Kapitel fünf

Adelia behauptete aus persönlicher Erfahrung, im Damensattel zu reiten, sei schlecht für den Rücken. Im Übrigen war sie nicht unbedingt die geborene Reiterin und hielt es, sollte das Pferd scheuen oder durchgehen,für gefährlich, so schräg im Winkel zu sitzen. Sich mit gespreizten Beinen wie ein Mann auf dem Pferderücken zu halten, galt jedoch als unschicklich für eine Lady, so ritten Bauersfrauen, ganz besonders in den Augen der exaltierten Gesellschaft, in der sie sich gerade befand.

König Henrys Anweisungen an die drei Hofdamen folgend, hätte Adelia eigentlich in der luxuriös gepolsterten Kutsche mitreisen sollen, in der sich Joanna und die drei Schönen die Reisezeit damit vertrieben, ihre parfümierten Schoßhündchen zu necken, Karten zu spielen und die Landschaft zu betrachten, soweit sie zwischen den vergoldeten, verzierten Fenstergittern hindurch zu sehen war. Adelias erster Versuch, das zu tun, blieb allerdings auch ihr letzter.

Es war nicht so, dass die Prinzessin selbst unfreundlich zu ihr gewesen wäre, so verschlossen sie sein mochte. Lady Beatrix, Lady Petronilla und Mistress Blanche dagegen verzogen die Lippen und befragten sie nach ihrem »Sarazenenfreund« (»Sagt uns, meine Liebe, hat seine Haut wirklich diese Farbe oder ist es nur gegen seinen Glauben, sich zu waschen?«) und ihrer neuen Zofe (»Wir hoffen so sehr, dass Boggart sich als befriedigend erweist, und wie schön, dass sie sich so gut mit Eurem interessanten kleinen Hund versteht!«).

Nachdem sie das einen Morgen lang ertragen hatte, kehrte Adelia auf das Pferd zurück, das ihr überlassen worden war. Der Sattel war ein hübscher, aber sehr harter hölzerner Sambue, einer Art Schachtel mit drei Seitenwänden und einem Knauf, der ihr erlaubte, das rechte Bein anmutig über das linke zu legen. Ihre beiden Stiefel steckten dabei in den Steigbügeln, die verschieden hoch hingen. Im Passgang war die Haltung, die der Sattel verlangte, unbequem, im Trab die reinste Folter.

Adelia ritt neben Mansur und war mit den Gedanken bei Kaiserin Matilda, der Mutter Henrys II., die den Schmähungen widerstanden hatte und sich während der Auseinandersetzungen mit ihrem Cousin Stephen um Englands Thron mit gespreizten Beinen aufs Pferd gesetzt hatte. »Die Plantagenets hätten niemals gewonnen, hätte sie sich auf einen Damensattel eingelassen«, grummelte sie auf Arabisch.

»Der Damensattel verleiht einer Frau Eleganz«, sagte Mansur.

»Er verdreht ihr das verdammte Kreuz.«

»Und Sittsamkeit.«

Da lag der Grund, dachte sie. Die Männer wollten die Frauen nur im Bett mit gespreizten Beinen, dabei war der weibliche Körperbau doch weit eher zum rittlings Reiten geeignet als der männliche mit seinen vorne herabhängenden Teilen.

Sie stöhnte. »Tausend Meilen Sittsamkeit, das werde ich nie überleben.«

»Dann setze dich wieder in die königliche Kutsche!«

»Zu den Harpyien? Da bin ich kaum willkommen.«

Wenigstens musste sie es sich zu Pferde nicht versagen, den Damen des Adels eins aufs Maul zu geben. Darüber hinaus konnte sie sich hin und wieder auch nach hinten zu den weniger wichtigen Teil nehmen der Reisegesellschaft zurückfallen lassen und bei Bedarf medizinischen Rat geben, natürlich immer nur nach Rücksprache mit Mansur.

Ihre Ankunft in der großen Benediktinerabtei von Mont-Saint-Michel würde, wie Locusta hoffte, gleichsam den Ton für die weiteren Stationen ihrer Reise vorgeben. Er war mit einem Bediensteten vorangeritten, um den Abt auf ihr Kommen vorzubereiten, und anschließend zu ihnen zurückgekehrt. Nun wies er ihnen den Weg. »Gott sei Dank haben wir Ebbe«, sagte er, als sie den Damm zur Insel erreichten. »Es hat mich mein ganzes mathematisches Vermögen gekostet, unsere Ankunft zeitlich richtig zu fixieren. Ich hatte schon Angst, unsere Verspätung würde uns um weitere acht Stunden zurückwerfen.«

»Hoffen wir, dass es noch eine Weile bei der Ebbe bleibt«, sagte O’Donnell, »denn, wie ich höre, kommt die Flut mit dem Tempo eines galoppierenden Pferdes.«

Tatsächlich begann das Wasser bereits um Räder und Fesseln zu wirbeln, als sie zu dem seltsamen Berg hinüberfuhren, auf dem Mönche seit Tausenden von Jahren an der Fertigstellung eines Gebäudes arbeiteten, das der Erzengel Michael dem ersten Abt zu bauen aufgetragen hatte.

Die Mühen waren nicht umsonst gewesen. Aus der Ferne sah es aus, als hätten riesige Kerzen auf der Spitze des Berges gestanden, und das herunterlaufende Wachs wäre zu wunderschön gewundenen Formen erstarrt.

Es war ein heißer Tag. Der August verströmte alle Hitze, die er verströmen konnte, und es war eine große Anstrengung für Mensch und Tier, nach den langen, Schweiß treibenden Stunden der Reise die mit Stufen durchsetzte Straße zu erklimmen. Aber die Aussicht auf die Kühle des schönen Gebäudes über ihnen spornte sie an, genau wie die sanfte Brise, die vom Wasser zu ihnen heraufwehte, und der schwindlig machende Ausblick auf Bucht und Küste mit dem darüber aufgehenden vollen Mond.

Abt und Mönche erwarteten sie, um sie zu begrüßen. Bei jeder neuen Ankunft würde es Geistlichkeit geben, Begrüßungen und Vorstellungen – und unausweichlich eine Dankesmesse für die sichere Ankunft Joannas. Es folgte ein Bankett unter Gewölbedecken (und mit reichlich Trinksprüchen), bevor die arme kleine Prinzessin und ihre gähnende Gefolgschaft endlich ins Bett durften. Am nächsten Morgen musste sie sich Kloster, Kreuzgang und die vergoldete Statue des heiligen Michael ansehen und vor wertvollen Reliquien niederknien, bevor es Zeit wurde, erneut aufzusitzen und weiterzureisen.

So, oder ähnlich, würde es immer gehen.

Wir kommen nur zentimeterweise voran, dachte Adelia. Allie, oh, Allie.

 

Am Ende des vierten Tages der Reise, als ihr Mansur abzusteigen half, was immer mit Schwierigkeiten verbunden war, machte Adelias Pferd plötzlich eine Seitwärtsbewegung, und ihr rechter Fuß verhakte sich im Steigbügel. Mansur wankte unter ihrem unerwarteten Gewicht, und einen Moment lang hing sie kopfüber da, und ihr Schleier fegte durch den Schmutz.

Lady Beatrix, Lady Petronilla und Mistress Blanche stiegen die kleine Leiter ihrer güldenen Kutsche herunter und drängten sich so erfreut wie mitfühlend um Adelia. »Habt Ihr Euch etwas getan, Ihr arme Seele? Oh, Liebste, wie peinlich!«

Das war es tatsächlich. Einen Moment lang, bis Mansur ihr wieder aufhalf, durfte eine kleine Gruppe Männer, darunter Captain Bolt, Vater Adalburt, Admiral O’Donnell und der Bischof von St. Albans, den Anblick von Adelias weißem Unterzeug genießen und dazu einen Ausbruch saftiger Marschlandflüche auf das Reiten im Allgemeinen und Damensättel im Besonderen.

Am nächsten Morgen, als sie Richtung Stallungen humpelte, einen neuen Tag des Leidens vor sich, stieß sie auf Captain Bolt, der einen anderen Sattel als ihr gewohntes Marterwerkzeug auf den Rücken ihres Pferdes schnallte. Es war ein kleines Ding, mit rotem Leder gepolstert und hinten hoch aufragend, um den Rücken des Reiters zu stützen.

Er unterbrach ihren Dankbarkeitsausbruch. »Ich fürchte, der ist eigentlich für einen Jungen gemacht, Mistress. Sie werden sich rittlings auf das Pferd setzen müssen.«

»Das ist mir gleich. Wo habt Ihr ihn her?«

»Von mir ist er nicht. Wir sind vor einer Weile an einer Sattlerei vorbeigekommen, und jemand …« Er senkte die Stimme, Bolt war ein alter Freund des Bischofs und Adelias und wusste um deren Beziehung. »Dieser Jemand hat ihn dort gesehen. Er war für einen jungen Lord gedacht, aber der hat ihn nie abgeholt,und so hat dieser Jemand ihn für Euch gekauft.«

Rowley. Oh, Gott segne ihn!

Der Captain zog den Gurt noch etwas strammer und sagte: »Ich werde verbreiten, dass selbst Königin Eleonor manchmal im Männersattel reitet. Ich weiß das. Als sie damals vorm König ausgerissen ist, und ich musste sie jagen, um sie zurückzuholen, Gott, hilf uns, da hatte ich ganz schön Schwierigkeiten, sie zu erwischen.«

»Danke. Und bitte dankt auch dem unbekannten Jemand!«

Bolt half ihr auf ihren Zelter. »Das wird Euch davon abhalten, Euch den Hals zu brechen, genau wie das dritte Gebot.« Er schüttelte bewundernd den Kopf. »Himmel, Lady, Ihr könnt vielleicht fluchen, wenn’s sein muss!«

 

Im nächsten Kloster gab es mitten in der Nacht plötzlich Unruhe: Eine Frau schrie, Männerstimmen waren zu hören, und im Innenhof schien es ein Gerangel zu geben. Die Geräusche passten sich perfekt in einen Traum ein, den Adelia gerade hatte, und da sie so müde war von den Anstrengungen des Tages, wachte sie nicht richtig auf, sondern seufzte nur und drehte sich zur Seite, genau wie die drei Hofdamen neben ihr.

Und doch war es am nächsten Morgen offensichtlich, dass etwas vorgefallen war. Lady Beatrix, Lady Petronilla und Mistress Blanche schienen in ihrer Kutsche in weit ernsterem Gespräch vertieft als gewöhnlich, und auch weiter hinten in der Kolonne unterhielt man sich angeregt, Köpfe wurden geschüttelt, und einige der Männer lachten.

»Weißt du, was da passiert ist?«, fragte Adelia Mansur. Da sie annahmen, der Araber könne sie nicht verstehen, redeten die Leute in seiner Nähe weit offenherziger, als wenn Adelia auftauchte.

»Es hat etwas mit Sir Nicholas Baicer und Schuhen zu tun, mehr kann ich nicht sagen.«

»Schuhen?«

Abgeschnitten vom allgemeinen Gerede, wie sie es war, bat Adelia Captain Bolt um Aufklärung, als der auf einer seiner Inspektionsrunden bei ihr vorbeikam.

Er war wenig hilfreich, ja sogar ablehnend. »Da gibt es nichts, weswegen Ihr Euch Sorgen machen müsstet, Missus. Er ist ein guter Soldat, der Sir Nicholas, ich habe mit ihm gedient.«

Auch ihr gefiel, was sie über Sir Nicholas und Lord Ivo wusste und wie sie sich benahmen. Beide waren höflich, wenn sich ihre Pfade mir ihrem kreuzten, und sie achteten auf das Wohlergehen aller und nicht nur das der höheren Ränge, Lord Ivo mit Gravität, während Sir Nicholas eher aufgeräumt zu Werke ging und allen mit der gleichen Wärme von seiner Familie in England und der Normandie so wie von seinen Hunden erzählte. Beide, Nicholas und Ivo, liebten die Jagd, und gelegentlich ließ der eine oder der andere zusammen mit seinen Hunden und ein paar begeisterten Jägern die Kolonne hinter sich und stellte einem Stück Wild nach. Einer von beiden blieb jedoch stets an der Seite der Prinzessin. Wie Captain Bolt verströmten sie die Zuversicht, dass militärisch alles in sicherer Hand war.

Auch Boggart, die als Adelias Zofe wie ihre Herrin aus der eng verstrickten Reisegemeinschaft ausgeschlossen war, im Grunde eine Persona non grata, vermochte nur herauszubringen, dass »es was mit Sir Nicholas und seinen Schuh’n«, zu tun hatte.

Und da sich keine Gelegenheit bot, mit Rowley mehr als ein flüchtiges, nettes Wort auszutauschen, musste sich Adelia wohl oder übel damit zufriedengeben.

 

Sie kamen durch die Bocage, eine üppige, waldreiche Gegend im Südwesten der Normandie, wo hinter hohen Hecken, die mit Hagebutten und hellgrünen Haselnüssen gesprenkelt waren, Kühe knietief im Gras standen.

Adelia saß bequem hoch oben in ihrem neuen Sattel und sah aufs Land hinaus, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit von den mit Flechten überzogenen Bauernkotten und turmlosen Kirchen auf ihr Pferd gelenkt, das sich seit zwei Tagen schon komisch verhielt und gelegentlich stolperte und gähnte. Heute blieb der Zelter immer wieder stehen und rieb den Kopf am nächsten Zaunpfahl oder Baum.

»Ich glaube, Juno ist krank«, sagte sie.

Mansur gab einem Pferdeknecht ein Zeichen, der gleich herbeilief.

Adelia stieg ab, damit der Mann die Mähre untersuchen konnte. »Ist sie müde? Habe ich sie überfordert?«

»Ihr nicht, Mistress, Ihr seid ja nur ’n Windhauch auf ihrem Rücken.« Der Mann hieß Martin, und er mochte Adelia, die schon erfolgreich manchen Zeh behandelt hatte, auf den ein Pferd getreten war. Er umkreiste die Mähre, fuhr ihr mit der Hand über die mager gewordenen Flanken und nahm den Kopf zwischen die Hände.

»Hallo, was ist denn das da?« Martin deutete auf ein paar kahle Stellen um Augen und Nüstern, wo die Haut entzündet schien.

Adelia folgte seinem Blick. »Sieht aus wie ein Sonnenbrand. Wie kann das denn sein?« Sie hatte noch nie von einem Pferd gehört, das einen Sonnenbrand bekommen hatte.

»Sieht tatsächlich aus wie ’n Sonnenbrand«, sagte Martin und rief den Stallmeister. »Hier, Master Tom, was haltet ihr davon?«

Beide Männer kratzten sich gehörig am Kopf, befragten Adelia nach dem Verhalten des Pferdes und stellten noch ein paar Untersuchungen an, die das Tier apathisch ertrug.

»Denkt Ihr, was ich denk, Master Tom?«, fragte Martin.

Der Stallmeister saugte an seinen Zähnen. »Jakobsgeiskraut.«

»Das iss es, was auch ich meine.«

Master Tom wandte sich an Adelia. »Habt Ihr die arme Kreatur am Wegesrand grasen lassen, während Ihr auf ihr saßt?«

»Nein … nun, nicht viel. Und nicht, wo Jakobsgeiskraut stand.« Sie kannte die Pflanze. Das überall sichtbare gelbe Kraut war von Menschen und, wie es schien, auch von Pferden zu meiden. »Ich hätte es sie nicht fressen lassen, hätte ich es gesehen.«

»Nun, dann hat’s ihr irgendein Mistkerl gegeben, und zwar jede Menge davon, über eine schöne lange Zeit. Sonst wäre sie jetzt nicht in diesem Zustand. Als wir Caen verlassen haben, war sie munter wie ein Floh.«

»Nachts dann, denkt Ihr?«, fragte Martin.

»Könnte sein, könnte sein«, sagte Master Tom. »Frisch hätte sie’s sicher nicht angerührt …«

»… und getrocknet verliert es seinen Geschmack«, beendete Martin den Satz für ihn.

»Aber was für ein Dreckskerl tut das einem Pferd an?«

»Was kann man für sie tun?«, fragte Adelia. So wenig Interesse sie normalerweise an Pferden hatte, war sie mit dieser Mähre doch nun schon ein ganzes Stück zusammen, und es schmerzte sie mitanzusehen, wie das Tier litt. Allie würde wissen, was zu tun ist, dachte sie.

Master Tom zuckte mit den Schultern. »Nichts. Nicht bei dem Gift. Von ihrem Übel erlösen können wir sie, sonst nichts.«

Juno wurde in eine Waldung gebracht, und ihr Leben endete mit einem schnellen Schnitt durch die Kehle. Der Bischof von St. Albans strengte sofort eine Untersuchung an, allerdings ohne Erfolg. Jemand musste das Pferd seit längerer Zeit nachts im Stall systematisch vergiftet haben, was nur heißen konnte, dass es jemand aus dem Tross der Prinzessin gewesen war.

»Das arme Tier«, sagte Lady Petronilla abends laut über den Tisch hinweg zu Adelia. »Ihr müsst Euch schrecklich fühlen, nachdem Ihr so wütend darauf wart, seit ihr neulich runtergepurzelt seid.«

»Ich war wütend auf mich, nicht auf das Pferd.«

Es hatte keinen Sinn, dass Captain Bolt und Rowley darauf hinwiesen, Mistress Adelia habe ihr Pferd abends immer den Pferdeknechten überlassen und sei deshalb frei von allem Verdacht, es mit Jakobsgeiskraut gefüttert zu haben. In der Reisegesellschaft blieb der Eindruck zurück, Adelia habe ihr Pferd verflucht, das daraufhin als Einziges von allen gestorben war.

 

Wie Scarry an diesem Abend zu Wolf sagt: »Es beginnt.«

 

Am Ende bekam Adelia doch eine Erklärung des Rätsels um Sir Nicholas und die Schuhe, und zwar als es erneut zu einer nächtlichen Störung kam, dieses Mal in der Abtei Saint-Sauveur in Redon, auf dem Weg nach Aquitanien, dem Herzogtum, das einmal Königin Eleonor gehört hatte, durch ihre Heirat aber an Henry Plantagenet übergegangen war.

Adelia und die drei Hofdamen im Bett sowie ihre Zofen auf ihren Strohsäcken hörten den aufgeregten Schrei einer weiblichen Stimme und darauf laute Aktivitäten draußen vor ihrem Zimmer. Kurz darauf flog die Tür auf, und Lady Petronillas Zofe Marie kam wimmernd herein.

»In Gottes Namen, Marie«, sagte Lady Beatrix mürrisch, »was ist denn los?« Sie sah zur Stundenkerze auf dem Nachttisch hinüber, die erst zur Hälfte heruntergebrannt war. »Es ist ja noch mitten in der Nacht.«

»Diesmal hat er’s mir angetan, M’lady«, schluchzte Marie. »Einen fürchterlichen Schreck hat er mir eingejagt, und seht doch nur!« Sie hob ein Bein, um zu zeigen, dass sie an einem Fuß keinen Schuh mehr trug.

»Wer hat was getan? Und wo warst du?«

»Da war ein Geräusch draußen auf dem Gang, M’lady, und ich bin aufgestanden, um die Tür aufzumachen, weil ich dachte, einer der Hunde sei ausgesperrt worden, aber da war nichts. Also bin ich den Gang ein Stück runter, und oh, M’lady, da war überhaupt kein Hund, es war Sir Nicholas.«

»Oje!«, sagte Lady Petronilla. »Aber mach dir nichts draus! Und Ihr, Mistress, bleibt hier, das ist nichts, womit Ihr Euch beschäftigen müsstet!«

Aber Adelia hatte sich bereits in einen Umhang gewickelt und lief hinaus, um zu sehen, was es gab. Boggart, die auch die Posaunen des Jüngsten Gerichts nicht hätten aufwecken können, blieb schlafend zurück.

Der Bischof von St. Albans stand auf dem Gang und beobachtete eine merkwürdige Prozession zur Treppe hinüber, die durch den Turm zu den Quartieren der Männer führte.

Zwei bewaffnete Männer, einer von ihnen Captain Bolt, stützten den wankenden Sir Nicholas Baicer. Aubrey, der Knappe des Ritters, ging rückwärts vor ihm her und hielt seinem Herrn etwas vor die Nase, das aussah wie Maries Schuh. Es hatte ganz den Anschein, als lockte er ihn damit, wie man einem Hund mit einem Knochen winkte.

Adelia schloss die Schlafkammertür leise hinter sich, damit die Hofdamen nichts hörten, und wandte sich an ihren Geliebten. »Und?«

»Es ist sein Knappe, der junge Aubrey. Er muss aufpassen, wie viel Nicholas beim Essen trinkt.« Rowley amüsierte sich bestens.

»Was hat er denn gemacht?«

Es schien so zu sein, dass es nur ein, zwei Gläser Wein zu viel waren, die aus dem angenehm beschwipsten Sir Nicholas einen Mann machten, der von einer unbändigen, weinseligen Lust auf Frauenfüße übermannt wurde.

»Jede Frau, ohne Unterschied«, erklärte Rowley schmunzelnd, »solange sie zwei Füße am Ende ihrer Beine hat, läuft Gefahr, dass sich der betrunkene Sir Nicholas auf ihre Schuhe wirft und sie ableckt.«

»Das hat er bei Marie gemacht?«

»Ganz offenbar. Er muss seinen Knappen ausgetrickst haben. Das letzte Mal war es eine der Wäscherinnen.« Er sah Adelias bestürzten Ausdruck. »Er ist ja nichts passiert. Jetzt legt er sich mit dem Schuh der Zofe ins Bett und schläft wie ein Lamm. Morgen früh wird er sich an nichts mehr erinnern.«

»Es ist nichts passiert, sagst du? Das Mädchen hat einen Riesenschreck davongetragen!«

»Unsinn. Es ist einfach nur eine ungewöhnliche Art, sich die Schuhe putzen zu lassen. Nun dann …« Rowley zog Adelia an sich, »wo du schon mal hier bist …«

Aber bevor er sie umarmen konnte, kam der Bischof von Winchester mit der Schlafmütze auf dem Kopf die Treppe herauf, um zu sehen, was das laute Durcheinander sollte.

Rowley verbeugte sich vor Adelia, sagte höflich: »Gott segne Euch, Lady«, und folgte seinem Bischofskollegen in die Männerquartiere.

Rowleys Haltung zu Sir Nicholas Ausfällen war auch die der Hofdamen. Adelia hörte bei ihrer Rückkehr ins Zimmer, wie Lady Petronilla ihrer Zofe erklärte: »Du musst wissen, dass alle wohlgeborenen Männer ihre Eigenheiten haben, Marie. Wir müssen sie übersehen.«

Verschlafen stimmte ihr Lady Beatrix zu. »Schließlich haben Sir Nicholas’ Vorfahren an der Seite von William, dem Eroberer gekämpft und die Engländer unterworfen.«

Und dabei zweifellos eine Spur gut abgeleckter Frauenschuhe hinter sich zurückgelassen, dachte Adelia. Sie schüttelte den Kopf und bettete ihn und den Rest von sich neben Lady Petronilla. Immer noch staunend fiel sie in Schlaf.

Am nächsten Morgen wusste der Übeltäter von nichts, war ganz der herzliche, gut gelaunte Sir Nicholas, und sein Knappe Aubrey kam mit einer Entschuldigung zu Marie, nebst ihrem verlorenen Schuh und einem Silberstück aus der Börse, die ihm für derlei Eventualitäten anvertraut war.

 

Die Erwartung, das Henry, der Jüngere zu ihnen aufschlösse, wandelte sich in die Überzeugung, dass er es nicht tun würde, ja es nicht einmal im Sinn hatte.

Die großen und kleineren Klöster, in denen sie Nacht für Nacht abstiegen, wurden in ihrer Vorstellung zu einem: Jedes Mal begrüßte sie der Abt oder Prior, es gab eine Messe und ein Festmahl, und alle trugen Sorge, der Tochter des Königs zu zeigen, mit welcher Freude sie ihr Obdach gewährten und sie bewirteten. Alle waren reich, meist sehr reich – so viele Leute angemessen zu versorgen, konnte leicht ein ganzes Jahreseinkommen kosten, was jedoch ohne Zweifel von den jeweiligen Untergebenen wieder eingetrieben wurde.

In der oberen Normandie war die Hochzeitskavalkade zunächst noch ein disziplinierter, sorgfältig aufgereihter Zug gewesen. Vorreiter eilten voran. Es folgte die Kutsche der Prinzessin, flankiert von Sir Nicholas Baicer und Lord Ivo, prachtvoll mit Panzer und Helm. Dann kamen die Knappen, Bischöfe und Geistlichen, dazu ein Trupp von Captain Bolts Männern, gefolgt von weiteren Soldaten, um die mit den sperrigen, eisernen Schatzkisten beladenen Maultiere zu bewachen. Das Ende bildeten die höheren Bediensteten, gefolgt von den einfacheren, den Ladekarren und schließlich den Pilgern.

Aber nach und nach, während Tag um Tag ohne unerwünschte Geschehnisse verging, setzte eine allgemeine Entspannung ein. Je tiefer sie in dieses so wunderbar zum Jagen geeignete Land eindrangen, desto mehr Leute, darunter sogar einige Bedienstete, ergaben sich ihrer Leidenschaft für die Jagd und folgten entweder Lord Ivo oder Sir Nicholas in die Wälder.

Captain Bolt mochte die Stirn in Falten legen und seinen Männern derlei verbieten, den Rest ergriff eine wachsende Willfährigkeit, der er, da der Bischof von Winchester nur ein Lächeln dafür hatte, nicht Einhalt zu gebieten vermochte.

Selbst Vater Adalburt fand Geschmack an den Jagdausflügen und schloss sich ihnen mit seinem Gaul verschiedentlich an, ging aber immer wieder verloren und musste mehr als einmal gesucht und zum Zug zurückgebracht werden.

Dazwischen hielt die gesamte Kavalkade immer wieder an, um Prinzessin Joanna zuzusehen, wie sie ihren Habicht fliegen ließ. Der Applaus für sein Künste war groß.

Unausweichlich bildeten sich unter den einfacheren Bediensteten nach und nach Freundschaften, auch Feindschaften entstanden, sodass der Zug an manchen Stellen dünner wurde, dafür an anderen aber anschwoll, ganz so, als hätte eine Schlange verschiedene Beutestücke verschluckt, die sie nun verdaute.

Um die Musiker herum waren immer Leute, während der Wagen des Schmieds meist allein dahinfuhr, war der Kerl doch ständig mürrisch und schlecht gelaunt und behandelte nur die Pferde gut, die er beschlug.

Neckende, flirtende Soldaten sammelten sich um den Bereich der Wäscherinnen und Zofen, was selbst Captain Bolt erlaubte, solange die Streifen nicht vernachlässigt und die Schatzkisten und das Ende des Zuges bewacht wurden. Die meisten seiner Männer seien Söldner, sagte er, und hätten sich weiblichen Trost zu suchen, wo sie nur könnten.

Die oberste Wäscherin jedoch, eine massige Person mit Warzen und einem bibeltreuen Religionsverständnis – sie schrak jedes Mal in heiliger Entrüstung zurück und murmelte Psalmen, wenn Mansur sich ihr näherte –, verscheuchte die Männer. Sie sorgte sich um die Keuschheit ihrer Mädchen und begleitete sie sogar in den Wald, wenn sie bei einer Rast dem Ruf der Natur folgten.

Die Frau war Engländerin, hieß Brune und hatte Eleonor über viele Jahre die Wäsche gemacht, während derer sie sich mit Joannas Kinderfrau angefreundet hatte. Die Länge ihrer Dienstzeit und ihre königliche Herrschaft bestimmten ihre hohe Meinung von sich selbst. »Meine Mädchen werden sich ihre Jungfernschaft unserem Herrn und Gott zuliebe erhalten«, hörte man sie salbungsvoll einem wohlwollend nickenden Vater Guy sagen. »Genau wie ich sie mir erhalten habe.«

»Als ob es«, sagte Captain Bolt, »irgendwen gäbe, der sie ihr nehmen wollte.«

Abends gingen Mansur und Adelia zur Prinzessin, wo Doktor Arnulf meist schon dabei war, nach deren Gesundheit zu sehen. Sie prüften den königlichen Puls und untersuchten den in Fläschchen aufgefangenen königlichen Urin. Tags jedoch ritten sie weiter hinten im Tross, fern von den ihn anführenden Nobilitäten. So konnte auch Ward neben ihnen herlaufen, ohne dass er und Adelia unter den Sticheleien der Hofdamen zu leiden hatten, und Mansur entging der Bösartigkeit des Sarazenen hassenden Vater Guy.

Ihre neue Reiseposition machte sie zumindest bei denen vom einfachen Volk beliebt, die krank waren oder sich verletzt hatten und feststellen mussten, dass Doktor Arnulf es für unter seiner Würde hielt, sie zu behandeln.

»Cap’n Bolt sagt, ich soll zum schwarzen Doktor gehen«, sagte James, der Stellmacher, zu Adelia, als sie seinen gebrochen Finger schiente. »Der andere, dem sind die Armen egal. Der Mistkerl wollte Geld.«

Für Adelia lag der Hauptvorzug des weiter hinten Bleibens darin, dass Rowley von Zeit zu Zeit kam und neben ihr ritt. Da waren wertvolle Momente für sie beide, wenn er so tat, als hielte er mit Mansur einen Schwatz auf Arabisch.

Wann immer er die Zeit erübrigen konnte, gesellte sich auch Locusta zu ihnen, der ihre Gesellschaft offenbar der aller anderen vorzog und über Sizilien reden wollte.

Auch Ulf begleitete sie manchmal. Andere Pilger hatten Freunde unter den königlichen Bediensteten gefunden. Warum sollte er es ihnen nicht nachtun?

Und wenn er nicht gerade jagte, kam auch Vater Adalburt, was eine Überraschung war und kein ungetrübtes Vergnügen. Der Mann war ein Narr. Weil er Latein und Englisch sprach und kaum einmal jemanden traf, der eines von beiden nicht konnte, staunte er, wenn Leute ihn nicht verstanden. Immer wieder sprach er Mansur langsam und mit lauter Stimme an und konnte es kaum fassen, wenn er keine Antwort erhielt.

Alles Neue erstaunte ihn. Als sie einmal an einer Korkeichenplantage vorbeikamen und er fragte, was das denn für Bäume seien, wies er die Antwort zurück und sagte: »Aber an denen hängen doch gar keine Korken«, ganz so, als müssten die Zweige solcher Bäume voller perfekt geformter Flaschenkorken hängen.

»Warum bleibt der Esel nicht bei seinem Bischof?«, ereiferte sich Mansur. »Warum geht er uns auf die Nerven?«

Wahrscheinlich, weil der Bischof von Winchester nur zu glücklich ist, ihn loszuwerden, dachte Adelia. Adalburt war ja durchaus eine freundliche Haut, im Grunde lächelte er die ganze Zeit, wie er jedoch Geistlicher hatte werden können, war nur schwer zu verstehen.

»Weil er mit dem Bischof verwandt ist«, sagte Ulf bitter, der nachgeforscht hatte. »Offenbar hat er zwei Jahre als Einsiedler auf ’m Scafell Pike gelebt, was ihm den Ruf eines Heiligen verschafft hat. Hat mir erzählt, er hätte den Schafen das Wort Gottes gepredigt. Mann, die tun mir vielleicht leid!«

Locusta und sein Onkel hatten mit Bedacht nur Unterkünfte mit ausreichend Ställen und Weiden ausgesucht, dazu natürlich mit gutem Essen und reichlich flohfreien Betten und sogar Bädern. Wenn es Letztere nicht gab, protestierten Mesdames Beatrix, Petronilla und Blanche …

So sah der Abt einer etwas kleineren Unterkunft verzweifelt in die drei hübschen, beeindruckenden Gesichter. »Aber in diesem Haus, meine Töchter, wird nur zu Ostern und Weihnachten gebadet. So rät es der heilige Benedikt. Und dann gehen wir in den Fluss.«

Die drei sahen einen vernichtenden Moment lang den unglückseligen Locusta an. Kein Bad?

Er rang die Hände. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid, Ladies. Aber noch weiterzuziehen oder früher haltzumachen …«

Die Damen hatten keinerlei Verständnis für die Schwierigkeiten der Reiseplanung.

»Aber der Fluss«, mischte sich Adalburt mit freudiger Miene ein. »Ist es nicht ein Beispiel für Gottes Großzügigkeit, dass Er an jeder größeren Stadt, die der Mensch erbaut hat, einen Fluss vorbeifließen lässt?«

Den Damen war Gottes Großzügigkeit egal. Sie wandten sich wieder an den Abt.

»Das ist ja alles sehr löblich, mein Guter«, sagte Lady Petronilla, »aber unsere Prinzessin ist nicht der heilige Benedikt. Sie ist eine Dame königlichen Geblüts.«

»Aus Aquitanien«, hob Lady Beatrix hervor. »Und sie ist den ganzen Tag durch den Staub gereist.« Sie unterließ den Hinweis darauf, dass neben dem Staub auch der Schweiß geradezu ruinös für die Kleider war, an denen eine ganze Phalanx von Stickerinnen Jahr um Jahr gearbeitet hatte.

»Waschzuber tun es auch«, sagte Mistress Blanche nun. »Herr Abt, Ihr habt doch sicher ein paar Zuber in Eurer Waschküche?«

Der arme Mann nahm es an.

»Gut«, sagte Lady Petronilla. »Dann lasst sie bitte hinauf in unser Zimmer bringen! Mit viel heißem Wasser.«

Lady Beatrix tätschelte dem Abt gütig die Hand. »Seife und Handtücher haben wir selbst.«

In einem dampfgefüllten Raum – das Zimmer des Abtes war der einzige, der groß genug war – sah Adelia die verschwommenen Gestalten der Zofen wie Wassergeister kommen und gehen, während sie ihren Körper in der warmen Seifenlauge einweichte. Der Zug war heute außergewöhnlich lange unterwegs gewesen und hatte um die vierzig Meilen hinter sich gebracht.

Aus dem Essraum unten klangen die Stimmen betrunkener Männer, die das uralte Trinklied Gaudeamus igitur zum Besten gaben. Sie konnte Rowleys Stimme heraushören. Das Kloster befand sich im Lande des Calvados, den der Abt aus seinen eigenen Äpfeln brannte und statt Bier servierte, was immer der asketische Benedikt dazu gesagt hätte.

»Oje!«, sagte Lady Beatrix durch den parfümierten Dampf. »Wenn ich an Sir Nicholas denke … Ist Calvados nicht sehr alkoholisch?«

»Sehr«, sagte Blanche. »Wir können nur hoffen.«

Alle im Raum hofften mit ihr.

In ihrem Zuber in der Mitte des Raumes wechselte die nasse Prinzessin das Thema. »Wird Gott uns nicht verdammen, wenn wir so viel baden?« (Der Abt hatte in seiner Predigt zum Essen Rache geübt und hervorgehoben, welche Sünde die Eitelkeit der Frauen sei.)

»Ganz sicher nicht, Mylady«, kam Lady Petronillas beherzte Antwort. »Sauberkeit ist eine göttliche Eigenschaft.«

»Das sagt Mama auch. Aber der heilige Thomas hat kein einziges Mal mehr gebadet, nachdem er Erzbischof von Canterbury geworden war. Es heißt, er war voller Läuse, als sie seinen lieben Körper entkleidet haben.«

»Das sind Heilige«, sagte Lady Petronilla mit fester Stimme. »Das gilt nicht für Ladies von edler Geburt.«

»Aber als wir den Schrein der seligen Sylvia besucht haben, hieß es, das Einzige, was sie je von sich gewaschen habe, seien ihre Hände gewesen.«

»Ich bin sicher, sie hatte ihre Gründe, Liebes.« Das war Beatrix. »Aber der Herr, unser Gott, möchte, dass Seine Königinnen sauber sind.« Es entstand eine seifige Pause. »Genau wie ihre Hofdamen.«

Adelia saß in ihrem Zuber am Ende der Reihe und grinste. Die Ladies waren schwer genießbar und nicht gerade ihre Freundinnen, doch in diesem Moment, während sich ihre schmerzenden Glieder entspannten, pries sie eine wie die andere. Auf ihre Weise waren die drei bewundernswert. Sie scharten sich schützend um ihre Prinzessin und sorgten für ihre Bequemlichkeit, und natürlich auch ihre eigene. Sie unterhielten sie auf der langen Reise, sangen Lieder (jede von ihnen beherrschte ein Musikinstrument), erzählten Geschichten und Rätsel und waren immer exquisit zurechtgemacht, das Haar unter Diademen und Schleiern perfekt geflochten, die Seide ihrer Kleider wie Haut auf dem schlanken Körper, mit tief ausgeschnittenen Leibchen, die ihre alabasterfarbenen Dekolletés hervorhoben.

Sie verwirrten die Männer mit ihrer Schönheit und wurden zu Träumen, die nicht von dieser Welt waren.

Das war es, nahm sie an, was sich Rowley für Allie wünschte. Aber was für eine Art Existenz war das am Ende? Reichte der schöne Schein? Nur Petronilla konnte lesen, nutzte ihre Fähigkeit aber allein für Bücher über Manieren und Etikette. Von Geschichte hatten alle drei keine Ahnung, sie kannten sich nur mit den eigenen Vorfahren aus und waren ohne Vorstellung vom Leben außerhalb des Hofes. Verträumt redeten sie davon, welchen adeligen Ehemännern sie wohl geschenkt werden mochten, als wäre die Ehe eine Lotterie. Was es bei Ihnen wahrscheinlich auch war.

Adelia hätte sich einen Friedenspakt mit Joannas Hofdamen gewünscht, um sie besser kennenzulernen, aber da sie als Eindringling angesehen wurde, bildeten die drei eine feste Front gegen sie, in der ihre Individualitäten mehr oder weniger untergingen.

Adelia seufzte und rief durch den duftenden Nebel nach Boggart, die ihr ein Handtuch bringen sollte. Sie zuckte zusammen, als sie ein Krachen hörte, das darauf hindeutete, dass die Kleine einen Salbentiegel zu Boden geworfen hatte. Das Mädchen bemühte sich, Gott segne sie! Aber es blieb beim Bemühen. »Du kannst jetzt ins Wasser, Boggart.«

»Oh ja, Mistress. Da dran gewöhn ich mich langsam. Und Ward iss heute auch schrecklich schmutzig. Ich frag mich, ob ich ihn mit reinnehm’n soll.«

Aus den Dämpfen erklang es im Chor: »Oh, bitte.«

Abgetrocknet und in einen von Emmas Umhänge gehüllt, ging Adelia hinaus auf den Flur und wollte vorher noch ihr Halskettchen mit dem Kreuz von dem Tisch nehmen, auf dem auch die Hofdamen ihren Schmuck abgelegt hatten, damit er nicht anlief und stumpf wurde.

Sie konnte es nicht finden.

Sie nahm eine Fackel aus ihrer Halterung an der Wand, hielt sie über den Tisch, um besser sehen zu können, und suchte noch einmal zwischen den glitzernden Ringen, Broschen und Ohrringen der anderen Frauen.

»Diese verdammten Weiber!«, sagte sie. »Diese verdammten …« Das Halskettchen war ihr einziger Schmuck. Sie trug ihn im Gedenken an ihre frühere Kinderfrau Margaret, die ihr vor langen Jahren einmal ein ähnliches Kreuz geschenkt hatte. Adelia hatte das einfache Kettchen mit dem schmucklosen silbernen Kreuz geliebt, es aber einem ermordeten Mädchen mit ins Grab gelegt, das den Anhänger ebenfalls sehr gemocht hatte. Sobald sie konnte, hatte sie sich eine Kopie machen lassen.

Um sicherzugehen, wartete Adelia, bis eine tropfende Boggart und ein ebenso nasser Ward aus dem Bad kamen. »Du hast nicht zufällig aus irgendeinem Grund mein Kreuz genommen, Boggart?«

»Nein, Mistress.«

»Das habe ich auch nicht gedacht. Verflucht seien diese verdammten Biester, diese Weiber, die mich unbedingt ärgern wollen!«

Boggart überlegte. »Ich glaub’ nich’, dass die’s gewesen sind, Mistress. Es lag da, als sie alle rein sind, ich hab’s gesehen. Und da iss keiner seitdem nich’ rausgekommen.«

Später lag Adelia eine Weile wach und überlegte, wer im Kloster wohl der Dieb sein mochte und warum er, oder sie, von all dem Schmuck auf dem Tisch gerade das am wenigsten wertvolle Stück genommen hatte.

Aber Allie wartete auf sie, es galt keine Zeit zu verlieren, und wenn sie die Sache an die große Glocke hängte, würde der Aufbruch am Morgen sicher verschoben werden, um alles zu durchsuchen und die Leute zu befragen. Was sie nur noch unbeliebter machen würde, als sie es sowieso schon war.

Gähnend sagte sie sich, dass sie in Sizilien einfach einen Silberschmied mit der Anfertigung eines neuen Kreuzes beauftragen würde.

Aber die Nacht war noch nicht vorüber.

Dieses Mal kam das Schreien aus dem Garten, auf den man aus dem Gästehaus des Abtes hinabsehen konnte.

Dieses Mal waren es ganz fürchterliche Schreie.

Dieses Mal waren es die von Boggart.

Eine der Hofdamen murmelte verärgert: »Wer hat denn Sir Nicholas schon wieder von der Leine gelassen?« Adelia griff bereits nach ihrem Umhang. Unten zog sie die Riegel der Tür zurück und stürmte nach draußen.

Mitten auf dem Rasen lag Sir Nicholas’ massiger, bebender Körper über Boggarts Füßen und hielt ihre Fesseln gepackt. Der Schatten der beiden im Mondlicht sah aus wie eine riesige Häkelnadel, nur dass da noch ein kleiner Hund am Hosenboden des Mannes zerrte.

Es wäre ein ganz und gar komischer Anblick gewesen, hätte Boggarts Mund nicht ein O des Schreckens geformt und wären die Schreie, die pumpend daraus hervordrangen, nicht Ausdruck einer zutiefst gepeinigten Seele gewesen.

Adelia half Ward, an den Kleidern von Sir Nicholas zu zerren, vermochte aber auch nicht mehr als der kleine Vierbeiner auszurichten. Der Ritter gab keinen Fingerbreit nach und war wie von Sinnen. »Lass sie los, verfluchter Kerl!«, schrie Adelia. »Schande über dich, du schrecklicher alter Mann, lass sie los!«

Später erinnerte sie sich, Lachen aus den Fenstern des Gästehauses gehört zu haben, aber sie wusste in diesem Moment, und daran änderte sich auch hinterher nichts, dass das, was sie da sah, nichts Lächerliches hatte. Da geschah etwas Schreckliches.

Sie warf sich auf den Mann und griff ihm um den Kopf, um die Finger in seinen Augen zu vergraben. Aber Sir Nicholas schüttelte sich wie ein Bulle, und ihre Nägel kratzten über seine Backen. Und dann hob sie jemand hoch, sie und Ward, und ein anderer zerrte Sir Nicholas’ klobige Gestalt von Boggarts Füßen und warf ihn rücklings ins Gras.

Sie erhaschte einen Blick auf das Gesicht des Ritters, es war fremd, haltlos und leer. Dann hievten ihn sein Knappe und ein anderer Mann auf die Beine und schleppten ihn davon.

Rowley versuchte Boggart zu trösten. »Ist ja schon gut, mein Liebes. Du musst keine Angst haben. Er hat diese Anwandlungen, sie bedeuten nichts. Es ist ja nichts passiert.«

»Da frag sie mal!«, fauchte Adelia. Sie nahm den zitternden Ward und legte ihn Boggart in die Arme. Mit einer Hand auf ihrer Schulter schob sie sie zu der steinernen Bank neben einer Laube.

Rowley folgte ihnen. »Kann ich etwas tun?«, fragte er ratlos.

»Nein«, erklärte Adelia. »Wir bleiben hier eine Weile ruhig sitzen.«

Er setzte sich zu ihnen, neben Adelia, auf die andere Seite. Boggart starrte etwas an, das sie nicht sehen konnten. Sie hielt Ward so fest an sich gedrückt, dass die Schauer, die ihren Körper erzittern ließen, auch ihn erfassten.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Rasens schlossen sich die Fensterläden. Das Unterhaltungsprogramm war beendet.

»Wenigstens hat er diesmal die Schuhe dagelassen«, sagte Rowley und versuchte die Stimmung etwas aufzuhellen.

Adelia musterte Boggarts Schuhe. Sie hatte sie ihr in Caen gekauft, zusammen mit einem weiteren Paar und Reitstiefeln, um die groben, genagelten, viel zu großen Männerholzschuhe zu ersetzen, die das Mädchen in Southampton getragen hatte. Es hatte die neuen Schuhe an sich gedrückt, wie es jetzt Ward an sich drückte, und lange nicht überzeugt werden können, sie zu tragen, weil es Angst hatte, sie könnten schmutzig werden. Am Ende hatte Adelia einfach die alten Holzschuhe genommen und weggeworfen.

Sir Nicholas’ Leckattacke hatte den Schuhen übel mitgespielt. Die kleinen Bänder an den Seiten hingen schlaff und nass herunter.

»Warum macht er das?«, fragte Adelia. »Was kann das … warum?«

»Ich weiß es nicht.« Rowley machte eine Pause. »Sie hat früher schon mal was Schlimmes erlebt, oder?«

»Ich glaube schon.«

»Es tut mir leid.« Er tätschelte Adelia die Hand und stand auf. »Dann will sie mich hier nicht haben.«

»Nein.«

Als Adelia ihn widerstrebend weggehen sah, wurde sie einen Moment lang von dem Gefühl überwältigt, was für ein Glück sie hatte, von ihm geliebt zu werden. Rowley war ein Mann mit Fehlern, so wie alle Männer Fehler hatten und sie eine unvollkommene Frau war, aber seine Persönlichkeit hatte keine Risse, in denen verborgene Ungeheuer hausten wie bei Sir Nicholas. Sein Inneres war sauber.

Wir müssen uns beide um Allie bemühen, dachte sie. Sie braucht uns. Zusammen müssen wir es tun.

Boggart starrte immer noch reglos vor sich hin und begann jetzt zu reden. »War mein Fehler«, sagte sie. »Dieser un…« Sie drückte Ward noch fester an sich. »Sein armer kleiner Bauch tat von irgendwas weh, also dachte ich, wenn ich mit ihm rausgeh’ … War mein dummer Fehler. Ich dachte, er wär’n netter Gent’man. Hab’ ihn angelächelt. Hätt’ mich nich’ so anstellen sollen, nichts iss passiert, mein Fehler …«

»Boggart«, sagte Adelia. Sie legte eine Hand an die Wange des Mädchens, damit es sie ansah. »Hör mir zu! Es war nicht dein Fehler. Es ist auch schon anderen passiert. Sir Nicholas ist einer von den Männern, die einen Dämon in sich tragen. Der Alkohol setzt ihn frei. Er hat dich angegriffen, aber es hätte auch jede andere sein können. Jede einzelne Frau, auch ich. Du hast nicht mehr Schuld als … ein Baum, der von einem Blitz getroffen wird.«

»Hab’ ich nich’?«

»Nein.«

»Das iss gut.« Sie klang unsicher.

»Boggart. Etwas ist dir passiert. Früher schon, meine ich. Magst du darüber reden?«

»Mir geht’s gut, Mistress. Ehrlich.«

»Nein, das stimmt nicht. Es könnte dir helfen, wenn du es mir erzählst.«

Boggart blieb nicht die Zeit, es sich zu überlegen. Jemand kam durch den Garten auf sie zu. Mistress Blanche ging sehr vorsichtig, um nichts aus der großen Tasse zu verschütten, die sie trug.

Sie sagte: »Ich dachte, das Kind könnte vielleicht eine Stärkung vertragen. Der Koch hat mir etwas Milch gegeben, und ich habe einen Schuss Branntwein hineingetan.«

Adelia musste Boggarts Hände aus Wards Fell lösen und ihr beim Trinken helfen.

»Es ist niemals schön, so etwas, die Männer sind merkwürdige Geschöpfe«, sagte die Hofdame in ihrer perfekten Redeweise. »Gott sei Dank hat er ihr nicht wehgetan! Man muss einfach darüber wegkommen.«

Adelia sah sie an. Die Frau sorgte sich um Boggart und hatte sich die Mühe gemacht, ihr etwas zu trinken zu bringen. Es war etwas Menschliches zu fühlen, fast eine Art schwesterliches Mitgefühl.

»Sie gibt sich selbst die Schuld, nehme ich an«, sagte Mistress Blanche.

»Ja.«

»Das tut man immer. Sagt ihr, das soll sie nicht.«

Das war ein Eingeständnis, das so unerwartet und aufschlussreich war, so ehrlich, dass Adelia instinktiv die Hand ausstreckte.

Mistress Blanche ergriff sie nicht. Kein Platz für frauliche Geständnisse. »Ich hatte Sorge um das Mädchen«, sagte sie, »und das solltet Ihr auch. Es wird kalt.«

Gemeinsam hoben sie Boggart auf die Beine und brachten sie zurück ins Gästehaus.

 

Vom Fenster aus hat Scarry sie beobachtet und leise gelacht.

Er hält ein silbernes Halskettchen mit einem Kreuz in der Hand, das er in den Spalt zwischen zwei unebenen Bodendielen fallen lässt.

 

Ulf zog die Brauen zusammen, als er vom Verschwinden von Adelias Halskette hörte.

»Komisch«, sagte er. »Lord Ivos Knappe hat mir erzählt, dass jemand das Gepäck durchsucht hat. Aber wohl ohne etwas zu stehlen.«

»Warum?«

»Vielleicht hat er nach dem hier gesucht.« Ulf klopfte auf das hölzerne Kreuz, das aus der Satteltasche seines Maultiers ragte.

»Das kann es nicht sein«, sagte Mansur. »Wenn der Dieb hinter dem Schwert her ist, würde er die Schatztruhen durchsuchen und nicht das normale Gepäck.«

»Würde er das wirklich? Würde er das? Vielleicht ist er schlau und denkt, der König weiß, dass die Truhen bei einem Angriff zuerst geplündert werden, worauf der alte Henry sein Ihr-wisst-schon-was deshalb woanders versteckt.«

Ulf hatte als Kind mit kriminellem Denken Bekanntschaft gemacht, aber das war jetzt zu spitzfindig für Adelia. »Wenn es derselbe Dieb ist, und wenn er statt der Juwelen der Hofdamen mein Halskettchen genommen hat, dann ist er ganz und gar nicht schlau.«

Die Unterhaltung wurde von Admiral O’Donnell unterbrochen, der auf seinem herrlichen Braunen geritten kam, begleitet von Deniz auf einem Esel. Wenn die beiden nicht gerade die für Seeleute eher seltene Gelegenheit ergriffen, mit Sir Nicholas oder Lord Ivo jagen zu gehen, ritten sie viel mit Mansur zusammen.

Deniz sagte nie auch nur ein einziges Wort, doch sein Master hörte nicht auf, Mansur nach den Sitten seiner Heimat zu befragen, Adelia Geschichten aus Irland und seinem Seefahrerleben zu erzählen und sich von Ulf über das Marschland Cambridgeshire aufklären zu lassen. Tatsächlich schien er besonders an Ulf interessiert.

»Ist das nicht ein interessanter junger Mann?«, fragte O’Donnell und sah Ulf hinterher, der zu seiner Gruppe zurückritt. »Ist er ein Freund von Euch?«

»Wie alle Pilger, hoffe ich«, antwortete Adelia.

»Ein gewöhnlicher Pilger ist er aber nicht, oder?«

»Nein?«, fragte Adelia und gab sich gelangweilt. »Was ist an ihm anders?«

»Nun ja, ich kann es nur schwer auf den Punkt bringen … Vielleicht fehlt ihm etwas vom heiligen Eifer. Ich würde sagen, er hat nicht das Gespür für des mysterium stupendum, das die meisten von ihnen beflügelt. Würdet Ihr mir da nicht zustimmen wollen?«

»Ich glaube, er verdächtigt Ulf, kein richtiger Pilger zu sein«, sagte Adelia grimmig zu Mansur, nachdem sie der Ire wieder verlassen hatte. »Warum kann uns der verflixte Kerl nicht in Ruhe lassen? Ich fange langsam an, mich zu fragen, ob er nicht hinter Excalibur her ist.«

»Ich glaube, er kommt wegen dir«, sagte Mansur.

»Unsinn, er schnüffelt herum.«

Der Araber zuckte mit den Schultern. »Wir haben nichts verraten.«

Aber Adelia hatte ein ungutes Gefühl.

Rowley war ebenfalls besorgt wegen des Verschwindens ihrer Kette. »Ich mag es nicht, dass du kein Kreuz um den Hals trägst.«

»Warum?«

»Jede Frau trägt eines, das sondert dich aus.«

Adelia seufzte. »Ausgesondert bin ich sowieso.«

Einen Augenblick lang sah er ihr in die Augen. »Für mich«, sagte er.

Lupus, mein Geliebter, ich glaube, ich habe Excalibur gefunden. Henry hat es seiner Kreatur gegeben, und die, gerissen, wie sie ist, hat es versteckt, arte perire sua. Der stinkende Hund, der immer um sie herum ist, stürzt sich mit einer Begeisterung auf den jungen Pilger, die er niemandem sonst entgegenbringt, ausgenommen ihrem Sarazenen und der tölpelhaften Zofe. Die stecken alle miteinander unter einer Decke. Und der Junge ist nie ohne sein grobes Kreuz. Ob es darin klappert, wenn man es schüttelt? Ich denke schon.

Richard soll es bekommen und uns so reich machen, wie er es versprochen hat, et genus et formam regis filius pecunia donat. Lass ihn damit Chaos anrichten, lass ihn seinen Vater damit morden, denn das ist es, was er sich insgeheim wünscht. Unser Ziel liegt anderswo.«

Das Vorankommen wurde schwieriger, als sie auf die große Straße nach Aquitanien kamen, denn die war die westliche Hauptroute Richtung Pyrenäen und voll mit Pilgern von und zum Grab des heiligen Jakobus in Compostela.

Plötzlich schwirrten hundert verschiedene Sprachen durch die Luft, durchsetzt mit religiösem Eifer und dem Geruch von Beifuß und ungewaschenen Körpern. Der Beifuß sollte gegen Müdigkeit helfen, und die Pilger stopften ihn sich unter die Kappen und in die Schuhe. Die Rückkehrer aus Spanien humpelten trotz des Krautes nach dem langen Marsch und trugen zum Andenken an den Apostel eine Muschelschale mit sich, den Ausdruck geistiger Erhebung auf dem Gesicht. Dorfbewohner kamen aus ihren Häusern, um ihren Segen zu erbitten und die Hände zu küssen, die das heilige Grab berührt hatten.

Die auf dem Weg nach Compostela gebärdeten sich lauter, schrien Hallelujas und priesen Gott, den Herrn, dafür, dass ihre Sünden bald vergeben sein würden. Manche geißelten sich auch, manche tanzten und manche waren eindeutig wahnsinnig, manche barfuß.

Irgendwann umringte eine Gruppe völlig heruntergekommener Gestalten Joannas Kutsche und schrie, sie solle um ihres Seelenfriedens willen mit ihnen kommen. Captain Bolts Männer waren bereits drauf und dran, die Pilger mit der flachen Seite ihres Schwerts zu vertreiben, doch da zeigte die Prinzessin, was in ihr steckte, stand auf und warf Münzen unter die Pilger.

»Ich habe die Pilgerfahrt bereits gemacht, ihr guten Leute, und bin gesegnet worden. Nehmt diese Almosen, und möge Gott euch vorantragen!«

Adelia interessierte sich vor allem für diejenigen, die ihre kranken Verwandten auf Handwagen vor sich herschoben, damit der heilige Jakobus sie heilte. Mit ihrer Arzttasche ging sie zu ihnen, um ihnen zu helfen, wurde jedoch meist abgewiesen. »Höflichen Dank, aber er heilige Jakobus wird uns heilen, wenn wir zu ihm kommen.«

»Lass sie!«, riet ihr Mansur. »Es sind zu viele.«

Es stimmte, doch Adelia ertrug es nicht, sich von den Ärmsten so einfach wieder abzuwenden, und Mansur musste sie zurück aufs Pferd zwingen, sonst hätten sie den Anschluss verloren.

 

In nächsten Kloster beobachtet Scarry sein Opfer hoch oben aus einem Fenster.

Da geht sie auf den Hof, um sich dem faulenden Fleisch der Pilger zu widmen. Und ihr geiler Bischof geht mit ihr, vorgeblich, um Trost und Almosen zu spenden, in Wahrheit aber, um an ihrer Seite zu sein.

Ja, ich höre dich, Geliebter. Wir nähern uns Aquitanien. Es ist an der Zeit, das Morden zu beginnen.