18. KAPITEL

 

Carlos warf einen Blick auf den Gang. Die ältere Frau, die auf der anderen Seite saß, hatte ein Schlafmittel genommen und war dabei, einzunicken. Alle hatten die Fenster verdunkelt, und in der ganzen Kabine der ersten Klasse war es ruhig und dunkel. Das einzige Geräusch war das Summen der Motoren. Auch wenn das Flugzeug voll besetzt war, fühlte er sich mit Caitlyn merkwürdig allein. Noch merkwürdiger war, wie zufrieden er sich dabei fühlte.

Zum ersten Mal seit fünf Jahren gab es jemanden, der ihn auf seine Expedition begleitete, jemanden, der die Unbequemlichkeiten und die Gefahr mit ihm teilte. So oft schon hatte er sich allein mit seinem Dilemma herumgeschlagen. Er war wirklich dankbar, dass Caitlyn bei ihm war, auch wenn er nicht vorhatte, ihr das zu verraten. Nachdem er jahrelang von schrecklichen Erinnerungen heimgesucht worden war, freute er sich darauf, ihr strahlendes und fröhliches Gesicht jeden Tag zu sehen. Ihre optimistische und mutige Einstellung linderte seinen Schmerz und gab ihm Hoffnung.

Er nahm an, sie würde ihn über den Sommer des Todes ausfragen. Es war ein Thema, das er immer vermied, aber in ihrem Fall wäre es wohl gut, wenn sie begriff, was für Verluste sein Volk erlitten hatte. Wenn sie wusste, wie wichtig es für ihn war, die passende Partnerin zu finden, fiel es ihr vielleicht leichter, ihn zu vergessen.

»Wie bist du aufgewachsen?«, flüsterte sie auf Englisch.

Er antwortete auf Portugiesisch, damit ihn niemand, der in der Nähe saß und zufällig noch wach war, verstehen konnte. »Wir haben schon immer ein Doppelleben geführt. Die Sommermonate haben wir im Dorf unseres Stammes verbracht. Das waren unbeschwerte Tage, in denen wir durch den Dschungel streifen und einfach wir selbst sein konnten. Im Winter haben wir in der Stadt gelebt, sind aber in Vollmondnächten in unser Dorf zurückgekehrt.«

»Und da habt ihr euch dann...«

»Verwandelt, ja. Das geschieht allerdings erst, wenn man die Pubertät erreicht.«

»Raquel und Coco haben es also noch nicht getan.«

»Nein.« Er merkte, dass sie sich bemühte, auf Englisch nicht zu viel preiszugeben. »Teresa und Tiago auch noch nicht. Nur Emiliano.«

Sie nickte. »Wo habt ihr im Winter gelebt?«

»Rio. Mein Vater war dort Redakteur bei einer Zeitung.«

»Du machst Witze.«

»Nein. Er hat seinen Job geliebt, und außerdem konnte er so verhindern, dass Gerüchte über unser Volk in Druck gingen.«

»Ah. Clever.«

Eine Welle der Trauer übermannte ihn. »Ja. Er war ein kluger Mann. Ein wunderbarer Vater und der Anführer unseres Stammes.«

Sie legte ihre Hand auf seine. »Du hast ihn verloren.«

»Er wurde ermordet, als man unseren Stamm vor fünf Jahren angegriffen hat. Ich nenne es den Sommer des Todes.«

»Es tut mir so leid. Raquel und Coco haben kurz davon gesprochen. Es tut ihnen immer noch so furchtbar weh.«

Carlos nickte. Er gab nur ungern zu, wie schlecht er darin war, die Kinder zu trösten. Er wusste nicht, wie er ihnen Frieden schenken sollte, wenn er selbst keinen fand.

»Du nennst es einen Sommer«, flüsterte Caitlyn. »Dauerte es länger als einen Tag?«

»Ja.« Ihre Hand lag immer noch auf seiner, und es fühlte sich so gut an, dass er seine Finger mit ihren verschränkte. »Im Dschungel gab es zwei Stämme, die etwa zwanzig Meilen voneinander entfernt wohnten. Mein Bruder und ich waren gerade mit unserem Jeep auf dem Weg von einem Stamm zum anderen.«

»Du hast einen Bruder?«

»Hatte.«

Sie keuchte entsetzt auf. »Oh nein.«

»Erico und ich wollten unseren Vetter besuchen. Wir hatten seine Hochzeit ein paar Wochen zuvor verpasst, weil wir da gerade unsere Examensprüfungen auf dem College abgelegt haben. In der Ferne hörten wir Schreie. Schreckliche Schreie. Und dann bemerkten wir den Rauch und den schrecklichen Gestank. Wir haben den Jeep angehalten, unsere Messer gezogen und uns von hinten dem Dorf genähert.«

»Der Angriff hatte begonnen«, flüsterte sie.

Er schloss kurz die Augen, als die Erinnerungen wieder in ihm aufstiegen. »Sie hatten Maschinengewehre. Wer versucht hat, in den Dschungel zu fliehen, wurde niedergemäht. Andere versteckten sich in ihren Hütten, aber diese Bastarde sind von Haus zu Haus gegangen. Man konnte die Schüsse und die Schreie hören.«

Caitlyn drückte seine Hand. »Was hast du getan?«

»Erico und ich haben uns von hinten in die nächstgelegene Hütte geschlichen. Wir haben Teresa und Tiago gefunden und sie zum Jeep gebracht. Dann sind wir zurückgegangen...« Und sie hatten gesehen, wie die Schläger einen kleinen Jungen aus seinem Versteck in einem Kanu gezerrt hatten. Carlos warf sein Messer und tötete den Schläger damit, aber als er versuchte, den kleinen Jungen zu retten, gerieten sie in einen Kugelhagel. Der Junge starb. Irgendwie gelang es Carlos, zurück in den Dschungel zu fliehen, ehe er zusammenbrach.

Das war sein erster Tod gewesen. Erico hatte ihn zurück zum Jeep getragen und ihn und die Kinder nach Hause gefahren. Ein paar Stunden später war er in seinem zweiten Leben aufgewacht.

»Du bist noch einmal zurückgegangen?«, fragte Caitlyn. »Was ist dann passiert?«

Er zögerte. Wollte er ihr wirklich sagen, dass er gestorben war? Zweimal? Dadurch hatte er zwar zusätzliche Kräfte bekommen, aber das war ihm nie wie eine große Leistung vorgekommen. Eher im Gegenteil, er hatte kolossal versagt. Würde sie mit ihm in den Dschungel gehen wollen, wenn sie glaubte, dass er sie nicht beschützen konnte? Verdammt noch mal, er hatte sich ja nicht einmal selbst beschützen können. Zweimal.

Er räusperte sich. »Wir sind zurückgegangen. Sie waren alle tot. Ihre Leichen hatte man ins Feuer geworfen und das ganze Dorf niedergebrannt.«

»Warum hat jemand etwas so Schreckliches getan?«

Carlos zuckte mit den Schultern. »Wut. Hass. Gier. Der Mann, der hinter allem steckte, wollte Rache. Und hinterher hat er versucht, das Land zu kaufen.«

»Ist er zur Rechenschaft gezogen worden?«

Carlos schüttelte den Kopf. »Mein Bruder und ich haben ihn angezeigt. Er meinte wohl, die beste Methode, nicht verurteilt zu werden, war, die Zeugen umzubringen.«

»Also hat er den Stamm deines Vaters auch angreifen lassen?«

Carlos legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Erico und er hatten sich Sorgen wegen eines Vergeltungsschlages gemacht, aber ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie zur Polizei gingen. Er hatte auch die Männer in seinem Dorf bewaffnet und auf einen möglichen Angriff vorbereitet. Trotzdem nagte es an ihm. »Mein Volk könnte noch am Leben sein, wenn ich ihn nicht angezeigt hätte.«

Caitlyn beugte sich nah zu ihm und sprach zum ersten Mal auf Portugiesisch. »Wage es nicht, dir selbst die Schuld daran zu geben. Du hast das Richtige getan. Dein Vater sieht das sicher auch so.«

»Das hat er.« Carlos öffnete die Augen und empfand es als Segen, Caitlyn so nah bei sich zu haben und aus ihren herrlichen türkisfarbenen Augen mit so viel Mitleid angesehen zu werden.

»Ich habe das Gefühl, dieses Monster, das den ersten Stamm hat ermorden lassen, hätte auf jeden Fall auch deinen Stamm angegriffen«, fuhr sie fort. »Er wollte deine gesamte Spezies vernichten.«

Carlos nickte. »Das sagt Fernando auch.«

»Wie passt er in die Geschichte?«

»Erico hat ihn auf dem College kennengelernt, und sie sind sich sehr nahe gewesen. Nach dem ersten Massaker haben Erico und ich Tiago und Teresa nach Rio gebracht, wo sich Fernandos Eltern um sie gekümmert haben. Fernando wollte unserem Volk helfen, deshalb ist er mit uns gekommen, als wir zu unserem Stamm zurückgekehrt sind.«

»Und da seid ihr angegriffen worden?«

»Ja.« Carlos seufzte. »Die Mörder haben in der Nacht angegriffen und die beiden Wachen umgebracht, ehe sie Alarm schlagen konnten. Und dann hat das Massaker begonnen.«

Caitlyn schauderte.

»Erico hat Fernando überredet, den Jeep in den Dschungel zu fahren und dort zu verstecken. Mein Volk hat versucht zu kämpfen, aber sie konnten nur ein oder zwei Schüsse abfeuern, ehe die Maschinengewehre sie niedermetzelten. Ich habe meine Eltern sterben sehen.«

Caitlyn verzog das Gesicht. »Das tut mir so leid.«

»Die Bastarde haben ein riesiges Feuer gelegt, um die Leichen zu verbrennen. Während sie damit beschäftigt waren, haben Erico und ich uns von Hütte zu Hütte geschlichen, um nach Überlebenden zu suchen. Wir haben Coco, Raquel und Emiliano gefunden und zum Jeep gebracht. Dann sind wir zurückgegangen, um nach weiteren Überlebenden zu suchen. Und wurden beide angeschossen.«

»Oh, nein.«

»Erico war schwerer verwundet als ich. Ich konnte ihn ein Stück in den Wald hineinzerren, ehe ich das Bewusstsein verloren habe. Was danach passiert ist, weiß ich nicht genau. Irgendwann muss Fernando uns gefunden haben. Er hat mich bis zum Jeep getragen und ist dann zu Erico zurückgerannt.« Carlos drückte Caitlyns Hand, als ihm Tränen in den Augen brannten. »Erico war nicht mehr da. Sie hatten ihn gefunden und ins Feuer geworfen.«

Caitlyn legte ihm eine Hand auf die Brust. »Es tut mir so leid.« Eine Träne rollte ihre Wange hinab.

»Fernando hat mich und die Kinder zu seinen Eltern nach Rio gebracht.« Carlos erzählte ihr nicht, dass er ein zweites Mal gestorben war. »Nachdem ich mich erholt hatte, versuchte ich, die Geschehnisse zu verarbeiten. Ich habe das Land unseres Stammes an eine Ölfirma verpachtet, die dort bohren wollte, und das Geld benutzt, um ein Haus in Rio zu kaufen, damit die Kinder ein Zuhause hatten. Als Fernando angeboten hat, mit mir gemeinsam die Vormundschaft zu übernehmen, war ich sehr dankbar für seine Hilfe.«

»Das war sehr lieb und großzügig von ihm.«

»Er hielt es für den besten Weg, Ericos Andenken zu ehren. Er hat Erico so sehr geliebt.« Carlos blinzelte seine Tränen fort. »Wir haben mit den Kindern zusammen in Rio gelebt. Die Leute haben geglaubt, Erico und ich wären ein Paar. Das waren wir wohl irgendwie auch, nur nicht in sexueller Hinsicht. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn die ersten Monate überstanden hätte. Er war für mich und die Kinder ein Fels in der Brandung.«

»Du hattest Glück, ihn zu haben.«

»Ja. Aber ich habe lange gebraucht, um zu merken, wie schwer es für ihn war. Erico war mein Zwilling.«

Caitlyn holte scharf Luft. »Eineiig?«

»Ja. Und jeden Tag musste Fernando mein Gesicht sehen. Meine Gegenwart muss für ihn die reinste Folter gewesen sein. Ich habe ihn oft dabei erwischt, wie er mich mit so viel Liebe und Schmerz angesehen hat... Ich wusste, ich muss gehen.«

»Das ist so traurig.« Eine Träne lief ihr die Wange hinab.

Carlos wischte sie fort. Er hatte Schwierigkeiten, seine eigenen Tränen zurückzuhalten. »Ich hatte immer diese schreckliche Angst, dass Fernando uns vielleicht verwechselt hat, als er mich gerettet hat. Und dass er erst, als ich das Bewusstsein wiedererlangt habe, gemerkt hat, dass er den falschen Zwilling gerettet hat.«

»Oh, Carlos.« Caitlyn legte ihre Hände an sein Gesicht. Eine Träne lief seine Wange hinab, und sie wischte sie mit ihrem Daumen fort.

»Ich habe das noch nie jemandem erzählt«, flüsterte er. »Fünf Jahre lang hatte ich Angst, dass Fernando es bereut, mich gerettet zu haben. Jetzt bleibt ihm nur noch der Bruder, der ihn nicht lieben kann.«

»Sag das nicht. Er ist doch wegen deines Bruders zurückgegangen, oder? Er hatte die ganze Zeit vor, euch beide zu retten. Er hat nie eine Wahl zwischen euch getroffen. Die Wahl wurde ihm genommen.«

Carlos kniff die Augen fest zu. »Ich vermisse meinen Bruder so sehr. Und ich weiß, dass die Kinder leiden, aber ich weiß nicht, was ich zu ihnen sagen soll.«

Sie ließ ihre Hände sinken. »Du machst deine Sache gut.«

Er öffnete die Augen. »Verstehst du, warum ich eine Mutter für sie finden muss?«

»Ja.«

Er berührte ihre Wange. »Es tut mir leid, dass du es nicht sein kannst.«

»Mir auch.«

Mit einem Seufzen zog er seine Hand zurück. »Manchmal tut es weh, das Richtige zu tun.«

Sie nickte. »Es hat dir wehgetan, mir alles zu erzählen, aber ich bin froh, dass du es getan hast. Danke.«

Er lehnte sich in seinen Sitz zurück. Sie hatte seine Aussage missverstanden. Was ihm am meisten wehtat, war, sie zurückzuweisen. Wenn er nur... aber es brachte nichts, der Wahrheit aus dem Weg zu gehen. Er konnte sie nicht haben.

»Wir sollten uns ausruhen.« Er schloss die Augen und lauschte den raschelnden Geräuschen, als sie es sich unter einer Flanelldecke bequem machte. Schließlich hörte er, wie ihr Atem in langen gleichmäßigen Zügen ging.

Er öffnete die Augen, um sie anzusehen, während sie schlief. Auf ihren weichen Wangen glänzten noch die Tränen, die sie für ihn und seine Familie vergossen hatte. Seine Brust verengte sich. Ihre Entschlossenheit, ihm und den Kindern zu helfen, raubte ihm den Atem. Er war fassungslos, wie schnell und gründlich sie jemandem ihr Herz schenken konnte. Sie war schön, klug, treu und mutig.

Vorsichtig neigte er ihren Kopf, bis sie an seine Schulter gelehnt weiterschlief. Ihr Duft erfüllte ihn mit Trost und Frieden. Während er selbst einschlief, wurde ihm klar, dass er sehr viel mehr für Caitlyn empfand als nur Begehren und Lust.

Er liebte sie.

Caitlyn gähnte noch einmal, während sie über den Campus der Universität von Chulalongkorn gingen. Auch wenn sie während des langen Fluges ein wenig geschlafen hatte, war sie trotzdem erschöpft.

»Du musst nicht mitkommen«, sagte Carlos. »Der Professor spricht Englisch, ich brauche also keinen Dolmetscher. Du könntest zurück ins Hotel gehen und schlafen.«

»Ist schon in Ordnung. Der Spaziergang tut mir gut.« Es fühlte sich wirklich gut an, die Beine ausstrecken zu können. Sie nippte an ihrer Wasserflasche. Es war warm, aber sie war froh, dass sie Anfang April hergekommen waren. Ein paar Monate später begann die Regenzeit.

Nachdem sie am Flughafen Suvarnabhumi in Bangkok angekommen waren und ein paar Dollar in Baht umgetauscht hatten, waren sie mit dem Taxi zu ihrem Hotel in der Nähe des Diplomatenviertels gefahren. Der Fahrer hatte die ganze Zeit in gebrochenem Englisch geplappert, während er sich durch die geschäftigen Straßen geschlängelt hatte, knapp an anderen Wagen vorbeigeschrammt war und offensichtlich der Meinung war, dass Fahrspuren und Verkehrsschilder lediglich Vorschläge darstellten. Caitlyn nahm an, sein aufgedrehtes Verhalten hatte mit den fünf Flaschen Energydrink auf dem Beifahrersitz zu tun. Carlos hatte etwas davon gemurmelt, dass es im Dschungel weniger gefährlich wäre.

Sie hatten im Hotel eingecheckt, einem sehr noblen, in dem Caitlyn Würdenträger empfangen hatte, als sie noch für die Botschaft gearbeitet hatte. Dort hatten sie sich frisch gemacht und Pad Thai, gebratene Nudeln, in einem der vielen Restaurants in der Umgebung gegessen. Ein anderes Taxi hatte sie schließlich zur Universität in der Phayathai Road gebracht, in die Nähe der Wissenschaftsgebäude, wo Carlos' Kontaktperson sein Büro hatte.

»Erwartet er uns?«, fragte Caitlyn, als sie das Institut betraten.

»Ja. Ich habe ihn angerufen, während du unter der Dusche warst.« Carlos drückte den Knopf am Aufzug. »Sein Büro ist im dritten Stock.«

Ein paar Minuten später klopfte Carlos an eine Bürotür. Ein kleiner Mann mit rundem lächelndem Gesicht öffnete ihnen. Er trug dicke runde Brillengläser, die seine Augen riesig aussehen ließen. Einige Strähnen seiner schwarzen Haare hatte er sich über seine Halbglatze gekämmt.

»Ah, Sie müssen Carlos sein!« Er legte die Hände vor der Brust zusammen und deutete eine Verbeugung an. Dann fiel sein Blick neugierig auf Caitlyn. »Sie haben eine schöne Frau mitgebracht.«

»Meine Frau. Caitlyn... Panterra.«

Caitlyn lächelte, obwohl sie einen Stich spürte. Carlos hatte sich an dem Namen fast verschluckt.

»Ihre Frau?« Der Professor blinzelte mit seinen riesigen eulenhaften Augen. »Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet sind.«

»Er hat mich nie erwähnt?« Caitlyn seufzte theatralisch. »Ich fürchte, er verliert sich oft so sehr in seiner Arbeit, dass er mich einfach vergisst.«

Carlos warf ihr einen verärgerten Blick zu. »Ich könnte dich nie vergessen.« Er knirschte mit den Zähnen. »Mein Liebling.«

»Oh, du bist so süß.« Sie drückte seinen Arm und presste dabei wie aus Versehen ihre Brüste gegen ihn.

Er zog eine Braue hoch. »Darf ich vorstellen, Professor Supat Satapatpattana.«

»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Professor Salapattypatman.« Sie legte die Handflächen aneinander und neigte den Kopf.

»Er heißt Satapatpattana«, murmelte Carlos.

Caitlyn sah ihn mit großen Augen an. »Habe ich das nicht gesagt?« Sie hatte ihn vorher gewarnt, dass sie sich ein wenig dumm stellen würde, damit niemand den Verdacht bekam, dass sie mehr als eine Sprache verstand.

Der Professor lachte. »Bitte, nennen Sie mich Pat. Kommen Sie, setzen Sie sich.« Er lief um den Schreibtisch und nahm dahinter Platz.

Caitlyn und Carlos setzten sich auf die zwei Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. Caitlyn stellte ihre Lederhandtasche und die Wasserflasche auf den Boden.

»Ich muss sagen, ich bin sehr aufgeregt, was Ihre Mission angeht«, setzte Pat an. »Wenn wir beweisen könnten, dass es Menschen gibt, die sich in Katzen verwandeln können...« Seine Augen schienen förmlich zu leuchten. »Das wäre die größte wissenschaftliche Entdeckung unserer Zeit!«

»Tatsächlich«, murmelte Carlos.

»Und ein Teil dieser bedeutenden Entdeckung zu sein«, fuhr Pat strahlend fort, »wäre eine große Ehre für mich. Und für die Universität.«

Pat tat Caitlyn fast ein wenig leid. Wenn Carlos wirklich Werpanther entdeckte, würde er es nie zugeben. Die Hoffnungen des Professors waren von Anfang an vergebens.

Pat schob eine Landkarte über den Tisch. »Die ist für Sie. Ich habe den Bereich, in dem der Katzenmensch umgebracht wurde, rot eingekreist.«

»Angeblicher Katzenmensch«, sagte Carlos, während er die Karte an sich nahm, »Aber Sie müssen doch daran glauben«, wandte Pat ein. »Sie sind den ganzen Weg hierhergekommen. Sie müssen also glauben, dass es Gestaltwandler wirklich gibt.«

Im Blick des Professors lag eine Verzweiflung, die Caitlyn nicht gefiel. Hatte er noch andere Beweggründe als den Wunsch, seiner Universität Ruhm einzutragen?

Carlos räusperte sich. »Um ehrlich zu sein, Pat, es gibt Gerüchte von seltsamen Kreaturen auf der ganzen Welt. Bigfoot, den Yeti, das Monster von Loch Ness. Es ist unwahrscheinlich schwer, einen stichhaltigen Beweis zu finden.«

»Wir haben einen Beweis, einen Augenzeugenbericht.« Pat ballte die Hände zu Fäusten. »Ich bin mir sicher, Sie können diese Katzenmenschen finden. Sie müssen einfach.«

Hier stimmte auf jeden Fall etwas nicht. Caitlyn setzte eine ausdruckslose Miene auf und tat so, als wäre sie in die Karte vertieft, die Carlos vor sich ausgebreitet hatte. Ein roter Kreis markierte das hügelige Gebiet im Nordwesten von Chiang Mai.

Pat atmete tief durch und entspannte seine Hände wieder. »Ich habe arrangiert, dass Sie in Chiang Mai Ihren Fremdenführer treffen. Er heißt Tanit und spricht sehr gut Englisch.«

»Wunderbar. Danke.« Carlos legte die Karte behutsam zusammen. »Unser Flugzeug kommt morgen Nachmittag um vier Uhr fünfzehn dort an.«

»Ich kann es kaum erwarten.« Caitlyn strahlte und tat so, als wäre sie schrecklich aufgeregt. »Ich habe online darüber nachgelesen, als ich unser Hotel gebucht habe.« Sie verriet nicht, dass sie schon einmal in Chiang Mai gewesen war. »Es gibt dort diese alte Stadt, die von einem Graben umgeben ist. Und dann den Nachtbasar, auf dem möchte ich unbedingt shoppen gehen.«

Carlos erstarrte. »Kein Shopping.«

»Wir müssen den Kindern etwas mitbringen.«

»Alles, was du kaufst, müssen wir die ganze Reise lang mitschleppen. Wir haben keinen Platz in unseren Rucksäcken.«

»Ich kaufe etwas ganz Kleines.«

Der Professor schüttelte den Kopf und murmelte auf Thai: »Typisch Ehefrau.« Dann sprach er auf Englisch weiter. »Ich rufe Tanit sofort an, damit er weiß, wann er Sie am Flughafen abholen soll.«

»Danke.« Carlos stand auf. »Ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.«

»Hier.« Pat reichte ihm eine Visitenkarte. »Dort stehen meine Telefonnummer im Büro und meine Handynummer. Rufen Sie mich jederzeit an, Tag und Nacht.«

»Danke.« Carlos steckte die Karte in seine Hosentasche.

»Und wenn Sie irgendetwas über die Katzenmenschen erfahren, müssen Sie mich sofort anrufen«, drängte Pat.

Caitlyns Instinkte regten sich misstrauisch. Sie beugte sich vor, um ihre Handtasche zu nehmen, und entschloss sich, die Wasserflasche stehen zu lassen. Sie stand auf und legte sich die Handtasche über die Schulter. »Es war schön, Sie kennenzulernen, Pat.«

Er nickte und lächelte. »Ich bin sehr aufgeregt und voller Hoffnung, dass Sie Erfolg haben.«

Als Carlos mit ihr zur Tür ging, sagte sie gerade laut genug, um gehört zu werden: »Ich bin so froh, dass wir einen Dolmetscher dabeihaben. Die Sprache hier ist so verwirrend. Die Wörter sind eine Meile lang.«

Carlos nickte. »Ich weiß.«

Sie trat mit ihm zusammen hinaus auf den Flur, und er schloss die Tür. Sie legte sich einen Finger auf die Lippen und lehnte sich an die Tür, um zu lauschen.

Fragend zog er eine Augenbraue hoch.

Sie hörte Pats Stimme, wartete einen Augenblick und öffnete die Tür dann einen Spalt.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie und kam auf Zehenspitzen in sein Büro. »Ignorieren Sie mich einfach. Ich habe nur mein Wasser vergessen.«

Pat nickte mit einem grimmigen Lächeln. »Ist schon gut, Tanit«, sagte er auf Thai in den Hörer, »es ist nur seine Frau.«

Nach einer Pause fuhr Pat fort: »Ich weiß nicht, warum sie mitgekommen ist, aber Ärger wird sie wohl keinen machen. Denk nur an deine Prioritäten. Tu, was du kannst, um ihnen zu helfen, die Gestaltwandler zu finden.«

Caitlyn tat so, als würde sie um den Stuhl herum suchen, in dem Carlos gesessen hatte.

»Mrs Panterra?«, sagte Pat sofort. »Auf dem Stuhl haben Sie nicht gesessen, Ihr Wasser ist da drüben.« Er deutete auf den anderen Stuhl.

»Oh.« Caitlyn sah ihn überrascht an. »Tatsächlich.« Sie schüttelte verlegen den Kopf. »Jetlag. Ich kann nicht mehr klar denken.« Sie bückte sich nach der Wasserflasche. Als Pat mit der Hand auf den Stuhl gedeutet hatte, war ihr eine seltsame Tätowierung an der Innenseite seines Handgelenks aufgefallen.

»Ruf mich sofort an, wenn ihr einen Gestaltwandler habt«, sagte Pat auf Thai ins Telefon. »Wir müssen für den Meister dringend einen finden.«

Meister? Caitlyn ging zur Tür und schenkte Pat noch ein Lächeln, ehe sie ging. Sie bedeutete Carlos, ihr zum Fahrstuhl zu folgen. Gott sei Dank war sie auf die Reise mitgekommen.

Sie hatte den schrecklichen Verdacht, dass Carlos geradewegs in eine Falle tappte.