Vonda N. McIntyre
Elfleda
ELFLEDA

 

Ich liebe sie. Und ich beneide sie, denn sie ist schlau genug, unsere Schöpfer hinters Licht zu führen. Jedenfalls die meisten. Sie ist kein richtiges Einhorn – viele von uns verfügen über menschliche Teile, und sie macht da keine Ausnahme. Andernfalls wären die Rückverbindungen zu kompliziert. Unsere ach so klugen Besitzer sind eben doch noch nicht klug genug, Nerven direkt mit dem Gehirn verbinden zu können.

Daher ist Elfleda, wie ich auch, von den Hüften an aufwärts fast völlig menschlich. Darunter bin ich anders: ein Zentaur. Sie ist ein Einhorn, ihre Hufe sind paarzehig, sie hat den Schwanz eines Löwen, und ihre Stirn ziert ein korkenzieherähnliches Horn. Ihre silberne Stirnlocke verbirgt die Narbe an dessen Ursprung, das silberne Haar erwächst aus ihren Schultern und dem Rückgrat und fällt anmutig herab. Ihr Körper ist schlank und hellgrau, Sprenkel verlaufen entlang ihren Flanken. Das Haar ihrer Schwanzspitze ist fast schwarz. Lange Zeit dachte ich, ein Chirurg hätte einen Fehler gemacht oder ihr einen Streich gespielt, doch schließlich verstand ich, weshalb das so war, als ich aus der Ferne beobachtete, wie sie katzengleich mit dem langen Schwanz wedelte. Mein Körper besitzt nicht diese artistische Originalität. Ich hasse alles an mir fast ebensosehr, wie ich alles an Elfleda liebe.

Sie spricht nur aus der Ferne zu mir. Ich glaube, sie will mich quälen. Wenn die Meister unseren Park besuchen, beobachtet sie sie, peitscht mit dem Schwanz und galoppiert weg. Manchmal gönnt sie ihnen auch den Vorzug eines flüchtigen Blickes auf ihr silbernes Fell. Ihre Unzugänglichkeit macht sie zur Gesuchtesten von uns allen. Sie folgen ihr, sie rufen nach ihr, doch nur wenige dürfen sie berühren. Sie ist die einzige von uns, die sich ihrem Willen widersetzen kann. Doch auch diese Freiheit war ihre Schöpfung – sie sind so mächtig, daß sie es sich leisten können, mit der Illusion von Trotz zu spielen.

Doch der Rest von uns, die anderen Zentauren, Satyre, Nymphen und Meeresbewohner, wir eilen über die Wiesen, warten im Wald oder laufen gar auf Besucher zu, damit man Notiz von uns nimmt.

Uns zu beschweren wagen wir nicht. Das sollten wir auch nicht tun, im Gegenteil, wir sollten dankbar sein. Man hat uns die Leben gerettet. Jeder von uns wäre gestorben, hätten die Meister uns nicht akzeptiert und aufgenommen. Wir verdanken ihnen unser Leben, und das ist die Währung, in der wir in ihrer Schuld stehen. Manchmal scheint mir dieser Preis zu hoch, doch nichts hält mich davon ab, von einem Berghang herabzuspringen oder giftige Blumen zu essen. Ich lebe immer noch.

Die Nachmittagssonne auf der Wiese ist warm, daher gehe ich durch das hohe Gras auf den Wald zu. Ein kleines Geschöpf flieht von seiner Schlaf statt, es ist ebenso überrascht durch meine Anwesenheit wie ich durch seine. Es erhebt sich galoppierend in die Lüfte: ein kleiner Pegasus. Im Vergleich zu seinem Körper wirken seine gefiederten Schwingen überproportioniert. Doch das ist eigentlich der Grund, weshalb ein Pegasus überhaupt fliegen kann. Bei diesem handelt es sich um ein winziges Scheckenpony, das mir kaum bis zum Knie reicht. Er überfliegt die Hälfte der Wiese, dann läßt er sich wieder auf die Erde nieder und trottet davon, während er seine Schwingen zusammenfaltet. Die größeren Pegasi, etwa in meiner Größe, sind spektakulär, doch sie sind an die Erde gefesselt. Sie suchen den Flug und können ihn doch niemals finden. Einst beobachtete ich einen, der mit ausgestrecktem Nacken, bebenden Nüstern und hoch erhobenem Schwanz im Wind stand und rannte und galoppierte, doch seine Schwingen waren nicht groß genug, ihn vom Boden zu tragen. Unsere Meister bedienen sich ihrer Tiere so, wie sie sich auch uns Halbmenschen bedienen – zur Ablenkung und um der Schönheit willen. Ihnen kommt es nicht in den Sinn, daß das Herz eines fliegenden Pferdes brechen kann, wenn es ihm unmöglich ist zu fliegen.

Der Schatten des Waldes umfängt mich mit dem kühlen Aroma von Pinien und Humus. Der Boden unter meinen Hufen ist weich. Ich spüre seinen Widerstand, aber nicht seine Beschaffenheit. Als ich mich zum erstenmal nach der Operation, den Schmerzen und der Heilung erhob, hatte ich kaum richtig gehen können. Ich strauchelte und fiel, und mir wurden schwere Strafen angedroht, sollte ich mein helles Seidenfell verunstalten. Danach ging ich langsamer und lernte rasch. Menschenwesen sind nicht dafür geschaffen, mit sechs Gliedmaßen umzugehen, doch wir können uns anpassen. Ich lernte das Gehen, Traben und das Galoppieren, und schließlich lernte ich auch noch, meine Arme gleichzeitig mit der nötigen Anmut zu bewegen. Ich verletzte mich nicht, und nun ist meine Haut – meine menschliche Haut – fast so dunkelbraun wie mein Fell. Meine Mähne, mein Schweif und die unteren Teile der Beine sind schwarz.

Der Bach fließt lärmend vorüber. Er ist angeschwollen vom Schmelzwasser des Schnees. Er stürzt über einen Steinhang in einen Bergsee, in dessen Tiefen sich eine andere Welt der Freiheit abzeichnet. Dort werden die blauen Berge zu purpurnen Tälern, die man leicht erreichen könnte, wüßte man nur den Weg, der einem Zutritt zu ihnen verschafft. Die Berge aber sind unbezwingbar. Einer der größeren Pegasi erkletterte sie einst auf der Suche nach dem Himmel, doch dann glitten seine Hufe auf halbem Weg auf bloßem Felsgestein aus, und er fiel. Pferdebeine sind nur sehr schwer zu heilen, daher wurde er human getötet. So human, wie ihm das Leben geschenkt worden war.

Die Oberfläche des Teiches gerät in Bewegung, und einer vom Meervolk gleitet auf die vom Nebel feuchten Steine. Das ist der Lieblingsplatz des Meervolks, wo sie sich aufwärmen, wenn ihnen das kalte Wasser die Erinnerung nehmen will, daß sie eigentlich Warmblüter sind. Ich glaube, das Wesen ist eine Seejungfrau, kann es aber auf diese Entfernung nicht mit Sicherheit sagen. Sie sind alle schlank und leicht, haben schmale Schultern und helles Haar. Die Frauen haben fast keine Brüste und die Männer keine angemessenen Geschlechtsorgane. Sie haben alle nur Schlitze, die, wie bei Fischen, halb unter den Schuppen ihrer Unterkörper verborgen sind. Ich habe nie gesehen, daß sie miteinander kopuliert hätten, daher dient die Öffnung wahrscheinlich nur der Ausscheidung und der Lust unserer Schöpfer. In dieser Hinsicht sind die Meerwesen ebenso deformiert wie ich, aber auf eine andere Art. Sie haben überhaupt keine Genitalien, ich aber habe gleich zwei. Ich bin sicher, daß ein Bioingenieur sich damit einen Preis für kluges Design verdient hat. Mein menschlicher Penis befindet sich an der üblichen Stelle, aber oberhalb der Pferdebeine. Meine Hengstorgane sind wesentlich diskreter zwischen den Hinterbeinen verborgen.

Die Seejungfrau schlägt mit dem Schwanz aus, funkelnde Wassertröpfchen spritzen in die Luft. Ein weiterer Angehöriger des Meervolks gesellt sich zu ihr. Aber sie berühren einander nicht, zwischen ihnen finden keine Intimitäten statt. Vielleicht hat man ihnen solche Gefühle bei der Erschaffung genommen, vielleicht dämpft das eiskalte Wasser ihre Hingabe und ihre Körper.

Doch, oh ja, sie sind sehr hübsch. Wenn ich zum Trinken hinauswate, kann ich manchmal ihre Körper unter der Wasseroberfläche sehen, sie schwimmen gemäß ihren eigenen, nicht nachvollziehbaren Mustern, ihr helles Haar schwebt hinter ihnen her, golden, scharlachrot, silbern, ihre Schuppen schimmern hellblau, orange und schwarz, aber immer mit einem metallischen Schimmer. Ihre Schwanzflossen sind wie Gaze, wie Brokat oder durchsichtige Seide, in der man die Venen sehen kann. Ihre Kiemenschlitze bilden unzählige Linien über Rücken, Nacken und Kehlen.

Sie sprechen niemals.

Würde ich aus meinem Versteck hervortreten, die beiden Meerwesen würden augenblicklich unter der Wasseroberfläche verschwinden. Zwei konzentrische Kreise winziger Wogen würden aufwallen und langsam wieder verschwinden, und ich wäre wieder allein. Daher bewege ich mich nicht. Ich beobachte die herrlichen Geschöpfe, die sich sonnen und mit gelegentlichen Bewegungen ihrer Schwanzflossen Wasser über ihre Körper spritzen.

Ich beneide ihre Zufriedenheit mit Einsamkeit und Unabhängigkeit ebensosehr, wie ich Elfleda beneide. Sie werden niemals von den Spielen berührt, die unsere Herren miteinander spielen. Elfleda schaut von einem hohen Plateau herab, das nur sie allein erklimmen kann. Das Meervolk gehorcht mit blicklosen Augen den Befehlen der Herren. Ich glaube, sie haben anderentags alles wieder vergessen.

Ich vergesse niemals. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Zwischenfall, seit ich hierher gebracht wurde. In Kürze wird alles von vorn beginnen.

Eines der Meerwesen verschwindet, kurz darauf das andere. Mir ist im Wald kühl geworden, außerdem bin ich hungrig. Die Sonne scheint mir warm auf den Rücken, nachdem ich den Schatten verlassen habe und mich durch die Wiese dem Obstgarten nähere.

Licht, das durch die gesprenkelte Decke hereinfällt, erzeugt ein Muster auf meinem Fell. Das lässige Summen der schwarzen Fliegen stört mich nicht weiter. Ich muß gestehen, manchmal kann es von Vorteil sein, einen langen Schwanz zu haben.

Ein Nymphe und ein Satyr kopulieren unter einem Pflaumenbaum. Sie bemerken mich nicht. Sie sind so unverfroren, wie das Meervolk scheu ist. Der kurze, pelzige Schwanz des Satyrweibchens schnellt auf und ab, während sie den Nymphen besteigt und mit ihren haarigen Beinen umklammert. Seine grünen Hände umklammern ihre Hüften und gleiten weiter nach oben, um ihr rosa Fleisch zu liebkosen. Zu beiden Seiten der pelzbesetzten Kuppe ihres Rückgrats ist die Haut etwas sonnenverbrannt. Der Nymph beugt sich zu ihr hoch und dringt grunzend in sie ein, woraufhin sie die Finger in seinem grünen, lockigen Haar vergräbt. Er stemmt die Füße auf den Boden und bohrt die Zehen hinein, während ihre Hufe Sand vom Boden aufwirbeln. Der Nymph stöhnt und zieht die Satyrfrau enger an sich. Unsere Schöpfer haben keinerlei Respekt vor dem ursprünglichen Geschlecht ihrer Geschöpfe. Sie gefallen nur sich selbst, niemals wollen sie den Mythen oder Legenden gerecht werden.

Ich mache kehrt und galoppiere von dem atemlosen Keuchen und Stöhnen und Seufzen auf der Lichtung weg. Ich selbst habe einmal mit der Satyrfrau kopuliert. Gott stehe mir bei.

Das Gras der Wiese teilt sich vor mir, die Luft fließt wie Wasser durch meine Mähne. Bei der herrschenden Hitze sind die Vögel stumm, doch der schrille Gesang der Zikaden treibt mich weiter. Meine Hufe wirbeln Staub auf, zertreten Blumen und hinterlassen Abdrücke im Torf. Schweiß kitzelt in meinen Augen. Das Atmen schmerzt, daher presse ich die Ellbogen fest gegen die Flanken. Ich atme die Luft in Feuergarben ein. Schweiß rinnt an meiner Brust hinab, befeuchtet meine Flanken, fließt an den Beinen hinab und spritzt beim Laufen von meinen Fesseln. Zwischen meinen Hinterbacken wird der Schweiß zu weißem Schaum verrieben.

Die Wiese endet, ich galoppiere zwischen Felsen dahin. Ich springe über einen großen Stein und lande zwischen Kies und Geröll. Das Tal wird enger, steigt und endet vor einer Felswand. Ich stolpere, bleibe stehen, verharre mit gespreizten, in den Knien etwas angewinkelten Beinen und versuche, nur zu atmen.

Später erkenne ich, daß ich immer noch in einer Hand eine Pflaume, in der anderen einen Pfirsich halte. Der Saft der zerdrückten Früchte rinnt zwischen meinen Fingern herab. Ich zerbeiße die Früchte mit den Zähnen und schlucke das Fruchtfleisch, bis nur noch die Kerne übrig sind. Die Obstbäume sind Hybriden, sie bringen nur Mißbildungen und Freaks hervor. Ich werfe die Samen zwischen ödes Gestein, wo sie keinesfalls keimen können.

Während ich den Berg wieder hinabtrotte, trocknet der Schweiß auf meinem Körper. Vom Zentrum des rechten Hinterhufs breitet sich ein pochender Schmerz im Bein aus. Ich glaube, ich habe eine Schwellung.

Wieder auf der Wiese, lege ich mich im hohen, kühlen Gras nieder. Beim Schlafen ist mir immer unwohl. Stehe ich wie ein Pferd, sinkt mein Kopf nach vorne, und ich bekomme Rückenschmerzen. Auf der Seite zu liegen, den Kopf auf die Arme gebettet, ist ebenfalls unbequem, weil mir dabei immer die Arme einschlafen.

Als ich wieder erwache, fällt bereits der Schatten der Berge über mich. Bald wird es dunkel werden, und der Vollmond wird scheinen. Ich strecke die Vorderbeine aus und richte mich auf.

Ein weißer Blitz zwischen den Bäumen erregt meine Aufmerksamkeit.

„Elfleda!“

Sie bleibt stehen und wendet sich mir zu, wobei sie den Kopf anmutig senkt, um das Horn zwischen Zweigen herauszuziehen. Sie hat kleine Brüste und lange, kräftige Hände. Am Nabel geht Menschenhaut in Tierfell über, doch wie alle anderen Äquiformen auch verfügt sie über menschliche Geschlechtsorgane zwischen den Beinen. Unsere Besitzer müssen Elfledas Tierkörper sorgfältig geplant und gezüchtet haben, denn sie ist sowohl Pferd wie Hirsch, ihr Fell aber ist das kräftige und bezaubernde einer Ziege. Sie wedelt mit dem Schwanz.

„Hallo, Achilleus. Was willst du?“

„Ich …“ Aber ich kann nichts von ihr wollen, das sie mir geben würde. Sie ist nicht grausam, nur distanziert. Sie hegt keine besonderen Gefühle für mich, und ich habe auch keinen Grund, das zu erwarten.

„Sie werden bald wiederkommen“, sagt sie.

„Ich hoffe nicht.“

„Sie werden.“

„Und du wirst auf sie warten.“

„Ja“, sagt sie. Ich verstehe nicht, weshalb sie nicht im Wald verschwindet, wenn sie kommen, schließlich kann sie fast alle ignorieren. Statt dessen beobachtet sie, und unsere Meister sehen sie und werden eifersüchtig auf ihre Freiheit. Was sie geben, können sie auch wieder nehmen.

Elfleda wedelt wieder mit dem Schwanz. Die schwarze Spitze berührt ihre Pferdeschulter, ihre Flanken. Der Wind weht ihr kurzes, feines Haar vom Kopf weg und verleiht ihr so einen silbernen Heiligenschein. Ich schreite auf sie zu, und sie weicht nicht zurück. Aber ich bin schweißnaß und staubverkrustet, und ich rieche wie ein erhitztes Pferd, nicht wie ein Mensch. Es ist mir peinlich, mich ihr so zu nähern. Sie beobachtet mich und wartet furchtlos. Sie weiß, wenn nötig, könnte sie mir entfliehen. Sie haben mich groß gemacht – größer als im Leben, im wahren Leben –, aber sie ist geschwind, und ihre Hufe sind scharf. Sie haben mir auch nicht soviel von meiner Menschlichkeit genommen, daß ich sie mit Gewalt nehmen könnte. Das wäre wahrlich ein bitterer Sieg.

„Früher hielt ich mich nicht für häßlich …“ Meine Stimme klingt kläglich. Ich sollte nicht so zu ihr sprechen, als wäre ich zufrieden, würde sie mich aus Mitleid akzeptieren.

Sie runzelt die Stirn, doch dann kommt sie auf mich zu. „Und wenn du es wärst, Achilleus, du weißt, mir wäre es gleich.“ Sie greift nach mir, ich kann die Wärme ihrer Hand am Gesicht spüren. Sie hat mich noch niemals berührt.

Ich weiche zurück und wende mich ab. „Du hältst mich immer noch nicht für attraktiv.“

„Das ist nicht fair.“

Und nicht einmal jetzt sehe ich sie an, obwohl ich weiß, daß sie recht hat. „Du hast ihre Regeln akzeptiert. Nichts bindet uns an sie.“

„Meinst du nicht?“

„Was hält dich davon ab, mich zu lieben?“

„Wir lieben, oder aber wir lieben nicht.“

„Wir lassen es zu, daß sie uns beherrschen.“

„Wir können sie nicht aufhalten“, sagt sie, und wieder hat sie recht. Zwischen der Zeit ihres Kommens gebe ich mich gern dem Glauben hin, wir könnten ihnen Widerstand leisten, wenn wir es versuchen, und ich gebe unserem Gehorsam, unserer Schwäche und unserer Unterwürfigkeit die Schuld, unserer Bereitschaft, beherrscht und damit von jeglicher Verantwortung entbunden zu sein. Doch wenn mich der Zwang überkommt …

Elfleda berührt meinen Arm, ich zucke heftig zusammen. Sie springt ebenso überrascht wie ich zurück, ihre andere Hand ist immer noch zum Himmel erhoben, wohin sie meine Aufmerksamkeit lenken wollte.

„Schau.“

Dunkelheit hat sich herabgesenkt. Ich betrachte die Sterne und sehe ein gleißendes, vielfarbiges Licht näher kommen. Über uns fliegen unsere Meister in einem lenkbaren Luftschiff, das majestätisch über den Bergen dahingleitet. Seine Maschinen sind fast lautlos. Es ist in Licht gebadet, das sogar die Baumwipfel darunter zu erhellen vermag. Es zieht direkt über uns dahin, wir hören Musik und Gelächter. Ich betrachte Elfleda. Das Licht färbt ihre Gestalt rot, violett, blau, grün. Ihr Ausdruck ist hoffend und sehnsüchtig. Mich sieht sie nicht an.

Ein scharfer Schrei des Schmerzes oder des Entzückens lenkt meine Aufmerksamkeit wieder zum Luftschiff. Als ich den Blick wieder senke, ist Elfleda verschwunden.

Aber was macht das schon? Was schert mich sie? Wenn sie mich nicht begehrt – andere tun es. Vor einem Augenblick fühlte ich mich noch abgespannt und müde, nun aber bin ich wieder mächtig und voller Freude. Zwischen mir und der Wiese liegt der halbe Wald, und wenn ich mich nicht beeile, werde ich zu spät kommen. Doch Entfernungen spielen keine Rolle. Immergrüne Zweige streichen über meine Gestalt, während ich dahineile. Der Schmerz in meinen Hufen ist kaum mehr als ein Insektenstich.

Alle von unserer Art haben sich auf der Wiese versammelt, Tiere und Halbmenschen gleichermaßen. Die kleinen Pegasi fliegen um und über uns, während die größeren, flugunfähigen ihr Gefieder zur Schau stellen. Ein auf einem Felsen sitzender Gryphon brüllt und kreischt, während der überirdische Schein des Fluggeräts uns einhüllt. Das Luftschiff senkt sich langsam herab. Es ist so groß, daß sein Umriß die Sterne auslöscht. Ich ergreife ein Haltetau, die Zentaurin Hekate ein anderes. Hekate zieht fester als ich, ihre Muskeln treten hervor. Das Schiff senkt sich auf ihrer Seite, sie lacht. Wir ziehen das Schiff gegen die Fliehkraft herunter und glorifizieren unsere Stärke. Dann binden wir die Taue an Bäumen fest. Unsere Meister betreten den Boden.

Sie sind gewöhnliche Menschen, so gewöhnlich wie wir vor unserer Veränderung. Sie sehen so seltsam aus mit ihren zwei Beinen sowie den fehlenden Hufen, Klauen und Haaren. Sie sind klein, schwach und doch übermächtig. Sie lächeln uns zu, und wir warten und hoffen, erwählt zu werden. Sie sind so herrlich anzusehen wie Blumen. Der Gryphon kauert sich nieder und reibt sich einschmeichelnd an ihren Beinen.

Eine schattenhafte Gestalt steht in der Luke des Flugzeugs und schaut herunter. Er tritt herab und zögert, als das Licht auf ihn fällt. Sein Gesicht ist ungeschlacht, sein Ausdruck unsicher. Er ist sowohl neugierig als auch furchtsam.

„Hekate!“

Der häßliche Junge verschwindet aus meinen Gedanken. Einer unserer Meister ruft Hekate, die gehorcht, ihr schwarzes Haar weht im Wind hinter ihr her. Ihre Hufe trommeln auf der Erde, bis sie schließlich vor der schlanken jungen Frau stehenbleibt. Ihr Pferdekörper ist kräftig und groß und eindrucksvoll, seine dunkle Ebenholzfarbe schimmert durch das bunte Licht des Luftschiffs. Im anderen Leben muß sie eine schöne und begehrenswerte junge Frau gewesen sein, denn sie ist ein verlockender Mythos. Die junge Frau springt auf ihren Rücken und gräbt die Fersen in ihre Flanken. Sie lacht. Hekate wirbelt herum und prescht über die Wiese, wobei sie den Schweif wie ein Banner hochhält. Die Vibrationen ihrer Huftritte hallen um uns herum.

Zwei Satyre heften sich an ihre Fersen, sie sind so ausgelassen und wendig wie Ziegen. Ihr Aroma vermischt sich in der Luft mit dem Schweißgeruch Hekates.

Ich spüre einen leichten Druck auf dem Rücken. „Lauf, Achilleus, folge ihnen.“ Ein Nymph umklammert mich mit seinen langen, bleichen Beinen, seine Finger berühren meinen Bauch. Er ist fast gewichtslos. „Lauf, sonst werden sie uns zurücklassen!“

Ich gehorche ihm, als wäre er ein Meister. Ich kann Hekates Spur anhand des niedergetrampelten Grases mit Leichtigkeit ausmachen. Ich springe über ein Hindernis und erkenne später, daß es sich lediglich um die abgestreifte Kleidung des Menschen gehandelt hat. Ich galoppiere durch das seichte Wasser des Sees, Wasser spritzt in alle Richtungen. Nackte Menschen waten auf die Felsen zu, wo das Meervolk wartet.

Hekate und der Mensch werden vom Mondlicht versilbert. Sie umarmen sich, der Mensch steht auf Hekates breitem Rücken und beugt sich nach vorn, um sie zu küssen. Die Menschenfrau schaut zu mir herüber. Sie lacht.

„Was sollen wir mit ihnen anfangen?“

„Sie erschöpfen.“ Hekates Lachen ist leise und voll. „Sie erschöpfen und dann wieder unserer derzeitigen Beschäftigung nachgehen.“

Die beiden Satyre kopulieren im Gras und beachten keinen von uns. Während ich auf Hekate zugehe, hüpft der Nymph von meinem Rücken. Die Menschenfrau wendet sich um und sitzt verkehrt herum auf ihrem Rücken. Sie öffnet die Arme für mich. Ich trete näher, besteige Hekate als Hengst und umarme die Frau als Mann. Sie spreizt die Beine über meine Vorderhufe und zieht sich an mich. Während sie mich herabzieht, um mich zu küssen, beugt sich Hekate ebenfalls hinab und liebkost den gold-grünen Nymph. Er ist leicht und dünn, aber groß genug für sie. Er umklammert Hekate und gräbt die Fingernägel in ihre Schultern. Die Menschenfrau stöhnt und streicht mit der Hand über meinen Bauch. Ich bewege mich in konstantem Rhythmus, und Hekate stöhnt, während sie zweifach von Wogen der Lust durchpulst wird.

Zwischen uns sind viele Kombinationen möglich. Meine Erinnerung ist wie eine diamanthaltige Druse, opaliszierend, doch mit Funken kristallener Klarheit. Als es vorüber ist, küßt mich die Menschenfrau ein letztes Mal zärtlich und gleitet von Hekates Rücken herab. Als die Frau den Nymph wegzieht, lehnt sich Hekate an mich. Überall rings um uns her lachen und bewegen sich Wesen, sie berühren uns alle und bilden so einen riesigen Tanz. Ein anderer Zentaur galoppiert an uns vorbei und wirft mir einen ledernen Trinkschlauch zu. Ich halte ihn Hekate hin, dann trinke ich selbst. Der warme Wein kühlt mich ab, er tropft mir auf Kinn und Bauch und in Hekates lange Mähne. Der Geschmack ist stark und sauer, und wir bekommen die Wirkung fast augenblicklich zu spüren. Von neuen Lebensgeistern erfüllt, mache ich auf den Hinterhufen kehrt und tolle zusammen mit Hekate wie ein Fohlen über die Wiese, wobei wir nach einem Nachtpony hangeln, das zwischen uns schwebt. Seine schwarzen Fledermausflügel sind rasiermesserscharf. Unter einem Baum sehen wir uns an und kopulieren noch einmal, während in der Nähe ein Menschenpaar zuschaut und lacht.

Die Energie des Rausches hält einige Zeit an, doch dann verfliegt sie wieder, während Hekate mich ausgelassen unter den Bäumen jagt. Ich stolpere und werde langsamer, sie zieht an mir vorbei und ruft nach mir, doch als ich ihr nicht folge, da schnaubt sie und galoppiert weg. Ich lasse mich in das sanfte Kissen der Piniennadeln sinken und gebe mich einer erfreulichen Lethargie hin. Während ich döse, kommt der goldgrüne Nymph zurück und rollt sich vertrauensvoll zwischen meinen Hufen zusammen.

Ich träume von Elfleda, doch gerade als ich sie berühren möchte, verblaßt der Traum. Ich erwache halb und sehe sie tatsächlich vor mir, halb verborgen zwischen Farnen. Sie weiß nicht, daß ich hier bin.

Der häßliche Menschenjunge steht vor ihr. Er hat den Kopf gesenkt, so daß ihm das Haar ins Gesicht fällt und es verbirgt. Elfleda sagt etwas zu ihm, das ich nicht verstehen kann, da schaut er auf und lächelt. Seine Bewegungen sind zögernd. Elfleda nimmt ihn bei der Hand. Er berührt ihre Brüste, ihre Kehle, ihre Stirn, ihr gezwirbeltes Horn. Sie berührt ihn an den Schultern und reckt den Kopf empor. Dann verschwinden sie gemeinsam im Wald. Ich zittere, schließe die Augen und versuche, wieder einzuschlafen, während ich mir selbst glauben machen möchte, ich sei nie wirklich erwacht.

Noch im Verlauf der Nacht kommt Hekate zu mir zurück und legt sich Rücken an Rücken mit mir, damit wir es uns beide etwas bequemer machen können. Ich hatte erwartet, daß sie bei der Menschenfrau bleiben würde.

„Konntest du sie nicht finden?“

„Ich habe sie gefunden“, antwortet Hekate. Ich warte. Schließlich fährt sie fort. „Sie hat mich weggeschickt. Ich nehme an, sie hatte etwas Besseres vor.“ Ihre leise Stimme ist wie geschaffen für Zorn, aber nicht für Enttäuschung. Sie murmelt noch einige weitere Worte, während wir uns beide zum Schlafen ausstrecken. Auf der Wiese werden sich nur noch einige Menschen und wahrscheinlich die Satyre betätigen. Ich begreife nicht, weshalb sich die Menschenfrau von Hekate abkehrte. Auch ich wäre enttäuscht, wenn mich jemand wegen dieser haarigen Geschöpfe abgewiesen hätte. Doch wir gehorchen unseren Meistern, so lange wir es vermögen, ob sie uns nun befehlen, ihnen zu dienen oder sie zu verlassen.

Die Nachwirkungen der Nacht branden über mich herein, ich bin erschöpft.

Der Nymph schnarcht, und Hekate räkelt sich im Schlaf. Ich höre Gelächter und Kichern, einen geflüsterten Befehl, leise zu sein, doch die Geräusche gehen wie eine Brise über mich hinweg. Das müssen Menschen sein, die nach Unterhaltungen suchen, aber ich kann ihnen nicht mehr zu Willen sein.

Wir haben wenig Stürme hier, doch wenn sie kommen, dann sind sie heftig und verheerend. Wir wissen, wann wir Zuflucht suchen müssen, denn ihnen geht immer ein kühler Wind von den Bergen voraus, der ein bestimmtes Aroma mit sich bringt. Mein Fell stellt sich auf, denn jener Wind ist der Wortbrise nur zu ähnlich.

Ich bewege die Beine vorsichtig, damit ich den schnarchenden Nymph nicht verletze, dann erhebe ich mich. Hekate regt sich, erwacht aber nicht. Ich bin schon ganz steif und ungelenk, meine Beine schmerzen. Aber ich erinnere mich an die Richtung, in die Elfleda und der häßliche Junge gegangen sind. Und ich erinnere mich, wie die Menschen sie verfolgten.

Ich folge der niedergetrampelten Spur, habe aber Angst, laut nach ihnen zu rufen. Elfleda könnte außerhalb der Hörweite sein, doch wenn die Menschen mich hören, werden sie mich zum Schweigen bringen. Ich klettere so rasch wie möglich. Der Schmerz in den Hufen breitet sich in den Beinen und entlang den durch meine ungewöhnliche Konstruktion belasteten Teilen aus.

Plötzlich erreiche ich die Baumgrenze. Das Mondlicht wirft meinen langen Schatten auf hellen Granit. Der Berggipfel ist immer noch weit entfernt und durch Klüfte, Felsen und Felswände von mir getrennt.

Ich erklimme den ersten Paß, meine Hufe kratzen über kahles Gestein. Als ich den Gipfel erreicht habe, kann ich Elfleda und den Jungen golden zwischen den Nebeln des Schattens ausmachen. Er hat die Hände in ihre Mähne verkrallt, sie hat die Arme um seinen nackten Körper geschlungen. Er preßt sich rhythmisch gegen sie.

Sie sind sicher und allein. Ich aber bin deutlich vor dem Hintergrund des Himmels zu sehen und spioniere ihnen nach. Ich schäme mich. Ich werde wieder zu Hekate zurückgehen …

Der Mond spiegelt sich in einer Waffe.

„Elfleda!“

Während sie aufgrund meiner Warnung den Kopf hochreißt, fallen die Menschen über sie her. Der Junge springt überrascht und verlegen zurück. Die Menschen schwärmen um sie herum und brüllen triumphierend, während sie Netze und Seile bereithalten, um ihr den Schneid wieder abzukaufen, den sie ihr einst verliehen haben. Der häßliche Junge blickt verwirrt von einem Gesicht zum anderen. Wenigstens wußte er nichts von den Plänen seines Initiationsfestes. Er sieht die Seile und wehrt eines ungehalten ab. Elfleda weicht vor einem anderen zurück, das sie verfehlt. Sie geht mit gesenktem Kopf auf die Menschen zu, die vor ihrem scharfen Horn zurückweichen. Sie ist zwischen den Bergen und den wartenden Netzen gefangen.

Ich galoppiere den Hang hinunter. Eine Schlinge senkt sich über Elfledas Kopf und wird gespannt. Sie wendet sich um, ergreift das Seil und stemmt sich auf die Hinterbeine, um zu ziehen, was den Menschen aus dem Gleichgewicht bringt. Sie entreißt ihm das Seil und wirft es zu Boden, doch da senkt sich bereits eine neue Schlinge über ihre Schulter. Eine schnappt wie eine Schlange nach ihren Hinterbeinen. Sie springt verblüfft auf, doch das straffe Seil zieht sie mitten im Sprung wieder zu Boden. Sie bleibt verblüfft liegen, eine rote Verletzung zieht sich über ihre Kehle, Blut tropft von dem Bein, wo sie von dem Seil verletzt wurde.

Die Menschen bilden lachend einen Kreis um sie, während ich näher komme. Meine Huf schlage hallen von den Felswänden zurück. Für unsere Meister ist dies ein Abenteuer. Ich sehe, wie Elfleda zwischen ihnen den Kopf hebt. Sie bäumt sich auf, als ein Mensch zu ihr herantritt, ihr Horn reißt eine tiefe Wunde. Ich erreiche die Menge und bedränge unsere schwachen Meister mit den Schultern. Dann wende ich mich der Frau zu, die das Seil in den Händen hält. Ich ergreife sie und werfe sie den Berghang hinab.

Unsere Meister haben aufgehört zu lachen.

Elfleda kickt ein Seil weg und löst ein zweites, worauf sie sich mühsam wieder erhebt. Sie bedroht die Menschen mit ihrem Horn, ich mit den Fäusten und Hufen. Sie kreisen uns ein, bleiben aber auf Distanz. Wir haben uns Achtung verschafft.

„Achilleus!“

Sie macht einen Ausfall, und ich folge ihr. Die Menschen heben ihre Netze und ermahnen sich brüllend zur Eile. Ein Netz senkt sich über uns, doch Elfleda kann es packen und wegziehen. Ich gewinne an Geschwindigkeit, konzentriere mich und springe. Ein Tau streift mich, verfehlt meine Vorderbeine – doch es um die Vorderbeine zu schlingen ist sinnlos, sie müssen meine Hinterbeine erwischen –, ich schlage aus, das Seil rutscht auch von meinen Hinterbeinen ab, und ich bin frei!

Ich haste hinter Elfledas bleicher Gestalt her. Unser Rückweg zum Park, wo wir uns verbergen und hoffen können, daß der Zorn unserer Meister verraucht, ist abgeschnitten. Elfleda flieht auf die Berge und unpassierbaren Hänge zu.

Sie beginnt zu klettern, zögert aber, als sie mich nicht mehr hinter sich hören kann. „Achilleus, komm schon!“

„Aber wohin sollen wir gehen?“

„Egal – aber auf keinen Fall zurück, wenn wir leben wollen! Beeile dich!“

Sie greift ermutigend zu mir herunter, doch sie ist bereits so hoch oben, daß sie mich nicht mehr erreichen kann.

„Dort oben haben wir keine Chance.“

Sie schaut an mir vorbei. Ich drehe mich um. Unsere Meister sind sehr nahe und zuversichtlich über den Ausgang der Jagd.

„Rasch!“ mahnt Elfleda wieder. Ich schreite mit den Hufen über kahlen Fels. Das ist Verzweiflung. Ich klettere. Ich rutsche auf den Felsen aus. Meine Hufe sind für Wiesen und Prärien geschaffen. Ich kann die Meister dicht hinter mir hören. Ich will schneller gehen, doch ich gleite aus und stürze auf die Knie, ich stoße einen Schmerzensschrei aus und stütze mich mit den Händen ab, um nicht zu fallen. Mein Blut tröpfelt auf Granit.

Elfleda ist fast nahe genug, um mich zu berühren. Ist sie heruntergekommen, um mir beim Klettern zu helfen?

„Ich kann nicht …“

„Versuch’s“, sagt sie. „Versuch es einfach …“

Als sie meine Hand ergreift, wirbelt, silbern im Mondlicht, ein Seil über ihren Kopf.

Eine zweite Schlinge schließt sich um meinen Hals und reißt mich zurück. Ich packe sie und versuche, mich zu befreien, während ich klettere. Das Seil reißt mich wieder zurück, viel härter, es zieht mich zurück und schneidet mir in die Kehle. Meine schmerzenden Hufe schlagen gegen den Fels. Der Schmerz vervollständigt meine Verwirrtheit. Ich stolpere, stürze und gleite über Felsgestein. Ich bin verloren.

Als sich meine Wahrnehmung wieder geklärt hat, fallen warme Tropfen auf mich herab. Ich öffne die Augen und sehe die Meister, die Elfleda den Berg hinabführen. Sie ist im Zentrum eines ganzen Netzes von Seilen, die um Hals, Beine und Hufe geschlungen sind. Doch sie reckt den Kopf stolz empor. Einer der Menschen zieht an ihrem schwarzen Schwanz. Sie wendet sich um und schlägt mit einem Huf aus, doch die anderen Menschen zerren sie wieder nach vorn.

Ich springe auf. Der häßliche Junge will mich aufhalten, doch es ist zu spät. Ich schreie und falle zurück, erzittere, und plötzlich bin ich mit kaltem Schweiß bedeckt. Wenn ich still liegenbleibe, ist der Schmerz nur ein dumpfes Pochen.

„Tut mir leid“, flüstert der Junge. „Ich wußte nicht …“

Ich richte mich langsam auf den Ellbogen auf, bemühe mich aber, das Hinterteil nicht zu bewegen. Im Mondlicht ist das Blut schwarz, doch die ersten Sonnenstrahlen werden den Fleck auf meiner Flanke bald in helles Scharlachrot verwandeln. Ich kann die Knochen sehen, die aus meinem gebrochenen Bein hervorstehen.

Elfleda und die Menschen verschwinden zwischen den Bäumen. Ich sinke zum Boden zurück. Ich kann nur den dämmernden Himmel und den Menschen jungen sehen. „Hilf mir … bitte, hilf mir …“ Doch er wischt die Tränen von den Wangen und streicht sein Haar aus der Stirn. Es muß am Mondlicht und der Dämmerung liegen, daß er plötzlich nicht mehr so häßlich und unsicher aussieht. Hier verschwindet die Magie.

„Elfleda“, flüstere ich, und der Junge schaut mich verständnislos an, als wüßte er gar nicht, daß sie einen Namen hat.

Hinter mir kann ich die Schritte zweier Menschen hören, die sich mir zum letzten Mal nähern.