11. KAPITEL

 

Caitlyn stöhnte über das anhaltende Klopfen an ihrer Schlafzimmertür. Sie öffnete ein Auge und sah zum Fenster. Trübe Stadtlichter drangen durch die transparenten Vorhänge, aber es war noch dunkel. »Geh weg«, murmelte sie und zog sich das Kissen über den Kopf.

»Caitlyn, wach auf!«

Sie erkannte Carlos' Stimme. Jetzt wollte er reden? Letzte Nacht, als sie die gelieferten Gourmetspeisen in der Küche gegessen hatten, hatte er kaum ein Wort gesagt. Zwei Worte, um genau zu sein. Gute Nacht. Dann war er in seinem Schlafzimmer verschwunden.

Das Klopfen ging immer weiter. »Komm schon, Caitlyn. Die Sonne geht gleich auf.« Er rüttelte an der Türklinke.

Versuchte er, reinzukommen? Der hatte vielleicht Nerven. »Ich bin schon wach!« Sie tastete über den Nachttisch. Keine Lampe. Super. Sie schlüpfte aus dem Bett und kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen. Die Tür am anderen Ende des Zimmers konnte sie gerade ausmachen.

Sie schlurfte an ihrem Bett entlang, bis sie mit den Zehen gegen eine Schachtel stieß. »Autsch.« Sie sprang zur Seite und schlug mit dem Kinn gegen das Fußende. »Autsch! Verdammt!« Das würde einen blauen Fleck geben. Sie war noch nicht fertig eingezogen, ihr Zimmer ein Irrgarten aus Kartons und Koffern, die sie kaum erkennen konnte.

»Gibt es ein Problem?«, wollte Carlos vom Flur her wissen.

»Ja, dich«, murmelte sie.

»Das habe ich gehört. Ich habe ein super Gehör und kann ausgezeichnet sehen.«

»Ist das nicht einfach super?« Sie glitt mit den Händen über das Fußende des Bettes. Hatte sie dort nicht den Morgenmantel liegen lassen? »Hast du auch den Röntgenblick wie Superman? Kannst du durch die Tür sehen?«

»Nein.«

Es gefiel ihr, ihn zu ärgern. Er hatte es verdient. »Wie schade. Ich stehe hier schließlich splitternackt.« Sie keuchte erschrocken auf, als die Tür sich mit einem Krachen öffnete. Licht fiel aus dem Flur hinein und umgab seine große Gestalt. »Du Perversling!«

Er schnaubte verächtlich. »Du hast gelogen.«

»Du hast meine Tür kaputt gemacht!«

»Nur das Schloss. Die Tür funktioniert noch.« Er betätigte den Lichtschalter neben dem Türrahmen.

»Ah!« Sie bedeckte ihre Augen gegen das plötzliche blendende Licht. »Was machst du hier?«

»Das nennt sich Job, Menina. Ich glaube, du hast so was auch schon einmal gehabt.«

»Sehr lustig.« Sie ließ ihre Hand sinken und bemerkte, dass seine Aufmerksamkeit ihrem Nachthemd galt. Mehr als nur Aufmerksamkeit. Sein Blick klebte förmlich an dem engen Seidennachthemd mit Leopardenmuster. Weil sie etwas größer war als der Durchschnitt, reichte ihr das Baby-Doll-Oberteil nur bis knapp an die Schenkel. Wahrscheinlich war ein Stück von dem passenden Slip sichtbar. Und wenn sie das heiße Glühen in seinen Augen richtig deutete, dann hatte er es bemerkt.

Statt wütend darüber zu sein, fühlte sie sich aufregend und verführerisch. Wenn er lieber eine fremde Werpantherin wollte als sie, konnte er genauso gut sehen, was er verpasste. Sie warf sich das Haar über die Schultern. In seinem Blick, scharf wie ein Laser, regte sich nichts. »Hallo? Mein Gesicht ist hier oben.«

Sein Blick wanderte langsam aufwärts, blieb aber an ihren Brüsten hängen. Sie sah hinab, um zu kontrollieren, ob sie herausgerutscht waren. Das passierte manchmal, wenn sie auf der Seite schlief. Nein, heute kein Glück.

Sie seufzte. Was war ihr Problem? Sie verhielt sich wie eine rollige Katze, und das tat sie sonst nie. Normalerweise wäre es ihr zuwider, von einem fremden Mann so gesehen zu werden.

Sie suchte auf dem Boden nach ihrem Morgenmantel. »Ich dachte, wir fangen am Morgen mit meiner Ausbildung an.«

»Tun wir.«

»Warum hast du mich dann geweckt? Es ist noch Nacht.« Und sie hatte kein bisschen geschlafen.

In Gedanken hatte sie Dutzende Male die neuesten Enthüllungen über ihren Vater durchgespielt. Ihre Wut auf ihren Vater konnte sie nur verdrängen, indem sie Pläne darüber schmiedete, wie sie Carlos auf seiner Reise begleiten konnte. Ah, da war der Mantel. Er war auf die andere Seite des Bettes gefallen.

»Die Sonne geht in fünfzehn Minuten auf«, erklärte Carlos. »Phineas, Emma und Angus telep...« Er brach mit einem erstickten Geräusch ab.

Sie erstarrte und fragte sich, was nicht stimmte. Sie hatte sich vorgebeugt, um ihren Morgenmantel vom Boden aufzuheben. Ein Blick zurück zeigte ihr, dass er die Augen weit aufgerissen hatte, sie loderten förmlich vor Hitze, und er starrte ihr direkt auf den - upps. Sie richtete sich mit einem Ruck auf. Sie hatte vergessen, wie wenig ihr französischer Slip verdeckte. Indem sie sich vorgebeugt hatte, war er so gut wie verschwunden. Und Carlos hatte alles sehen können.

Sie schlüpfte in den seidenen Morgenmantel im Kimonostil, den sie in Hongkong gekauft hatte. Er war leuchtend rot, wahrscheinlich nur etwas dunkler als ihre Wangen. »Was sagtest du gerade?«

Bernsteinfarbene Funken glitzerten in seinen Augen. »Sie sind jeden Augenblick hier, und ich dachte mir, sie würden es zu schätzen wissen, wenn du ihnen zeigst, wie sehr du dich darauf freust, deinen neuen Job anzufangen.«

»Okay. Dann ziehe ich mich an.«

Er nickte. »Wir treffen uns in der Küche. Zieh Sportsachen an.«

Sportsachen? Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er nicht seine übliche Kakihose und das Polohemd trug. Er hatte ein weißes T-Shirt und eine Judo-Hose angezogen und sein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. »Ich dachte, wir üben Schießen.«

»Wir haben einiges vor. Fechten, Karate, Kickboxen, Wrestling. Was machst du normalerweise als Ausdauersport?«

»Ich... Shopping?«

Er starrte sie ungläubig an.

»Ich bin gestern hier eingezogen. Ich musste die ganzen Kisten schleppen. Das war ganz schön anstrengend.« Sie erwähnte nicht, dass Lara und Olivia ihr dabei geholfen hatten.

Er ließ seinen Blick über die Kartons und Koffer schweifen. »Das gehört alles dir?«

»Das sind meine Schätze. Ich gehe immer auf den Markt, wenn ich in einem neuen Land bin. Oder einer Stadt. Oder... einem Dorf. Da bin ich viel zu Fuß unterwegs, musst du wissen. Sehr gesund.«

Er hob eine Augenbraue. »Zieh dir Sportsachen an. Wir treffen uns in fünf Minuten unten.« Er drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte davon.

Sie starrte ihm nach und schloss die Tür. Männer verstanden nie, wie wichtig ihr ihre Schätze waren. Nicht dass sie wertvoll waren, im Gegenteil. Manche waren unglaublich billig gewesen. Aber jeder einzelne bedeutete ihr etwas, und sie nahm sie überallhin mit.

Sie öffnete den Karton, der ihr am nächsten stand, und lächelte. »Hallo, meine Schätzchen.« Ihre russischen Matroschkapuppen lagen auf dem dicken Wollpullover, den sie in Polen gekauft hatte. Sie hatte schon als junges Mädchen angefangen, Matroschkas zu sammeln, deswegen hatte sie jetzt über ein Dutzend. Sie griff sich zwei der hölzernen Puppen und stellte sie in ein leeres Buchregal. Sie hatte sich aus allen Gästeschlafzimmern dieses ausgesucht, weil zwei leere Regale darin standen, in denen sie ihre Schätze aufbewahren konnte.

Fünf Minuten? Sie zuckte zusammen, als sie sich erinnerte, was Carlos verlangt hatte. Das war eine Zumutung. Sie rannte ins Badezimmer. Keine Zeit zu duschen. Wenigstens hatte sie gestern Abend noch gebadet.

Vier Minuten später stand sie in einem Spitzen-BH und den passenden Schlüpfern vor ihrem offenen Kleiderschrank und kaute an ihrer Unterlippe. Sportsachen? Sie schob zwei Abendkleider und drei Cocktailkleider zur Seite. Im Auswärtigen Amt hatte man von ihr erwartet, an einigen glamourösen Veranstaltungen in diversen Botschaften teilzunehmen.

Kostüme, nein. Die schob sie zur Seite. Jeans und T-Shirt? Sie streifte sich ein türkisfarbenes Shirt über und ging dann an ihre Kommode. In der Pyjama-Schublade fand sie ein paar graue Boxershorts. Die irgendwie wie eine Sporthose aussahen, also zog sie sie an und knotete das Band fest um ihre Hüften. Carlos war barfuß gewesen, also hielt sie es ebenso.

Sie rannte ins Badezimmer, um sich noch einmal die Haare zu bürsten und etwas Lipgloss aufzutragen. Erdbeergeschmack, wie Carlos herausfinden würde, falls sie ihn dazu bringen konnte, sie noch einmal zu küssen.

»Hmmph.« Sie fuhr mit den Fingern durch ihre Haare. Selbst wenn er eine Werpantherin fand, war die alte Katze vielleicht räudig und gebrechlich, mit krummem Schwanz und schlechten Zähnen.

Sie konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen, dass er mehr Angehörige seiner Art finden wollte, aber gleich heiraten? Das war verrückt. Nur weil eine Frau eine Werpantherin war, bedeutete das nicht, dass sie automatisch zu ihm passte.

Allerdings war es nicht verrückt, dass er versuchte, seine Spezies vor dem Aussterben zu bewahren. Sie seufzte. Sie wusste, dass sie nicht mit ihm flirten sollte, trotzdem war es verdammt schwer, so zu tun, als würde er sie nicht magisch anziehen. Besonders weil sie wusste, dass er sie auch attraktiv fand.

Ein Teil von ihr begriff, dass sie seinen Wunsch, eine Werpantherin für sich zu finden, respektieren sollte, aber ein anderer Teil von ihr wollte ihn anbrüllen, dass er nie eine andere finden würde, die so gut zu ihm passte wie sie. Ihr Kuss hatte nicht nur körperliche Reaktionen hervorgerufen. In ihrem Herz hatte es sich vollkommen angefühlt, so wie die Verbindung, die sie mit den beiden Mädchen Coco und Raquel gespürt hatte. Wie konnten ihre Gefühle für ihn falsch sein, wenn sie sich so richtig anfühlten?

Tief in ihr regte sich das ungezogene Verlangen, auszutesten, wie weit sie ihn treiben konnte. Sie war nicht stolz darauf, dennoch war es so. Eine wilde romantische Fantasie, dass er sich so sehr nach ihr verzehrte, dass er alle Bedenken beiseiteschob, nur um bei ihr zu sein.

Sei nicht so selbstsüchtig, rügte sie sich. Das hier war keine Fantasie, in der er sich wahnsinnig in sie verlieben konnte und alles wie durch Magie gut ausging.

Das frustrierte sie, und damit kam leider der Impuls, ihn zu necken und zu quälen, zurück. Es ist nicht seine Schuld, dass er dich zurückweisen muss. Sie würde dafür sorgen, dass ihnen beiden ihre gemeinsame Zeit Spaß machte. Ihm nichts nachtragen. Vielleicht wäre es harmlos, ein bisschen zu flirten.

Sie tapste die mit Teppich ausgelegte Treppe hinab in die Küche im Erdgeschoss. Er saß allein am Tisch und löffelte Frühstücksflocken.

»Du bist zu spät«, knurrte er. »Sie sind schon in ihren Schlafzimmern.«

Sie sah aus dem Küchenfenster. »Aber es ist noch dunkel.«

»Sobald die Sonne aufgeht, fallen sie tot um, deswegen müssen sie sich vorbereiten.« Carlos nippte an seinem Kaffee. »Phineas ist nach unten ins Zimmer der Wachen gegangen. Angus und Emma sind in ihrem üblichen Schlafzimmer im vierten Stock.«

Caitlyn goss sich einen Becher Kaffee ein. »Wohnen sie oft hier?«

»Entweder hier oder im Keller von Romatech, je nachdem, auf welcher Gefahrenstufe wie uns befinden. Im Augenblick ist alles ruhig, deswegen können wir uns unbesorgt hier aufhalten.« Carlos deutete auf eine leere Schüssel ihm gegenüber auf dem Tisch. »Du solltest frühstücken.«

Sie schlenderte an den Tisch und rümpfte die Nase über die Frühstücksflocken, die er herunterschlang. »Was ist das? Brekkies?«

Er warf ihr einen genervten Blick zu. »Das ist alles, was da ist. Wir müssen heute Vorräte einkaufen.« Er deutete auf den Schreibblock neben sich auf dem Tisch. »Ich mache eine Liste. Wenn du irgendetwas willst, sag es mir.«

Sie stellte ihren Kaffeebecher hin und schüttete sich Frühstücksflocken in die Schüssel. »Ich gehe einkaufen, wenn du willst. Das ist schließlich mein Spezialgebiet.«

Er brummte nur etwas Unverständliches und trank weiter seinen Kaffee.

Kaninchenbau hin oder her, eine Grinsekatze ist er ja nicht gerade. Sie unterdrückte ein Kichern.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Was ist so lustig?«

»Nichts.« Sie ging schnell an den Kühlschrank und holte den Karton mit der Milch heraus. »Vollmilch?«

»Und?« Er aß weiter.

»Ich bin Magermilch gewöhnt.« Sie goss sich ein wenig in ihre Schüssel. »Das wird wie Sahne schmecken.« Sie unterdrückte noch ein Lachen. Natürlich mag das Kätzchen seine Sahne.

Er sah sie düster an. »Was amüsiert dich so?«

»Nichts.« Sie strahlte. »Ich bin von Natur aus eine positive, fröhliche Person.« Sie stellte die Milch zurück in den Kühlschrank. Dann wirbelte sie herum und sah noch, wie er sich eilig wieder über seine Schüssel beugte und die letzten Reste mit einigen hastigen Bissen hinunterschlang.

Ihre Mundwinkel zuckten. Sie hatte ihn also wieder dabei erwischt, wie er ihren Hintern angeglotzt hatte. »Wo sind eigentlich Lara und Olivia? Sind sie zu sehr mit ihren Vampirmännern beschäftigt, um mit uns zu frühstücken?«

Carlos nippte an seinem Kaffee und vermied es, sie anzusehen. »Sie sind weg. Sie waren nur wegen Tinos Geburtstag in der Stadt und haben jetzt neue Aufträge.«

»Oh.« Sie ging an den Tisch und setzte sich Carlos gegenüber. »Dann sind wir heute die einzigen Lebenden im Haus?«

»Ja.« Er sprang auf und stellte seine leere Schüssel in die Spüle. »In fünf Minuten treffen wir uns im Keller.« Er rannte fast aus der Tür.

Caitlyn legte ihre Hände lächelnd um den warmen Kaffeebecher. Das würde ein Spaß werden.

Es war die Hölle auf Erden.

Sie hatte auf ein wenig Flirt und Spaß gehofft, stattdessen dachte Carlos nur an seinen Job.

Er wartete im Keller in einem großen Aufenthaltsraum neben einem Billardtisch auf sie. Caitlyn lächelte breit und ging mit wiegenden Schritten auf ihn zu. »Willst du ein paar Kugeln schieben?«

»Nein.« Er deutete auf den Tisch, wo er eine Auswahl an Messern, Holzpflöcken und Schwertern ausgebreitet hatte. Auf dem Tisch lag außerdem eine mit Stroh gefüllte Jute-Puppe. »Das ist unser Vampir - ein blutrünstiger Malcontent, der dich umbringen will.«

Caitlyn verzog das Gesicht, als sie die Puppe betrachtete. »Igor.«

»Bitte?«

»Ich habe ihn Igor getauft.«

»Von mir aus.« Carlos reichte ihr einen Holzpflock. »Du hast Igor in seinem Todesschlaf entdeckt. Nimm diesen Pflock und treib ihn durch sein Herz.«

Sie griff nach dem Pflock. »Was, wenn er kein Malcontent ist? Was, wenn er ein Doppelagent ist, der nur so tut, als wäre er ein Malcontent? Ich muss erst alles über ihn herausfinden.«

»Deine Nachforschungen sind bereits abgeschlossen. Dieser Vampir ist kein Doppelagent. Er muss sterben.«

»Ist er der Definition nach nicht schon lange tot?«

Sie konnte an Carlos' Kiefer erkennen, dass er mit den Zähnen knirschte. »Er wird aus seinem Todesschlaf erwachen und dir den Kopf abreißen. Du kannst nur überleben, indem du ihn sofort umbringst.«

»Schon gut, schon gut.« Sie richtete die Spitze des Pflocks dorthin, wo sie sein Herz vermutete, und gab ihm einen kleinen Stoß. »So. Das wird ihm eine Lehre sein.«

Carlos sah sie fassungslos an. »Du hast nicht einmal seine Haut verletzt. Moskitos richten mehr Schaden an als du.«

»Ich bin eben kein gewaltbereiter Mensch, okay? Wegen meiner besonderen Sprachbegabung habe ich mich immer darauf verlassen, dass ich Konflikte mit Worten...«

»Pfähl ihn!«

»Schon gut! » Sie verzog das Gesicht und hob den Pflock über die Brust der Puppe. Trotzdem zögerte sie noch. Der Gedanke, tatsächlich einen spitzen Gegenstand in einen Körper zu rammen, war einfach grotesk.

»Er findet, du siehst fett aus in den Shorts.«

»Aaah!« Sie stach zu, keuchte dann auf und riss ihre Hand zurück. »Du liebe Güte.« Sie trat zurück und starrte den Pflock an, der zur Gänze in der Strohpuppe versenkt war.

»Nicht gewaltbereit, was?« Carlos grinste.

Sie funkelte ihn wütend an. »Treib mich nicht an meine Grenzen.«

Mit einem leisen Lachen zog er den Pflock aus der Puppe. »Jetzt kannst du lernen, wie man gegen einen Malcontent kämpft, der wach ist.«

Sie verschränkte die Arme und runzelte die Stirn. »Emma hat gesagt, ich soll bei den Nachforschungen helfen. Sie erwarten nicht von mir, dass ich mich den Malcontents im Kampf stelle. Dafür haben sie Krieger.«

Er schnaubte. »Wenn eine Gruppe Malcontents angreift, meinst du, sie lassen dich in Ruhe, weil du eine Sterbliche bist und dich nicht zum Kampf gemeldet hast? Du bist unser schwächstes Glied. Dich greifen sie zuerst an.«

Sie schluckte. »Aber unsere Vampire wären da, um mich zu beschützen, richtig?«

»Sie würden es versuchen, aber wenn sie auch um ihr eigenes Überleben kämpfen müssen, bist du auf dich gestellt.« Er legte ein Seil um den Hals der Puppe und kletterte dann auf einen Stuhl, um das andere Ende in einen Flaschenzug an der Decke zu hängen.

Er sprang auf den Boden und stellte den Stuhl gegen die Wand. »Jetzt ist Igor wach und kann sich bewegen.« Carlos zog am Seil, und die Puppe erhob sich in die Luft. »Nimm den Pflock und bring ihn um.«

Sie nahm den Holzpflock in die Hand und ging langsam auf Igor zu.

»Du solltest dich besser beeilen«, warnte Carlos und zog dabei mehrmals am Seil, um Igor zum Tanzen zu bringen. »Wenn er die Hände um deinen Hals legt, reißt er dir den Kopf ab.«

Immer dieses Kopfabreißen. Caitlyn verzog das Gesicht und hob ihren Pflock. Sie ging im Takt mit dem hüpfenden Igor in die Knie. Es war ein wenig wie Seilspringen mit zwei Seilen. Als junges Mädchen war sie gut darin gewesen. Es kam nur auf das Timing an.

Sie wartete, bis er unten ankam, sprang dann auf ihn zu und rammte ihm den Pflock in seinen Strohkörper.

»Hab ihn!« Sie sprang zurück und lächelte begeistert.

Igor hörte auf, sich zu bewegen. Carlos zuckte zusammen.

Ihr Lächeln verblasste. »Ich... Ich glaube, du hast ihn etwas schneller wieder hochgezogen, als ich dachte.« Der arme Igor hatte einen riesigen Pflock im Schritt stecken.

»Bitte sag mir, du hast auf seine Brust gezielt.«

»Natürlich hab ich das.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenigstens kann er jetzt keine fiesen Malcontent-Babys mehr zeugen.«

»Das könnte er sowieso nicht. Vampire sind unfruchtbar. Alles, was du getan hast, ist Igor zu verärgern. Er packt dich und...«

»Reißt mir den Kopf ab, ich weiß.«

Carlos hob eine Augenbraue, holte dann den Stuhl und befreite Igor aus dem Flaschenzug. »Den Angriff eines Vampirs überlebt man am besten, indem man ihn gar nicht erst zu nahe kommen lässt.«

»Weil er mir sonst den Kopf abreißt«, murmelte sie.

»Ganz genau.« Er hängte Igor an die gegenüberliegende Wand. »Wenn du ein Messer werfen und dein Ziel damit ins Herz treffen kannst, vermeidest du einen Zweikampf. Ich zeige dir, wie es geht.«

Sie trat zurück, während Carlos sich ein gefährlich aussehendes Messer vom Billardtisch nahm. Er zielte und warf. Das Messer wirbelte durch die Luft und traf Igor direkt in sein strohernes Herz.

»Jetzt würde er zu Staub zerfallen.« Carlos lief zu der Puppe und zog das Messer heraus.

»Kann man sie nur aufhalten, indem man sie ins Herz sticht? Das ist so brutal.« Caitlyn grinste ihn verschmitzt an. »Habt ihr es schon mit Wirtschaftssanktionen versucht?«

Er schnaubte und kam zu ihr zurück. »Du kannst sie auch anzünden, sie mit Sonnenlicht verbrennen oder ihnen den Kopf abschneiden.«

»Klingt spaßig«, murmelte sie.

Er reichte ihr das Messer. »Du bist dran.«

Sie umfasste den Griff und holte aus. Vermutlich funktionierte das ungefähr wie Ballwerfen. Leider war sie darin noch nie gut gewesen.

»Warte.« Er griff nach ihrem Handgelenk. »Du hältst es zu fest. Entspann dich.« Er lockerte ihre Finger.

Ein Kribbeln lief von ihrer Hand aus ihren Oberarm hinauf. Sie atmete scharf ein, denn ihr Puls raste.

Er sah ihr kurz in die Augen, dann ließ er sie los und trat etwas zurück. »Wirf. Wirf, so fest du kannst. Verwandle Igor zu Staub.«

»Okay.« Sie holte wieder aus und warf das Messer mit Schwung. Es beschrieb eine Kurve in der Luft und landete dann mit einem Scheppern auf halbem Weg zu Igor auf dem Boden. Sie zuckte zusammen. »Das... war wohl daneben.«

Carlos schwieg einen Augenblick. »Kannst du nur so weit werfen?«

»Ich weiß nicht. Ich habe aufgehört, Dinge nach Leuten zu werfen, als ich zwei war.«

Er nahm ein anderes Messer vom Tisch. »Versuch es noch einmal.«

Sie gab alles, was sie konnte, aber das Messer landete nur ein kurzes Stück hinter dem ersten auf dem Boden.

»Du hast keine Kraft im Oberkörper«, murmelte er. »Hältst du nichts von Push-ups?«

Sie lächelte ihn neckisch an. »Doch, natürlich. Nichts ist so sexy wie ein Wonderbra.«

Sein Blick senkte sich kurz auf ihre Brüste, und sein Kiefer zuckte. »Komm.« Er bedeutete ihr zu folgen, als er zu den Messern am Boden ging. Er hob beide auf und reichte ihr eines.

»Versuch es noch einmal.« Er trat aus dem Weg.

Sie schleuderte das Messer. Es wirbelte genau richtig auf Igor zu, traf seine Brust aber mit dem Griff und fiel nutzlos zu Boden.

»Nicht schlecht.« Er reichte ihr das zweite Messer. »Jetzt mit mehr Kraft dahinter.«

»Ahh!« Sie warf das Messer mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Es flog auf Igor zu und blieb stecken. »Geschafft! » Sie drehte sich zu Carlos um und strahlte.

Der starre Ausdruck auf seinem Gesicht ließ sie zu Igor zurückblicken. Sie zuckte zusammen.

Misstrauisch schaute Carlos sie an. »Ich erkenne hier ein gewisses Muster.« Er ging zu Igor und zog ihm das Messer aus dem Schritt.

»Ich habe wirklich auf die Brust gezielt.«

Carlos schnaubte und hob dann das zweite Messer vom Boden auf. »Ich wollte als Nächstes mit Schwertkampf beginnen, doch ich kann mir schon vorstellen, wie das endet.«

Sie runzelte die Stirn. »Ist doch nicht so schlimm. Es ist ja nicht so, als würde Igor seine Ausstattung noch brauchen.«

»Du würdest mit mir kämpfen.« Carlos ging auf sie zu, wobei seine Augen leuchteten. »Und ich brauche meine Ausstattung mit Sicherheit noch.«

Ihr Herz raste, als er näher und näher kam. Er blieb nur eine Handbreite von ihr entfernt stehen.

»Auf den Boden«, flüsterte er.