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Aus der Not eine Tugend machen: Berufe für Nachteulen

 

Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber die zweite Maus bekommt den Käse.

Anonymus

Was, wenn alle guten Ratschläge nicht helfen und Sie sich morgens noch immer bleischwer zur Arbeit schleppen? Wenn kalte Duschen und heißer Tee Sie nicht fit machen können und auch ein Powernap in der Mittagspause Sie nicht in Schwung bringt? Was, wenn Sie in Konferenzen, Gesprächen oder Telefonaten immerzu gegen die Last ankämpfen, die auf ihren Lidern liegt? Oder wenn Ihnen der ständige Schlafmangel die Lust auf Liebe und Leben vergällt? Was ist, wenn Ihre Gesundheit leidet, Ihr soziales Umfeld auseinanderbricht und Sie Ihre Dauermüdigkeit zum Außenseiter macht?

Da hilft nur noch eins: ein Bekenntnis zur Nacht!

Machen Sie Ihre Ausgeschlafenheit zum Beruf. Denn nicht nur Talent und Können, Fähigkeiten und Veranlagungen müssen bei der Berufswahl berücksichtigt werden, sondern auch die biologische Disposition. Ob man Eule ist oder Lerche, entscheiden die Gene. Ein Leben lang gegen seine Veranlagung anzukämpfen und der kreativen Hochphase derjenigen hinterherzuhecheln, die in unserer Arbeits- und Berufswelt die Regeln bestimmen, ist ein Kampf, den man eigentlich nur verlieren kann. Er ist gegen die eigene Natur und damit fast aussichtslos. Es gibt zwar Eulen, deren Zeitempfinden nur um eine halbe Stunden verschoben ist, die Regel ist aber, dass die Hochphase der Langschläfer dann beginnt, wenn die Frühaufsteher sich bereits auf die Mittagspause freuen. So kann keiner auf Dauer leben, selbst die anpassungsfähigste Eule nicht.

Ob Sie also als verdienter Berufsveteran noch mal umsteigen oder sich umschulen lassen, oder ob Sie als Schulabgänger gleich richtig einsteigen – in einer Arbeitswelt, die auf die Bedürfnisse von Lerchen ausgerichtet ist, können Sie vor allem in Jobs punkten, die anfangen, wenn andere Feierabend haben. Denn was machen Frühaufsteher, wenn sie die Bürotür hinter sich zufallen lassen? Sie gehen in Restaurants, Kneipen oder Kinos, besuchen eine Theater-, Ballett- oder Opernaufführung, halten sich in einem Fitness-Center in Form oder ihren Geist in Abendkursen auf Trab. Sie tanzen in Clubs oder trinken Cocktails in Bars. Sie nehmen ein Taxi nach Hause und ein Sixpack Bier und Zigaretten von der Tankstelle oder dem nächsten Kiosk mit. Sie rufen den Schlüsseldienst an, wenn sie ihre Tür zugeschlagen haben. Wenn sie zu Hause bleiben, hören sie Nachrichten im Radio oder regen sich im Fernsehen über den Gast einer Late-Show auf. Sie holen sich über Hotlines telefonische Auskunft oder Rat bei einer Seelsorge. Sie benutzen Onlinedienste und bestellen Ware über die 24-Stunden-Hotline.

Mit anderen Worten: Frühaufsteher erwarten, dass nach Feierabend ein Heer von Dienstleistern ihrem Bedürfnis nach Spaß, Sport, Zerstreuung und Service entgegenkommt – und das ist die Chance für diejenigen, die nachts Karriere machen wollen – und dies auch können, weil ihre Fähigkeit, lange wach zu bleiben, in ihrem Beruf eine wesentliche Schlüsselqualifikation ist.

Wenn Sie also nie vor Mitternacht zu Bett gehen, erst in Schwung kommen, wenn die normalen Arbeitstiere sich bereits für den Feierabend verabreden, wenn es Ihnen ein Leichtes ist, die Nacht zum Tag zu machen, dann sind Sie in nachfolgenden Branchen richtig. Manche der Jobs, die hier vorgestellt werden, sind sogar für Ein- oder Umsteiger ohne Ausbildung geeignet, denn Sie erfordern lediglich eine Schulung, die wenig zeitaufwendig ist, sowie die Fähigkeit, die Augen auch nachts offen zu halten.

Unterhaltungsbranche

Die Kunst gehört den Eulen. Wenn sich die Lerchen nach getaner Arbeit amüsieren wollen, haben Langschläfer die Gelegenheit zu zeigen, was sie können. Denn abends sind sie einfach besser drauf. Ob Sie auf der Bühne stehen und Applaus ernten oder ob Sie hinter der Bühne für einen geregelten Ablauf der großen Show sorgen – nachts können Sie mit Ihrer Aufgewecktheit punkten. Drei Nachtprofis erzählen von ihrem Arbeitsleben.

Die Ankleiderin

 

Das Erste, was Ingeborg macht, wenn sie ihren Job als Ankleiderin antritt, ist, sich erst einmal gründlich die Hände zu waschen. Der enge, ja manchmal sogar hautnahe Kontakt mit anderen Menschen erfordert das. Die Germanistik-Studentin arbeitet in einem großen Hamburger Musical-Theater in der Kostümabteilung und ist für die korrekte Ausstattung und den Kostümwechsel eines Künstlers zuständig. Arbeitsantritt ist um 18.30 Uhr – da hat sie den ganzen Tag Zeit für ihr Studium. Nach dem Händewaschen geht sie in die Garderobe ihres Künstlers und legt das Kostüm mit seinen Accessoires so aus, dass man es mit wenigen Griffen anziehen kann. »Die Kostüme sind meist Trickkleider, die man mit Klettband oder Haken und Ösen öffnen und schließen kann. Dazu kommen Schuhe, Handschuhe, Taschen und ein Gurt für das portable Mikrofon. Alles muss in der richtigen Reihenfolge angezogen werden. Denn wenn nachher im Dunkeln auf der Hinterbühne ein Kostümwechsel ansteht, hat man keine Zeit zum Nachdenken und Herumsuchen. Da muss alles schnell gehen und sitzen, damit der Künstler auf der Bühne kein Kostüm-Desaster erlebt.« Auch das hat Ingeborg bereits erlebt: Während des Umziehens musste einmal das Mikrofon ausgetauscht werden, weil es kaputt gegangen war. »In der Eile habe ich den unteren Teil eines mehrteiligen Mantels nicht richtig befestigt, weil mir zu wenig Zeit blieb. Der hat sich dann auf der Bühne verselbständigt.« Das Ergebnis: Der Schauspieler kam aus dem Gleichgewicht, zappelte wie ein Käfer auf dem Rücken herum und verhaspelte sich völlig im Text. Eine Abmahnung gab es für Ingeborg nicht, da jeder weiß, dass so etwas mal passieren kann, aber seitdem checkt sie jeden Haken und jede Öse zwei Mal, bevor sie einen Künstler auf die Bühne schickt.

Nach der Aufführung kontrolliert Ingeborg, ob die Kleidung irgendwelche Blessuren davongetragen hat, bevor sie die getragenen Kostüme mit der Hand und mildem Waschmittel auswäscht – und dann um 23.30 Uhr nach Hause geht. »Man guckt, ob Risse genäht oder Löcher gestopft werden müssen, die Schuhe abgetanzt oder vielleicht Perlen oder Federn abgerissen sind. Manchmal muss gar ein ganzes Kostüm neu angefertigt werden. Jeder Darsteller hat zwei Basiskostüme. Aber wenn man acht Mal pro Woche auftritt, verschleißt die Garderobe ziemlich schnell.« Solche Dinge werden dann in einem großen Buch eingetragen, das vom Tagesdienst abgearbeitet wird.

Auch Ingeborg schiebt manchmal Tagesschichten. Da wird geflickt, genäht, gestopft, gesäubert, gemalt, gestickt, gebügelt, gefärbt, gefaltet, geordnet und auch gewaschen. »Meist sind diejenigen, die im Tagesdienst arbeiten, gelernte Schneiderinnen. Aber wir haben auch Direktricen, Kostümbildnerinnen, einen Putzmacher und einen Sticker.« Tatsächlich ist es so, dass viele angehende Kostümbildnerinnen, die sich an der Kunsthochschule eingeschrieben haben, hier ihre ersten Erfahrungen in der Berufspraxis machen – und sich, wie Ingeborg, für ihr Studium Geld verdienen.

Das Team besteht zur Hälfte aus Halbzeitkräften (meist kostümaffine Studenten) und zur anderen Hälfte aus Vollzeitkräften, die einen Gesellenbrief in einem Handwerk rund um Kleidung vorzuweisen haben. Ingeborgs Job als Ankleiderin eignet sich als Einstieg für alle, die später einmal als Kostümbildner arbeiten wollen. »Hier wird auch ausgebildet. Man muss also nicht vom Fach kommen. Eine Kollegin kam – wie ich – von der Uni, hat hier aber Feuer gefangen und sich zur Schneiderin ausbilden lassen.« Das ist die Voraussetzung für eine Karriere als Kostümbildnerin oder Direktrice, die dann durchaus international verlaufen kann. Der Konzern zum Beispiel, der das Musical aufführt, bei dem Ingeborg arbeitet, operiert weltweit. »Eine Kollegin hat erst hier gearbeitet, ist dann nach Finnland ausgeliehen worden, dann in Stuttgart gelandet und lebt nun in London.« Aussichten, die Ingeborg verschlossen bleiben, denn sie arbeitet hier lediglich, um ihr Studium zu finanzieren. Zumindest ihre Sprachkenntnisse kann sie aber auch vor Ort verbessern, denn in Hamburg steht eine Besetzung aus aller Herren Länder auf der Bühne. Verkehrssprache ist Englisch. Der Umgang mit den Künstlern und die Möglichkeit, sie nach ihrem Lebensweg auszufragen, bilden einen besonderen Reiz des Ankleider-Berufs.

Umschulen lassen will sich Ingeborg dennoch nicht. Sie verfolgt weiter ihr Studium, denkt aber daran, die Geschichten, die sie hier hört, einmal zu einem Drehbuch zu verarbeiten …

Ankleider ist ein typischer Anlernberuf. Bei einer Fest- bzw. längerfristigen Anstellung und bei einer Anstellung am Staatstheater wird oft eine Ausbildung im textilen Bereich verlangt, etwa als Damen- oder Herrenschneider, Kürschner oder Modist. Auskunft über Ausbildungs- und Anstellungsmöglichkeiten bekommt man hier:

 

Bundesverband des Maßschneiderhandwerks e.V.

Katzenbruchstraße 71

45141 Essen

0201 320080

www.bundesverband-mass-schneider.de

 

Bundesinnungsverband für das Damenschneiderhandwerk

Auf’m Tetelberg 7

40221 Düsseldorf

0211 30823637

 

Die deutschen Kürschner-Innungen sitzen in zwölf verschiedenen Bundesländern. Siehe auch:

www.kürschner-innung.de

 

Bundesinnungsverband für das Modistenhandwerk

Klosterstraße 73–75

40211 Düsseldorf

0221 3670739

www.das-starke-handwerk.de/biv-modisten/index2. htm

 

Wer direkt beim Theater nach einem Job anfragen möchte, suche im Theaterverzeichnis nach einer Spielstätte in seiner Nähe und frage sich zur Leitung der Kostümabteilung durch:

www.theaterverzeichnis.de

 

Die Maskenbildnerin

 

Wenn Andrea Grobe ihr Reich ausbreitet, dann erinnert dies ein wenig an die Werkstätte eines Malers: Pinsel mit großen, schmalen, langen, kurzen, fächerförmigen oder quastigen Borsten; Tiegel, Töpfe, Tuben, Flaschen, Cremes, Puder und Sprays, Schwämme, Haarteile, Bürsten, Klammern, Spangen, Lockenwickler, Haargummis, Stifte … Und natürlich die Farben – das ganze Spektrum. Fehlt eine Nuance, dann rührt die Maskenbildnerin sie kurzerhand selbst an. Andrea Grobe ist freie Maskenbildnerin und arbeitet unter anderem bei nächtlichen Liveshows. Zehn Tage im Monat schminkt sie die Moderatorinnen und Moderatoren für eine Kamera, die alle Schwächen ans Licht bringt. »Seit ein paar Monaten haben wir die HD-Technik. Da bleiben weder Augenränder noch kleine Unreinheiten verborgen. Aber das ist eine Herausforderung für mich, der ich mich gerne stelle.« Ihr Arbeitstag beginnt zwischen 18.00 und 18.30 Uhr und endet frühestens um halb drei Uhr morgens. Kommt die gelernte Friseurin im Sender an, nimmt sie erst einmal den Ablaufplan entgegen und baut ihre Schminkutensilien vor dem Tisch mit dem Leuchtspiegel auf. Acht Personen macht Andrea Grobe pro Fernsehnacht für die Kamera zurecht. Für jede Person hat sie im Schnitt eine Stunde Zeit. Das ist knapp bemessen, »und richtig schwierig wird es, wenn ich die Meldung bekomme, dass eine Moderatorin oder ein Moderator zu spät kommt. Wir senden live, da muss ich punktgenau zur Sendung fertig sein.«

In solch einem Notfall hilft Routine. Statt kunstvoll die Haare über die Rundbürste zu föhnen, schickt sie die Moderatorinnen dann auch schon mal mit einer Hochsteckfrisur ins Rampenlicht. »In so einer Situation ist es von großem Vorteil, dass man schon so lange mit den Menschen hier zusammenarbeitet und sie und die Eigenschaften des jeweiligen Gesichtes kennt.« Auch wenn vor der Kamera ihre Kunst dahin schmilzt, hilft Routine. »Wenn mir auffällt, dass jemand fürchterlich schwitzt, rufe ich in der Regie an und frage, ob ich mal kurz hingehen und überpudern darf. Die wiederum fragen die Moderation, ob es gerade passt. Manchmal schwenkt die Kamera dann aufs Spiel und ich husche schnell ungesehen rein.«

Nach der Sendung werden alle Gerätschaften und Hilfsmittel verstaut und Bürsten, Pinsel und Schwämme gründlich gereinigt. Dann geht es erst nach Hause und nach einem Schlaftee ins Bett. Aufgestanden wird spätestens um zehn. Denn Andrea Grobe hat auch noch Jobs bei Film, Werbung, Fotoshootings und anderen Fernsehsendern. »Ich kann mich schnell einarbeiten. Das ist meine Stärke.«

Diese Fertigkeit hat sie sich in diversen Jobs angeeignet. Nach neunjähriger Praxis als Friseurin hat sie eine einjährige Zusatzausbildung an einer Kosmetikschule absolviert, und schon während der Ausbildung half sie bei Studentenproduktionen der Münchener Hochschule für Film- und Fernsehen aus – kleine Produktionen ohne Budget, da war Improvisationstalent gefragt. Auch Effekt-Make-up hat sie durch die Schule der Praxis gelernt: Wunden, verfilzte Haare, Monstergesichter – für die Maskenbildnerin keine großen Aufgaben. Selbst Drama-Make-up und die Anfertigung historischer Perücken für die Theaterbühne zählen zu ihrem Repertoire. »Da hilft meine Ausbildung zur Friseurin.« Auch im Umgang mit Menschen hat sie dieser Lehrberuf geschult: »Er baut die Angst davor ab, fremden Personen näher zu treten, und hilft, ihren Wünschen gegenüber aufgeschlossen zu bleiben und auf sie einzugehen.« Denn alle Fingerfertigkeit und alle Kunst helfen nichts, wenn man im Grunde seines Herzens Berührungsängste hat.

Maskenbildner kann man über verschiedene Wege werden. Meist ist eine dreijährige Friseurlehre die Basis. Hinzu kommt ein Aufbaustudium an einer staatlichen oder privaten Schule. Der Beruf des Maskenbildners ist staatlich anerkannt.

 

Bundesvereinigung Maskenbild e.V.

Bundesallee 171

10715 Berlin

030 200033352

www.maskenbildner.org

www.bundesvereinigung-maskenbild.de

 

Hochschule für Bildende Künste Dresden

Güntzstraße 34

01307 Dresden

0351 44020

www.hfbk-dresden.de/Studium/Studiengaenge.html

 

Einen Bachelor-Abschluss kann man erwerben bei der

Bayerischen Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater

Prinzregentenplatz 12

81675 München

089 218502

www.theaterakademie.de/studium.html

 

Die Tourmanagerin

 

Die Welt von Tourmanagerin Renate von Löwis of Menar spiegelt sich in den Texten der Gruppen wider, mit denen sie tourt. Da wird von Liebe gesungen, von Träumen und Sex, von Sehnsüchten und Langeweile, von Entzugskliniken und Abstürzen, vom Schmerz des Außenseiters – und natürlich von der Nacht. Eine Band tritt spät auf. Üblich ist ein Konzertbeginn um 20 Uhr, meist kommt dann erst noch eine Vorgruppe. Midnight Boom heißt nicht von ungefähr ein Album, das The Kills rausgebracht hat, eine der Bands, die Renate von Löwis of Menar betreut. Die anderen heißen Interpol, White Stripes, TV on the Radio und Bon Iver und sind die Stars der von großen Majorlabels unabhängigen Szene, für deren Konzerte sich Fans bis zu einem halben Jahr vorher Tickets sichern.

Der Rock’n’Roll-Zirkus ist ein Nachtbetrieb, mit all seinen typischen Besonderheiten. Viele der Arbeiten, die ihn zum Laufen bringen, müssen allerdings schon am Tage geleistet werden. »Meist kommen wir am Nachmittag mit dem Bus in der Stadt an, in der wir auftreten«, erzählt die Tourmanagerin, die seit mehr als zwanzig Jahren mit den erfolgreichsten Bands der Independent-Szene unterwegs ist. »Dann checken wir erst einmal im Hotel ein. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass alle ihre Zimmer haben und auch alles vorhanden ist, worum die Band die lokalen Veranstalter gebeten hat. Die Wünsche der Band habe ich zuvor aufgelistet und dem Veranstalter zugeschickt, auf einem Rider – so nennt man das in der Branche. Das ist wichtig, denn es geht ja darum, dass die Bandmitglieder sich wohl fühlen und einen guten Auftritt hinlegen.« Dazu gehört, dass auch gewisse Gewohnheiten gewahrt bleiben. »Aber zu extravagant darf die Wunschliste auch nicht ausfallen. Wenn jemand etwa ein T-Shirt oder Socken wünscht, dann bin ich der Meinung, dass ich von einem erwachsenen Menschen erwarten kann, dass er dafür selbst sorgt. Das ist Privatsache. Im Zweifelsfall kann ich an deren Selbstbild appellieren: Schließlich wollen sich Independent-Künstler von Popstars wie Mariah Carey unterscheiden. Dann dürfen die sich auch nicht so zickig geben wie eine Diva.« Stehen auf der Wunschliste auch bewusstseinserweiternde Substanzen und Drogen? Immerhin ist die Musikszene ja für Sex, Drugs und Rock’n’Roll bekannt … Renate von Löwis of Menar räumt ein: »Das läuft unter der Hand. Es gibt verschlüsselte Codes, eine Art Geheimsprache. Aber ich überlese das und halte mich da raus. Ich werde mich hüten, dem nachzukommen. Das finde ich unprofessionell. Aber wenn eine Band unbedingt einen Kasten Bier braucht, um auf Touren zu kommen, dann bitte.«

Überhaupt scheint die Szene bei näherem Betrachten wesentlich disziplinierter zu sein, als alle Klischees vom Künstlerleben es behaupten. »Wenn wir am Veranstaltungsort ankommen, dann hilft die Band meist selbst, das Equipment für ihren Auftritt auf die Bühne zu tragen.« Während die Künstler proben und den Sound überprüfen, trifft sich die Tourmanagerin mit dem Vertreter des lokalen Veranstalters. Auch da wird wieder überprüft, ob alles, was die Band für ihren Auftritt braucht, vorhanden ist. »Neben dem Rider für persönliche Belange gibt es auch einen technischen Rider.« Dann kontrolliert Renate von Löwis of Menar die Kartenverkäufe und lässt sich die Tickets, die im Abendverkauf noch zu haben sind, vorzählen. Das ist wichtig, denn immerhin teilen sich Veranstalter und Band nach einem zuvor festgelegten Schlüssel die Einnahmen, und es gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer Tourmanagerin, das Finanzielle zu regeln. Sind die Proben zu Ende, das Licht und der Sound eingestellt, sorgt sie dafür, dass alle Essen bekommen und sich fit machen für den Auftritt.

Für gewöhnlich schaut sich die Tourmanagerin während des Konzerts noch ein, zwei Songs ihrer Künstler an, dann geht sie an ihren Laptop und bereitet die Abrechnung vor. Wenn die Band bereits dabei ist, das Equipment von der Bühne zu räumen, sitzt sie oft noch über Zahlen, Quittungen und Rechnungsbüchern. »Bandmanagement zu machen, bedeutet nichts anderes, als einen Buchhalterjob zu machen«, erklärt Renate von Löwis of Menar. Aber natürlich ist es etwas anderes, ob man die Zahlen von Musikern prüft oder die eines mittelständischen Betriebs. Die Musik-Szene bietet nämlich durchaus mehr an Aufregung. »Einmal stand ein Künstler mit seiner Freundin in der Tür zu meinem Büro – das war ein international bekanntes Topmodel. Er wollte nicht, dass sie allein während des Konzerts herumsteht, weil sich keiner traut, sie anzusprechen, während er arbeitet. Da hab ich mich eben um sie gekümmert.« Auch auf Backstage-Partys wird die Tourmanagerin immer wieder Superpromis aus Hollywood vorgestellt. »Besonders Schauspieler stehen auf Rockbands. Das finden die so down to earth und echt.« Allerdings finden Partys, wie man sie aus den Bilderbüchern der Rockgeschichte kennt, nur selten statt. »Meist gehen wir nach dem Auftritt zurück ins Hotel, dann ein Drink noch oder ein Abendessen, das wars. Wenn wir mit dem Nightliner, einem großen Bus mit Schlafgelegenheiten, unterwegs sind, fahren wir sogar noch in der Nacht zum nächsten Venue.« Bands, die jeden Abend Party machen, verglühen schnell. Zum Erfolg gehört eben auch Disziplin.

Von Löwis of Menar selbst ist über ihre Liebe zur Musik in die Branche hineingeraten. In Bielefeld lernte sie eine Gruppe Leute kennen, die Konzerte mit Independent-Bands veranstaltete. »Ich war platt, dass man diese Gruppen einfach so einladen kann.« Bald hat die Tourmanagerin selbst Bands eingeladen, dann ist sie gefragt worden, ob sie auch Tourneen für sie organisiere. So kam eins zum anderen. Deshalb empfiehlt Renate von Löwis of Menar: »Wer Lust auf den Job hat, sollte die Nähe der Bands, die er mag, suchen und in Clubs arbeiten, wo diese auftreten – ob an der Bar oder an den Reglern ist zunächst gleich. Es geht darum, ein Gefühl für die Szene zu entwickeln und Vertrauen aufzubauen. Wichtig ist auch gutes Englisch, vielleicht sogar noch eine weitere Sprache. Das hilft, wenn man tourt. Wenn man das eine Weile gemacht hat, kann man ruhig einmal anfragen, ob man eine Band begleiten kann. Es ist nicht schlimm, die Karten offenzulegen und zu sagen, dass man noch nicht viel Erfahrung in dem Job hat. Für Quereinsteiger hat hier jeder Verständnis. In dieser Branche geht es nicht unbedingt um Diplome und Urkunden, sondern um Leidenschaft.«

Tourmanager ist ein Job für Autodidakten. Man bewirbt sich direkt an einer Bühne seiner Wahl. Einfach hingehen und das Gespräch suchen. Hier eine Auswahl von Clubs, in denen Bands der Alternativ-Szene spielen, und in denen man sich bewerben kann:

 

Comet Club/ Magnet Club

Falckensteinstraße 47

10997 Berlin

 

E-Werk

Schanzenstraße 37

51063 Köln

 

Beatpol

Altbriesnitz 2
01157 Dresden

 

Molotow Music Club

Spielbudenplatz 5

20359 Hamburg

 

Mousonturm

Waldschmidtstraße 4

60316 Frankfurt

 

Muffathalle

Zellstraße 4

81667 München

 

Medien

Wer den ganzen Tag hinter der Werkbank schwitzt oder in sauerstoffarmen Konferenzräumen um die Gunst des Chefs buhlt, ist von den Geschehnissen der Außenwelt so abgeschottet, dass es selbst einem völligem Polit-Ignoranten zur zweiten Natur geworden ist, abends den Fernseher oder das Radio einzuschalten und sich bei Tagesthemen oder heute journal über die aktuellen Ereignisse zu informieren. Wer in der nächsten Mittagspause oder beim Essen mit Freunden mitreden will, muss informiert sein, um bei hitzigen Diskussionen gute Argumente zu haben – und die holt er sich in der Regel durch die Medien. Aber wer bringt diese Informationen in die allabendlichen Nachrichten? Wer stellt sie online oder funkt sie durch den Äther? Wer präsentiert sie, wer bereitet sie vor? Es ist müßig zu sagen, dass das die klassischen Metiers der Eulen sind.

Der Nachtnachrichtenredakteur

 

In jeder Nacht ist Licht zu sehen im zweiten Stock des Kölner Funkhauses am Raderberggürtel. Dort liegt das Büro von Marco Bertolaso und der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks, das nicht nur für die Wissbegierigen des Tages, sondern auch der Nacht sendet – für Schichtarbeiter, Nachtschwärmer, Schlaflose oder einfach Liebhaber der späten bzw. ganz frühen Stunde. Erst arbeitete der promovierte Historiker hier als Redakteur, dann als verantwortlicher Dienstleiter, der die Abläufe koordiniert. Seit 2007 ist er Leiter der Abteilung »Zentrale Nachrichten« und Chef eines Teams von zwanzig Redakteurinnen und Redakteuren nebst zahlreichen freien Mitarbeitern. 37 Nachrichtensendungen produziert die Redaktion am Tag – und zwar live: je eine zur vollen Stunde und zwischen 5 und 18 Uhr sogar jede halbe Stunde, sowie zusätzlich die Presseschau, die einen zehnminütigen Überblick über die Kommentare der deutschen Zeitungen und der Weltpresse zu aktuellen Themen bietet. Und dies an Werktagen ebenso wie an Sonn- und Feiertagen.

Bevor Bertolaso Chef der Abteilung wurde, hat er selbst jahrelang Nachtschichten geschoben. Das gehört in einer Redaktion, die 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche besetzt sein muss, einfach dazu. Was Bertolaso aber wichtig ist: »Die Arbeitsweise bei uns unterscheidet sich sehr von den Klischees, die durch US-Filme wie Extrablatt verbreitet werden. Hier wird nicht gebrüllt und über die Tische hinweg gerufen. Für Hektik fehlt uns schlicht die Zeit. Alle Mitarbeiter sind sehr ruhig und konzentriert, auch in den Diskussionen. Das einzige Geräusch, das man hört, ist das gleichmäßige Anschlagen der Tastaturen.«

Der Spätdienst fängt ein halbe Stunde vor Mitternacht an und endet am nächsten Morgen um halb sieben. In der Regel überschneidet er sich mit dem der Redakteure der vorangehenden Schicht um eine Stunde. Nach den Null-Uhr-Nachrichten findet die Übergabe statt, die Ein-Uhr-Nachrichten hat der Nachtredakteur bereits alleine vorbereitet. Es kann jedoch schon einmal vorkommen, dass man einander früher ablöst, etwa wenn der Kollege über Kopfschmerzen klagt. »In einer Redaktion, in der rund um die Uhr gearbeitet wird, herrscht ein enger Zusammenhalt. Es geht hier auch nicht so steif zu wie in einem normalen Bürobetrieb. Wer nachts arbeitet, lässt durchaus schon mal den Anzug im Schrank und trägt legere Kleidung. Das wirkt sich auch auf den Umgang miteinander aus. Wir sprechen auch über private Dinge und sind nicht so förmlich und distanziert, wie man sich das in einer Nachrichtenredaktion, die ja auf Sachlichkeit bedacht sein muss, vorstellt.«

Bevor man miteinander die Nacht durcharbeitet, sollte sich jeder Neuankömmling erst einmal in die aktuellen Weltgeschehnisse einarbeiten. »Wenn man in den Sender kommt, muss man sich zunächst einen Überblick über die Nachrichtenlage verschaffen«, beschreibt der Chef der einzigen Hörfunknachrichten, die bundesweit ausgestrahlt werden, das Arbeitsprozedere. Das heißt, man schaut sich die Agenturmeldungen des Tages an, hört, was in den vorhergehenden Sendungen verwertet wurde und versucht, die Meldungen in ihren entsprechenden Kontext einzuordnen. »Wenn dann eine Eilmeldung eingeht, weiß ich, ob es tatsächlich eine neue Nachricht oder einfach die Wiederholung einer Nachricht ist, die bereits gelaufen ist. Das kommt durchaus vor.« Zwei Leute – ein Redakteur und ein Dienstleiter – bilden die Besetzung in der Nacht. Sie lesen, beurteilen, ordnen und redigieren die eingehenden Meldungen, verfertigen die Nachrichten und geben diese dem Sprecher zum Einlesen – idealerweise fünf Minuten vor Sendung. »Aber es kann auch sein, dass wir während der laufenden Sendung noch Eilmeldungen nachreichen, wenn wir das für notwendig halten.«

Das beurteilen zu können erfordert Erfahrung, Kenntnis und Routine. Denn in der Nacht ist es schwer oder gar unmöglich, jemanden für Rückfragen an den Hörer zu bekommen und vage Fakten zu prüfen. Die Nacht biete freilich die Chance für Hinterbänkler und diejenigen, die sonst überhört werden, erzählt Bertolaso. Leute, die tagsüber im parlamentarischen Geschehen nur geringes Gewicht haben, melden sich hier eher zu Wort. Mit der Gefahr, dass Sachverhalte verkürzt dargestellt werden. »Neulich haben ein paar Politiker aus der Opposition etwas zum Sparpaket der Regierung gesagt. In der Agenturmeldung stand dann: ›Die SPD ist der Meinung …‹. Das war aber falsch. Denn nicht die SPD als Partei hatte sich dazu geäußert, sondern nur eine kleine Gruppe innerhalb der Partei.« Ginge so eine Nachricht wörtlich über den Sender, könnte Missmut und vielleicht auch Schaden entstehen. Deshalb ist hier wie in vielen anderen Fällen Vorsicht geboten.

Ein weiterer Schwerpunkt der Nacht-Nachrichten sind Auslandsmeldungen. Denn wenn bei uns die Lichter ausgehen, klingeln in Los Angeles oder Tokio die Wecker. Wie bei den Nachrichten ist auch hier Routine in der Einschätzung gefragt. »Wenn uns etwa die Meldung erreicht, in Bangladesch habe es ein Erdbeben der Stärke 6,8 gegeben, und wir, um unseren Hörern einen Vergleich zu bieten, hinzufügen, dass bei einem Erdbeben der Stärke 6,8 im Jahre zuvor mehrere 100 Menschen umgekommen sind, kann das völlig in die Irre führen und Panik schüren. Wir wissen ja noch gar nicht, welche Folgen das neue Beben tatsächlich hatte.« Natürlich kann Marco Bertolaso die Korrespondenten der jeweiligen Region anrufen, aber auch das ist nicht immer der richtige Weg: »Wenn ich davon ausgehen kann, dass diese wie ich ebenfalls nur im Internet auf bestimmten Seiten nachgucken und nicht direkt Zugang zu einer Kontaktperson haben, kann ich mir und ihnen auch einen Anruf ersparen, denn dann gehe ich selbst ins Netz.«

Einsteigern empfiehlt Bertolaso neben einschlägiger Praxis, etwa bei einer Tageszeitung, unbedingt Auslandserfahrung. »Es ist bei uns notwendig zu wissen, wodurch sich die politischen Systeme unterscheiden, wer etwa in anderen EU-Staaten für was zuständig ist. Fremdsprachenkenntnisse sind ebenfalls von Vorteil in einer Redaktion wie unserer, die Nachrichten aus aller Welt anbieten will.« Einsteiger müssen ohnehin ein paar Wochen zur Probe arbeiten. »Daran kann man schneller erkennen, ob jemand die Abläufe beherrscht, Sachkompetenz hat und in das Team hineinpasst, als durch einen tollen Lebenslauf,«

Eine Eigentümlichkeit gibt es noch beim Dienst in der Nacht, erzählt Bertolaso: »Das Publikum, das nachts zuhört, ist ein besonderes. Es ist kritischer und aufmerksamer als das Publikum am Tage. Vielleicht liegt es daran, dass tagsüber das Radio mit vielen anderen Medien konkurriert, diese Einflüsse aber bei Nacht wegfallen und man sich direkter mit dem Medium Radio konfrontiert sieht.« Deshalb klingeln immer wieder die Telefone: »Hörer haben Fragen, wollen mehr über eine laufende Meldung wissen, suchen Programmhinweise oder wollen einfach nur ein Lob loswerden«, erzählt der Nachrichtenchef. »Und sie bedanken sich auch oft bei uns, weil wir in der Nacht Themen behandeln, die tagsüber nicht im Fokus stehen.« Natürlich gibt es auch Querulanten, aber die sind eher selten, und es gibt Mittel und Wege, sie zu beruhigen. »Bei uns wird jeder Hörer freundlich und geduldig behandelt«, versichert Bertolaso. Und das nicht nur weil man sein Publikum schätzt, sondern auch, weil man Werbung in eigener Sache machen möchte: »Wir hoffen darauf, dass unsere Zuhörer uns an andere Nachteulen weiterempfehlen.«

Jeder kann sich als Journalist bezeichnen. Der Beruf ist gesetzlich nicht geschützt. Dennoch empfiehlt es sich, ein klassisches Volontariat bei einer Tageszeitung zu durchlaufen – dort kann man Einblick in mehrere Schwerpunkte (Politik, Wirtschaft, Vermischtes, Leute) gewinnen und diese nach dem Volontariat vertiefen. Eine umfassende praktische und theoretische Ausbildung erhält man an Journalistenschulen. Auch einige große Verlage bieten die Möglichkeit an, das Handwerk an einer hauseigenen Journalistenschule zu lernen. Voraussetzungen und Aufnahmebedingungen erfahren Sie z.B. hier:

 

Axel Springer Akademie

Axel-Springer-Straße 65

10888 Berlin

030 259178800

www.axel-springer-akademie.de

 

Deutsche Journalistenschule e.V.

Altheimer Eck 3

80331 München

089 2355740

www.djs-online.de

(Hier haben unter anderem Günther Jauch und Sandra Maischberger ihre Ausbildung genossen.)

 

Hamburg Media School

Finkenau 35

22081 Hamburg

040 4134680

www.hamburgmediaschool.com

 

Henri-Nannen-Journalistenschule

Stubbenhuk 10

20444 Hamburg

040 37032376

www.journalistenschule.de

 

Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V.

Kapuzinerstraße 38

80469 München

089 5491030

www.ifp-kma.de

(Hier hat unter anderem Thomas Gottschalk gelernt.)

 

Schule für elektronische Medien

Marlene-Dietrich-Allee 25D

14482 Potsdam

0331 7313200

www.ems-babelsberg.de

(Spezialisiert auf eine journalistische Ausbildung für elektronische Medien: Radio, TV, Online.)

 

Der Klatschreporter

 

Schampus trinken, in tollen Restaurants speisen, mit illustren Prominenten bis zum Morgengrauen feiern und ihnen zu später Stunde, wenn die Träger der Kleider verrutscht, das Make-up verlaufen und zu viele Drinks getrunken sind, auf der Toilette mal schnell intime Geständnisse entlocken?

Wie der Job eines Klatschreporters wirklich aussieht und dass er mit dem beschriebenen Klischee nur wenig zu tun hat, erzählt Sascha Suden. Er hat als Chefredakteur für das Monatsmagazin Prinz gearbeitet, als Kolumnist für den Kölner Express, war Autor für Bunte, Gala sowie Unterhaltungschef für die Berliner B.Z. und schrieb als freier Journalist noch für viele weitere Medien. »Das klingt alles so heiter und voller Vergnügen – und ich will auch nicht leugnen, dass mir mein Job immer noch Spaß macht. Man hat mit tollen Leuten zu tun, und das Arbeitsumfeld ist in der Regel auch höchst angenehm, aber mit Partymachen und Feiern hat das selbst überhaupt nichts zu tun. Auf acht von zehn Partys passiert nichts. Und dennoch muss ich am kommenden Tag darüber berichten. Mein Job ist eine Bergwerksarbeit. Ich muss präsent sein, bis die letzten Gäste gehen. Denn wenn zum Beispiel Brad Pitt hier in der Stadt ist und einen Club besucht, will meine Redaktion am nächsten Morgen wissen, was er getrunken hat, wie viel er getrunken hat, mit wem er geredet hat, mit wem er gekommen ist – und natürlich auch, wann und mit wem er gegangen ist.«

Der erfahrene Journalist, der nie geht, bevor die Stühle hochgestellt werden, räumt auch gleich mit einem anderen gängigen Irrtum auf. »Dabei trinke ich selbst keinen Tropfen Alkohol. Das Bild vom Champagner trinkenden Society-Reporter stimmt einfach nicht. Das kann man sich in dieser Branche nicht erlauben, wenn man länger darin arbeiten will. Nicht nur, dass es einen schlechten Eindruck macht, wenn man sich mit schwerer Zunge den Gästen nähert, es geht auch auf Dauer an die Substanz. Natürlich muss man Geselligkeit simulieren, aber mittrinken darf man nicht. Außerdem: Man ist mit klarem Kopf einfach im Vorteil. Alle anderen werden immer betrunkener und merken nicht, dass ich keinen Tropfen angerührt habe. Sie fühlen sich im Suff unbeobachtet – und das ist meine Chance, an gute Geschichten zu kommen.«

Wenn Suden sich als Reporter ins Nachtleben stürzt, ist sein Arbeitsumfeld das Terrain, wonach man sich als Normalsterblicher gemeinhin sehnt. Er stand an den roten Teppichen des Deutschen Film-, Fernseh- und Comedypreises, bei Galas verschiedenster Medien oder auch der Aids-Hilfe. Er berichtete von den Premieren prominenter Hollywoodproduktionen genauso wie von Arthouse-Filmen. Er besuchte Eröffnungen von Schmuck- und Haute-Couture-Boutiquen, Restaurants und Hotels – und wenn, wie zu seiner Zeit beim Kölner Express, der G8-Gipfel von der Stadt Köln ausgerichtet wird, trifft er selbstverständlich die damalige US-Firstlady Hillary Clinton zum Plausch im Foyer und schüttelt ihrem Mann, dem Präsidenten, die Hand. »Das aber war ein einmaliger und großer Glücksfall«, gibt Suden zu.

Dennoch wollen solche Glücksfälle gut vorbereitet sein, denn nur wer dafür sorgt, dass er auf allen Gästelisten steht, seine Kontakte ausbaut und pflegt, kann solche Begegnungen forcieren. »Es bereitet kein großes Problem, zu solchen Veranstaltungen eingeladen zu werden. Dahinter stecken professionelle PR- und Eventagenturen, die dafür bezahlt werden, dass man über die Veranstaltungen berichtet. Es ist ein Geben und Nehmen. Sie laden ein, ich schreibe darüber. Und je exklusiver und aufregender die Geschichten sind, zu denen mir der Zugang ermöglicht wird, desto größer wird über die Party oder die Gala berichtet.«

Dennoch ist es von großem Vorteil, die Leute, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, auch persönlich zu kennen. Suden ruft regelmäßig an oder lädt eine Agenturchefin schon mal auf einen Kaffee ein. »Da wird nur geplaudert, da werden keine Deals ausgehandelt. Schließlich geht es hier um Menschen, und die wollen auch um ihrer selbst willen geachtet werden. Wenn man immer nur anruft, wenn man etwas braucht, ist man schnell unten durch.« So etwas nennt man Kontaktpflege – und dabei erfährt man en passant eben doch die eine oder andere Neuigkeit, die zu einer exklusiven Geschichte führt. »Es ist selten, dass auf Partys wirklich etwas passiert, was zu einer Schlagzeile reicht. Man muss versuchen, auf private Veranstaltungen, zu Geburtstagen etwa oder zu kleinen Feiern, eingeladen zu werden. Dann ist man wirklich mittendrin.« Dies aber heißt, es sich erst einmal durch Geschick, Diplomatie und gelegentliche Diskretion zu erarbeiten. »Ich habe auch manchmal etwas zurückgehalten, was ich wusste, und mir dadurch eine andere Exklusivgeschichte erwirkt.« Dazu gehört Fingerspitzengefühl. Ebenso wichtig für den Job ist eine gute Garderobe. Wer ausgelatschte Turnschuhe oder ein schlampiges Outfit trägt, fällt unangenehm auf oder kommt erst gar nicht in die Partyzone hinein. Daneben benötigt man Kontaktfreude, Interesse an Menschen und am Zeitgeschehen überhaupt. Das gilt auch für die Fotografen, die mit Suden die nächtlichen Society-Events besuchen und mit denen er meist vorher bespricht, welche Gäste auf einer Feier interessant sind und wem möglicherweise ein »Geständnis« zu einer neuen Liebe, einer Trennung oder einer Schwangerschaft zu entlocken ist. Um an solche Informationen heranzukommen, darf man auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen: »Man muss die Leute in ein unverfängliches Gespräch verwickeln, damit sie Vertrauen fassen. Dazu ist es wichtig, dass man seine Hausaufgaben gemacht hat. Es zählt nicht, sich nur über die aktuellen Ereignisse der Show- und Musikbranche unterhalten zu können, wichtig ist, dass man einfach weiß, was die Zeitungen schreiben, wie die Aktien stehen, welches Buch in den Bestsellerlisten oben steht oder, wer gerade Tabellenführer in der Bundesliga ist. Man weiß ja nie, wen man trifft.« Und noch eine wichtige Eigenschaft gehört zum Handwerkszeug: Man sollte die Fähigkeit haben, andere glänzen zu lassen und sich selbst dezent zurückzunehmen. »Wir leben von den Beobachtungen und nicht davon, dass man uns beobachtet.«

Wenn der Wahlberliner eine Veranstaltung – selbstverständlich als einer der Letzten – verlässt, ist die Arbeit meist noch nicht zu Ende. »Ich schicke dann eine Liste mit meinen Beobachtungen und Themen in die Redaktion, alles in Absprache mit dem Fotografen, der mich begleitet hat, damit die Redaktion schon einmal planen und für das Layout die Bilder aussuchen kann, wenn ich versuche, meinen Schlaf nachzuholen.« Denn das ist der Vorteil am nächtlichen Job: Der Arbeitsantritt darf ruhig ein bisschen später sein.

Dennoch schlaucht das Nachtleben auf Dauer. Deshalb, so Suden, ist der Beruf des Klatschreporters ein ideales Eintrittsportal für junge Journalistinnen und Journalisten: »Viele altgediente Hasen sind später nur noch bei den wirklich großen Ereignissen dabei und lassen sich ansonsten von jungen Kolleginnen und Kollegen vertreten.«

Auch Klatschjournalisten benötigen in der Regel ein abgeschlossenes Volontariat. Erfahrung im Umgang mit Prominenten erhält man jedoch meist durch Praxis bei den einschlägigen Medien. Einige Verlage bieten innerhalb ihrer Journalistenschulen eine Ausbildung zum Klatschredakteur an. Hier ein paar Medien, die Klatschreporter beschäftigen:

 

Bauer Media Academy

Das Neue, Das Neue Blatt, Neue Post, InTouch, Life&Style

Burchardstraße 11

20067 Hamburg

040 30190

www.bauermedia.com

 

Axel Springer Akademie

Bild/Bild am Sonntag

Axel-Springer-Straße 65

10888 Berlin

030 259178800

www.axel-springer-akademie.de

 

Ok-Magazin

Gänsemarkt 24

20354 Hamburg

040 4118825101

www.ok-magazin.de

 

in – Starmagazin

Rosenthaler Straße 40/41

10178 Berlin

030 319914100

www.in-starmagazin.de

 

Bunte

Arabellastraße 23

81925 München

089 92503114

www.bunte.de

 

Gala

Schaarsteinweg 14

20459 Hamburg

040 37030

www.gala.de

 

Die Nachtmoderatorin

 

Wenn es hart auf hart kommt, geht Tina Kaiser in die Maske, wenn andere Menschen längst abgeschminkt sind und im Bett liegen. Ihre Sendung Night Loft auf ProSieben beginnt um ca. zwei Uhr morgens und dauert zwischen zwei und zweieinhalb Stunden. Manchmal arbeitet sie bis um kurz vor vier Uhr im Morgengrauen, wenn die Lerchen bereits singen und die Bäcker ihre Brötchen backen. »Länger darf es auch wirklich nicht dauern«, gesteht die Moderatorin mit dem Eulen-Gen. »Denn da mache selbst ich als Nachtmensch schlapp.« Zeit zum Runterschalten braucht sie dann nicht mehr: Das Nachgespräch zur Sendung wird knapp gehalten, die Viertelstunde Fahrt nach Hause vom Studio in Unterföhring nach Schwabing lässt sie ebenfalls schnell hinter sich – und dann geht es ohne Umschweife ins Bett.

»Der ideale Tag«, sagt die Münchenerin, »beginnt bei mir ohne Weckerklingeln.« Verläuft der Tag jedoch nicht ideal, dann steht Tina Kaiser zwischen 12 Uhr und 13.30 Uhr auf, je nachdem, wie lange sie gearbeitet hat bzw. ob Termine anstehen. Oder wenn die Aussicht besteht, dass die Sonne scheint. »Als Nachtmensch muss ich darauf achten, dass ich viel Sonne bekomme, das ist wichtig für die Gesundheit.«

Arbeitsantritt ist spätestens um 24 Uhr. Denn Tina Kaiser versucht möglichst, zwei Stunden vor ihrem Auftritt im Sender zu sein, um sich vorbereiten zu können. »Ideal ist, wenn ich mich vorher nicht noch einmal hinlege, sondern etwas unternehme: ins Kino gehe oder mich mit Freunden treffe. Dann bin ich auf einem guten Wachpegel.«

Im Sender stehen zunächst einmal die Redaktionskonferenzen an. Tina Kaiser bespricht mit ihrer Ko-Moderation und der Redaktion den Ablauf der Sendung. Es wird festgelegt, welche Spiele gespielt werden und ob es Sachpreise gibt, deren Sponsoren genannt werden müssen. Nach der Redaktionskonferenz wählt sie ihre Garderobe aus. »Die Stylistin hängt mir verschiedene Alternativen hin, aus denen ich dann eine aussuchen kann. Sie selbst ist um diese Zeit schon im Bett.« Die Maskenbildnerin hingegen kann nicht so einfach nach Hause geschickt werden, denn nur sie kennt Tricks und Mittel, mit denen man einen müden Teint zum Leuchten bringt. »Unter einer Stunde geht hier meist nichts ab. Der Vorteil ist, dass ich hier herkommen kann, wie ich will, und dann hier zurechtgemacht werde. In einem normalen Bürojob ist das ja nicht möglich. Da muss man leider schon gestylt ankommen.«

In ihrer Sendung schüttet Tina Kaiser dann Gewinne aus oder hält einfach einen netten Plausch mit einem Anrufer. »Schön ist es, wenn viel los ist und andauernd Leute anrufen. Dann ist man in Aktion und muss gar nicht daran denken, dass man vielleicht schon müde sein könnte.« Die eigentliche Herausforderung stellt sich, wenn die Leitungen stillstehen und die Moderatorin auf sich gestellt ist. Das kann manchmal fünf, manchmal auch zehn oder zwanzig Minuten dauern. »Dann muss man improvisieren. Es gibt mehrere Möglichkeiten, über solche Durststrecken hinüberzukommen. Am liebsten erzähle ich etwas über den Kinofilm, in dem ich gerade war. Oder ich unterhalte mich mit der Regie.«

Dieses Talent, den spontanen Einfällen ihren Lauf und sich durch nichts aus der Ruhe bringenzulassen, nutzt Tina Kaiser auch bei Präsentationen auf Galas, Messen und Firmenevents. Seit immerhin schon 2004 moderiert sie verschiedene interaktive Call-in-Formate und ist dabei durch die harte Schule der Live-Moderation gegangen. Einen Teleprompter kennt sie nur aus Erzählungen, eine Erfahrung, die sie auf der Bühne und vor Publikum ausspielen kann. »Ich bin auf alles gefasst, und wenn mal etwas nicht so läuft, wie es besprochen oder geplant war, kann ich improvisieren und das Publikum dennoch bei Laune halten. Mir fällt immer etwas ein. Wenn man es gewohnt ist, live zu moderieren, fühlt man sich eben souverän, egal was passiert.«

Die Eventmoderationen bringen aber auch neue Aufgaben mit sich und erweitern somit das Spektrum: »Wenn mich eine bestimmte Firma engagiert, um durch einen Abend zu führen, kann diese von mir erwarten, dass ich die Firmengeschichte kenne.« Genauso kann man sicher sein, dass sie sich mit Tierschutz auskennt, wenn sie durch eine Aktivisten-Gala führt. »Natürlich mache ich das auch, weil ich mich weiterentwickeln möchte. Sich neue Arbeitsfelder zu erschließen ist nicht nur angesichts der Medienkrise, sondern auch für die persönliche Entwicklung ratsam.« Um am Ball zu bleiben, nimmt die Moderatorin regelmäßig Sprechunterricht oder besucht Kamera-Coachings. »Man kann nie auslernen, und man putzt Fehler, die sich eingeschliffen haben, wieder aus.« Ein Training, das auch für Einsteiger geeignet ist, denn: »Welcher Meister ist schon vom Himmel gefallen? Dabei kann man auch sehen, ob man wirklich Talent hat oder einfach nur ›Irgendwas-mit-Medien‹ machen möchte.«

Wie wird man überhaupt Moderatorin? »Am besten ist, man versucht sich bei kleineren Veranstaltungen. Schulfeste, Familienfeiern – alles zählt, und das nimmt man dann auf. Oder man stellt sich vor eine Digicam und versucht, in die Kamera zu reden.« Dann sucht man sich eine Agentur. »Die findet man im Netz. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass die zwei, drei gute Namen vertritt. Dann ruft man dort an. Dafür braucht man ein dickes Fell: Absagen soll man nicht persönlich nehmen. Ich etwa würde eher für die Unterhaltungsschiene als für ein Nachrichtenformat gecastet werden. Wenn die Agentur aber schon mehrere meines Typs vertritt, dann ist klar, dass die mich nicht auch noch nehmen.«

Hier die Adresse einiger Moderatorenagenturen, bei denen Sie sich bewerben können:

 

Pool Position Management GmbH

Eifelstraße 29

50677 Köln

0221 9318060

www.pool-position.net

 

Nowak Communications GmbH

ABC-Straße 38

20354 Hamburg

040 3499993

www.nowak-communications.de

 

BWM Communications GmbH

Grimmstraße 4/1. OG

80336 München

089 56823285

www.bwm-com.com

 

3Steps2heaven

Sonnenstraße 8

80331 München

089 30668820

www.3steps2heaven.de

 

Gastronomie

Wenn die Lerche Feierabend macht, dann will sie zwar nicht immer, aber ab und zu doch etwas erleben. Meist geht sie aus. Schön essen, hin und wieder ordentlich feiern – egal, Hauptsache Abstand von der öden Arbeitsroutine finden. Doch was für die Frühaufsteher und Frühfeierabendmacher bloße Zerstreuung bedeutet, ist für das Eulen-Lager Vergnügen aus Berufung. In Kneipen, Bars, Restaurants, Hotels oder Clubs können Nachtmenschen ihre Neigung, die Nacht zum Tage zu machen, voll ausleben – und dabei sogar noch Karriere machen.

Der Barkeeper

 

»Martini gerührt und nicht geschüttelt – wenn gerade ein James-Bond-Film im Kino läuft, steigen die Martinibestellungen rapide. Dann hat jeder Lust auf ein bisschen Bond am Tresen, besonders die Männer.« Uwe Christiansen zählt zu den besten Barkeepern Deutschlands. Seine Meriten erwarb er sich in Hotels und Bars der großen weiten Welt: In Kapstadt stand er im Charlie Parkers hinterm Tresen, im griechischen Kalithea leitete er die Bar des Athos Palace Hotels, in Seattle mixte er auf der MSY Wind Spirit und auf den Luxuslinern MS Hamburg oder der MV Queen Elizabeth servierte er einem illustren Publikum seine bunten Kreationen. Als Barchef von Hamburgs berühmtem Angie’s Nightclub brachte er schließlich die Atmosphäre der klassischen amerikanischen Cocktailbar in die Stadt. »Ich war der erste echte Barkeeper«, erzählt Christian nicht ohne Stolz.

Sechs Jahre lang rührte und schüttelte Christiansen hier Drinks an, dann kam ein Angebot, das so leise war, dass Christiansen es beinahe überhört hätte: »Nach dem Aus des legendären Mayer Lansky’s ist in das gleiche Lokal das Knickerbocker eingezogen, und die Betreiber haben es verrissen. Sie fragten mich dann, ob ich jemanden kenne, der das übernehmen könne. Erst drei Tage später ging mir auf: Ich! Ich könnte das machen. Das war zwar keine Toplage, aber für ein Topkonzept braucht man auch keine Toplage. Ich hab zugesagt.« Mit der Bürokratie gab es keine Probleme. »Ich bin zum Gesundheitsamt gegangen und hab einen Frikadellen-Schein gemacht – das ist eine Hygienebelehrung.« Schwieriger war die Finanzierung. »Zum Glück hatte ich etwas gespart, dadurch hatte die Bank mir vertraut und mir Sicherheiten gegeben.«

1997 war Christiansen sein eigener Chef. 1998 bekam er den ersten wichtigen Preis: Der Playboy kürte das Christiansens zur »Bar des Jahres«. Seitdem wollen dort nicht nur Möchtegern-James-Bonds auf ihre Kosten kommen. Der Laden boomte, Christiansen musste expandieren: 2003 eröffnete er Das Herz von St.Pauli, eine traditionelle Kneipe mitten auf der Reeperbahn, 2009 übernahm er die Bar Cabana, ein Laden mit Karibik-Flair.

Drei Bars an drei unterschiedlichen Standorten auf und rund um Hamburgs umkämpfter roter Meile. Natürlich bekommt auch Christiansen den Wettbewerb zu spüren. Kneipen gibt es an jeder Ecke. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband zählt – für das Jahr 2009 – 182 008 Gaststätten. Dazu kommen 44 976 Herbergen, Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen sowie 11 233 Kantinen und Caterer. Über eine Million Menschen verdienen in diesem Gewerbe ihr Geld, 55 Milliarden Euro Jahresumsatz netto macht die Branche schätzungsweise. Zwölf Prozent davon erwirtschaften die zirka 38 000 Betriebe, die sich allein auf den Ausschank von Getränken konzentrieren. Das ist Christiansens Feld: »Unsere Mitstreiter auf dem Kiez versuchen uns mit Happy Hour oder Drink-Flatrates in die Knie zu zwingen. Wir machen das nicht mit. Und offenbar gelingt es uns, unsere Gäste auf andere Weise zu halten. Sie kommen gerne und bleiben lange.«

Das mag auch an einem diskreten Umgang mit launigen und betrunkenen Gästen liegen. »In den 13 Jahren, die ich das Christiansens nun führe, gab es erst zwei Personen, die ausfallend wurden und die wir dann handgreiflich rausschmeißen mussten. Beim Herz von St. Pauli kommt das öfter vor. Da ist die Klientel auch mal etwas rabiater. Am besten ignoriert man solche Leute. Das Einzige, was die wollen, ist doch Aufmerksamkeit. Oft reicht es, wenn man sich dann den Vernünftigsten aus der Gruppe zur Seite zieht und ihn bittet, seinen Kumpel ruhigzustellen. Wenn das nicht klappt, sind die Türsteher gefragt oder die Polizei. Oder wir schmeißen Randalierer selbst raus – aber nur, wenn das ohne Blessuren geht. Das gehört eben zum Nachtleben dazu, das ist halt etwas rauer.«

Auch wenn im Dunkel der Nacht manchmal die Dämonen der Trunkenheit und der Gewalt heraufbeschworen werden, möchte Uwe Christiansen diese Stunden nicht missen. »Ich liebe die Nacht. Ich liebe einfach diese Atmosphäre, wenn sich die Dunkelheit über die Straßen legt. Egal, wann ich mit der Arbeit fertig bin, ob es zwei Uhr ist oder wieder einmal fünf Uhr geworden ist, ich fahre mit meinem Motorrad dann noch einmal über die Reeperbahn, schaue mir an, wie die letzten Nachtschwärmer noch einen Absacker trinken oder in ein Taxi nach Hause steigen, und wie so langsam die Lichter ausgehen. Ich bin noch nie gerne früh zu Bett gegangen.«

Nicht nur mit seinen Schlafgewohnheiten, auch auf seinem Fachgebiet hat sich Christiansens Berufsweg früh abgezeichnet. Der gelernte Lebensmitteleinzelhandelskaufmann erzählt: »So absurd das klingt: Ich habe mit 18 im Partykeller meiner Eltern eine Cocktailbar eröffnet. Dabei war es gar nicht so einfach, die ganzen Zutaten zu bekommen. Ich komme vom Dorf. Zum Glück hatte mein Vater den ersten Selbstbedienungsladen in Schleswig-Holstein und hat mir dann Zutaten wie Ananassaft besorgt – das war Ende der 70er und in einem Dorf wie Hohenwestedt hochexotisch.« Geübt hat er zunächst anhand klassischer Lehrbücher, das Equipment beschränkte sich auf einen Cocktailshaker und ein Cocktailsieb. Heute ist Christiansens Arbeitsplatz seine Bühne. 650 verschiedene Liköre, Brandys, Whiskys, Gins, Wodka- und Rum-Sorten, Portweine, Sherrys, Martinis und Bitter säumen die gläsernen Regale, dazu gesellen sich Säfte, Sahne, Milch, Nusscremes, Soft- und Energiedrinks sowie Zubehör. Vom Siphon über Pressen bis zum Schneidebrett, alles muss jeden Abend am gleichen Platz stehen, damit jeder Griff auch blind gelingt. 200 Cocktails bietet Christiansens Karte. Darüber hinaus nimmt der Barmann auch persönliche Wünsche entgegen.

Christiansen selbst ordert am liebsten einen sogenannten »French 75«, einen Champagnercocktail mit Gin, Zucker und Zitrone, wenn auch eher selten. »Ich trinke kaum Alkohol. Man hilft den Gästen, sich wohl zu fühlen, bereitet ihnen einen schönen Geburtstag, animiert sie dazu, Spaß zu haben, und manchmal verkuppelt man sie auch. Da geht meine ganze Energie rein, und die ist dann verpulvert, wenn ich mich selbst feiern müsste.«

Privat lässt er es auch eher ruhig angehen. Nach dem Dienst noch die Tour über die Reeperbahn, dann ab nach Hause in seine 42-Quadratmeterwohnung, Ausschlafen bis mindestens elf oder, wenn es am Wochenende mal bis in die Morgenstunden ging, auch bis 14 Uhr. Das Weckerklingeln fällt aus, das Frühstück nicht. Schließlich braucht er für seinen Job Kraft.

Anschließend geht es ins Büro: »Früher, als ich als Barchef angestellt war, hab ich mich nur um die Getränke gekümmert, heute hab ich den ganzen betriebswirtschaftlichen Kram an den Hacken: Bestellungen aufgeben, Lieferungen annehmen, Bestände prüfen, Dienstpläne aufstellen, Bankgeschäfte tätigen, Briefe schreiben und beantworten, gucken, ob das Personal da ist oder jemand vielleicht krank ist. Dann wird das Lokal kontrolliert. Ist alles da? Ist alles richtig aufgebaut? Ist alles sauber?« So geht es bis 17.30 Uhr. »Dann kommen meine heiligen anderthalb Stunden. Ich esse zu Abend, gucke Regionalfernsehen, damit ich informiert bin, was in der Stadt so los ist, und lege mich noch einmal für eine Viertelstunde aufs Ohr. Das brauche ich einfach, um meine Batterien aufzuladen. Wenn mich da jemand stört, werde ich sauer.« Und dann geht es wieder hinaus in die glitzernde Welt der Nacht und der Cocktails …

Wer eine Cocktailbar (oder eine Kneipe) eröffnen will, hat Pflichten, aber auch die Möglichkeit, sich langsam an die Sache heranzutasten.

Zunächst die Pflichten: Vier Konzessionen sind nötig, bevor man die Pforten öffnen kann:

1. Gewerbe anmelden: Wer eine Bar oder Kneipe aufmachen will, muss einen Gewerbeschein besitzen. Es gibt keine zentrale Erfassung, zuständig ist das örtliche Gewerbeamt.

2. Hygiene-Belehrung: Der sogenannte »Hackfleischkurs« oder »Frikadellenschein« ist eine Hygieneschulung, die das Gesundheitsamt durchführt. Man lernt, wie man mit verderblichen Lebensmitteln wie Hack, Milch, Eiern etc. umgehen muss. Ein Besuch dieser Schulung ist Pflicht, dauert aber höchstens einen Vormittag. Die offizielle Bezeichnung lautet: Belehrung gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz. Diese Belehrung müssen auch alle Mitarbeiter absolvieren.

3. Bauaufsicht: Man sollte sich erkundigen, welche baulichen Auflagen für die Eröffnung eines gastronomischen Betriebs in Hinblick auf Hygienestandards und Sicherheit nötig sind. Achtung: Diese Auflagen unbedingt einhalten! Die Kontrolleure kommen unangemeldet und in unregelmäßigen Abständen vorbei.

4. Musik: In jeder Bar und in jeder Kneipe läuft Musik. Das gehört dazu. Aber nichts ist umsonst. Auch die Künstler und Interpreten wollen bezahlt werden. Die GEMA (Gemeinschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) sorgt dafür, dass diese ihren Anteil bekommen, und treibt deshalb die Gebühren ein. Damit man keine überraschende Zahlungsaufforderung bekommt, lieber gleich bei der zuständigen GEMA-Bezirksdirektion anrufen. Die Nummer erfahren Sie unter www.gema.de

 

Eine umfassende Grundlage bietet der »DEHOGA Deutscher Wirtebrief«. In mehreren aufeinander aufbauenden Modulen kann man Kenntnisse zu verschiedenen Schwerpunkten erwerben. Im Betriebswirtschaftsmodul stehen Wareneinsatzkontrolle, Kalkulation, Gastgewerberecht, Buchhaltung, Steuern, Löhne und Gehälter auf dem Programm, im Fach Personalführung Arbeitsrecht, Umgang mit Auszubildenden, Mitarbeiterführung und Rekrutierung von Mitarbeitern. Im Bereich Marketing entwickelt man PR- und Umsatzsteigerungsstrategien. Wer die abschließende Prüfung besteht, kann sich fit für eine Existenzgründung im Gastgewerbe fühlen.

Umfassende Informationen, auch über die regionalen Voraussetzungen für eine Existenzgründung im Gastgewerbe, erhält man unter:

 

Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e.V. (DEHOGA Bundesverband)

Am Weidendamm 1 A

10117 Berlin

030 7262520

www.dehoga.de

 

Der Partymacher

 

Seine Anfänge feierte der Veranstalter Michael Ammer in Hamburg-Eimsbüttel, einem eher bürgerlichen Stadtteil der Hansestadt, in dem tagsüber Kinderwagen die engen Bürgersteige verstellen und nachts um spätestens 23 Uhr die Lichter ausgehen, weil die Menschen sich hier für ihren früh beginnenden Arbeitstag als Lehrer, Arzt oder Anwalt rüsten müssen. Ausgerechnet inmitten dieser großstädtischen Provinz öffnete 1989 in einem alten Varieté-Theater aus der Jahrhundertwende ein Club, der es mit den großen Tanztempeln der Weltmetropolen New York und London aufnehmen konnte. Das Trinity punktete mit 200 Quadratmetern Tanzfläche, viel Marmor, Spiegeln und 1000 Lampen, deren Licht ein Light-Jockey zu futuristischen Effekten zusammenmischte, sowie 30 Lautsprechern und zwei Basslautsprechern, die im Fundament eingelassen waren und über deren konstantes Wummern sich nicht wenige Nachbarn beschwerten.

Doch was hilft schon der größte technische Aufwand, wenn man es nicht schafft, einem solchen Laden Leben einzuhauchen. Genau das machte sich Michael Ammer zur Aufgabe. Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann heuerte dort als Pressemann an und stellte sich an den Einlass. »Ich habe wie Studio-54-Boss Steve Rubell als Selekteur an der Tür gestanden und darauf geachtet, dass viele hübsche Mädels reinkommen«, erzählt Ammer von seinem ersten PR-Coup. Denn wo sich schöne Mädchen tummeln, sind auch Männer nicht weit, besonders solche, die ihre Umgebung gerne mit Magnum-Champagnerflaschen und Centurion-Kreditkarten beeindrucken wollen. Als weitere PR-Aktion richtete er die Aftershowpartys für die großen Acts der Hamburger Sporthalle aus – unter anderem für Billy Idol, Joe Cocker, Eros Ramazotti, Depeche Mode, David Bowie, a-ha und Prince.

Junge schöne Mädchen und Weltstars an einer Theke waren die perfekte Mischung. »Das Trinity war viel exzessiver als das Studio 54. 2000 Partyfreaks pro Abend, am Wochenende Schickimicki und schrille Nachtvögel. Total wilde Leute, die nach Grenzerfahrungen und Bewusstseinserweiterung suchten.«

Natürlich blieb so ein wildes Treiben von der Hamburger Presse nicht unbemerkt, auch weil Ammer sich nicht scheute, selbst zum Hörer zu greifen und die Nachtredakteure vom Kommen und Gehen der Prominenten zu informieren. Aber es kamen eben nicht nur Prominente und Weltstars vorbei, sondern auch die Polizei kam – und das immer öfter. Es gab Razzien wegen Drogen, Zwangs- und Ordnungsgelder, weil die Verordnungen nicht eingehalten wurden. Irgendwann wurde der Laden dicht gemacht. Ammer war bald seinen Job los und saß auf der Straße – und suchte sich einfach einen neuen Laden. Er fand einen kleinen, aber nicht optimal geführten Club namens Mezzanotte im beschaulichen Hamburgereppendorf und machte den Besitzern ein Angebot, das sie offenbar nicht ausschlagen konnten. Wieder setzte Ammer auf ein altes Erfolgkonzept: Er lud die schönsten Mädchen der Vorstädte ein – damals sogar noch von eigener Hand. Er ging in die Boutiquen, sprach die Verkäuferinnen an, war sich nicht zu fein, Tresenmädchen anderer Clubs einzuladen, und verteilte seine Flyer großzügig vor Kinos und Shoppingzentren im Hamburger Speckgürtel.

Der Kontakt zu schönen Frauen wird ein Grundpfeiler seines Erfolgs. Heute hat er eine Datei von 9000 hübschen Frauen, die sich selbst für den VIP-Bereich seiner Partys bewerben, oft in der Hoffnung, dort ein Sprungbrett für ihre Karriere zu finden. Ammer: »Wir arbeiten in der Zwischenzeit mit renommierten Modelagenturen und Fotografen zusammen, die auf unseren Partys anwesend sind.«

Auch hier, wie bereits im Trinity, geht sein Erfolgskonzept auf. »Wo hübsche Mädchen sind, kommen Kerle mit Kohle.« Bald wurde es im Mezzanotte zu eng, und Ammer zog ins Traxx um, einen Club in einem Industriegelände unterm S-Bahnbogen. Hier stört sich niemand am beständigen Strom der an- und abfahrenden Gäste und am Gewummer der Bässe. Von dort aus expandierte er weiter, denn das Mezzanotte hatte nur 400 Plätze, das Traxx schon das Dreifache. Hinzu kam die Veranstaltung Modelnächte in den Clubs Wollenberg, Valentinos und J’s im Bunker.

Zu den schönen Mädchen und den Männern mit Geld holte Ammer die Prominenten mit ins Partyboot. Dies war der Beginn seiner Karriere als »Partykönig der Republik«, wie ihn der Focus nannte.[53] Ammer bringt es auf die Formel: »Wo Promis sind, kommen die Mädchen. Wo Mädchen sind, kommen die Promis. Die lernen sich kennen. Und dann sind auch die Medien da und wollen darüber berichten.«

Doch sein Erfolg kommt nicht von ungefähr. Wie in seinen Anfangszeiten legt der Partymacher auch heute nicht die Hände in den Schoß, wenn er von einem durchgefeierten Wochenende in sein Zuhause in einem 30 000-Seelen-Städtchen an der Elbe zurückkehrt: »Ab Montag geht es dann wieder volles Programm los. Da muss ich die nächsten Partys vorbereiten. Ich telefoniere den ganzen Tag herum. Meine Firma besteht aus mir und meinem Bruder. Der Rest sind Freischaffende – zum Beispiel Designer für die Gestaltung der Newsletter und Flyer. Ich mache das Booking für die DJs, die Tänzer, die Live-Acts. Dann spreche ich mit den Caterern, dem Shuttleservice, der Location, organisiere die Unterkunft für meinen ganzen Clan, gebe die Flyer in Auftrag, mache PR für die Events. Und sorge dafür, dass die Mädchen kommen. Ich mach in letzter Zeit auch viel mit dem Fernsehen.«

Für Neueinsteiger, die sich auf die Fährte des Platzhirsches der Partyszene begeben wollen, hat Ammer ein paar Tipps. »Man muss gut organisieren und delegieren können und nicht nur gute Ideen haben, sondern sie auch umsetzen können. Man sollte extrovertiert sein. Ansonsten hab ich nur zwei Tipps, die weiterhelfen könnten, gerade am Anfang: Um sich selbst bekannt zu machen, ist es gut, wenn man Promis zu seinen Partys einlädt und wenn man sich mit der Presse gutstellt und die über die Promis berichten können. Promis und Presse leben voneinander – und als Partymacher lebt man, gerade am Anfang, auch davon. Das Wichtigste sind allerdings Hunderte hübsche Partygirls – die bringen die Kiste zum Glühen!«

Partymacher ist ein Beruf für Autodidakten mit unterschiedlicher Vorbildung im künstlerisch-technischen oder kaufmännischen Bereich. Neuerdings bieten verschiedene Fachhochschulen staatlich anerkannte Ausbildungslehr- oder Studiengänge an, die wirtschaftliche, kreative und kommunikative Aspekte vereinen. Ein Verzeichnis mit allen Ausbildungsstätten und Berufszweigen findet man unter www.eventmanager.de/ berufe/berufe_anzeigen.asp.

 

Die TU-Chemnitz bietet den berufsbegleitenden Masterstudiengang Event-Marketing an:

TUCed – Programmträger der TU Chemnitz

Reichenhainer Straße 29

09126 Chemnitz

0371 909490

www.tuced.de