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»Guten Mooooooorgen!«
Eine vehemente Einleitung

 

»Dieses frühzeitige Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muss seinen Schlaf haben.«

Franz Kafka, Die Verwandlung

»Wie kann man denn jetzt noch im Bett liegen?«

Die Ratlosigkeit meiner Mutter ob meiner sonntäglichen Gewohnheit, wenigstens einmal in der Woche richtig ausschlafen zu wollen – also mindestens bis elf Uhr –, bewegte sich oft in liebevolle Ungastlichkeit hinein. »Guuten Mooorgen«, schmetterte sie in meine noch verstopften Ohren und verfolgte mich auf meinem beschwerlichen Weg zum Frühstückstisch mit verständnislosem Kopfschütteln. »Ich versteh einfach nicht, wie man jetzt noch im Bett liegen kann!«, wiederholte sie gerne.

»Ich lieg ja gar nicht mehr im Bett«, dachte ich dann kauend.

Ich dachte, weil ich noch nicht sprechen konnte. Es ging mir nicht gut. Ich litt. Am Morgen, an der Mutter, an dieser ungemütlichen Welt.

Ermahnungen und Unterweisungen trafen auf mein noch schläfriges Gemüt. Eine Leistungsschau der morgendlichen mütterlichen Emsigkeit halluzinierte mir vor Augen. Brötchen lagen da, die Sonntagszeitung, schon durchgeblättert, die Küche war bereits gewischt und das Geschirr vom Vortag abgewaschen und in die Schränke geräumt. In der Waschmaschine schäumten die Gardinen, ein Bügelbrett war aufgestellt, und der Braten schmorte in der Röhre. Zwischen all dem meine emsige, offenbar niemals schlafende Mutter mit Hunderten von Fragen: Ob ich wissen wolle, was Werner Höfer im Internationalen Frühschoppen zum Thema gemacht habe. »Hm«, dachte ich dumpf, und schon legte sie los, ohne meine Antwort abzuwarten. »Der Carl Gustaf will unsere Silvia heiraten.«

Ich war mir sicher, dass bei Höfer darüber kein Wort gefallen war, aber ich konnte mich nicht wehren. Mutters Redefluss flutete mein Hirn. Noch bevor meine Augen scharfe Bilder lieferten, war ich schon über Erdbeben und Butterpreise unterrichtet und davon, dass Morgenstund Gold im Mund habe.

Moment, dachte ich, das hat doch jetzt echt nichts mit Werner Höfer zu tun. Ich starrte taub auf die Butter. Mutter bügelte inzwischen – und redete weiter. Mir sollte es doch einmal besser gehen, und der Schlüssel dafür seien nun einmal Strebsamkeit, Fleiß und frühes Aufstehen. »Der frühe Vogel fängt den Wurm« – das war ihr Lieblingsmotto.

Ja, meine Mutter hatte es nicht leicht gehabt. Das erfuhr ich jeden Sonntagmorgen wider Willen. Der Krieg, die Kinderlandverschickung, der Kirchgang, die Arbeit … Ja, mir sollte es wirklich einmal besser gehen als ihr. Aber statt danach zu streben, würde ich den halben Tag verschlafen.

Noch bevor ich auf den Grund meiner Kakaotasse vorgestoßen war, wurden mir die Nachbarskinder als blühendes Beispiel vorgehalten. Die hatten zwar dreckige Fingernägel und platzierten gelegentlich tote Mäuse vor der Terrassentür, aber da sie das meist morgens taten, war dies meiner Mutter Beweis genug, dass sie wenigstens nicht bis in die Puppen schliefen.

Ich seufzte und schaltete auf Durchzug. Doch die Rechnung: »Eine Stunde länger schlafen = zehn Minuten Muttis Sermon anhören«, ging nicht auf, weder kurz- noch langfristig. Denn Muttis Gardinenpredigten haben ihre Langzeitwirkung nicht verfehlt. Sie haben bei mir nicht nur ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit hinterlassen, sondern auch den Weg für einen Komplex geebnet, unter dem ich seither mein ganzes Leben lang leide. Ich fühle mich schon schuldig, wenn ich noch nicht einmal die Augen geöffnet habe, und glaube, mich verteidigen zu müssen, weil ich vor zehn Uhr morgens nichts zur Steigerung des Bruttosozialproduktes beitragen kann. Ich bin ständig in Abwehrhaltung und habe eine Menge Rechtfertigungen auf Lager, mit denen ich mich gegen Anfeindungen der frühen Vögel zur Wehr setze. Ich führe dann meinen schwachen Kreislauf und mein Koffeindefizit ins Feld. Doch es hilft nichts: Die Frühaufsteher reklamieren die Welt für sich, und ich bin ihrem Spott aufs Gemeinste ausgesetzt.

Aber schon damals, als ich den Reden meiner Mutter mit schlaftrunkener Fassung lauschte, dachte ich: Meine Mutter und die Mehrheit mögen diesem Fundamentalismus folgen – doch meine Zeit wird noch kommen!

Aber das sollte noch dauern. Die Welt befand sich zwar damals schon im Wandel, Mond und Weltraum wurden erobert, Universitäten und Straßen gestürmt, die Röcke gekürzt und BHs verbrannt, meine Mutter aber blieb bei ihrem calvinistischen Anspruch, am Sonntag bereits frühmorgens die Welt mit Fleiß statt mit friedvollen Sit-ins aus den Angeln zu heben. Ihre Frage, wie man denn jetzt noch im Bett liegen könne, war eigentlich nichts anderes als der unverhohlene Vorwurf: Langschläfer sind Taugenichtse.

Das Fräulein Frida Frei, das im Wechsel mit der weitaus milderen Hildegard Straubitz den Weckdienst in dem Internat versah, in das man mich später wegen meiner »Sonderlichkeit« abgeschoben hatte (unter welche neben anderen vermeintlichen Charakterschwächen auch meine Vorliebe fürs lange Schlafen fiel), hielt es ähnlich wie meine Mutter. Das hochmoderne Schulprojekt, dessen Probandin ich auf unfreiwillige Weise geworden war, hatte mir die Chance gelassen, den Schulplan – abgesehen von wenigen, unschwer zu akzeptierenden Konstanten – zeitlich selbst zu gestalten. Selbstverständlich legte ich mir, so oft es nur möglich war, den Unterrichtsbeginn auf die dritte Stunde, auch wenn das bedeutete, dass ich oft nicht vor zwei Uhr nachmittags wieder auf meinem Zimmer war und die Schulaufgaben sich bis in die frühen Abendstunden zogen. Aber das war ein Preis, den ich gerne gezahlt habe für das, was ich morgens am liebsten tat: Mich noch einmal umdrehen und die Wärme des Bettes spüren …

Ich zählte zu den »Ausschläfern«, von denen es in meinem pädagogischen Laboratorium nur wenige gab. Fräulein Frei jedoch kannte keine Gnade. Im ersten Monat polterte sie, wann immer sie Weckdienst hatte, in mein kleines Zimmer und verlangte, dass ich sofort aufstünde. Zur Abwehr hängte ich ein Schild an meine Zimmertür, auf dem stand: »Bitte ausschlafen lassen!« Das gab mir für etwa einen Monat Ruhe, bevor sie erneute Übergriffe startete: Sie betätigte die Türklinke, öffnete die Tür einen Spalt und täuschte vor, sich im letzten Moment noch an mein Weckverbot zu erinnern – selbstredend, um die Tür daraufhin mit so heftigem Schwung ins Schloss fallen zu lassen, dass ich in meinen jungen Jahren eine Ahnung von Herzrhythmusstörungen bekam und vor Aufregung nicht mehr einschlafen konnte. Der dicken Rüge, die sie sich – zu meinem Glück – von der Internatsleitung auf meine Beschwerde hin eingefangen hatte, begegnete sie mit dem heuchlerischen Argument, dass sie sich um mein schulisches Fortkommen sorge und Angst habe, ich könnte sitzenbleiben.

Hätte diese bekennende Frühaufsteherin, die natürlich nicht zufällig die Morgenschicht bevorzugte, doch nur einmal nachmittags Dienst gehabt! Hätte sie da meine Klassenarbeiten gesehen und doch einmal einen Blick in meine Zeugnisse geworfen! Dann hätte sie gewusst, dass ihre Sorge gänzlich unbegründet war. Ausgerechnet Mathe, das Streberfach schlechthin, war mein Paradefach. Ich habe sogar für unsere Schule den in der achten Klasse vom Bundesministerium für Bildung ausgeschriebenen Mathematikwettbewerb gewonnen – mit Abstand! Und ich kam in der nächsten Runde nur deshalb lediglich ins erste Viertel, weil ich für die Anreise in die Kreisstadt, in der die Fortsetzung des Wettbewerbs ausgetragen wurde, schon um halb sechs aufstehen musste, um pünktlich um acht gegen meine Mitstreiter antreten zu können. Ich schwöre heute noch, wäre es erst um elf losgegangen, ich hätte alle in Grund und Boden gerechnet!

Ja, ich bin Langschläfer! Ja, ich hasse es, wenn der Wecker vor 9.30 Uhr klingelt! Auch das schon ist ein antrainiertes Zugeständnis an eine Welt, die ihre Mitmenschen mit völlig überholten Normen terrorisiert. Und ich habe keine Lust mehr, mir deswegen Vorwürfe machen zu lassen.

Denn: Der frühe Vogel kann mich mal!

Schluss mit der Tyrannei der Frühaufsteher!

Ob früher meine Eltern und meine »Erzieher« oder heute die Bauarbeiter von gegenüber, die zum Wohle der Bauwirtschaft auch samstags pünktlich um sieben Uhr morgens Presslufthammer und Metallsäge anschmeißen, nur um nach achteinhalb Minuten Arbeit erst einmal anderthalb Stunden Pause zu machen – all diese militanten Frühaufsteher sind angetreten, um eine entspannte Minderheit mit einer verrückten Arbeitsethik zu behelligen, die seit Urzeiten den Morgen beschallt und den frühen Abend schon nicht mehr erlebt.

Der Vater meiner besten Freundin hat mir dies, zumindest was die Bauarbeiter betrifft, unverblümt bestätigt. Jahrelang hat er als Polier auf Hamburgs Baustellen diverse Architektursünden hochgezogen, aber auch bei seinen Leuten für etwas Rücksicht auf schlafende Anwohner gekämpft. Mal mehr, mal minder nachdrücklich hat er darum gebeten, die ohrenbetäubenden Arbeitsgeräte erst später anzuschmeißen. Ohne Erfolg. »Die machen das mit Absicht«, bekannte er einmal, als ich ihn danach gefragt habe, »weil sie es hassen, dass andere noch faul im Bett liegen!«

Warum bloß haben sich die Bauarbeiter eigentlich immer noch nicht mit uns zusammengeschlossen und die Internationale der Langschläfer gegründet? Keiner sollte gezwungen sein, früh aufzustehen, auch Bauarbeiter nicht – zumal sie die Macht haben, gegen ihre Arbeitszeiten lautstark zu protestieren. Aber sie fügen sich dem frühmorgendlichen Arbeitsbeginn.

Stattdessen verstärkt sich der Eindruck, dass es eine Internationale der frühen Vögel gibt. Selbst in Hotels, die sich mit fünf Sternen brüsten und ihre betuchten Gäste mit einem »Langschläfer-Büffet« locken und bis weit nach Mittag sogar noch frischgebackene »Langschläfer-Brötchen« anbieten, findet man Personal, das nichts Besseres zu tun hat, als ausgerechnet vor den Türen, an denen ein »Bitte nicht stören«-Schild hängt, bis in die letzten Winkel Staub zu saugen und dabei mehrere Male mit Karacho den Saugkopf gegen die Zimmertür zu rumsen. Oder unvermittelt ins Zimmer zu platzen und in die erschrockenen Augenpaare aus dem Schlaf gerissener Gäste zu blicken.

Man denke auch an die lieben Nachbarn. Genaugenommen an jene, die das Schließen der Wohnungstür, das Klimpern des Schlüsselbundes und die Schritte auf der Treppe gerade am Morgen mit einer Aggressivität ausführen, die über einen stillen Vorwurf weit hinaus geht. Abends hingegen herrscht lahmes Schleichen und behutsames Rascheln, so dass man sich oft fragt: Sind die eigentlich im Urlaub? Nur der geleerte Briefkasten weist darauf hin, dass hier anscheinend nicht nur gewohnt, sondern auch gelebt wird.

Es ist bemerkenswert: Während abends schon eine Minute nach zehn Uhr die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung alarmiert wird, nur weil auf dem gegenüberliegenden Balkon ein verliebtes Pärchen mit Kristallgläsern auf seine neue Liebe anstößt, fühlt sich frühmorgens die ganze Welt dazu berufen, mit aggressivem Gestus kundzutun, dass sie bereits wach ist und die Volkswirtschaft ankurbelt.

Aber mit welchem Recht tut sie das? Und was wirft man uns Langschläfern eigentlich vor?

Wer jemanden als »Langschläfer« bezeichnet, drückt damit aus, dieser Mensch sei faul, träge, lasch, lahm, antriebslos, bequem, schlaff, matt, schwerfällig, ohne Energie, Elan und Vitalität, dumpf, teilnahmslos, phlegmatisch, er verpenne den halben Tag und liege, wenn nicht dem eigenen Vater, so doch dem Vater Staat auf der Tasche. Der Langschläfer macht sich in den Augen der bettflüchtigen Tugendwächter ein schönes Leben auf Kosten anderer, träumt in den Tag hinein, während andere arbeiten, und schert sich einen Dreck um das Wohl der Gemeinschaft. Nicht zufällig wird das Wort »Langschläfer« gerne mit Begriffen wie »Faulpelz«, »Taugenichts« oder »Tunichtgut« assoziiert. Ein Langschläfer gilt quasi als asozial.

Schlimmen Gerüchten kann der so Bescholtene nur wenig entgegensetzen. Denn wer lang schläft, ist grundsätzlich der Böse im Gerangel um sozialen Status, seine Straftat ist offensichtlich und seine Schuld bewiesen, bevor er überhaupt erwacht ist. Denn wer lange schläft, ist für viele Drückeberger und Sozialkrimineller in einem. Sein Vergehen ist die Weigerung, sich dem Zeitdiktat der Prosperität zu fügen und denen, die es befolgen, die Sinnlosigkeit ihres Handelns vor Augen zu führen. Angelehnt an das Motto »Die Ehrlichen sind die Dummen«, fühlen sich die Frühaufsteher für dumm erklärt, weil sie früh aufstehen, und rächen sich auf ihre Weise: mit Vorverurteilungen, Anfeindungen und Lärm.

Dabei gibt es für solche Attacken gar keinen Grund. Denn für jemanden, für den es üblich ist, früh aufzustehen, ist dies gar keine herausragende Leistung. Im Gegenteil, es ist für ihn völlig normal und gehört zu seinem Lebensstil. Frühes Aufstehen ist also nur für Langschläfer eine Großtat, denn es widerspricht ihrer Natur.

Nur einmal im Jahr haben auch die Frühaufsteher wenigstens etwas Verständnis für die missliche Lage ihrer morgenmüden Mitmenschen. Dann nämlich, wenn es um zwei Uhr nachts am letzten Sonntag im März heißt: »Beim nächsten Ton ist es drei Uhr, null Minuten und null Sekunden.« Zu Beginn der Sommerzeit schleichen selbst frühfrische Lerchen hundemüde zur Arbeit, versuchen mit Kaffee ihr Schlafdefizit wettzumachen, drohen über ihrer Arbeit einzuschlafen und hören nicht auf, über die geraubte Stunde zu jammern. Deutschlands bekanntester Schlafforscher, Professor Dr. Jürgen Zulley, stellt hierzu fest: »Manche brauchen vier bis acht Wochen zur Umstellung, andere schaffen es niemals.«[1]

Der ökonomische Sinn dieser europaweit aufgezwungenen Maßnahme steht ohnehin in Frage. 2005 gab die Bundesregierung ungeniert zu, dass die Sommerzeit keinen sinkenden Energieverbrauch bewirke: »Die durch das Bundesumweltamt recherchierten Erkenntnisse wiesen schon vor gut zehn Jahren auf den Umstand hin, dass von einer Zeitumstellung auf die Sommerzeit keine positiven Energiespareffekte zu erwarten sind. Danach wird die Einsparung an Strom für Beleuchtung, insbesondere bei vermehrtem Einsatz effizienter Beleuchtungssysteme, durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch die Vorverlegung der Hauptheizzeit überkompensiert.«[2]

Die Anpassung an den neuen sommerlichen Tagesrhythmus fordert Studien zufolge ihren Tribut an die Gesundheit. Nicht nur Langschläfer, sondern auch Frühaufsteher leiden verstärkt unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Verkehrsunfälle häufen sich, ebenso Fehler bei der Arbeit, besonders beim Bedienen von Maschinen. Die Gefahr von Risikopatienten, einen Herzinfarkt zu erleiden, verdoppelt sich.

Doch das (Selbst-)Mitleid der Frühaufsteher hält nur so lange vor, bis ihre innere Uhr wieder sommerzeitlich tickt. Langschläfer, die aufgrund ihrer biologischen Disposition das ganze Leben in diesem durch Schlafraub verursachten abgedämpften Modus verbringen müssen, finden wegen des vorübergehenden Müdigkeits-Zustands der Frühaufsteher noch längst keine Gnade. Viel zu rasch gewöhnen sich ihre Gegenspieler nach der Zeitumstellung an den neuen Takt. »Der frühe Vogel fängt den Wurm« gilt auch zur Sommerzeit – und hat international seine Entsprechungen. Die Franzosen mahnen: »Wer am Morgen früh aufsteht, dem hilft der liebe Gott und lenkt seine Hand.« In Russland weiß man: »Frühaufsteher sammeln Pilze, die Schläfrigen und die Faulen finden später nur noch Brennnesseln.« Und in Italien heißt es: »Wer schläft, fängt keine Fische.«

Doch woher kommt dieser Drang, am frühen Morgen Fische oder Würmer fangen zu wollen oder Pilze zu sammeln, und das auch noch mit Gottes Hilfe und Segen? Er hat seinen Ursprung in Zeiten, die weit zurückliegen und längst überholt sind. Wer sich in vormodernen Gesellschaften tatsächlich aufraffen konnte, etwas früher als seine Mitstreiter aufzustehen, war ökonomisch tatsächlich klar im Vorteil: Er konnte die Pilze sammeln und die Fische fischen, bevor der Langschläfer dazu in der Lage war. Mit Fischen und Pilzen konnte der Frühaufsteher seine Familie ernähren, und, wenn er ganz findig war, sogar noch etwas davon auf dem Markt verkaufen – ein doppelter Vorteil gegenüber dem, der länger in den Federn blieb.

Diese Moral, die noch in einer Lebenswirklichkeit verankert ist, die vom Muhen der Kühe und dem Krähen des Hahns bestimmt wurde, ist in einer globalen Gesellschaft, die niemals schläft, natürlich völlig überholt. Denn Zeit ist relativ, und was ist schon ein Tag, wenn die Erde rund ist und die Börse in Tokio öffnet, während wir hierzulande die Augen schließen? Fängt nicht vielleicht derjenige eher die Fische, der nachts noch wach ist und auf dem Parkett in Übersee spekuliert, als jener, der sich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bette quält? Sammelt nicht vielleicht der die schönsten Pilze, der in den frühen Abendstunden noch an Manuskripten, Computerprogrammen oder Webdesigns arbeitet und dafür dickes Geld kassiert? Und kann – etwa bei einem geschäftstüchtigen Barmann – nicht gerade die Happy Hour das sprichwörtliche Gold im Munde haben, weil hier die Kasse besonders häufig klingelt?

Der Tag hat 24 Stunden. Aber Arbeit, die in den frühen Abendstunden geleistet wird und von der man sich mit einem ausgedehnten Schlaf erholen muss, zählt bei vielen immer noch nicht voll. Ein Paradebeispiel, das selbst Stammtischgespräche wie einen Hort der Hochkultur dastehen lässt, lieferte – als Griechenlands Finanzkrise an die Öffentlichkeit drang – die BILD-Zeitung in einem offenen Brief an den ohnehin von Schmähungen und Schande gebeutelten Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou. In einem zwischen Chauvinismus und Dummheit oszillierenden Tugendkatalog des Deutschtums war da zu lesen: »Deutschland hat zwar auch hohe Schulden – aber wir können sie auch begleichen.«[3] Und sie lieferte auch gleich die Lösung mit: »Weil wir morgens früh aufstehen und den ganzen Tag arbeiten.«[4] Ein Rundumschlag, der selbst die nicht gerade als sanft bekannte englische Presse peinlich berührte und zu Häme, Spott und Hohn verleitete. »Get up earlier, Germans tell Greeks«, schämte sich der Guardian fremd.[5]

Wenn frühes Aufstehen eine Garantie für wirtschaftliche Blüte wäre, stünde Sachsen-Anhalt übrigens an der Spitze der Bundesländer. In einer Umfrage der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse, kurz forsa, zum Schlafverhalten der Bundesbürger erhielt Sachsen-Anhalt die zweifelhafte Ehre, behaupten zu können, dass seine Bewohner die aufgewecktesten seien: Sie stehen im Schnitt um 6.39 Uhr und damit neun Minuten früher auf als der Durchschnittsbundesbürger. Seitdem überbieten sich die Repräsentanten und Würdenträger des Landes einander darin, die Segnungen des Frühaufstehens zu verbreiten. In einer preisgekrönten Image-Kampagne posaunt das Land heraus: »Sachsen-Anhalt. Wir stehen früher auf.« Der langjährige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer flankierte diesen Feldzug der strukturarmen Region mit salbungsvollen Worten. In der Mitteldeutschen Zeitung erklärte er, es ginge »um eine Lebens- und Geisteshaltung, die wir damit darstellen und fördern wollen.«[6] Und kategorisch stellt er fest: »Frühaufsteher sind leistungsbereit und wollen viel erreichen, sich bewegen, tüchtiger sein.«[7] Dementsprechend werden Frühaufsteher-Wettbewerbe ausgerufen, Frühaufsteher-Aktionen veranstaltet und sogar Frühaufsteher des Monats gekürt – ungeachtet der Frage, was beispielsweise die sympathische Hebamme, die mit diesem Preis geehrt wurde, macht, wenn ein Baby partout erst am späten Abend zur Welt kommen will.

Bei aller Anerkennung der Wandlung, die das Chemiedreieck zwischen Leuna, Buna und Bitterfeld von der Dreckschleuder der Nation auf dem Weg zum profitablen Wirtschaftsstandpunkt durchlaufen hat, ist seit Walter Gropius’ revolutionärer Bauhaus-Bewegung allerdings immer noch nicht allzu viel los in und rund um die Landeshauptstadt Magdeburg. Im Bundesländerranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der WirtschaftsWoche belegt das Land 2010 in den Kategorien Wirtschaftskraft und Wohlstand jedenfalls einen müden vorletzten 15. Platz. Frühaufstehen scheint also nicht das Allheilmittel für einen Wirtschaftsboom zu sein.

All den vollmundigen Lobpreisungen des frühen Aufstehens steht entgegen, dass schon seit längerem Wissenschaftler gegen Vorverurteilungen und Anfeindungen ankämpfen, denen Langschläfer ausgesetzt sind. Dabei verweisen sie auf biologische Dispositionen, auf die die Betroffenen keinen Einfluss haben. Es gibt Menschen, deren innere Uhr so eingestellt ist, dass ihnen das frühe Aufstehen leichtfällt, und es gibt Menschen, die abends einfach besser drauf sind. Professor Christoph Randler von der Universität Leipzig, der eine umfassende Studie zu diesem Thema durchgeführt hat, nennt diese beiden Typen »Lerchen« und »Eulen« und beklagt, dass denjenigen, die lieber ausschlafen wollen, meist mit verständnislosem Kopfschütteln begegnet wird. Denn umpolen lassen sich die verschiedenen Typen schlichtweg nicht – weder durch Lichttherapie, noch durch bunte Pillen oder frühes Zubettgehen. »Da können die einfach noch nicht einschlafen«, meint Randler. »Und den Schlaf zu erzwingen, funktioniert noch weniger, als das Wachsein irgendwie aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass die gegen ihre innere Uhr Lebenden kaum Appetit auf Frühstück haben und daraus weitere Defizite resultieren.«[8]

Langschläfer, die fortlaufend zum Frühaufstehen genötigt werden, fristen so gesehen ihr Leben im dauerhaften Jetlag. Ihre innere Uhr tickt bis zu vier Stunden hinter derjenigen der Lerchen her, und je mehr sie gezwungen sind, gegen ihren natürlichen Takt zu leben, desto eher greifen sie Studien zufolge zu Alkohol und Zigaretten. Sie werden öfter krank und sind aufgrund der permanenten Asynchronität von Biorhythmus und allgemeine Alltagsanforderung weniger leistungsfähig. Vielleicht liegt gerade darin die Ursache dafür, dass ihre Umwelt die Langschläfer als lahm und schwerfällig erlebt – und dabei Ursache und Wirkung vertauscht. Es sind nicht die Eulen, die das System durch vorgebliche Leistungsverweigerung kaputtmachen, sondern es ist das System, das sie kaputtmacht.

Besonders deutlich wird diese Misere an den Stundenplänen in deutschen Schulen. Schon seit langem mahnen Schlafforscher, dass der frühe Schulbeginn die Leistungen der Schüler eher mindere als fördere. Gerade bei Heranwachsenden wird nämlich eine biologisch bedingte Veranlagung zum Langschlafen noch durch hormonelles Chaos verstärkt. Kinder und Jugendliche, die nicht früh zu Bett gehen wollen, sind keinesfalls immer unvernünftige Rebellen, sondern folgen nur ihrem natürlichen Empfinden. Das Schulsystem jedoch ist auf Eltern und Lehrer abgestimmt, bei denen die pubertären Schwankungen längst ausbalanciert sind. Nur so ist zu erklären, dass diese Frühaufsteher-Lobbyisten, allen voran der Deutsche Philologenverband, den Vorstoß von Baden-Württembergs ehemaligem Ministerpräsidenten Günther Oettinger torpedierten, den Schulbeginn um eine halbe, wenn nicht sogar um eine Stunde nach hinten zu verlegen. Ihre Argumente zielen auf einen Mangel an Mittagsversorgung und -betreuung, doch der eigentliche Grund der Ablehnung war offenbar der, dass sie mit der derzeitigen Ordnung ganz zufrieden waren – und die Vorteile eines langen, freien Nachmittags weiterhin nicht missen wollten. Dann haben sie nämlich gemeinhin ihr Leistungstief und wollen sich ausruhen ….

Der Verdacht liegt nahe, dass ausgerechnet diejenigen, die über den Beginn des Unterrichts zu entscheiden haben, so disponiert sind, dass sie morgens federleicht aus dem Bett kommen. Denn wer, ausgenommen ein bekennender Masochist, würde freiwillig Lehrer werden und riskieren, ein Arbeitsleben lang pünktlich morgens um acht antreten und sich vor eine Gruppe mürrischer Menschen stellen zu müssen, die ihm allein wegen ihrer unfreiwilligen Müdigkeit das Leben schwermacht? Oder Politiker? Wer morgens um sechs bereits dem Deutschlandfunk unfallfreie Interviews zu Atompolitik, Volkswirtschaft und globaler Krise geben kann, kann gar nicht einfühlsam genug sein, um sich in die Lage von Langschläfern zu versetzen. Es ist wie bei Links- und Rechtshändern: Wäre die Mehrzahl unter uns Linkshänder, wäre die Welt von den Politikern danach ausgerichtet. Autos, Scheren, Tastaturen – alles hätte einen Linksdrall.

So aber werden die Langschläfer (und gerade Jugendliche tendieren aufgrund der Entwicklungsphase, die sie durchleiden, fast allesamt zum Eulentum) von frischfrommfröhlichfreien frühaufstehenden Lehrern und Politikern in ein Leben gezwungen, das sie nötigt, zu Zeiten wach zu sein, in denen sie noch nicht einmal ihren Namen buchstabieren können.

Ein Beispiel von besonders grausamer Härte gab Holger Schwannecke, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Kurz nach seinem Antritt im Januar 2010 jammerte er medienwirksam in einer großen Boulevardzeitung über die Schulabgänger, über deren lückenhafte Sprach-, Schreib-, Lese- und Rechenkenntnisse und schlechte Vorbereitung auf das Berufs- und Arbeitsleben. Er unterstrich seine Behauptung, dass der Nachwuchs schlecht ausgebildet sei, mit der Aussage: »Viele Schulabgänger kommen morgens nicht aus dem Bett.«[9] Stimmt, möchte man ihm zurufen, das ist nämlich völlig normal und hat nichts mit Charakterschwäche oder mangelndem Willen zu tun. Denn die jungen Leute können nichts dafür – ihre Hormone geben ihnen das vor, ihre innere Uhr, ihr biologischer Rhythmus. Für die meisten Jugendlichen sind daher ein früher Schul- oder Arbeitsbeginn eine Qual. Schlafforscher Christoph Randler warnt: »Die Mehrzahl der Schüler und Studenten ist da einfach noch nicht wach. Wer morgens halb acht in eine zehnte Klasse oder einen Hörsaal schaut, dem tut sich nämlich ein schreckliches Bild auf.«[10] Sinn ergibt das frühe Aufstehen nur bei denjenigen, die darauf gepolt sind, morgens zu singen. »Das heißt allerdings keinesfalls, dass die intelligenter sind, systematischer oder disziplinierter gelernt haben. Es heißt nur, dass diese jungen Leute das Glück hatten, in jenen Stunden des Tages herausgefordert zu werden, in denen sie munter waren.«[11]

Die Jugendlichen können also selbst beim besten Willen nichts daran ändern, dass sie morgens müde aus der Wäsche gucken. Leute wie Holger Schwannecke könnten hingegen schon was ändern. Denn was spräche gegen einen späteren Arbeitsbeginn in den Handwerksbetrieben? Aus Sicht der Lerchen bestimmt einiges, doch sie sind nicht die Mehrheit. Es wäre zum Vorteil für den Großteil der Arbeiter, deren Leistungsstärke so voll ausgeschöpft werden könnte, und das Gejammer über die faulen Jugendlichen würde endlich verstummen.

Allein, es bleibt der Eindruck, dass die mangelnde Willenskraft nicht bei Langschläfern zu suchen ist, sondern bei denen, die früh aufstehen – hinsichtlich des Willens, etwas zu ändern. Denn dass Langschläfer automatisch mit Laxheit und Schlendrian in Verbindung gebracht werden, ist eine böse Unterstellung. Nicht nur, dass diese Gleichung auf falschen Prämissen beruht, auch der Umkehrschluss ist nicht gültig. Denn warum sollte jemand, der früh aufsteht, per se mehr leisten als einer, der sich fit schläft für die Herausforderungen des kommenden Tages? Was ist mit den vielen Schicht- und Nachtarbeitern, die zu später Stunde das Bruttosozialprodukt steigern und erst dann zu Bett gehen, wenn bei anderen bereits der Wecker klingelt – haben die nicht auch ein Recht auf ihren wohlverdienten Schlaf? Ohne, dass sie von ihrer Umwelt als Faulenzer verurteilt werden?

Die Gebetsstunden der christlichen Liturgie, die im wahrsten Sinne des Wortes in aller Herrgottsfrühe beginnen, waren früher nur für klerikale Zirkel bestimmt. Auch die Bauern hatten ihre Mühe mit der Frühe. Die Kühe mussten gemolken, die Äcker bestellt werden; wer spät aufstand, sah nicht mehr viel vom Tag oder musste teuer für Talg, Kerzen und Petroleum bezahlen. Aber unser Leben funktioniert schon lange nicht mehr nach den Regeln von Ackerbau und Viehzucht. Der Münchener Chronobiologe Till Roenneberg, der den Zusammenhang von Schlafbedürfnis und innerer Uhr im Wandel der Zeit erforscht, erklärt: »Für die meisten Menschen gilt: Je weniger Tageslicht sie abbekommen, desto später bettet sich ihre innere Uhr in den wirklichen Tag ein. Wären wir alle noch Landwirte und säßen nicht so viel in dunklen Büros herum, gäbe es viel weniger Spätschläfer, aber auch weniger Menschen, die bereits um acht Uhr schlafen wollen.«[12] Dennoch hat sich der Appell an die Ausnutzung des Lichtes bis heute fortgesetzt. Wer früh aufsteht, gilt als guter Mensch und hat den gesellschaftlichen Konsens auf seiner Seite. Man sollte annehmen, dass seit Erfindung des Gaslichts im 19. Jahrhundert, spätestens aber seit Thomas Alva Edison um 1880 New York und von da aus die ganze Welt zum Leuchten gebracht hat, alle Vorurteile gegenüber Spätaufstehern hinfällig sind. Dennoch: Wer lange schläft und keine Lust verspürt, sich der Gewaltherrschaft der Aufgeweckten zu fügen, lebt ein Leben, das geprägt ist von Vorurteilen und Spott. Bekannt ist die Karikatur vom deutschen Michel, der Personifizierung von Schwerfälligkeit und unbeweglichem Gemüt, von Dumpfheit und Ignoranz. Seine Schlafmütze ist das Symbol des faulen, langsamen, trägen Zeitgenossen.

Ein Blick in die Weltgeschichte zeigt allerdings: Viele der größten Köpfe und bedeutendsten Künstler waren bekennende Spätaufsteher: Kaiser Augustus ließ seine Träume vom beruhigenden Klang des Springbrunnens, der im Innenhof seines Palastes plätscherte, untermalen, bis ihn die Mittagssonne kitzelte – schrieb dann jedoch bis in die folgenden Morgenstunden an Gesetzen, Verfügungen und mancherlei Briefen. Friedrich Schiller arbeitete am Stehpult und mit reichlich Kaffee bis weit nach Mitternacht an seinen Stücken und durfte danach bis in den späten Mittag von niemandem, der nicht Opfer einer seiner gefürchteten Zornausbrüche werden wollte, behelligt werden. Sein Freund und Förderer Johann Wolfgang von Goethe machte schon in seinen Frankfurter Jugendjahren von sich reden, weil ihn keiner vor zehn Uhr morgens stören durfte. Robert Walser erfrischte sich durch ausgedehntes Ausschlafen von den langen Spaziergängen, die er mit Vorliebe bei Mondschein unternahm. Und Albert Einstein hätte wahrscheinlich seine Karriere als höherer Beamter des Berner Patentamtes beendet, hätte er nicht das Dunkel der Nacht genutzt, um die schwarzen Löcher des Universums zu erforschen. Die Liste der bedeutenden Spätaufsteher ist lang. Ob Marcel Proust oder Heinrich Heine, Jean-Paul Sartre, Bertolt Brecht, Simone de Beauvoir, Rahel Varnhagen van Ense, Voltaire oder Fürst Heinrich von Pückler-Muskau, Alexander von Humboldt oder sein Bruder Wilhelm, Leonardo da Vinci, John Lennon, Marion Gräfin Dönhoff, Brigitte Bardot, Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Ulrich Tukur, Coco Chanel, Tina Turner, Bertrand Russell, John F. Kennedy und Barack Obama – sie alle schätzten und schätzen das Gold der Morgenstunde am liebsten weich gebettet und haben dennoch mit ihrem Schaffen die Welt bewegt.

Wieso Langschläfer die besseren Menschen sind

Langschläfer sind Nachtarbeiter. Sie sind zumeist innovativ, geistvoll, weltoffen, tolerant und voller Humor. Sie gewinnen dem Hamsterrad-Treiben ihrer aufgeweckten Gegenspieler nur ein müdes Lächeln ab, weil sie sich nächtens neue Welten erschließen und zu Höhenflügen begeben. Und vielleicht trägt zu ihrer allgemeinen Entspanntheit bei, dass die Nacht eben nicht nur der Arbeit, den Innovationen, der Kunst und der Forschung vorbehalten ist, sondern auch anderen Genüssen Raum bietet – frei nach Patti Smith’ großartigem Song Because the night belongs to lovers. Langschläfer kümmern sich nicht um den Schönheitsschlaf vor Mitternacht, sondern lieber um ihren Geliebten oder ihre Geliebte. Es ist ein Hohn auf ihren Lebensstil, dass die gesetzliche Nachtruhe in unserem Land von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens festgelegt ist.

Selbst wenn es mancher Lerche weh tut: Langschläfer sind so gesehen die besseren Menschen. Auch, weil sie im Gegensatz zu den Frühaufstehern niemanden dazu nötigen, ihrem Rhythmus zu folgen, und sich nicht daran stören, dass es Menschen gibt, die sich bereits nach dem Tatort vom Tage verabschieden.

Dieses Buch tritt nicht nur für Toleranz gegenüber Langschläfern ein, es ist auch – und vor allem – ein fröhliches Plädoyer für einen entspannteren Lebensstil. Und was wäre geeigneter, um diesen Lebensstil zu feiern, als den stolzesten Vorkämpfern dieser Bewegung endlich ein Denkmal zu setzen? Diese Pioniere sollen hochleben, und ihr Vorbild soll nicht nur im Mondlicht, sondern auch bei Tage leuchten, damit diejenigen, die noch ein Leben unter dem Joch des frühen Weckerklingelns führen, sich endlich gegen diesen Zwang erheben. Denn frühes Aufstehen ist nicht gottgegeben, sondern der Lebensstil einer Lobby, deren Biorhythmus nach der inneren Uhr mittelalterlicher Ackerbauern tickt und uns mit moralischen Vorhaltungen weismachen will, dass ihr Lebenswandel der bessere sei, während er in Wahrheit nur ihnen die Vorteile von Strukturen einbringt, die sie selbst errichtet und durch Gesetze manifestiert haben. Alle anderen hetzen zum Kindergarten, zur Arbeit, zur Schule und nehmen ihr Frühstück auf die Schnelle im Laufschritt ein, weil sie dem Zeitdiktat, dem sie unterworfen sind, durch ein Herumdrehen im Bett entfliehen wollten.

Es ist Zeit, dass man unseren Lebensstil als einen normalen anerkennt und die Infrastrukturen unserer Welt nach unseren Bedürfnissen ausrichtet. Später Schulbeginn und lange Ladenöffnungszeiten, gleitender Arbeitsantritt bis in den Mittag und billiger Strom für den nächtlichen Schaffensdrang, Ärzte, die bis in den Abend praktizieren, und Postboten, die erst am Nachmittag klingeln – das alles ist machbar, wenn wir laut werden und unser Recht einfordern, wenn wir den Schuldkomplex, der uns eingeredet wurde, ablegen und uns nicht mehr in die Ecke der Sonderlinge drängen lassen.

Wir Langschläfer sind viele. Und hoffentlich werden durch dieses Buch diejenigen ermutigt, zu ihrem Lebensstil zu stehen, die bislang noch verschämt aus ihren Federbetten kriechen und mit viel Kaffee morgendliche Aufgewecktheit simulieren. Die Zeit der Scham ist vorbei. Wir sagen laut und deutlich: Der frühe Vogel kann uns mal!