Augen. Sein Blick wanderte von Angus zu Caitlyn, und er sah verwirrt aus.

Dann sah er nach oben zur Höhlendecke und riss die Augen vor Schreck weit auf.

»Russell Ryan Hankelburg«, sagte er heiser. »Major, United States Marine Corps. Identifikationsnummer Fünf Sieben...«

»Lad, du bist kein Gefangener«, sagte Angus zu ihm.

»Wir haben dich in dieser Höhle gefunden.« Caitlyn lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. »Du bist jetzt in Sicherheit. Du bist unter Freunden.«

Der Major hob den Kopf und betrachtete die vielen Umstehenden. Sein Blick landete auf Kyo, und er keuchte auf. »Charlie!« Er versuchte, sich aufzusetzen.

»Was?«, schnaufte Kyo beleidigt.

Russell suchte seine Uniform vergeblich nach Waffen ab.

»Sehe ich vielleicht nach Vietkong aus?«, rief Kyo. »Ich bin kein verdammter Kommunist! Ich bin Japaner! Ich stamme von edlen Ninja-Kriegern ab!«

»Beruhige dich, Kyo«, murmelte Angus.

Robby lachte leise. »Ja, du solltest deinen Ärger nicht so in dich hineinfressen. Lass ruhig alles raus.«

Russell sah sie alle misstrauisch an. Plötzlich zuckte er zusammen und rieb sich den Magen.

»Das ist nur der Hunger, den du fühlst«, sagte Angus. Er deutete auf die Kühltasche, und Mikhail zog eine Flasche synthetisches Blut heraus.

»Wo bin ich?«, fragte Russell.

»In einer Höhle in Thailand«, erklärte Carlos. »An was erinnerst du dich als Letztes?«

»Ich war auf Urlaub in Phuket. Ich bin in eine Bar, und...« Russell verzog das Gesicht und presste eine Hand auf den Bauch. »An mehr erinnere ich mich nicht.«

»Wahrscheinlich hat dort ein Vampir die Kontrolle über dich übernommen«, sagte Angus. »Dann hat er dich hierher gebracht, um von dir zu trinken.«

»Was?« Russell sah ihn fassungslos an.

»Welches Jahr haben wir?«, fragte Zoltan.

»Neunzehnhunderteinundsiebzig.« Russell kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Warum fragst du?«

»Lad, ich weiß nicht, wie ich es dir beibringen soll«, sagte Angus. »Du hast neununddreißig Jahre im Koma gelegen.«

Russell zuckte zusammen. »Neununddreißig?«

»Aye.« Angus nickte. »Du wirst feststellen, dass sich die Welt sehr stark verändert hat.«

Russell sah ihn und Robby schief an. »Männer tragen jetzt Röcke?«

Die Schotten erstarrten, und alle anderen fingen an zu kichern.

»Das ist ein Kilt«, erklärte Robby.

»Aye«, fügte Angus hinzu. »Das ist eine ordentliche männliche Tradition unter Schotten.«

»Sicher.« Russell wand sich an Caitlyn und grinste. »Und wie heißt du?«

»Das ist meine Frau«, knurrte Carlos.

Angus lachte in sich hinein. »Und manches hat sich überhaupt nicht verändert.«

»Hört zu, wer auch immer ihr Typen seid... Au!« Russell krümmte sich zusammen und hielt sich den Bauch. »Verdammt.«

»Das ist der Hunger.« Angus nahm eine Flasche synthetisches Blut von Mikhail und bot sie Russell an. »Hier. Trink das.«

Russell hielt sich die Flasche unter die Nase. »Blut?« Angeekelt warf er die Flasche von sich, und sie zersprang an der Steinwand.

»Lad, du brauchst Blut.« Angus streckte Mikhail die Hand entgegen, damit der ihm eine weitere Flasche reichte.

»Ihr seid wahnsinnig!«, brüllte Russell. »Ich trinke kein...

Ah!« Er schlug sich die Hand auf den Mund.

»Das sind die Fangzähne«, erklärte Angus ihm.

Rüssel riss entsetzt die Augen auf.

»Ich weiß, das ist schwer zu glauben«, sagte Angus sanft. »Du wurdest vor neununddreißig Jahren von einem Vampir gebissen. Er hat dich in ein Koma versetzt und hier zurückgelassen. Wir haben dich wiederbelebt, aber dein Leben wird von jetzt an anders sein. Du hast außergewöhnlich viel Kraft und Schnelligkeit. Deine Sinne sind besonders scharf. Selbst jetzt kannst du in dieser dunklen Höhle sehr gut sehen, nicht wahr?«

Russell nickte, eine Hand immer noch auf seinem Mund.

»Du kannst unsere Herzen schlagen hören«, fuhr Angus fort. »Du kannst das Blut da drüben an der Wand riechen. Und es riecht gut, nicht wahr?«

Russell nickte. Langsam öffnete er den Mund und befühlte seine verlängerten Fangzähne. »Das ist wirklich wahr?«

»Aye. Du bist ein Vampir.« Angus reichte ihm noch eine Flasche Blut. »Der Schmerz in deinem Bauch wird verschwinden, wenn du das hier trinkst.«

Russell nahm die Flasche und sah sie misstrauisch an. »Ein Vampir? Ich habe gedacht, die gibt es nur in Geschichten.« Er zuckte zusammen und rieb sich den Bauch. »Sind Vampire nicht böse?«

»Fühlst du dich böse?«, fragte Robby.

Russell schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich so wie vorher.«

»Ganz genau.« Angus klopfte ihm auf die Schulter. »Der Tod kann deine wahre Natur nicht ändern. Jetzt trink.«

Russell nippte an der Flasche und verzog das Gesicht. »Das ist kalt.«

»Siehst du hier irgendwo eine Mikrowelle?«, fragte Zoltan trocken.

»Eine was?« Russell nahm noch einen Schluck.

Zoltan lachte. »Warum kommst du nicht eine Weile mit zu mir? Robby und ich können dir zeigen, wie man ein ordentlicher Vampir ist.«

»Ihr seid auch alle Vampire?« Russell trank noch mehr Blut.

»Aye«, sagte Robby. »Wir sind die guten Vampire.«

»Cool.« Russell trank noch mehr Blut. »Das schmeckt wirklich gut.« Er leerte die Flasche.

Angus stellte alle vor, und danach teleportierten sich Zoltan und Robby zurück nach Budapest und nahmen den neuen Vampir mit.

»Ich gehe jetzt zurück nach Tokyo.« Kyo verbeugte sich. »Und ich werde anfangen, über Meister Han Nachforschungen anzustellen.« Er teleportierte sich davon.

Angus sprach mit Carlos. »Und was ist mit euch beiden? Wollt ihr mit nach Moskau kommen?«

»Wir müssen zurück ins Dorf«, sagte Carlos. »Unser Gepäck ist noch dort, und unser Führer hat seinen Wagen in der Nähe stehen lassen. Wir brechen morgen früh auf in die Gegend östlich von Chiang Mai. Wir haben gehört, an der Grenze zu Laos gibt es noch mehr Panther.«

»In Ordnung«, sagte Angus. »Haltet mich auf dem Laufenden.« Er und Mikhail teleportierten sie zurück ins Dorf der Akha, dann kehrten sie zurück nach Moskau.

Am nächsten Morgen verabschiedeten Carlos und Caitlyn sich von allen Bewohnern des Dorfes und wanderten dann zurück zur Hauptstraße, an der Tanit den Mietwagen abgestellt hatte. Ein paar Mal hörte Carlos, wie im Dschungel ein Zweig knackte. Er nahm an, einer der Tiger war gekommen, um sich von ihnen zu verabschieden.

Sie erreichten die Hauptstraße, und er stellte seinen Rucksack auf dem Kofferraum ab, damit er den Zweitschlüssel suchen konnte.

Caitlyn lehnte sich gegen den Wagen und seufzte. »Ich freue mich so sehr auf ein echtes Hotelzimmer mit einer echten Toilette und einer echten Badewanne.«

Carlos richtete sich plötzlich auf und witterte. Es waren Sterbliche in der Nähe. Er blickte über die Straße in den Dschungel hinein und sah, wie sich das Sonnenlicht auf einem Gewehrlauf spiegelte. Er überlegte sich, Caitlyn die Schlüssel zu reichen und sie zu drängen, davonzufahren, aber was, wenn jemand den Wagen manipuliert hatte?

»Catalina«, flüsterte er, »geh zurück zum Pfad und renn ins Dorf.«

Sie riss die Augen auf. »Warum?«

»Wir sind in eine Falle geraten.«