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Planet der Eulen – ein Traum

 

Gebt den Leuten mehr Schlaf – und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind.

Kurt Tucholsky

Es könnte ein so schöner Ort sein: Unser Planet, unser Land, unsere Stadt, unsere Straße, wo die verlöschenden Laternen der Straßenbeleuchtung einen stillen Wechsel der Tageszeiten ankündigen, ohne bereits mehrfach von Straßenkötern angepinkelt worden zu sein und ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, von Verkehrsrowdies umgefahren zu werden, die lieber einen Unfall in Kauf nehmen, statt auch nur fünf Minuten zu spät zur Arbeit zu kommen. In einer erträumten Welt der Langschläfer wird das Licht der Laternen von geschlossenen Fensterläden ausgesperrt, hinter denen viele Träumer noch abwarten, bevor sie sich dem neuen Tage anvertrauen.

Obwohl wir Eulen den Tag spät beginnen, bereitet uns der daraus resultierende späte Feierabend keine Verstimmung, denn wir arbeiten gerne. Wir wollen etwas schaffen, wir sind bereit, unsere Pflichten zu erfüllen. Nur nicht zu früh. Ohne aggressive Biestigkeit, ohne morgendlichen Dauerlauf, ohne Magengeschwüre. Der Langschläfermagen ist für eine morgendliche Schocktherapie ungeeignet. Er muss durch sanfte Stimulation erst in die Lage versetzt werden, der Nahrungsaufnahme zuzustimmen.

Der Blick aus dem Fenster zeigt mäßige Betriebsamkeit. Schulze von gegenüber steht schon vor der Tür, jedoch nicht, um zur Bahn zu eilen, sondern um entspannt auf den Zeitungsjungen zu warten, der heute mal wieder etwas später dran ist. Er nutzt die Wartezeit und schüttelt die Fußmatte aus. Schulzes Dienst beginnt heute erst um elf, damit kommt er immer am besten klar.

Auf der Straße erwartet uns nicht der tägliche Stau zur immergleichen Zeit. Ab und zu brausen ein paar Autos vorbei. Sie müssen nur kurz an der Ampel halten, weil der Verkehr eher tröpfelt als rauscht. Nur manchmal fließt der Verkehr zäh, dann nämlich, wenn eine gewisse Anzahl von Langschläfern auch für Langschläfer-Verhältnisse auf den letzten Drücker zur Firma finden. Ständige Staus und Wutanfälle aber gehören der Vergangenheit an. Und die sorgenvolle Hektik, mit der unsere Großeltern den Tag begannen, belächeln wir im Geschichtsunterricht und historischen TV-Mehrteilern, denn unsere morgendliche Geruhsamkeit führt uns in einen unverdorbenen Tag.

Da kommen auch die jugendlichen Schülerinnen und Schüler mit. Diese müssen auf dem Planeten der Eulen erst um zehn Uhr zum Unterricht erscheinen. Das verbessert ihren Notendurchschnitt erheblich. Rechtschreib- und Rechenprobleme gibt es kaum noch. Am Nachmittag werden gemeinsam Hausaufgaben gemacht und Gelerntes eingeübt. Holger Schwaennecke, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, gibt in einem Zeitungsinterview seiner Begeisterung über das hohe Bildungsniveau des Nachwuchses und dessen Bereitschaft zur Leistung Ausdruck und lobt die allgemeine Pünktlichkeit. Denn nur wenigen misslingt es, um zehn Uhr auf der Matte zu stehen.

Im Büro zunächst das gleiche Bild, das auch schon unsere Großeltern gequält hat: Die Frühaufsteher-Community bildet einen festen Block innerhalb der Firma. Noch immer streift ihr missbilligender Blick die langsam und je nach Veranlagung und individueller Vereinbarung in Tröpfchenmanier eintrudelnden Langschläfer, die sich zum Mittagessen verabreden, um sich dort fröhlich von den schönen Dingen zu erzählen, mit denen sie den späten Vorabend verbracht haben. Sie haben ein Herz für ihre früh eintreffenden Kollegen, denn Langschläfer gönnen jedem das Seine und wissen auch: Die Frühaufsteher können nicht anders, als sich schon morgens auf verwaisten Straßen herumzutreiben, um als Erste vor Ort zu sein, die Kaffeemaschinen und Computer anzuwerfen, Akten zu sortieren, Vorarbeiten zu erledigen oder Gläser zu spülen. Ihre Natur gibt ihnen, genauso wie den Nachteulen, ihren Takt vor. Auf dem Weg nach oben stehen sich die Lerchen leider selbst ein wenig im Weg: Sie sind etwas zu unflexibel für die neue Arbeitswelt und beherrscht von der Angst vor Veränderungen. Umso wichtiger, dass man den Kollegen das Gefühl vermittelt, dass für sie in der Welt der Langschläfer selbstverständlich Platz ist, solange sie nicht wieder das Ruder übernehmen.

Die Entspannung, die den Planeten der Eulen auszeichnet, befördert die Gesundheit der Menschen allein schon durch die Entschleunigung am Morgen. Das Wissen um die Öffnungszeiten von Institutionen, Ärzten und Handel zugunsten des langschläferischen Lebenswandels befreit uns von jedem hektischen Gedanken. Ein neues Grundgesetz regelt: Bauarbeiten dürfen erst ab 10.30 Uhr beginnen – ein Meilenstein in der Geschichte der Humanität. Es gibt in dieser Welt keine Nervensägen, die um 7 Uhr morgens die Fliesen von den Wänden fräsen, keine Horden mit schwerem Schuhwerk, die die Treppen hinaufstampfen, keine Presslufthammer, die um 7.30 Uhr angeworfen werden, um kurz danach bis zur Mittagspause zu verstummen. All diese Menschen genießen in dieser Welt vernünftigerweise keine Vorherrschaft mehr.

Frühstück bis 15 Uhr ist in der Welt der Langschläfer auch außerhalb Berlins inzwischen Standard in allen Cafés, und Mittagstisch bis 19 Uhr ist die Voraussetzung zur Erlangung einer Konzession für Gastronomiebetriebe. »Guten Morgen« wünscht man sich bis zum Mittag, ohne dass irgendwer das O mit Häme auflädt und unnötig ausdehnt.

Für die Langschläfer-Fundis gibt es selbstverständlich in allen Firmen Ruheräume. Diese haben rund um die Uhr geöffnet, denn Langschläferarbeitstage enden selbstverständlich auch mal erst am späten Abend oder tief in der Nacht. Langschläfer im Büro stört es nicht, während der Arbeitszeit die Sonne am Horizont verschwinden zu sehen. Je schneller sie sinkt, desto besser. Aggressives Tageslicht schadet der Iris und verbreitet die permanente Unruhephantasie, dass es eigentlich noch viel zu früh sei. Der sich ankündigende Abend hingegen beruhigt und löst bei dem Langschläfer noch eine späte Arbeitsblüte aus, in der er ein ordentliches Stück vom Tagespensum bewältigen kann.

Die Supermärkte sind rund um die Uhr geöffnet. Auch um drei Uhr morgens werden die Obstregale und Käsetheken aufgefüllt, und knusprige Brötchen sind auch dann zu haben, wenn eine nachtaktive Eule mal schnell vom Schreibtisch in die Mittagspause flieht, auch wenn genaugenommen zwölf Uhr mittags schon lange vorüber ist.

Die Rushhour ist ebenfalls Geschichte. Durchgehend gleitende Arbeitszeiten sorgen nach Feierabend für einen entzerrten Verkehrsfluss. Dabei lässt man sich gerne bummelnd von den Schaufensterlichtern der vielen lange geöffneten Läden das Profil beleuchten. Die besten Filme laufen immer noch ziemlich spät am Abend, aber in der Langschläferwelt entgeht dem televisionären Filmfreund nichts mehr. Der Mitternachtskrimi steht nicht in Konkurrenz mit dem Wecker. Einem späten Ausgang des Abends steht nichts entgegen.

Und wenn dann doch die Stunde schlägt, so legt sich der Langschläfer ohne Pein und Unruhe in sein Himmelbett. Das Erwachen erfolgt am selben Tage wie das Zu-Bett-Gehen. Der Langschläfer ist sich damit selbst näher, als es ein Frühaufsteher jemals sein könnte.

Auswertung: Testen Sie Ihr wahres Schlaf-Ich!

 

Frage 1: Alles auf Zucker? und Frage 8: Fleisch oder Nudeln?

Für Langschäfer gilt der allgemein bekannte Satz: »Ich brauche einen Kuchen nur anzusehen, und ich werde dick davon.« Diese Veranlagung hat ihren entwicklungsgeschichtlichen Ursprung in der Zeit der Jäger und Sammler. Die nachtaktiven Jäger aßen hauptsächlich hochwertiges Eiweiß, und Nachtmenschen sind genetisch noch immer so disponiert, dass sie Eiweiß besser vertragen als Kohlehydrate. Eulen, die einen vegetarischen oder veganen Lebensstil pflegen, finden in Sojaprodukten einen hochwertigen pflanzlichen Eiweißlieferanten.

Der Organismus der Ackerbauern und Viehzüchter hingegen, die es zum Melken der Kühe und Bestellen der Äcker früh aus dem Bett trieb, passte sich der auf den Feldern kultivierten Kost an. Die ihnen in der Veranlagung verwandten Frühaufsteher können deshalb Kohlehydrate aller Art essen, ohne anzusetzen. Ihre Bauchspeicheldrüse reagiert nicht mit vermehrter Ausschüttung des Fettmacher-Hormons Insulin.

Frage 2: Verspüren Sie oft den Wunsch, Mittagsschlaf zu halten?

Frühaufsteher können keinen Mittagsschlaf halten, weil ihre innere Uhr sie die ganze Zeit aufweckt. Sie brauchen das Sonnenlicht. Nachtmenschen hingegen sind meist nicht ausgeschlafen, weil die sozialen Zeiten sie in Bedingungen zwängen, die ihrem inneren Rhythmus entgegenlaufen. Ihnen fehlen meist die letzten Minuten und Stunden zum Ausgeschlafensein, deshalb fällt es den Langschläfern leicht, mittags schnell einzuschlafen und verpassten Schlaf nachzuholen.

Frage 3: Some like it hot – mögen Sie es scharf?

Auch die Antwort auf diese Frage ist entwicklungsgeschichtlich begründet – und findet sich deshalb ebenfalls in der Zeit der Jäger und Sammler. Nachtmenschen sind genetisch und chronobiologisch mit den Jägern und Sammlern verwandt. Deren Hauptnahrungsquelle war tierisches Eiweiß. Dieses wurde mit wilden Kräutern und Gewürzen verdaulich und verträglicher gemacht – ein Relikt, das offenbar heute noch bewirkt, dass Nachtmenschen gerne mit Sambal Oelek, Pfeffer oder Chilisauce nachwürzen, während die auf Kohlehydrate gepolten Lerchen, die Nachfahren der Ackerbauern und Viehzüchter, dabei mächtig ins Schwitzen kommen. Sie bevorzugen den Eigengeschmack der Lebensmittel.

Frage 4: Fünf gegen drei?

Wie bei Frage 1, 3 und 8 hängt die Antwort auf diese Frage mit der genetischen Disposition der Eulen zum Fleischesser bzw. der Lerchen zum Liebhaber pflanzlicher Kohlehydrate zusammen. Da tierisches Eiweiß länger sättigt als pflanzliche Gerichte, sollten Langschläfer idealerweise nur drei Mal am Tag essen. Lerchen hingegen können, wenn sie sich an ihrer genetischen Disposition orientieren, fünf Mal am Tag zulangen.

Frage 5: Leben lassen oder feste Regeln einhalten? und Frage 6: Grüblerisch oder zupackend?

Frühaufstehern ist es wichtig, dass ihr Leben in geordneten Bahnen verläuft und sie nichts Unvorhergesehenes aus der Kurve wirft. Dienst von 8 bis 16 Uhr – und das ein Leben lang? Für sie eine Traumvorstellung. Den Sommerurlaub immer in Torremolinos an der Costa del Sol verbringen? Wieso nicht – ist doch schön hier, denkt sich der Frühaufsteher. Veränderungen, Wechsel und Neuigkeiten machen ihn eher nervös, zumal der Frühaufsteher eine Tendenz zum Nachdenken und Grübeln hat. Er wägt alle Optionen gegeneinander ab und kommt doch nicht so recht zu einem Ergebnis. Er will halt alle Unwägbarkeiten vorwegnehmen – und so ist er oft ängstlicher, als sein geordnetes Leben es nötig macht. Die positivere Seite der Medaille: Frühaufsteher sind sehr genau, gewissenhaft und beständig.

Langschläfer hingegen neigen dazu, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen. Durch Routinen und Regeln fühlen sie sich eingeengt. Sie fürchten nichts mehr als den Stillstand und gehen (wenn sie nach ihrer wahren Natur leben) lieber ein Wagnis ein, als sich einem festen Plan unterzuordnen. Langschläfer sind die perfekten Freiberufler – immer einsatzbereit, auch wenn sie sich dabei selbst verschleißen (eines ihrer Mankos). Hauptsache, es wird nicht langweilig! Sie neigen zum Aktionismus und setzten lieber alles auf eine Karte, auch wenn sie im Nachhinein feststellen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Entscheidungsschwach und grüblerisch sind sie nicht, eher zupackend und aktiv – und dabei leider oft auch ungenau. Andererseits sind sie auch im Allgemeinen von großzügiger Natur, und es fällt ihnen leicht, über die Fehler anderer hinwegzusehen.

Frage 7: Tee oder Kaffee?

Nachtmenschen, die ihre sozial bedingte Dauermüdigkeit mit Kaffee bekämpfen wollen, tun sich nichts Gutes. Denn je mehr sie davon trinken, desto müder werden sie – sie haben eine latente Unverträglichkeit gegen Espresso & Co. und eine Unverträglichkeit zeigt sich unter anderem darin, dass man nach Genuss eines bestimmten Lebensmittels ermattet. Deshalb kommt es zum typischen Phänomen, dass manche Menschen den ganzen Tag über Kaffee trinken und dennoch stets einschlafen könnten. Das sind Nachtmenschen.

Lerchen hingegen können ihrer Kaffeelust ungebremst frönen, ob Latte macchiato, Filterkaffee oder Espresso auf Eis. Den Frühaufstehern gibt das den Kick für den Rest des Tages. Eine Eule, die vom gleichen Wachmacher-Effekt profitieren will, sollte sich auf Tee verlegen, besonders auf unfermentierten grünen Tee. Nicht traurig sein, wenn die Vorstellung, Tee trinken zu müssen, die allergrausamsten Gedanken hervorruft – selbst Tee gibt es schon mit Kaffeearoma …