Vertrauen ist Mut.
1
Die Blondine auf Gregs Schoß wirft mir so giftige Blicke zu, dass sich mein Magen verkrampft.
»Nächste Woche ist unsere Premiere, Gwen. Und leider fehlt uns immer noch eine Schauspielerin für diese Rolle. Willst du es wirklich nicht versuchen?« Gaby, die Theaterchefin, reicht mir ein Senfglas mit Weißwein und lächelt dabei so flehentlich, dass ich tatsächlich über ihren Vorschlag nachdenke. Greg grinst, während seine linke Hand über den Rücken seiner Verehrerin streichelt.
»Das wird sie niemals tun, Ma, das weißt du. Außerdem müsste sie mich dann küssen.«
Blondie kichert albern, sieht jedoch plötzlich beunruhigt aus. Als ob von mir irgendeine Gefahr ausginge. Sehr witzig!
»Es ist nur eine winzige Rolle, zwei Sätze. Und du wärst perfekt dafür! Ich würde dich wirklich gern mal auf der Bühne sehen und nicht immer nur hinter der Bar.«
Gaby lässt einfach nicht nach, und noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, höre ich mich auch schon sprechen.
»Klar. Warum nicht?« Das Blut schießt mir in die Wangen, aber die Worte sind eindeutig aus meinem Mund gekommen. Jesus, aus welchen Untiefen meines Hirns kamen die?
»Was hast du gesagt?«, fragt Greg und schiebt Blondie tatsächlich zur Seite, um mich mit gerunzelter Stirn anzusehen.
»Klar. Warum nicht?«, wiederhole ich, als wäre das vorhin nicht laut genug gewesen. Oder als ob ich mich selbst davon überzeugen müsste, es so zu meinen.
Gaby entfährt ein freudiges Quietschen. »Das ist großartig, Gwen! Ich habe schon überlegt, ob ich die Nebenrolle aus dem Stück streiche, aber mir würde sie sehr fehlen! Sie ist wichtig für die Weiterentwicklung des männlichen Protagonisten.«
Gabys enthusiastisches Gerede über ihr selbst geschriebenes Werk rauscht an mir vorbei wie Radiomusik. Hinter meinen Schläfen pocht es, während ich Greg so locker wie möglich ansehe. Er wirkt so unglaublich irritiert, dass ich mir ein Grinsen kaum verkneifen kann.
»Du weißt, dass wir uns dann küssen müssen?«, fragt er in eine von Gabys Redepausen hinein und löst damit heiteres Gelächter in dem kleinen Raum aus. Sogar Hamish, der miesepetrige Hausmeister, grinst mich breit an. Und Greg wird ... rot! Ich möchte innerlich schreien, weil mich ein seltsames Triumphgefühl erfasst.
»Darauf hatte ich spekuliert«, sage ich so ungerührt wie möglich und trinke von meinem Weißwein.
Gaby rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Wahrscheinlich fragt sie sich, welche Drogen ich neuerdings nehme, von denen sie nichts weiß. Ich sollte mir eine Antwort überlegen, falls sie mich tatsächlich ...
»Ach, das wird toll! Du und Greg auf der Bühne. Zusammen! Ihr habt eine perfekte Chemie, ihr zwei ...«
Gregs Mund steht jetzt sperrangelweit auf, als ob er darauf wartet, dass ihn jemand füttert. Vorzugsweise mit Asbest. Die Blondine, die von seinem Schoß gehüpft ist, wäre eine gute Kandidatin dafür.
Ich bin etwas irritiert wegen seines Gesichtsausdrucks, hoffe aber, dass er nur positiv von mir überrascht ist. Ich werde im Rampenlicht stehen, und ich werde Greg küssen! Vor aller Leute Augen! Meine Arme fangen an zu kribbeln vor lauter Vorfreude, und ich stelle mir Cats Gesicht vor, wenn ich ihr das nachher erzähle.
Vielleicht wird mir der Fortschritt mit Greg dabei helfen, endlich meine dämliche Fixierung auf Adrian Moore loszuwerden. Ich meine, das kann nicht normal sein, was ich hier seit zwei Wochen mache. Jeden Morgen nach dem Aufstehen setze ich mich zuerst an meinen Computer, gucke bei Facebook nach, ob er was gepostet hat, und rufe meinen Google-Alert auf. Es gibt viele Neuigkeiten im Moment, weil ein Filmstudio die Rechte an seinem Roman erworben hat und sich die Fans nun in Spekulationen ergehen, wer die Hauptrolle spielen wird. Adrian selbst ist der am häufigsten vorgeschlagene Darsteller, obwohl er gleich bekannt gegeben hat, dass er sein mageres Schauspieltalent nicht unter Beweis stellen wird. Vielleicht war die Aussage der Ausschlag dafür, dass ich mich nun meinerseits gern mit der Schauspielerei probieren möchte? Was verstehe ich schon von meinem Gehirn!
Ich habe außerdem ein paar Mal bei ihm angerufen, nur, um seine Stimme zu hören. Und natürlich sofort wieder aufgelegt, nachdem er ans Telefon gegangen ist. Danach leide ich dann mindestens zwei Stunden lang, was ich jedoch niemandem gegenüber zugeben darf. Nicht einmal Cat weiß davon! Zum einen ist sie zu beschäftigt mit ihren eigenen Sorgen (sie guckt sogar ständig mit so einer GPS-App im Internet nach, wo Jonathan sich gerade aufhält! Also das ist echt ... ich glaube, das würde ich nicht mal machen, wenn ich auf Adrians Handy so ein Programm installiert hätte. Oder höchstens ganz selten). Zum anderen traue ich mich immer noch nicht, ihr zu erzählen, was in London wirklich vorgefallen ist. Ich habe ihr nur gesagt, dass wir uns wegen seines Romans schrecklich gezankt haben und er daher den Auftrag beendet hat.
Oh Mann, von der Aufregung in der Garderobe habe ich kaum etwas mitbekommen, so vertieft war ich in meine Gedanken. Gabys Wangen leuchten jetzt, und Greg hat die Blondine auf einem Barhocker neben sich platziert, wo sie schmollend sitzt und ihre langen Haare zwischen den Fingern dreht. Ich grinse sie an, während ich die silberne Spange löse, sodass sich die Locken über meine Schultern ergießen. Ich glaube, Gaby und Greg haben mich noch nie so gesehen, weil ich mein Haar sonst immer ganz pragmatisch hochstecke. Gregs Augen flackern auf, als sein Blick meine Mähne streift. Oder bilde ich mir das ein?
»Hast du gehört, Gwen? Wir fangen am Montag mit den Proben an. Greg kann dir nachher das Skript geben, dann hast du zwei Tage Zeit, um dich einzulesen. Es ist nur eine kleine Rolle, also wirst du wahrscheinlich nicht lange dafür brauchen.«
Ich nicke eifrig, während Gaby mir detailliert erklärt, was ich auf der Bühne zu tun habe. Außer, dass ich Greg küssen muss, interessiert es mich allerdings kaum. Schon male ich mir aus, wie dieser Kuss aussehen wird, und mir wird ganz warm bei dem Gedanken.
Oh Gwen, das war der beste Kuss meines Lebens! Was tust du nur mit mir?
Seltsamerweise taucht nicht Gregs blonder Haarschopf vor meinem geistigen Auge auf, als ich über den Kuss nachdenke, sondern ... Adrian. Warum schaffe ich es nicht, ihn aus meinem Hirn zu verbannen?
Ich schnaube verächtlich. Was wir hatten, war kurz und heftig, jetzt ist es vorbei. Es gibt keinen Weg zurück, das weiß ich. Und selbst wenn er mich noch wollte, würde ich Nein sagen müssen. Weil es keinen Sinn hat, weil wir so gut zusammen passen wie Engländer und Franzosen. Wie spanischer Käse und deutsches Bier. Greg ist dagegen einfach perfekt für mich! Er ist wunderschön, nett, er kennt mich schon lange, und ich weiß, dass er mich mag, auch wenn er mich im Moment noch nicht begehrt. Aber die Erfahrung mit Adrian hat mich stärker und mutiger gemacht, und ich bin mir sicher, dass ich es hinkriege, Greg irgendwann zu verführen. Vielleicht brauche ich dazu etwas Alkohol, okay, aber ich werde es schaffen. Der Kuss auf der Bühne ist der erste Schritt in mein neues Leben, und ich freue mich darauf.
»Worüber grinst du so?« Greg mustert mich neugierig. Er ist mit dem Stuhl näher an mich heran gerutscht.
»Ach, nichts«, antworte ich und winke lässig mit der Hand ab, dann nippe ich an meinem Drink.
Blondie blättert genervt in dem dünnen Theaterprogramm, das hier überall ausliegt, ohne ihren Schwarm dabei aus den übertünchten Augen zu lassen.
»Du hast dich verändert, seit du in London warst. Ich kann es nicht genau einschätzen, aber ... es gefällt mir.«
Noch immer grinsend stelle ich fest, dass er mein offenes Haar fixiert, während er mit mir spricht. Gut so! Noch besser wäre, wenn er meinen Mund ansehen würde, denn dann wüsste ich, dass er mich küssen will. Habe ich von Adrian gelernt.
Oh mein Gott! Da ist er schon wieder! Schleicht sich in meine Gedanken, obwohl ich hier sitze und dabei bin, eine Strategie vorzubereiten, wie ich Greg verführen kann. Mistkerl!
»Ich war in ein paar Clubs und habe mich in der Szene umgesehen«, höre ich mich plötzlich sagen, und Gregs Gesichtsausdruck verwandelt sich von erstaunt in ungläubig. Ich schlage die Beine übereinander, sodass sein Blick an meinen nackten Knien hängen bleibt. Da ich mir momentan keine neue Garderobe leisten kann, habe ich mich an Cats Kleiderschrank bedient. Ihre Miniröcke enden bei mir knapp über den Knien, und das ist völlig in Ordnung so. Schließlich will ich nicht aussehen wie eine verhinderte Prostituierte.
Greg beugt sich zu mir rüber. Er ist ganz Ohr und meine Hand fängt an zu jucken vor Aufregung.
»Das klingt wirklich spannend. Wirst du mir eines Tages alles darüber erzählen? Über diese ... Clubs?«
Ich zucke lässig die Achseln und leere mein Glas in einem tiefen Zug. »Glaub nicht. Das ist ganz schön geheim, weißt du? Da gehen berühmte und wichtige Leute hin, und Diskretion ist sehr wichtig. Sonst ...« Ich mache mit der Handkante eine Geste an meinem Hals, die überall auf der Welt verstanden wird. Sogar Greg zuckt kurz zusammen, bevor er mich wieder angrinst.
»Ehrlich, Gwen, aber wenn so ein Trip auf alle Frauen diese Auswirkungen hat, sollte der Staat das als Kur verschreiben.«
Ich schiele zu Blondie, die das Programmheft so heftig umblättert, dass sie dabei eine Seite zerreißt. Ihre Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und ihr Blick ist auf mich fixiert.
»Vielleicht kann ich dir mal unter vier Augen ...«, sage ich bedeutungsschwanger und deute mit dem Kinn über seine Schulter, woraufhin er sich umdreht und mit kindlichem Erstaunen die Blondine hinter sich mustert.
»Oh verdammt, die hab ich fast vergessen«, murmelt er und fährt sich durch die Haare.
Ich bin ganz hibbelig vor Anspannung und fühle mich ein bisschen wie ein Kleinkind, das die Angst überwunden und einen riesigen Hund gestreichelt hat. Erleichtert und stolz. Stolz darauf, dass ich mich nach all den Jahren endlich gezwungen habe, Greg deutlich zu machen, was mir an ihm liegt. Um noch interessanter für ihn zu werden, wende ich einen von Cats Tricks an. Ich gähne herzhaft, natürlich ganz damenhaft mit vorgehaltener Hand, und stehe auf. Sofort dreht er sich wieder zu mir um und sieht zu mir hoch.
»Gehst du schon?«, fragt er. Ich bin mir sicher, so was wie Bedauern in seiner Stimme zu hören.
Mein Körper prickelt vor Aufregung, aber ich gebe mir Mühe, total cool zu bleiben. »Ja, ich muss morgen früh raus, das Wochenende widme ich ganz meiner Abschlussarbeit. Wir sehen uns ja am Montag bei den Proben.« Augenzwinkernd wende ich mich zum Gehen.
»Warte, ich bring dich zur Tür.«
Träume ich das gerade? Seit zwei Jahren verlasse ich mehrmals pro Woche allein dieses Theater. Es ist das erste Mal, dass mich jemand zur Tür begleitet, und es ist so unnötig wie ein Silikonimplantat für Cat. Schließlich weiß ich sehr gut, wo es rausgeht. Trotzdem warte ich, bis Greg mir gefolgt ist, dann gehen wir gemeinsam durch den düsteren Gang, vorbei an der winzigen alten Toilette, deren Tür nicht mehr richtig schließt, und dem Büro, in dem neben zahlreichen Büchern und Unterlagen auch der schwarze Beo in seinem Käfig wohnt. Ich höre ihn quatschen; das Vieh macht einen irre, weil er ständig vor sich hinbrabbelt oder pfeift. Am liebsten imitiert er das klassische Hinterpfeifen von Bauarbeitern, das hat Gaby ihm beigebracht.
»Ich freue mich auf Montag«, sagt Greg und bleibt, einen Arm in den Türrahmen gestützt, vor mir stehen.
Ich runzle die Stirn und frage mich, ob ich jetzt unter seinem Arm durchkriechen soll, oder warum er mir sonst den Weg versperrt, da nähert er sich meinem Gesicht auf eine derart eindeutige Weise, dass sich mein Magen verknotet.
»Vielleicht können wir vor der eigentlichen Probe einen kleinen Test ...?«, fragt er leise, sein Mund nur noch Zentimeter von meinem entfernt.
Der Beo lacht hysterisch, was mich irritiert und gleichzeitig zum Kichern bringt. Und genau in diesem Moment ertönt das Glockenspiel von Big Ben, was meinen Herzschlag blitzschnell in ungesunde Höhen treibt. Lieber Himmel, wer ruft denn um diese Uhrzeit noch an?