Robert Silverberg
Das Sempoanga-Problem
THE TROUBLE WITH SEMPOANGA

 

Als Helmut Schweid beschloß, im Urlaub nach Sempoanga zu gehen, da kannte er die Risiken selbstverständlich, ging jedoch davon aus, daß sie für ihn keinerlei Gefahr bildeten. „Du wirst dir Zanjak holen und die Quarantäne nie mehr verlassen dürfen“, warnten ihn seine Freunde. Helmut lachte. Er war ein vorsichtiger Mann, besonders bezüglich seines Körpers. Er würde es vermeiden, Zanjak zu bekommen, indem er ganz einfach nicht mit Frauen ins Bett stieg, die Zanjak hatten. So einfach war das, oder etwa nicht?

Man war sich allgemein darin einig, daß Sempoanga der schönste Planet in der ganzen Galaxis war. Wer einen Sonnenaufgang auf Sempoanga gesehen hat, sagte man, dem ist es gleichgültig, ob er hinterher überhaupt noch etwas zu sehen bekommt. Das Problem mit Sempoanga war jedoch, daß die eingeborenen Humanoiden einen gräßlichen Parasiten beherbergten. Es gab nur einen Weg, diesen Parasiten zu übertragen – durch Geschlechtsverkehr. Und da die Eingeborenen von Sempoanga um ein Vielfaches unattraktiver sind als die dortigen Sonnenaufgänge, nimmt es eigentlich wunder, daß sich überhaupt je ein Mensch anstecken konnte. Aber irgendwie hat es eben mal einer geschafft, und der Parasit hatte sich rasch dem menschlichen Körper angepaßt, sich vermehrt und war bemerkenswert ansteckend geworden, und in der Vergangenheit hatten sich viele Besucher Sempoangas mit schrecklichen Ergebnissen untereinander angesteckt. Biologen arbeiteten an einer Heilmethode. Sie hofften, in wenigen Jahren schon erste Resultate zu sehen. Zwischenzeitlich durfte keiner Sempoanga ohne eine gründliche Untersuchung verlassen, und wer sich Zanjak geholt hatte, mußte auf Dauer dortbleiben. Denn die Auswirkungen des Parasiten auf den menschlichen Geschlechtsapparat waren so erstaunlich, daß die Zukunft der gesamten Rasse auf dem Spiel stand, wenn er sich auch auf den anderen zivilisierten Welten auszubreiten vermochte.

Während der ersten Tage seines Aufenthalts auf Sempoanga war Helmut so emsig damit beschäftigt, den herrlichen Planeten selbst zu erkunden, daß er kaum Gefahr lief, sich eine Geschlechtskrankheit zuzuziehen, weder die altbekannten Varianten noch die exotische hiesige Art. Seine Heimatwelt, Waldemar, war ein frostiger Ort, wo während drei Vierteln des Jahres ein eisiger Winter herrschte, und daher genoß er den ewigen Tropensommer auf Sempoanga ganz besonders. Er bereiste alle Wunder von der Dämmerung bis Mitternacht – die Hargillinfälle, wo das Wasser die Farbe von Rotwein hat, den Stinivonggipfel, einen makellosen Berg aus Obsidian am Rande eines phosphoreszierenden, mit rosa Gas gefüllten Teichs, und schließlich die Blasen, wo unterirdische psychedelische Dämpfe mit an Verzückung grenzenden Auswirkungen durch poröses gelbes Felsgestein in die Höhe stiegen. Er rannte nackt durch einen Hain fleischiger Farne, die ihn mit ihren saftigen Wedeln umfingen. Er schwamm in kristallenen Flüssen, Auge in Auge mit harmlosen Riesenschildkröten von der Größe durchschnittlicher Inseln. Jede Nacht taumelte er herrlich müde ins Hotel zurück, wo er sich allein in seine Schlafröhre fallen ließ und einige Stunden schlief.

Doch nach jenen ersten gierigen Zügen der Naturwunder meldeten sich seine gesellschaftlichen Instinkte zu Wort. Am vierten Tag sah er eine hinreißend aussehende Wasserstoffblonde von einer der Rigel-Welten auf dem Gravitationsballfeld. Sie beantwortete sein gefesseltes Grinsen mit einem auffordernden, kecken Lächeln und verabredete sich rasch zum Abendessen mit ihm. Alles war herrlich, bis sie sich schließlich während des Essens kurz entschuldigte, woraufhin der Kellner, der die Brandys brachte, Helmut zuflüsterte: „Vorsicht bei der. Zanjak.“

Er war wie vom Donner gerührt. Wollte sie das etwa vor ihm verheimlichen? Nein, sie war ehrlich zu ihm. Während sie im Licht der fünf Monde durch den Garten schlenderten, sagte sie zu ihm: „Ich würde gerne die Nacht mit Ihnen verbringen. Aber nur, wenn Sie auch schon angesteckt sind. Ich bin es nämlich.“ Und das war es dann schon gewesen. Er brachte sie zu ihrem Zimmer und küßte sie warm und sanft zum Abschied. Er erschauerte einen Augenblick, als ihr weicher und eleganter Körper sich an seinen preßte, doch er konnte entkommen, ohne eine Dummheit zu begehen.

In der darauffolgenden Nacht, als er allein in der Cocktailbar des Hotels saß und sich mehr als einsam fühlte, fiel ihm eine andere Frau auf, der auch er aufgefallen war. Sie hatte dunkle Haare und lange Beine, und sie war wahrscheinlich etwas jünger als er. Sie tauschten Blicke, dann ein Lächeln, schließlich tippte er gegen sein leeres Glas, woraufhin sie nickte. Dann standen sie beide auf, gingen zur Bar und luden einander rituell gegenseitig zu einem Drink ein. Ihr Name war Marbella, und sie weilte seit etwa einem Monat hier, um einer gescheiterten Sechserehe auf Tlon zu entfliehen. „Die Scheidung wird Jahre dauern“, informierte sie ihn. „Es ist ein universell freier Planet, und wir sechs stammen von vier verschiedenen Welten. Die Gesetze der jeweiligen Heimatplaneten sind voll gültig. Einige Anwälte sind nicht einmal Menschen …“

„Und Sie möchten sich auf Sempoanga verbergen, bis alles vorüber ist?“

„Können Sie sich einen besseren Ort vorstellen?“

„Mit Ausnahme der …“

„Tja, zugegeben, das Problem existiert hier. Aber schließlich hat jedes Paradies seine kleine Schlange.“ Sie wechselte rasch das Thema. „Ich habe Sie heute morgen am Windpollenfeld gesehen. Sie sahen aus, als wollten Sie es auch mal versuchen.“

„Wie wird es gemacht?“ fragte Helmut. Er hatte zugesehen, wie Hotelgäste sich an die riesigen Windpollen von Pilzen geklammert hatten, worauf diese augenblicklich von ihren Wurzeln abgetrennt worden waren und einen anscheinend kontrollierten Flug über den goldenen Mangalolesee begonnen hatten.

„Soll ich es Ihnen beibringen? Es kommt nur darauf an, die Wasserstoffsynthese des Pollens zu kontrollieren. Wenn Sie ihn in eine Richtung streicheln, dann steigt er höher, in der anderen sinkt er. Dann müssen Sie noch lernen, die Thermik auszunützen. Woher kommen Sie?“

„Waldemar.“

„Brrr“, sagte sie. „Sind Sie zum Abendessen noch frei?“

Ihm gefiel ihre herausfordernde und aggressive Art. Sie verabredeten sich zum Abendessen und machten aus, gleich am nächsten Morgen die Windpollen auszuprobieren. Was sich dazwischen abspielen würde, blieb unerwähnt, und daher sah Helmut sich wieder einmal mit dem Problem Zanjak konfrontiert. Sie war bereits lange genug hier, um sich anstecken zu können, und da sie überdies aus einer turbulenten Ehe ausgebrochen war, schien es wenig wahrscheinlich, daß sie hier ein asketisches Leben geführt hatte. Trug sie andererseits den Parasiten in sich, dann würde sie ihn gewiß rechtzeitig darüber informieren, wie es die andere Frau auch getan hatte. Solche Dinge schienen hier einfach zu den guten Umgangsformen zu gehören.

Beim Essen unterhielten sie sich über ihre komplexe Ehe, dann über seine einfachere, die aber schlußendlich ebenfalls im Desaster geendet hatte, des weiteren kurz über seinen und ihren Beruf und dann noch kurz über seinen und ihren Planeten. Schließlich landeten sie bei den Freuden von Sempoanga. Er mochte sie sehr. Und der Glanz in ihren Augen verriet ihm, daß er auf sie ebenfalls Eindruck machte.

Doch als er sie dann aufsein Zimmer bat, wies sie ihn ab – warm und voller Bedauern, das aufrichtig gemeint schien. Dies war die letzte Nacht ihrer fünftägigen Empfängnisverhütungsmittelpause, informierte sie ihn. Sie war augenblicklich so fruchtbar wie ein Nerz, daher wollte sie sich nicht darauf einlassen. Sie wirkte aufrichtig. „Wissen Sie, dies ist nicht die letzte Nacht“, sagte sie, und ihr Lächeln ließ daran keinen Zweifel.

Am nächsten Morgen trafen sie sich beim Windpollenfeld, wo sie ihm rasch und gekonnt beibrachte, wie er die großen Organismen kontrollieren konnte. Schon nach einer Stunde flogen sie durch die Luft. Sie überquerten den See und landeten an den anmutigen Hängen des zerklüfteten Monolang, wo sie ein Essen aus sonnengegrillten Fischen und Weinbeeren zu sich nahmen. Später rannten sie lachend zu einem glitzernden Bach. Als sie nach dem Baden auf dem glasigen Fels lagen und sich sonnten, suchte er ihren nackten Körper so unverfänglich wie möglich nach Spuren von Zanjak ab – eventuelle Schwellungen um die Hüften oder kleine rote Pusteln unterhalb des Nabels, vielleicht sonst etwas, das ungewöhnlich aussah. Nirgends war etwas sichtbar. Die Broschüre über Zanjak, die wohlweislich auf dem Nachttisch seines Hotelbetts lag, hatte ihn informiert, daß Zanjak keinerlei äußere Spuren hinterließ, aber das trug nicht zur Minderung seiner Unsicherheit bei.

Es wäre sehr einfach gewesen, sie an den Hängen dieses glasigen Berges zu lieben, doch seine Unsicherheit hielt ihn zurück, und sie ergriff ebenfalls nicht die Initiative. Schließlich zogen sie sich wieder an und setzten ihren Flug fort. Sie unterbrachen ihre Reise nochmals, um ein Eingeborenendorf zu besuchen – es waren warzige Geschöpfe mit flachen Gesichtern und pelzigen, falterähnlichen Fühlern, so häßlich, daß er sich fragte, welcher Tourist verzweifelt genug gewesen sein konnte, daß er sich den Parasiten von ihnen geholt hatte –, und später am Nachmittag, während sie über ein Feld mild aphrodisischer Blüten gingen, verfielen sie in eine jener kurzen und intimen Konversationen, die nur solche Menschen führen, die zu Liebhabern werden. „Was für ein herrlicher Tag dies gewesen ist“, sagte sie ihm auf dem Rückweg zum Hotel.

In dieser Nacht bat sie ihn auf ihr Zimmer. Doch während sie sich auszogen, hämmerten nur zwei Themen in seinem Kopf. Das eine war seine Bewunderung ihrer Schönheit, Wärme und Intelligenz sowie ihrer begehrenswerten Art. Und das andere war Zanjak, Zanjak, Zanjak.

Was sollte er tun? Er kam im gedämpften Licht zu ihr. Er stellte sich vor, wie er zu ihr sagte: „Vergib mir Marbella, aber ich muß es wissen. Dieser schreckliche Parasit … diese furchtbare Krankheit … „Und er konnte förmlich sehen, wie sie angesichts dieser taktlosen Frage vor Wut schäumen würde, worauf unweigerlich gleich die Frage folgen würde, ob er sie denn für die Art von Frau halte, die etwas so Abscheuliches vorsätzlich vor ihm verbergen konnte, und dann würde sie ihn in den Flur stoßen, die Tür zuschlagen und ihm Flüche hinterherschreien …

Er gab nach. Sie lächelte. Ihre Augen brannten vor Verlangen, jeder Gedanke an Widerstand war absurd. Er zog sie in die Arme.

Für den Rest der Woche waren sie Tag und Nacht unzertrennlich. Aber er gab sich keinen Illusionen hin: Dies war nur ein Urlaubsflirt, und wenn seine Zeit abgelaufen war, dann würde er nach Waldemar zurückkehren, und das wäre das Ende. Doch solange es andauerte, war es wunderbar. Sie war eine angenehme Gefährtin, und sie schien sich aufrichtig und rückhaltlos in ihn verliebt zu haben, was ihn fast schon etwas bekümmerte. Er übte bereits die Rede ein, die er ihr halten würde, wenn er ihr mitteilen mußte, daß dringende Geschäfte es ihm leider nicht ermöglichten, seinen Urlaub auf Sempoanga über die noch verbleibenden fünf Tage hinaus auszudehnen.

Und dann, eines Morgens, während sie dösend im Bett lagen, verspürte er eine unangenehme Regung im Inneren, fast so, als würde ein winziges Geschöpf in umgekehrter Richtung seinen Harnleiter hinaufschwimmen.

Er sagte nichts zu ihr. Doch nach dem Frühstück erfand er die Notwendigkeit, einen dringenden Anruf nach Waldemar tätigen zu müssen, und begab sich voller Entsetzen zur Krankenstation des Hotels, wo ein nüchterner und unfreundlicher Arzt eine Untersuchung durchführte und ihm mitteilte, daß er Zanjak hatte. „Sehen Sie diese winzigen roten Fleckchen in Ihrem Urin? Nur wenige Mikron im Durchmesser. Das sind eindeutige Symptome. Und die Blutprobe … die ist voller Ausscheidungen von Zanjak.

Helmut zitterte. „Ich kann es höchstens ein paar Tage haben. Vielleicht haben wir es so frühzeitig entdeckt …“

„Tut mir leid. Diese Möglichkeit scheidet aus.“

„Was mache ich jetzt nur?“ fragte er tonlos.

Der Arzt gab bereits Daten in ein Terminal ein. „Zuerst einmal setzen wir Sie auf die Krankenliste. Damit ist ein Eintrag im Paß verbunden. Sie wissen doch über die Quarantäne Bescheid, oder? Wenn Ihre Heimatwelt sich an die Vertragsklauseln hält, dann wird sie die Kosten für eine Überweisung Ihres Vermögens und den Transport eines kleinen Teiles Ihrer Habe übernehmen. Sie können so lange im Hotel bleiben, wie Sie es sich leisten können. Danach wird man Ihnen einen mietzinsfreien Raum im Quarantänezentrum zuweisen, das in einer sehr schönen Region des Südkontinents liegt, wo man angeblich exzellent angeln kann. Man wird Sie bitten, sich den zahlreichen Untersuchungsprogrammen zu unterziehen, aber ansonsten werden Sie nicht weiter behelligt.“

„Ich kann es nicht glauben“, murmelte Helmut.

„Diese strikten Maßnahmen sind selbstverständlich unbedingt erforderlich. Das müssen Sie verstehen. Der Parasit hat Ihren genital-uretalen Trakt passiert und sich direkt im Blutkreislauf eingenistet, wo er eifrig fadenähnliche vermehrungsfähige Körperchen produziert, die als Mikrofilariae bekannt sind. Wann immer Sie eine sexuelle Beziehung zu einer Frau – übrigens auch zu einem Mann, überhaupt zu jedem Säugetierorganismus – haben, werden Sie diese Mikrofilariae unweigerlich übertragen. Wenn der von Ihnen angesteckte Organismus weiblich ist, so werden die Mikrofilariae binnen weniger Wochen zu den Eierstöcken wandern, in unbefruchtete Eier eindringen und ihnen ihr eigenes genetisches Material aufzwingen, ein Prozeß, den wir Pseudobefruchtung nennen. Die Eier werden dann zu Hybriden heranreifen, teils Zanjak, teils Wirtskörper. Es folgt eine anscheinend normale Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft auch in menschlichen Wirtskörpern nur etwa zwölf Wochen dauert. Die Nachkommen werden in großer Zahl geboren, und sie verfügen über eine erstaunliche Anpassungsgabe an die Ökosphäre, die sie vorfinden.“

„Schon gut, erzählen Sie mir nichts mehr.“

„Ist auch nicht nötig. Sie können das Gesamtbild ja bereits erkennen. Diese Dinge könnten das ganze Universum übernehmen, wenn sie jemals über Sempoanga hinausgelangten.“

„Dann sollte Sempoanga gesperrt werden!“

„Ah, aber es handelt sich doch um ein bedeutendes Forschungsgebiet! Außerdem ist die Quarantäne hundertprozentig effektiv. Wenn nur die Touristen nicht so sorglos oder unethisch wären, dann könnten wir alle Fälle innerhalb weniger Wochen isolieren, und danach …“

„Ich dachte, ich wäre vorsichtig gewesen!“

„Anscheinend nicht vorsichtig genug.“

„Und Sie? Machen Sie sich denn eigentlich keine Sorgen, daß Sie sich mal anstecken könnten?“

Der Doktor maß Helmut mit einem vernichtenden Blick. „Ich habe schon als kleines Kind sehr schnell gelernt, meinen Finger nicht in eine Steckdose zu strecken. Mit derselben Philosophie gehe ich auch mein Sexualleben an. Guten Morgen, Mr. Schweid. Ich lasse die Quarantäneformulare auf Ihr Zimmer schicken, sobald sie fertig sind.“

Betroffen und strauchelnd durchstreifte Helmut suchend das Hotel und hielt nach Marbella Ausschau. Er fühlte sich unrein und aussätzig, und er konnte keinen der anderen Gäste ansehen, die ihn alle freundlich grüßten. Er sehnte sich danach, seinen befleckten Körper in einem Faß ätzender Säure ertränken zu können. Angesteckt! Unter Quarantäne! Vielleicht für immer von seiner Heimat verbannt! Nein. Nein. Das ging über jegliches Verständnis hinaus. Daß ausgerechnet er, ein präziser, intelligenter und penibler Mensch mit seinen Versicherungspolicen und Alarmanlagen und jährlichen medizinischen Untersuchungen, daß ausgerechnet er sich … sich mit dieser …

Er fand sie am Rande eines Körpertennisspiels, packte sie von hinten am Handgelenk und flüsterte wütend: „Ich habe Zanjak!“

Sie sah ihn verblüfft an. „Gewiß, Liebes.“

„Und das sagst du so beiläufig? Du hast mich in dem Glauben gelassen, du seist sauber!“

„Ja. Klar. Ich wußte bereits, daß du dich angesteckt hattest, obwohl du selbst es noch nicht wußtest. Und da du es damals eben selbst noch nicht wußtest, wärst du ja nie mit mir ins Bett gegangen, wenn ich zugegeben hätte, daß ich mich bereits angesteckt hatte. Aber ich wollte dich so sehr, Liebster. Damals hätte ich dir jede harmlose kleine Lüge erzählt, um …“

„Einen Augenblick. Was meinst du damit – du wußtest, daß ich mich angesteckt hatte?“

„Dieses blonde Miststück von Rigel, es muß in der Nacht gewesen sein, bevor wir uns kennenlernten – ich habe euch beide beim Abendessen gesehen. Ich hätte dir gleich sagen können, daß diese skrupellose kleine Sirene ihren Infekt vor dir verheimlichen würde. Als ich sah, daß du sie zu ihrem Zimmer begleitet hast, wußte ich schon, daß du dem Club ebenfalls beitreten würdest.“

„Ich habe nicht mit ihr geschlafen, Marbella“, sagte er eisig.

„Was? Aber ich war sicher …“

„Ja, sicher, das warst du wohl!“ Er lachte voll Bitterkeit. „Ich brachte sie heim, und sie sagte mir, daß sie den Parasiten hat. Daher habe ich sie zum Abschied geküßt und bin gegangen. Und durch einen Kuß kann man sich ja nicht anstecken, oder? Oder?“

„Nein“, antwortete sie kläglich.

„Du hast mir also wissentlich und schamlos eine teuflische Krankheit angehängt, und das einzig und allein aus dem Grund, weil du mich für dumm genug gehalten hast, mit jemandem zu schlafen, der krank ist. Nun, in gewisser Weise hast du damit sogar recht gehabt.“

Sie wandte sich mitfühlend ab. „Helmut, bitte … wenn du wüßtest, wie leid mir das tut …“

„Und mir erst. Ist dir klar, daß ich vielleicht den Rest meines Lebens hier in Quarantäne verbringen muß?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, natürlich. Ich doch auch. Es gibt schlimmere Orte als diesen.“

„Ich könnte dich umbringen!“

Sie begann zu zittern. „Ich glaube, ich hätte es verdient. Oh, Helmut … ich war so fasziniert von dir … ich wollte nicht das geringste Risiko eingehen, dich wieder zu verlieren. Ich hätte warten sollen, bis sich die Symptome der vermuteten Ansteckung zeigten. Dann wäre es egal gewesen. Aber ich konnte nicht warten … Ich versuchte es. Ich hatte mir vorgestellt, daß wir uns ineinander verlieben und es zu dem Zeitpunkt, wenn sich die Krankheit bei dir zeigte, keine Rolle mehr spielen würde, wenn ich sie auch habe.“

Er war lange stumm. Dann sagte er: „Vielleicht wolltest du aber auch dadurch sicherstellen, daß ich Sempoanga auch ganz gewiß nicht mehr verlassen kann.“

„Nein. Ich schwöre es.“ Schock und Entsetzen standen in ihren Augen geschrieben. „Das mußt du mir glauben, Helmut!“

„Ich sollte dich wirklich töten“, sagte er, und einen Augenblick lang glaubte er tatsächlich, daß er es tun würde. Doch dann drehte er sich statt dessen um und rannte mit weit ausholenden, unregelmäßigen Schritten davon, durch einen Hain voller Oktopuspalmen, an einem Beet mit elektrischen Orchideen vorbei, die ihn mit indignierten Lichtblitzen bedachten und mit ihren Glöckchen klingelten, und schließlich durch einen seichten Schlammtümpel, in dem es von kleinen pelzigen Schlangen nur so wimmelte, und den Hang des Stinivonggipfels hinauf, wobei er tatsächlich daran dachte, sich hinabzustürzen. Auf halber Höhe brach er allerdings erschöpft zusammen, und die Zeit, während er keuchend und nach Atem ringend am Boden lag, kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Als er nach Einbruch der Dämmerung in sein Hotelzimmer zurückkehrte, erwartete ihn bereits ein umfangreicher Stapel Formulare – seine Rechte und Pflichten unter Quarantäne, wie er Guthaben von seiner Heimatwelt überweisen lassen konnte, Vor- und Nachteile des Antrags auf sempoanganische Bürgerrechte und vieles andere mehr. Er überflog alles flüchtig und legte den Stapel dann beiseite, nachdem er ihn zur Hälfte durchgeblättert hatte. An so etwas zu denken war augenblicklich unmöglich. Er schloß die Augen und vergrub das Gesicht im Kissen, und plötzlich brannten Bilder von Waldemar in seiner Erinnerung: der große Gletscher zur Weihnachtszeit, die Eisyachtrennen, die warmen und hell erleuchteten Tunnels seiner Heimatstadt, sein hübsches Haus mit dem Kuppeldach, seine letzte Nacht mit Elissa, sein ordentliches Büro mit den langen Reihen der Kommunikationsterminals …

Das alles würde er niemals wiedersehen, und die Umstände waren so dumm, so unglaublich dumm, daß er es kaum glauben konnte.

Er konnte zum Abendessen nicht in den Speisesaal gehen. Er bestellte beim Zimmerservice ein Essen, das er allerdings unberührt ließ. Erst am Morgen, nach einer Nacht voller Alpträume, knabberte er etwas daran. An diesem Tag wanderte er wahllos allein umher und gewöhnte sich an das, was ihm widerfahren war. Es war ein herrlicher Tag, der Himmel war von einer samtrosa Tönung, die Flammenbäume glühten, aber das alles hatte seinen Glanz für ihn verloren. Auch wenn dieser Ort ein Paradies war, so war er doch dazu verurteilt, ewig darin zu verweilen, und auf dieser Basis unterschied er sich recht wenig von der Hölle.

Zwei Tage lang durchstreifte er das Hotelgelände wie sein eigener Geist und sprach mit niemandem. Er sah Marbella erst am dritten Tag, nachdem Zanjak in ihm aufgetreten war, wieder. Um seinen Depressionen Abhilfe zu schaffen, war er in die Cocktailbar gegangen, und sie war auch dort, allein und offensichtlich nachdenklich. Sie strahlte, als sie ihn sah, doch er funkelte sie nur an und ging weiter zur Theke. Dort saß ein Neuankömmling, eine attraktive, zerbrechlich aussehende junge Frau mit großen, dunklen Augen und kastanienfarbenem Haar. Helmut machte sich vorsätzlich und teuflisch daran, sie vor Marbellas Augen aufzureißen. Ihr Name war Sinuise, und sie kam von einem Planeten, der Donegal genannt wurde. Wie so viele andere war auch sie hergekommen, um eine unglückliche Ehe zu vergessen. Als sie die Cocktailbar gemeinsam verließen, spürte Helmut Marbellas Blick im Rücken, und es war, als würde er mit harter Strahlung bombardiert werden.

Er und Sinuise aßen, tanzten und näherten sich unaufhörlich dem obligatorischen Ende des Abends. Im Casino konnte er Marbella wieder sehen. Sie betrachtete sie wütend aus der Ferne. „Komm“, sagte er zu der Frau von Donegal. „Gehen wir spazieren.“ Er legte den Arm um ihre Schulter. Sie war angenehm und liebenswert, und zweifellos dürstete sie nach Nähe und Wärme und Geborgenheit. Er wußte, er mußte sie nur fragen, und sie würde mit ihm aufsein Zimmer kommen. Doch während sie den umrankten Weg hinabschritten, wurde ihm klar, daß er es nicht fertigbringen würde. Seine Rache an Marbella so weit zu treiben, daß er ein unschuldiges, argloses Geschöpf mit Zanjak anstecken würde … nein. Nein.

Er küßte sie lange und innig unter den rauschenden Wedeln einer Prachtweide, dann ließ er sie los und sagte: „Es war ein wunderbarer Abend, Sinuise.“

„Ja. Für mich auch.“

„Vielleicht gehen wir morgen zusammen Windpollenfliegen.“

„Das wäre schön. Aber … heute nacht … ich dachte …“

„Ich kann nicht. Nicht mit dir. Weißt du, ich habe Zanjak. Und wenn du es nicht auch bekommen willst …“

Ihr Gesicht schien in sich zusammenzusacken. Ihre großen Augen füllten sich mit Tränen. Er nahm ihre Hand in seine, doch sie wurde von Ekel geschüttelt, riß sich los und floh schluchzend vor ihm.

„Tut mir leid“, rief er ihr hinterher. „Mehr, als du es dir vorstellen kannst!“

Marbella war immer noch im Casino, immer noch allein. Sie sah verblüfft auf, als er zurückkehrte. Er bedachte sie mit einem bitterbösen Blick und ging zum Gravitationswürfeltisch. Innerhalb von fünfzehn Minuten hatte er die Hälfte des Geldes verspielt, das er bei sich hatte. Er dachte an die reizende kleine Sinuise, die nun allein in ihrem Bett lag. Er dachte an Helmut Schweid, der von einem bizarren fremden Organismus befallen war. Er dachte an Marbella, ihre Energie, ihre Leidenschaft, die spitzen Lustschreie, die sie ausstieß, ihre Schlagfertigkeit und ihren trockenen Humor. Vielleicht hat sie die Wahrheit gesagt, dachte er ernüchtert. Vielleicht hat sie wirklich geglaubt, ich hätte mich bei der Blondine vom Rigel angesteckt.

Und außerdem – was habe ich schon für eine Wahl?

Langsam und niedergeschlagen schlurfte er durch den großen Raum. Marbella spielte zügellos Fünf-Chip-Cargo. Er beobachtete, wie sie ihr Geld verlor. Dann berührte er sie sanft am Arm.

„Du hast gewonnen“, sagte er.

Sie blieben noch acht Tage im Hotel, dann zogen sie ins Quarantänezentrum um, weil sein Geld verbraucht war und er keines von ihr annehmen wollte. Wie er rasch herausfand, war es dort ebenso schön wie im Hotel, und die Naturwunder waren ebenso bizarr und herrlich anzusehen. Sie bekamen eine kleine Blockhütte und verbrachten ihre Tage mit Angeln oder Schwimmen, die Nächte aber mit der Liebe. Im Verlauf der folgenden zehn Wochen wurden Marbellas Brüste schwer, und ihr Bauch wurde rund, und als ihre Zeit gekommen war, wollte sie nicht in die Klinik des Quarantänezentrums gehen. Sie brachte die sempoanganischen Jungen hinter der Hütte zur Welt, ein ganzes Rudel schlanker, winziger Geschöpfe, die wie grüne Ottern aussahen und von denen sich etwa fünfzehn ohne Mühe aus ihrem Inneren ergossen. Helmut grub eine Grube und schaufelte sie alle hinein, und nachdem sie sich etwa eine Stunde ausgeruht hatte, gingen sie gemeinsam zum Strand hinunter, wo kristallklare Wogen gegen den azurblauen Sand brandeten. Er dachte an die Gletscher von Waldemar, an sein dortiges Zuhause, seine Geliebten, seine Freunde, und das alles schien schrecklich lange her und mindestens eine Million Lichtjahre entfernt zu sein.