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Die Queen of the B’s –
eine Dänin kämpft für den gesellschaftlichen Wandel

 

Wenige haben den Mut, zu essen, wenn sie hungern, noch wenigere den Mut, zu schlafen, wenn sie müde sind. Alle haben wir die Neigung, uns zum Sklaven

Theodor Fontane, Aus den Tagen der Okkupation

»Wenn du dich nicht verändern kannst, dann musst du die Welt ändern« – die Dänin Camilla Kring hat sich erst gar nicht auf die Tribute, die die Arbeitswelt fordert, eingelassen, und sich gleich selbständig gemacht. Die Frage, ob sie sich frühmorgens aus dem Bett quält oder einen Nachtberuf wählt, in dem sie ihre Stärke, abends länger durchzuhalten, geltend machen kann, stellte sich ihr deshalb nie. »Ich wollte selbst bestimmen, wie ich meine Zeit einteile«, sagt die selbstbewusste Ingenieurin. In ihrer Doktorarbeit setzte sie sich mit Problemen der Work-Life-Balance auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass alte, noch im industriellen Zeitalter verhaftete Denk- und Arbeitsmuster weitreichende volkswirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Eine Arbeitswelt, die zwischen 8 und 16 Uhr Abläufe konzentriert und synchronisiert, verplempert Energie, weil alle zur gleichen Zeit etwas wollen, und verursacht Leerläufe, weil alle zur gleichen Zeit keine Bedürfnisse haben. Sie provoziert Staus, Warteschlangen und besetzte Hotlines, volle Wartezimmer und leere Innenstädte. Die Folge davon sind Hetze und mehr Geschwindigkeit, und das Gefühl, dass das Leben draußen ohne einen selbst stattfindet – eine Gesellschaft im Hamsterrad und auf der Couch, denn die Anzahl der psychischen Erkrankungen steigt und der Umsatz von Beruhigungsmitteln und Antidepressiva ebenso. Camilla Kring findet deshalb: »Wir müssen uns die Herrschaft über unsere Zeit wieder zurückerobern.«

Ein Entkommen gibt es nicht, solange man sich den Verhältnissen anzupassen versucht, sondern nur dann, wenn man diese ändert und mit deren Anpassung an individuelle Bedürfnisse reagiert. Vor fünf Jahren gründete Camilla Kring deshalb die »B-Society«. Das B leitet sich vom chronobiologischen B-Typus ab, umgangssprachlich auch Langschläfer genannt. Die B-Society wirbt für eine Neuerung der sozialen Strukturen, tritt für einen Dialog zwischen A- und B-Typen und eine neue Gesellschaft ein, die nicht einen der beiden Typen bevorzugt, sondern Unterschiede in der biologischen Disposition anerkennt und verschiedene Arbeits-, Lebens- und Familienformen unterstützt.

Doch während die meisten, die für die Rechte und Belange der Langschläfer kämpfen (und sei es auch nur im privaten Rahmen), dies aus persönlicher Betroffenheit tun, sieht sich Camilla Kring nicht durch ihre chronobiologische Disposition beeinträchtigt: »Ich bin ein moderater B-Typ«, sagt sie. »Das heißt, ich kann mich durchaus den auf A-Typen abgestimmten Verhältnissen anpassen. In der Schule habe ich deswegen nie große Probleme bekommen. In der Arbeitswelt auch nicht, denn ich war nie fest angestellt. Ich würde aber in einem 9-to-5-Job sterben. Ich muss es morgens ruhig angehen lassen und finde dann erst in Laufe des Tages zu meiner Hochform. Deshalb setze ich mich mit meiner B-Society für Flexibilität und Toleranz in der Arbeitswelt ein.«

Doch wie kommt es, dass ausgerechnet jemand, der nie unter den Qualen des Frühaufstehens gelitten, in der Schule deswegen nie Schelte eingefahren hat oder dem nie in den Morgenstunden der Kopf auf die Tischplatte gesunken ist, sich für die Interessen von Langschläfern einsetzt? Für Camilla Kring ist die Antwort einfach: »Weil es notwendig ist. Rund 25 Prozent der Menschen sind Langschläfer bzw. B-Typen und nur rund 15 Prozent A-Typen bzw. Frühaufsteher. Der Rest tendiert zum B-Typus, auch wenn er sich durchaus anpassen kann. Im Umkehrschluss heißt das: Für 85 Prozent der Menschen ist eine Arbeitswelt, die auf Frühaufsteher zugeschnitten ist, nicht optimal. Im Gegenteil: Die Arbeitswelt und das ideologische Fundament des frühen Vogels basiert auf dem Biorhythmus einer Minderheit und verschaffen dieser Vorteile, während das Potential einer Mehrheit nicht genutzt wird. Auf Dauer kann sich keine Gesellschaft leisten, diese Kräfte ungenutzt zu lassen. Deshalb brauchen wir eine B-Society.« Eine Gesellschaftsform, die integriert, anstatt bestimmte Lebens- und Familienformen auszugrenzen und zu diffamieren. »Ich möchte eine Gesellschaft schaffen, die Alternativen zum herkömmlichen Rhythmus ›Früh zur Arbeit, früh wieder nach Hause gehen‹ ermöglicht und andere Bedürfnisse und biologische Dispositionen gelten lässt. Diese Zeitstrukturen sind keine unantastbaren Gesetze, sie müssen hinterfragt werden und durch neue, angemessene Zeitstrukturen ersetzt werden, die Differenzen integrieren.«

Darauf, dass veraltete Strukturen vorherrschen und von Nutznießern manifestiert werden, stieß Kring bei den Recherchen zu ihrer Doktorarbeit. »Ich habe mich darin mit der sogenannten Work-Life-Balance auseinandergesetzt und erforscht, wie man das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben ausgeglichen gestalten kann.«

Als Ingenieurin ist Camilla Kring eine pragmatische Herangehensweise gewohnt. In ihren Augen hat unsere Gesellschaft folgende Probleme zu meistern:

Problem 1: Wir leben in einer A-Society

 

»Wenn ich sage: ›Wir leben in einer A-Society‹, bedeutet das: Es wird eine Arbeitsform begünstigt, die zwischen 8 und 16 Uhr stattfindet und durch ihre soziale Binnenstruktur manifestiert. Und daran anknüpfend eben nur eine Familienform. Der A-Typ wird durch die Institutionen und die infrastrukturelle Organisation unserer westeuropäischen Gesellschaft unterstützt. Kindergärten, Schulen, überhaupt das gesamte Erziehungs- und Bildungssystem, aber auch die Organisation unserer Arbeitswelt sind auf die Bedürfnisse von A-Typen abgestimmt. Ideologisch sind A-Typen ebenfalls im Vorteil. Es gilt in unserer Gesellschaft als gut, früh aufzustehen und den frühen Tag zu nutzen, dann wird man gleich als der bessere Mensch angesehen. Das ist wie eine Religion. Es wird ja schon in Kinderliedern gepredigt – Bruder Jakob, schläfst du noch? Hörst du nicht die Glocken? In einer Agrargesellschaft wie der französischen, woher das Lied ursprünglich stammt, war es nötig, früh aufzustehen, um das Tageslicht zu nutzen. Aber das ist ein Biorhythmus, der von der Kuh bestimmt wird, die frühmorgens gemolken werden muss, und ein Denken, das an die Muster einer industriellen Gesellschaft anknüpft, in der es als gut galt, dass man die Menschen beim Arbeiten an der Maschine sah und sie dabei beobachten und kontrollieren konnte, weil man die Arbeitsabläufe synchronisieren und aufeinander abstimmen musste.«

Aber auch moralisch sehen sich die Frühaufsteher oft als die überlegenen Menschen – und diese Moral manifestiert sich in ihren Interessen und Lebensmodellen. »Ein A-Typ würde niemals der verwunderten Frage ausgesetzt sein: ›Du gehst schon so früh ins Bett? Da verpasst du ja so viel!‹ Im Gegenteil: Wenn jemand erzählt, dass er früh aufgestanden ist und damit prahlt, was er alles bis zum Mittag schon erledigt hat, bekommt er nicht nur die volle Anerkennung seines Umfeldes, er hat auch bessere Karrierechancen. Wenn man, wie ich es getan habe, die Vorstandsvorsitzenden der großen, weltweit operierenden Unternehmen befragt, wann diese denn zu Bett gehen, dann bekommt man die einhellige Antwort: um 22 Uhr. Die Antwort: ›Ich stehe erst um 10 Uhr morgens auf!‹ kommt hingegen nie. Dabei sei dahingestellt, ob die Antworten der Wahrheit entsprechen – es geht mir darum, die soziale Akzeptanz bestimmter Verhaltensweisen darzustellen und zu zeigen, was gesagt werden darf und was nicht.

Die Lösung, die ich für das Problem anbiete, dass wir in einer A-Society gefangen sind, lautet: Wir brauchen eine B-Society. Das heißt, eine Gesellschaft mit Kindergärten, Schulen, Arbeitsplätzen, welche auf individuelle Familien- und Arbeitsformen flexibel reagiert und diese unterstützt.«

Eine Forderung, die nicht leicht umzusetzen ist. Nicht nur, weil der Mensch an sich generell eine Abwehr gegen Veränderungen in seinem Umfeld hegt, sondern auch, weil sie Ängste schürt – besonders bei Chefinnen und Chefs, weil die Forderung, später am Arbeitsplatz erscheinen zu dürfen, mit Arbeitsverweigerung gleichgesetzt wird.

Aber Camilla Kring setzt darauf, den Effekt dieser Maßnahmen herauszustreichen: »Wenn man zufrieden ist mit dem, was man hat, und findet, dass man ein schönes Leben führt, ist man wesentlich produktiver, als wenn man unzufrieden und unglücklich, vielleicht auch dauerhaft übermüdet und deshalb krank ist. Produktivität hat mit dem Wohlbefinden der Menschen zu tun hat – das ist ganz einfach. Deshalb ist mein Ansatz: Lasst die Leute arbeiten, wann sie wollen und wo sie wollen! Wir benutzen eher unser Hirn als unsere Hände, wie es in einer Wissens- und Informationsgesellschaft üblich ist, und wir müssen unsere Gesellschaft in der Hinsicht erweitern, dass Menschen verschiedener biologischer Rhythmustypen mit ihren verschiedenen Arbeits- und Familien- und Lebensformen darin Platz finden. Ich möchte einen neuen Weg finden, Produktivität mit Flexibilität und Lebensqualität vereinbar zu machen. Das Wort Produktivität verstehen die Arbeitgeber, und die Forderung nach ›mehr Produktivität‹ ebenso.«

Problem 2: Es herrscht der Arbeitsmodus der Industriegesellschaft, der auf Präsenz und Kontrolle beruht

 

»Das Credo dieser veralteten Arbeitsformen heißt: ›Wenn ich dich sehe, dann arbeitest du. Wenn ich dich nicht sehe, dann arbeitest du nicht‹. Die Synchronizität von Arbeitszeit und Arbeitsort beruht nur auf einer Denkweise, die in einer Industriegesellschaft Sinn ergibt, eben weil die Produktivität an ein Büro, eine Maschine oder an einen Platz gebunden war. Diese geistige Haltung, dass man umso produktiver ist, je mehr Zeit man am Arbeitsplatz verbringt, bestimmt immer noch die Strukturen unserer heutigen Arbeitswelt. Aber 80 Prozent der Wertschöpfung einer Firma beruht auf immateriellen Dingen – auf Ideen, Erneuerungen, Erfindungen, Kreativität, Marken, Organisation, Management. In der Zukunft wird die Wertschöpfung einer Firma noch mehr auf immateriellen Dingen beruhen.«

Das Denken, dass nur wer früh aufsteht oder anwesend ist, auch fleißig ist, ist tief verankert. Bezeichnenderweise gibt es nur wenige Länder, in denen es bislang möglich war, eine B-Society zu gründen. Außer Schweden, Norwegen, Österreich, Holland, England und der Schweiz scheinen die meisten Länder noch an ihren alten Strukturen festhalten zu wollen. »In Deutschland herrscht eine Kultur der Präsenz, der Kontrolle und des sich für die Firma Aufopferns, weniger des Vertrauens und Miteinander-Abstimmens«, meint die Dänin. »Das Credo lautet auch hier: ›Ich sehe dich, also arbeitest du.‹ Ich nenne das immer: ›Die Olympischen Spiele des Sich-den-Hintern-Plattsitzens‹.«

Aber in einer Wissens- und Informationsgesellschaft ist Präsenz nicht mehr nötig. Wer früh aufsteht, muss nicht unbedingt immer derjenige sein, der den Wurm fängt. »In einer globalisierten Welt kann man auch der Erste sein, wenn man nachts um zwei Uhr mit der Börse in Tokio telefoniert, die gerade öffnet«, so Camilla Kring.

Problem 3: Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse

 

In einer von industriellen Standards des 19. Jahrhunderts geprägten Arbeitswelt wird der Einzelne gezwungen, sich den Arbeitszeiten anzupassen und am Arbeitsort anwesend zu sein. Seine Individualität wird den sozialen Anforderungen untergeordnet. Kring erläutert: »Es besteht die weitverbreitete Annahme, dass sich B-Typen nur der Gesellschaft anpassen müssen, dann würde alles gut. Und es herrscht der Glaube, dass das alles ganz einfach und ohne gesundheitliche Probleme vonstatten gehen kann. Dass B-Typen in einer A-Gesellschaft nicht funktionieren, wird ihnen als individuelle Charakterschwäche ausgelegt. Sie gelten als faul, träge, undiszipliniert, und sie sollen doch einfach etwas früher zu Bett gehen. Aber dies ist die Ideologie einer Gesellschaft, die in ihren Strukturen auf A-Typen ausgerichtet ist und dabei übersieht, dass es sich nicht um individuelle ›Charakterschwächen‹ handelt, sondern um biologische Prädispositionen.«

Aber nicht nur alte Vorurteile haben sich manifestiert, man begegnet Änderungswünschen auch grundsätzlich mit Skepsis: »Viele denken, es ist etwas kindisch, dann arbeiten zu wollen, wann man am meisten leisten kann, weil sie denken: dann wird gar nicht gearbeitet. Sie glauben, es sei egoistisch. Aber ich denke, es gibt nichts Wichtigeres, als die Arbeit dem eigenen Rhythmus anzupassen. Man bleibt dadurch gesund und ist produktiver, weil man eben dann arbeitet, wenn man mental zur Höchstform aufläuft.«

Die Ingenieurin Camilla Kring spricht gerne in Bildern, und für das Zeitmanagement des Einzelnen in einer A-Gesellschaft drängt sich ihr das Bild von »Pac-Man« auf, dem Computerspiel, bei dem es nur ums Fressen und Gefressenwerden geht. Als Gegenmodell entwirft sie die Figur des »Supernavigators«, der selbstbestimmt und zum Nutzen der Gesellschaft durch Zeit und Raum gleitet. Aber: »Dieser neue Typus kann nur in einer neuen Gesellschaft sein Potential ausschöpfen. Die Aufgabe dieser neuen Gesellschaft ist es, zu ermöglichen, dass jeder sein Leben nach dem persönlichen Bedarf gestalten kann. Als Gesellschaft können wir die Individuen dabei unterstützen, ihre eigenen Ziele und ihre eigenen Wege dahin umzusetzen. Das Individuum verfolgt die eigenen Ziele durch individuelle Gestaltung seines Zeit- und Raumbudgets. Da ihm die Gesellschaft dies ermöglicht, nutzt es dieser wiederum durch erhöhte Produktivität.«

Der Effekt sei eine klassische Win-win-Situation – eine höhere Zufriedenheit, verminderte Krankenstände, die die Kassen entlasten, und eine höhere Produktivität kommen dem Gemeinwohl zugute. Die Lösung, die Camilla Kring anbietet, klingt einfach und zielt auf das Potential der Eigeninitiative und der Überwindung von Leidensdruck ab. Ihr Appell: »Gründen Sie eine neue B-Society im eigenen Land! Die Zeit ist reif für diese Thematik. Das habe ich am Erfolg der B-Society in Dänemark gemerkt!«

Das dass kein einfacher Weg ist, weiß Camilla Kring aus eigener Erfahrung. Am Anfang begegnete man ihr mit Hohn und Spott: »Als ich die B-Society gegründet habe, haben viele dumme Witze über mich gemacht. Ich wurde ständig mit Bemerkungen angesprochen wie: ›Sind Sie jetzt schon wach?‹ oder: ›Sind Sie schon aufgestanden?‹ oder: ›Brauchen Sie noch einen Kaffee?‹« Aber der Widerstand bewies ihr, dass ihr Weg richtig war: »Je mehr Menschen gegen meinen Ansatz vom Strukturwandel in der Arbeitswelt kämpft, desto mehr zeigt es mir, wie viel Potential die Idee birgt. Ich kann darauf nur mit Geduld, Gelassenheit und einem weisen Wort von Arthur Schopenhauer reagieren: ›Wenn man eine neue Idee hat, wird man zuerst ausgelacht, dann bekämpft und dann dieser Idee beraubt‹. So geht es mir auch: Man muss durch alle drei Stadien durch.«

Respekt hat sich Kring dennoch schnell verschaffen können – mit Konsequenz und dem richtigem Background: »Der Grund dafür, warum ich letztlich doch auf zunehmende Akzeptanz stoße, ist, dass ich a) einen Doktortitel habe und b) Ingenieurin bin – so etwas wird ernstgenommen. Hätte ich ein vermeintliches Exotenfach studiert, wäre man mir mit noch mehr Skepsis begegnet. Aber so haben die Leute wohl gedacht, dass an dieser verrückten Idee etwas dran sein muss. Mein Anliegen war dennoch erst einmal ein heiteres lustiges Thema für den Boulevard. Immer wenn ich für einen Artikel fotografiert werden musste, sollte ich mich auf eine Couch legen und so tun, als ob ich gerade schlafe. Das habe ich abgelehnt, denn ich bin ja eine sehr aktive und produktive Person. Ich würde mich auch nie mit geschlossenen Augen fotografieren lassen. Denn mein Credo ist: Wenn du einen Traum hast, schlafe nicht, sondern mache den Traum wahr.«

Krings Traum von einer neuen Gesellschaft nahm am 27. Dezember 2006 mit der Gründung der B-Society Gestalt an. Bereits knapp drei Wochen später, am 15. Januar 2007, erschien eine Titelgeschichte in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten. Seitdem steht ihr Telefon nicht mehr still. Das Medieninteresse wuchs exponentiell und steigerte sich schnell zu einem globalen Interesse. »Mein erster Erfolg hat sich über meine massive Medienarbeit eingestellt. Im ersten Jahr meiner Arbeit habe ich wöchentlich drei Interviews für große internationale Medien gegeben.«

Mit der Folge, dass sich weltweit neue B-Societys formierten. Heute vermeldet Camilla Kring stolz: »Wir haben 8000 aktive Mitglieder in 50 Ländern weltweit. Sogar aus Südafrika und Brasilien kamen Anfragen. Viele unsere Mitglieder erzählen, sie hätten ein Leben lang unter den Anforderungen ihrer Arbeitswelt gelitten und damit Probleme gehabt, sich den Anforderungen anzupassen, und seien darüber hinaus auch noch belächelt wurden. Erst durch uns haben sie erfahren, dass sie nicht charakterschwach sind, sondern dass ihre Neigung, länger zu schlafen, genetisch bedingt ist. Diese Erkenntnis hat ihnen so sehr geholfen, dass viele unserer Mitglieder sehr engagiert sind, in ihrem Umfeld und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Strukturen aufzubrechen und neu und individuell zu gestalten. Deshalb beschreibe ich die B-Society auch als ›Be-Society‹ – ganz im Sinne des dänischen Prinzen Hamlet – ›To be or not to be?‹, ›Sein oder Nichtsein?‹. Das ist auch der Grund, warum ich dem Verein diesen Namen gegeben habe, obwohl ich oft auf Kritik gestoßen bin, weil einige denken, B klinge gegenüber A ein wenig sekundär, weil es im Alphabet an zweiter Stelle kommt. Aber für mich heißt es: Be alive, be yourself, be unique.«

Nicht nur medial, auch ganz konkret stellten sich bald nach der Gründung der B-Society erste Erfolge ein: »Ich habe in einer dänischen Radiosendung gesagt, dass es wichtig sei, eine B-Oberstufe zu gründen, weil besonders Jugendliche – das hat mit dieser Wachstumsphase und der hormonellen Umstellung zu tun – unter dem frühen Aufstehen leiden, und einen Aufruf gestartet: ›Wer eine B-Oberstufe gründen möchte, melde sich bitte bei mir.‹ Kurz darauf hat sich jemand aus Kopenhagen gemeldet, und wir haben gemeinsam die Schule nach B-Kriterien organisiert. Der Unterricht an dieser Schule beginnt nun erst um zehn Uhr.«

In der Folge meldeten sich nicht nur Firmen, Konzerne und Behörden bei der Aktivistin für eine ausgeschlafene Welt, um sie zu bitten, ihre Dienstpläne umzustrukturieren, sondern auch Menschen, die an den Schaltstellen der Macht saßen und ihr bei der Verwirklichung ihres Traumes beistanden: »Die ehemalige Familienministerin Carina Christensen hat immer wieder betont, dass es wichtig sei, zum Beispiel die Infrastrukturen für die Kinderbetreuung zu verändern. Die Arbeitszeiten sind auf den Zeitabschnitt 8 bis 16 Uhr ausgerichtet; wenn jemand sein Kind aber erst um 17 Uhr aus dem Kindergarten holen will, dann gilt er schon als Schwerverbrecher oder Rabenmutter. Das muss aber nicht sein, wenn man auch im Bereich der Kinderbetreuung flexibel reagiert und sich auf eine neue Gesellschaft einrichtet, die verschiedene Familienmodelle integriert. Dasselbe gilt für die Altenpflege: Kim Maskell, der Personalchef der Kopenhagener Sozialstationen, sagt, dass gerade im Pflegesektor Langschläfer sehr willkommen sind – denn diese könnten dann die Schichten am Abend übernehmen. Ein Mensch muss ja nicht nur von 8 bis 16 Uhr betreut werden – er lebt ja rund um die Uhr.«

Doch natürlich stieß ihre Initiative nicht nur auf Wohlwollen, sondern auch auf Kritik. Hauptbefürchtung von Camilla Krings Gegnern war, dass sie die Gesellschaft total umkrempeln und einen Konflikt zwischen A- und B-Typen schüren wolle. Sie überhörten den versöhnlichen Ansatz ihrer Gesellschaftskritik, in der es eher darum geht, alle Lebens-, Arbeits- und Familienformen zu integrieren und sämtliche Bedürfnisse flexibel aufeinander abzustimmen – egal ob man morgens mit Leichtigkeit aus dem Bett kommt oder abends länger durchhält.

Kring vermutet, dass dieses Missverständnis auch mit der Persönlichkeitsstruktur der A-Typen zusammenhängt, die nicht nur eine Gesellschaftsform verteidigen wollen, die auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist, sondern auch schlichtweg kein Verständnis für Flexibilität in der Arbeitswelt aufbringen: »Wenn B-Typen oft mit dem Eindruck konfrontiert sind, dass A-Typen sie maßregeln und zurechtweisen, dann hängt das damit zusammen, dass diese sehr prinzipientreu und rigide sind und einen immergleichen Tagesablauf bevorzugen. Sie haben Angst vor Neuerungen. B-Typen sind flexibler, freiheitsliebender und offener im Denken. Sie sind durch Unregelmäßigkeiten im Tagesablauf nicht so leicht zu irritieren. Ich muss zugeben, es ist auffällig, dass es A-Typen schwerer fällt, für die Struktur von B-Typen Verständnis aufzubringen. Aber dafür können sie nichts, das hängt eben auch mit ihrer genetischen Veranlagung zusammen. Im Umgang miteinander sollte man wissen: Ein A-Typ fühlt sich in einem geregelten Umfeld wohler, ein B-Typ fühlt sich in einem immergleichen Umfeld wie in einem Gefängnis. Ein A-Typ wiederum fühlt sich von der Flexibilität eines B-Typen bedroht. Deshalb ist es mir wichtig zu betonen: Es geht in einer B-Society, wie ich sie mir vorstelle, darum, dass man ein Klima von Toleranz und Akzeptanz schafft, das hilfreich ist, um beide Typen in eine funktionierende, moderne Gesellschaft zu integrieren. Das geht nur, wenn man dem anderen seine Disposition nicht übelnimmt, sondern verinnerlicht, dass – egal ob A- oder B-Typ – dieser nichts dafür kann, wie er veranlagt ist. Denn: A-Typen sind zwar rigide, aber B-Typen sind auch nicht immer nett zu A-Typen – sie lassen sie durchaus spüren, wie spießig sie sie finden. Und wer will das schon von sich hören.«

Erst wenn beide Gruppen füreinander Verständnis und Toleranz aufbringen, Sticheleien unterlassen und das angeborene Schlafbedürfnis des anderen als gegeben hinnehmen, statt einander ändern wollen, ist eine Basis der Annäherung geschaffen. »Das Grundlegende ist, das jeder akzeptiert, dass der andere nicht böswillig ist, sondern aufgrund seiner biologischen Veranlagung andere Bedürfnisse hat. Dabei ist zu beachten, dass ein B-Typ die ganzen gesundheitlichen Risiken zu tragen hat, denen er ausgesetzt ist, wenn er sich einer Gesellschaft anzupassen versucht, die auf A-Typen ausgerichtet ist. Auch aus diesem Grunde sollten A-Typen mehr Akzeptanz ausüben und sollten Kommentare wie ›Ach, bist du auch schon da?‹ oder: ›Na, hast du den halben Tag verschlafen?‹ unterlassen. Solche Kommentare schüren nur Missmut, und wenn solch ein Klima vorherrscht, mindert man die Lebensqualität der Mitarbeiter, und wenn die Mitarbeiter sich in einer Firma nicht wohl fühlen, sind sie auch weniger produktiv.«

Es geht so gesehen darum, Brücken zu bauen, anstatt Gräben zu vertiefen. »Das Wichtigste ist, dass A- und B-Typen miteinander in Dialog treten. Natürlich möchte ein A-Typ in einer A-Gesellschaft leben. Das ist aus seiner Perspektive verständlich, denn es passt zu seinem biologischen Rhythmus, seiner Lebens- und Arbeitswelt und auch zu der Familienform, die er gewählt hat. Er hat viele Vorteile in unserer Gesellschaft, die seine Struktur bevorzugt. Warum sollte er das aufgeben?«

Wenn Camilla Kring Firmen oder Konzerne berät und versucht, die Dienstpläne so flexibel einzurichten, dass sowohl die Bedürfnisse von A- als auch die von B-Typen berücksichtigt werden, wird sie oft mit der Sorge konfrontiert, dass alles im Chaos ende, dass die B-Typen, die ohnehin im Verdacht stehen, vieles nicht so genau zu nehmen, und ihre Arbeitspflicht vernachlässigen könnten und man nie einen Moment finde, in dem man gemeinsam arbeite. Camilla Kring kann diese Befürchtungen leicht zerstreuen, indem sie sagt: »B-Typen sind sehr soziale Menschen. Wenn man ihnen die Freiheit gibt, ihre Arbeitswelt nach eigenen Bedürfnissen auszurichten, dann werden sie es einrichten, dass man sich trifft und miteinander redet und sich abspricht. Ein typischer A-Rhythmus beginnt um 6 Uhr morgens und endet um 22 Uhr abends; ein typischer B-Rhythmus beginnt um 10 Uhr morgens und endet zwischen 1 und 2 Uhr nach Mitternacht. Das sind lediglich vier Stunden Zeitverschiebung, die zwischen den beiden Rhythmen bestehen. Das ist überwindbar. Und es gibt sogar ein paar Stunden, in denen beide synchron gut drauf sind: Nämlich von 11 bis 13 Uhr. In diese Zeit sollte man am besten die Besprechungen und Konferenzen legen.«

Wenn die B-Aktivistin von einer B-Society spricht, befürchten die meisten, dass sie mehr Nachtarbeit einfordern will – was natürlich Unsinn ist, denn es geht lediglich darum, beide Rhythmen optimal aufeinander abzustimmen: »Ich empfehle den A-Typen, in der ruhigen Zeit des Morgens, wenn die B-Typen noch nicht im Büro sind, sich möglichst ihr schwierigstes Projekt vorzunehmen, weil sie da in der Regel ungestört sind. B-Typen hingegen empfehle ich, sich das schwierigste oder wichtigste Projekt am späten Nachmittag vorzunehmen, wenn sie mental auf der Höhe sind und die A-Typen bereits Feierabend haben. So kann jeder die Zeit, in der er Ruhe hat, optimal und zum Wohle der Firma ausnutzen. Für einen A-Typen hört der Tag nach der Mittagspause meist auf. Da geht der Energiepegel konstant runter. Er ist ja schon seit sechs Uhr wach und hat seine besten Stunden am Morgen gehabt. Für einen B-Typen hingegen ist der Tag zum Abend hin offen. Er hat da keine energetischen Grenzen. Die sind ihm morgens gesetzt.«

Wenn beide chronobiologischen Rhythmen aufeinander abgestimmt sind, erhöht sich die Produktivität des Einzelnen und damit von allen. »Es ist wichtig, A-Typen deutlich zu machen, dass es nicht darum geht, ihre Arbeitswelt zu ändern, sondern um Verständnis für verschiedene Lebens- und Arbeitsformen zu werben und ihnen zu zeigen, dass auch sie in einer modernen, innovativen Gesellschaft, die verschiedene Lebensformen integriert, Vorteile genießen können.«

Solche Vorteile gibt es zahlreiche in einer B-Society, und zwar auf allen Ebenen – in der Familie, am Arbeitsplatz, im Geschäftsleben und im Alltag. Kring erklärt, wie man sich im Privaten die Vorzüge des anderen chronobiologischen Typus zunutze machen kann: »Wenn ein A-Typ mit einem B-Typ zusammenlebt und der A-Typ früher aufsteht, dann kann der schon einmal Brötchen und Zeitung holen, Kaffee kochen und den Frühstückstisch decken. Da haben beide etwas davon. Ein B-Typ wiederum kann dann das Abendbrot vorbereiten und anschließend noch den Abwasch machen. Auch da haben beide etwas davon.«

Auch im öffentlichen Raum kann eine Entzerrung der Gesellschaft von einer starren A-Society zu einer flexiblen B-Society für mehr Lebensqualität sorgen. »Denken wir an die Verkehrsstaus, die am Morgen und am Abend die Straßen blockieren«, erklärt Camilla Kring. »Wenn jeder zur selben Zeit zur Arbeit fährt, ist ein Stau die logische Konsequenz, unter der jeder zu leiden hat. Auch A-Typen ärgern sich darüber, im Stau steckenzubleiben. Wenn aber der Arbeitsbeginn flexibel gestaltet und auch auf die Bedürfnisse der B-Typen ausgerichtet ist, hat das Rückwirkungen auf die Infrastruktur: Die Staus lösen sich auf. Auch verbringt man einen Großteil der Mittagspause nicht mehr damit, in der Schlange an der Kantinenkasse zu stehen oder in einem überfüllten Restaurant auf sein Mittagessen zu warten, das nicht so schnell kommt, wie man es sich wünscht, weil eben zur gleichen Zeit viele andere Gäste bedient werden müssen. Die Hotlines der Auskünfte und Firmen werden entlastet, weil nicht alle zu den gleichen Stoßzeiten anrufen, und die Wartezeit wird für den Einzelnen kürzer.« Egal ob A oder B – dies sind alles Vorteile, die für jeden erfahrbar sind. Camilla Krings Credo fällt deshalb knapp aus: »Just b!«

Wer mehr über Camilla Krings Aktivitäten erfahren, ihren Newsletter abonnieren und überhaupt über alles informiert sein möchte, was ihr Engagement für Langschläfer bzw. B-Typen betrifft, der erkundige sich regelmäßig unter: www.b-society.org