Kapitel sieben

Adelia dachte immer, dass sie mit dem ersten Bischof von Poitiers gut ausgekommen wäre, trotz der acht Jahrhunderte, die zwischen ihnen lagen. Er war ein unabhängiger, belesener Denker gewesen, ein ruhiger, bescheidener früher Heiliger, und er hatte eine Frau und eine Tochter gehabt. Damals hatten Priester noch heiraten dürfen.

Im Übrigen dachte sie, dass jemand, der sich bei seinem Übertritt zum Christentum Hilarius hatte taufen lassen, sicher jemand war, den zu kennen ein Vergnügen gewesen wäre.

Während sie jetzt hinter der Kutsche der Prinzessin herritt, konnte sie glauben, dass Poitiers niemals die Freundlichkeit verloren hatte, die der heilige Hilarius – oder Saint Hilaire, wie er heute genannt wurde – der Stadt hinterlassen hatte. Die Glocken läuteten zur Begrüßung, und die winkenden Menschen an den sich windenden, ansteigenden Straßen, die Joanna vorbeifahren sehen wollten, zeigten wirkliche Freude darüber, dass sie das Volk ihrer Mutter besuchte. Sie war ihre Prinzessin. Aus den vorspringenden Fenstern flogen dem Mädchen getrocknete Rosenblätter und Zuneigung entgegen. Seit ihren Kindertagen war sie den Bürgern der Stadt vertraut.

Eine Woche sollten sie hier verbringen, und Adelia war froh darüber, so schnell sie nach Sizilien und wieder zurück nach England kommen wollte. Mensch und Tier waren erschöpft und dünnhäutig. Alle brauchten eine Pause.

Als sie das Plateau im Herzen Poitiers’ erreichten, hörte Adelia von Joanna das wohlige Stöhnen eines Menschen, der zurück in seine Heimat kam. Die Abendsonne tauchte die weißen Steintürme und die Fassaden der Häuser in ein rosa schimmerndes Ocker und machte aus dem Wasserlauf rund vierzig Meter unter ihnen ein ruhiges, von Weiden gesäumtes Band aus Amethyst.

Adelia verspürte Mitgefühl mit der exilierten, in England eingesperrten Frau, deren Lieblingssitz diese Stadt gewesen war. Eleonor hatte Poitiers ihren unauslöschlichen Stempel aufgedrückt. Denn wer, wenn nicht Eleonor, hatte die Bäume auf den öffentlichen Plätzen gepflanzt, die noch im Herbst so schön waren? Die verspielten Brunnen mit den nackten Figuren errichten lassen, die ihren ersten Mann, den frommen Ludwig, zweifellos schockiert hätten? Und wenn die Kathedrale, deren Bau sie und Henry begonnen hatten, auch noch nicht fertig war, so war die Fassade doch bereits ein Wunder der Steinmetzkunst. Sie erzählte die Geschichte der Bibel, und es musste Eleonors Einfluss zu danken sein, dass zwischen allem ein kleiner Jesus zu sehen war, der in so etwas wie einem Bad saß und von Schafen bewacht wurde.

Nur ein paar Kilometer entfernt hatte Karl Martell, der fränkische Hausmeier, im Jahr 732 der muslimischen Flut Einhalt geboten, die das fränkische Königreich unter sich zu begraben drohte, und dieses vor der Eroberung gerettet. Das war damals ein Wendepunkt für ganz Europa gewesen, und Poitiers war stolz darauf, was allerdings, wie Adelia fürchtete, Mansurs Anwesenheit in der Stadt zu einem Ärgernis werden lassen konnte, besonders unter den naiveren Gemütern, und die ebenfalls eher einfach denkenden Brune und Edeva würden alles tun, um Öl ins Feuer zu gießen.

Im Gegensatz zu Henry, dem Jüngeren kam Richard Plantagenet nicht gelaufen, um seine Schwester zu begrüßen. Er war, wie Adelia auf den ersten Blick sah, kein impulsiver Jungsporn. Wie ein in Gold gekleideter Koloss stand er an der Tür zu Eleonors Palast, prachtvoll wie sein Bruder Henry, aber größer und behäbiger, körperlich wie geistig.

Die beiden Brüder verstanden sich nicht. Die Revolte gegen ihren Vater hatten sie zwar gemeinsam angezettelt, aber als die drei ihren Frieden machten und der englische König Henry, dem Jüngeren befahl, seinem Bruder Richard zu helfen, die aquitanischen Aufständischen zu besiegen, da war Henry geflüchtet und hatte sich lieber seinen Turnieren gewidmet.

Ein einziger Blick auf Richard sagte Adelia, dass dieser, der tatsächlich der Jüngere war, sollte es je zu einem offenen Krieg zwischen den beiden Brüdern kommen, den Sieg davontragen würde.

Nachdem er sich vor Joanna verbeugt und ihr die Hand geküsst hatte, klang seine tiefe Stimme über den Hof: »Hier ist meine geliebte Schwester, die Prinzessin von meinem Blut. Ihre Freunde sind meine Freunde, und wer versucht, ihr ein Leid anzutun, wird die Kraft meiner Faust erfahren.«

Das war unnötig, dachte Adelia. Wer sollte diesem Kind schon etwas antun wollen?

Joanna aber sah ihren Bruder anbetungsvoll an und wurde, ihre Fingerspitzen auf seiner Hand, in eine Halle geführt, die größer und beeindruckender war als alle Hallen, die Adelia je gesehen hatte.

Das Gastmahl dort an diesem Abend spiegelte ebenfalls Eleonors Geschmack wieder. Henry hätte es sicher nicht zugesagt.Jeder Gang war durchdacht. Es gab keinen Wildschweinkopf ohne Hauer und einen Apfel im Maul, keinen Pfau ohne seine gefächerten Schwanzfedern, keine Auster ohne eine Perle. Zudem war alles von einer Frische, die einen denken ließ, das Tier oder die Frucht habe gestern noch in dieser üppigsten aller Landschaften gelebt und sei erst heute geschlachtet oder geerntet worden. Jugendliche Ritter waren den weiblichen Gästen gegenüber in der Überzahl, was Eleonor ebenfalls gefallen hätte, mochte sie doch männliche Bewunderung, besonders von Jüngeren.

Ihrem Sohn ging es offenbar genauso. Zwar wurde neben Joanna auch den Hofdamen die Ehre zuteil, zusammen mit den Bischöfen von Winchester und St. Albans, bei ihm am Kopf der Tafel zu sitzen, aber auch den gut aussehenden Locusta holte er heran, ohne dass es durch dessen Stellung oder Titel zu rechfertigen gewesen wäre. Locusta schien es unangenehm, so ausgezeichnet zu werden.

Vielleicht, dachte Adelia, will Richard ja mit ihm die Pläne für den Rest der Reise nach Sizilien besprechen.

Oder? Wenn der Herzog die Ladies ansprach, was er durchaus charmant zu tun verstand, blieb sein Blick stumpf, schwatzte er aber mit seinen Rittern, redete mit Locusta oder nahm einen Teller von seinem niederknienden Pagen, einem schlanken, hübschen Jungen, frischte sich sein Ausdruck unversehens auf.

Adelia saß in der Mitte eines der langen Tische unterhalb des Podiums, und ihr Blick fing den ihres Geliebten auf. Fragend hob sie die Brauen.

Er zuckte kaum merklich mit dem Kopf. Ich glaube, ja.

Einen Moment lang war das geheime Verständnis zwischen ihnen so groß, dass sie nichts anderes zu denken vermochte. Wieder fragte sie sich: Warum habe ich ihn nicht genommen, als er mich gefragt hat? Du Närrin, oh, du Närrin, und jetzt sieh uns an!

Sie bekam sich wieder unter Kontrolle und richtete ihre Gedanken erneut auf den jungen Herzog von Aquitanien. Wenn sie und Rowley recht vermuteten, befand sich Richard in einer schrecklichen Lage. So wie er zu empfinden, war in den Augen der Welt nicht nur eine Sünde, sondern ein Verbrechen: Was für eine Qual, zu sein, was er nicht sein durfte und sicher nicht sein wollte. Vielleicht konnte sein verzweifeltes Bedürfnis, seine Seele zu retten und seinen missbilligenden Gott zu beschwichtigen, tatsächlich nur dadurch befriedigt werden, Sein Banner in die Hand zu nehmen und Seine Feinde zu töten.

Richards Begrüßung Mansurs und Adelias war kalt und höflich gewesen. Wahrscheinlich um seinen Vater nicht zu verletzen, hatte er dem Araber einen Platz vergleichbar mit dem Doktor Arnulfs gegeben.

 

In der Kühle der Nacht gehen zwei Männer durch den Garten, der einst Eleonor von Aquitanien gehört hat. Sie unterhalten sich. Der eine von ihnen wirft einen massigen Schatten, der sich immer wieder über den des anderen schiebt.

»Das Schwert gehört mir«, sagt er. Er hält seine Stimme gedämpft, aber sie hat Gewicht und Autorität. »Wer sonst bin ich, wenn nicht Artus’ Erbe? Wer sonst wird es dazu benutzen, unseren gütigen, gnädigen Gott vor Seinen Feinden zu schützen?«

»Ich weiß, wo es ist, und Ihr sollt es bekommen, sobald wir Palermo erreichen, Mylord«, sagt der andere Schatten. »Denn Ihr seid in der Tat sein rechtmäßiger Besitzer. Ohne Euch wird das Christentum in die Finsternis stürzen und die Heiligen Orte werden für immer verloren gehen. Euer Vater weigert sich, es zu ihrer Verteidigung zu erheben.«

»Er soll ihn den König nennen!« Richard mag seinen Vater hassen, aber alles, was Henry Plantagenets Königlichkeit mindert, mindert auch ihn.

»Der König, natürlich«, sagt Scarry entschuldigend. Und dann: »Es ist würdig und recht, dass Ihr es bekommt, denn wenn Ihr die Unwürdigkeit derer sähet, denen es anvertraut ist, würdet Ihr weinen.«

Er macht eine Pause, weil er neben sich ein Schluchzen hört. Richard Löwenherz weint. Er weint leicht, oft weiter in der Kirche.

Nach einer rücksichtsvollen Pause fährt Scarry fort: »Es zu nehmen heißt, es vor weiteren tausend Jahren der Vergessenheit zu retten.«

In der Dunkelheit neigt Scarry den Kopf ein wenig und lauscht dem Echo der eigenen Worte, die er in die Oktoberluft hinausschickt. Das klang sehr gut, ganz und gar nicht wie ein Diebstahl.

Er nimmt den Faden wieder auf: »Wenn die Zeit gekommen ist …« Das ist ein Euphemismus für den Tod Henrys II. Beide Männer wissen das. »Wenn die Zeit gekommen ist, soll es so sein, als wäre es gerade wiederentdeckt worden. Und diese Hand …« Wieder eine Pause, während der kleinere Schatten im größeren aufgeht und Scarry die königliche Hand küsst. »Diese Hand, die gesegnete, von Gott gesegnete Hand kann dann Excalibur erheben, sodass die Irrgläubigen überall in wirrer Angst vor ihm fliehen, zurück in die Grube, aus der sie gekommen sind.«

»Ja«, sagt Richard. »Ja. Es ist würdig und recht, dass es so sei. Es hat nichts Erniedrigendes, dass es für den Ruhm Gottes geschieht.«

»Das hat es nicht.« Mit einem zarten Husten bewegt sich Scarry vom Göttlichen zum Finanziellen. »Und … äh … ich hatte Ausgaben.«

»Er wird bezahlt wie versprochen. Bei Lieferung. Und jetzt lass er mich allein!«

Mit einer Verbeugung geht Scarry davon, und als er sich noch einmal umsieht, ist der Koloss auf die Knie gefallen, hebt die gefalteten Hände zum Himmel und fleht um was? Um Absolution? Um Erlösung von dem Dorn, der sein armes Fleisch so quält?

»Du betest zum falschen Herrn, Idiot«, sagte Scarry leise und verschwindet in der Schwärze, aus der er gekommen ist.

 

Auch wenn sich die Nächte bereits kalt zeigten, waren die Oktobertage in Aquitanien doch warm, und Joanna tauchte in ihr altes Leben ein, war wieder Kind, tollte durchs Herbstlaub und spielte mit Gleichaltrigen Blindekuh. Sie war ganz offensichtlich kerngesund und überließ ihre Ärzte sich selbst.

Bei all dem kam das leibliche Wohl nicht zu kurz. Es gab genug Schlafzimmer, sodass Adelia eines für sich hatte, nur zu teilen mit Boggart und Ward, und – oh, Freude – es hatte einen eigenen Abort. Das extra Bad für die Damen war ein marmornes Bassin von fast sieben Metern Länge, und jeder kleine Beistelltisch lag voll mit Früchten und Naschereien.

Auch die Geräusche änderten sich. Die Aquitanier im Hochzeitszug waren bei ihrer Ankunft in Poitiers gleich in ihre Muttersprache gefallen, die langue d’oc, die durch den Palast hallte, als würde er von einer Brise aus einem anderen, exotischeren Kontinent erfüllt. Die langue d’oc unterschied sich so sehr vom normannischen Französisch, dass selbst Adelia, die sich Sprachen aneignete, wie Sand Wasser schluckte, erst einige Schwierigkeiten damit hatte. Bald jedoch schon erinnerte sie sich an ihre Besuche in den okzitanischen Tälern Italiens und den Dialekt, den die Leute dort sprachen, und schon vermochte sie die Laute zu bilden und sang in der Kirche zusammen mit den anderen die okzitanische Version des Paternoster: »Paire de Cèl, Paire nòstre, sanctificat lo tue Nom …«, ganz wie eine Frau aus dem Languedoc.

Die wahre Magie der Sprache fand sich jedoch nicht im kirchlichen Gesang, sondern in den Liedern von der Liebe zu einer Frau. Über Balustraden gebeugt, an Statuen lehnend, seufzend zu ihren Lauten und Gamben singend, fanden sich junge Nobelmänner, in denen Eleonor die Tradition der höfischen Liebe wachgerufen hatte. Jede edle Dame wurde da angesungen, und stets ging es um Liebe ohne Hoffnung auf Erfüllung.

Wohin immer sie gingen, umkreiste eine Schar junger Männer Lady Beatrix, Lady Petronilla und Mistress Blanche wie ein Schwarm bunter Vögel, die um eine Handvoll verschüttetes Korn herumflattern.

Adelia zog zu ihrer Überraschung einen eigenen Troubadour an, der wenigstens zehn Jahre jünger war als sie. Sie fragte sich, ob Sir Guillaume zu unreif war, zu entflammt oder zu dumm, um zu begreifen, dass sie nicht nur nicht von Stand, sondern in der gerade angekommenen Reisegesellschaft zudem noch so etwas wie eine Persona non grata war. Vielleicht hatte sich an diesem berauschenden, verzauberten Ort niemand die Mühe gemacht, es ihm zu sagen.

Es war durchaus nicht unangenehm, durch die Kräutergärten zu streifen, um ihre Vorräte aufzufrischen, und dabei von einem jungen Mann verfolgt zu werden, der zum Klang seiner Gambe schwor, vor Liebe zu ihr zu vergehen.

Rowley gefiel es natürlich weniger. Er stürzte auf sie zu. »Und was ist der kleine Schleimer, wenn er zu Hause sitzt?«

Gesegnet sei er, dachte sie. Er kann immer noch eifersüchtig sein. Wie befriedigend!

Sie sagte: »Das ist Sir Guillaume de Chantonnay. Ich finde, er singt sehr schön.«

»Wirklich? Ich habe schon wohltönendere Wiesenknarren gehört.« Damit stapfte er davon.

Praktisch die einzige Person, die sich mit Poitiers und dem Palast nicht anfreunden konnte, war Vater Guy. Er war außer sich über die spirituelle Lässigkeit im Spiel, hasste die Lieder, die nicht Gott, sondern den weiblichen Körper priesen, sah Verdammnis im Puder, der Farbe, den tief ausgeschnittenen Kleidern und herunterhängenden Ärmeln der Frauen, die damit lächerlich lang wurden, und natürlich auch in den kurzen Röcken der jungen Männer, die sehen ließen, wie stramm die Hosen auf den Hinterbacken saßen.

Er beklagte sich wortreich und geriet noch mehr aus der Fassung, als er begriff, dass sein geistlicher Bruder zu genießen schien, was er um sich herum sah. »Willst du deine Hoffnung auf das Paradies in Gefahr bringen?«, schrie er Vater Adalburt an, als er ihn spät noch mit ein paar von Richards Rittern beim Würfelspiel überraschte.

»Aber diese ehrwürdigen Gentlemen haben mich gebeten, mit ihnen zu spielen«, jammerte Vater Adalburt.

»Natürlich haben sie das, du Narr. Du verlierst ständig.«

Adelias einziges Bedauern war, dass sie keinen Kontakt zu Ulf hatte. Die Pilger waren für die Dauer des Aufenthalts in einem Kloster außerhalb der Stadt untergebracht. Dafür war es schön, Locusta öfter zu sehen, der nicht ständig zwischen den Reisenden und dem Quartier für die nächste Nacht hin- und herreiten musste.

»Ihr solltet versuchen, mehr Ruhe zu finden«, erklärte sie ihm. »Ihr fangt schon an, etwas käsig auszusehen.«

Locusta verzog das Gesicht. »Die Ruhe habe ich nicht vermisst.« Er sah sich um, um sicherzugehen, dass ihnen niemand zuhörte. »Um ehrlich zu sein, Mistress, hatte ich gehofft, die Bekanntschaft mit einer Dame hier in der Stadt erneuern zu können. Sie war sehr, hmm, gastfreundlich zu mir, als ich mit meinem Onkel durch Poitiers gekommen bin, aber der Herzog legt großen Wert darauf, mich in seiner Gesellschaft zu haben.« Wieder sah er sich um. »Ganz unter uns, mich den ganzen Tag im Schwertkampf zu üben und die Stechpuppe zu attackieren, ist nicht unbedingt das, was ich mir unter Ausruhen vorstelle, und kurzweilig ist es auch nicht gerade.«

Adelia hatte Mitleid mit ihm. Sie lächelte. »Vielleicht sollte Mylord Mansur Euch morgen für sich beanspruchen, damit Ihr ihm die Apotheken der Stadt zeigt, und Ihr könntet Euch dann davonstehlen.«

»Mistress«, sagte Locusta, »dafür wäre ich ihm ewig dankbar.«

Aber Adelia sollte diejenige sein, die sich davonstahl …

Am nächsten Tag nahm Captain Bolt sie beiseite. »Ihr werdet etwas suchen, wo Ihr Eure Tinkturen und Medizinen herstellen könnt, Mistress. Es gibt da ein hübsches kleines Haus am Fluss, das sich bestens dafür eignet.«

»Danke, Captain, aber das ist nicht nötig.« Der Koch des Palastes hatte ihr einen Platz in einer seiner Küchen überlassen, wofür sie sich mit einem Zaubernusstrank gegen seine unreine Haut revanchierte.

»Doch, das ist es, Mistress«, wiederholte Bolt.

»Nein, ich …« Sie sah seinen Blick. »Nun, vielleicht schon.«

Es war ein sehr kleines und irgendwie baufälliges Haus, füchterlich zugig und feucht. Sein unteres Stockwerk war ein Bootshaus, und die blau gestrichenen Fensterläden der oberen Zimmer gingen auf einen knarzenden, verschnörkelten kleinen Balkon hinaus, von dem man auf einen ruhigen, verlassenen Teil des Flusses sah. Rückwärts gab es dazu noch ein winziges Nebenhaus, das als Küche diente.

Wem das Haus gehörte, fand Adelia nie heraus, aber für den Zweck, dem es jetzt dienen sollte, schien es perfekt, schließlich konnte man es, ohne gesehen zu werden, mit einem Boot erreichen.

Dennoch brachte sie die Situation in eine Zwickmühle, und plötzlich verlegen und sich ganz und gar nicht gut erklärend, sprach sie das Thema Mansur gegenüber an.

Der kam gleich auf den Punkt. »Du willst dort allein sein.«

»Nun, ja … und als Lord Mansur bist du sowieso viel zu nobel, um dich anderswo aufzuhalten als im Palast. Wenn wir zusammen in solch ein ärmliches Haus zögen, würde das nur zu Gerede führen, trotzdem mag ich dich nicht hier allein lassen. Herzog Richard ist dir nicht wohlgesonnen, das ist das eine, und dann darfst du ja nicht verstehen, was die Leute sagen.«

Aber wie es schien, waren die früheren, gelasseneren Herzöge Aquitaniens anderen Hautfarben und Religionen gegenüber weit toleranter gewesen als der heutige und hatten Araber, ja sogar Juden aus dem Osten mitgebracht, hilfreiche Bedienstete, die seitdem zum Palast gehörten, ob das Richard nun gefiel oder nicht.

»In der Bibliothek gibt es einen Gelehrten, den alten Bahir«, sagte Mansur. »Der wird mir Gesellschaft leisten. Wir werden zusammen Schach spielen. Er übersetzt arabische Texte, damit der Herzog mehr über Mohammeds Getreue erfährt, bevor er geht und sie hinmetzelt.«

Captain Bolt war bereits angeleitet, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Seine Männer bestanden aus einem wahren Sammelsurium von Nationalitäten, aber er hatte sie zu einer festen Truppe geformt, die allein Henry Plantagenet diente. Einer von ihnen wurde nun abgestellt, Boggart dabei zu helfen, Adelias Gepäck und Ausrüstung hinunter in das Haus zu tragen und dann im Bootshaus auf Posten zu gehen.

»Er ist verlässlich, Rankin heißt er, und er redet nicht«, sagte Bolt. »Das passt gut, denn er ist Schotte, und das meiste, was er sagt, versteht sowieso kein Mensch.«

Wahrscheinlich würde niemandem auffallen, dass sie und ihre Anstandsdame Boggart den Palast verlassen hatten. Fast alle von Eleonors Leuten waren bereits mit ihrer Königin in Poitiers gewesen und jetzt viel zu beschäftigt damit, alte Freunde zu besuchen und mit ihnen zu feiern, als dass ihnen das Fehlen eines einzelnen Paares aufgefallen wäre, das ihnen sowieso mehr oder weniger egal war. Und selbst wenn: Das Brauen von Tränken und Tinkturen war eine plausible Entschuldigung.

Als Adelia und Boggart ihr neues Heim reinigten, was äußerst notwendig war, hörten sie den Klang einer Laute, gefolgt von einer honigsüßen Stimme, die aus Richtung des Flussufers herüberdrang.

»Ich habe meine Dame auf ihrem Balkon gesehen,

wie sie Fische im Fluss fütterte,

gütig und fürsorglich,

aber mich füttert sie mit

einer weit leichteren Substanz.«

»Zum Teufel mit dem Kerl«, sagte Adelia. Sie trat auf den Balkon hinaus und versuchte Sir Guillaume zu verscheuchen.

Er winkte zurück.

Verärgert machte sie sich wieder an die Arbeit. »So viel zu unserer Abgeschiedenheit hier. Warum alarmiert er nicht sämtliche Glöckner der Stadt, wo er schon mal dabei ist.«

»Er singt aber schön, nich’?«, sagte Boggart.

»Das tut er wohl.« Adelia war beunruhigt. Da war noch jemand gewesen. Ein großer, schlanker Mann hatte von der anderen Flussseite zu ihrem Balkon herübergesehen, bevor er zwischen den Bäumen verschwunden war. Er hatte ausgesehen wie, nun sie war sich nicht sicher, aber er hatte ausgesehen wie O’Donnell.

Sir Guillaume sang weiter.

»Für dich, meine Dame, singen drei Vögel auf jedem Ast,

und doch machst du dir nichts aus meinem Lied.«

Der Refrain endete abrupt. Sie hörten einen Schrei und ein Platschen.

Während Boggart lief, um nachzusehen, was geschehen war, fragte Adelia die im Türrahmen erscheinende Gestalt: »Was hast du mit Sir Guillaume gemacht?«

»Ich hab ihn in den verdammten Fluss geworfen. Das wird seine Leidenschaft für dich dämpfen.« Und auf ihren besorgten Blick hin sagte Rowley: »Es ist ihm nichts passiert. Der Fluss ist da flach, und dieser Barde da ist nur etwas nasser als vorher. Wenn das denn geht.«

Boggart linste durch die Tür und nahm Ward mit ins kleine Nebenhaus.

»Der arme Sir Guillaume«, sagte Adelia.

»Ich bin der Arme. Diese Bruchbude zu mieten, kostet mich ein Vermögen. Jetzt komm schon aus deinen Kleidern!«

Sie seufzte. »Sir Guillaume drückt es so viel schöner aus«, sagte sie und hielt ihren Geliebten mit einem Kuss davon ab zu sagen, was Sir Guillaume sonst noch tun könne.

Das eine Bett im Schlafzimmer war voller Staub und ließ sie niesen, aber der Sonnenschein auf dem Fluss warf schwankende, fließende Spiegelungen auf die Decke, und sie liebten sich wie in einem Traum.

Hin und wieder fanden sie Zeit zum Reden.

»Richard tut mir leid«, sagte sie.

»Ich hätte mehr Mitgefühl, wenn er mehr Verständnis für die Sünden anderer Menschen hätte. Wenn er uns hier so sähe, würde er uns in die Grube werfen und denken, er hätte Gott einen weiteren Dienst erwiesen.«

»Ich frage mich, wie es Allie geht.«

Jetzt seufzte er mit ihr. »Ich auch.« Und dann: »Ich werde nachts zurück in mein keusches Bett müssen. Ich kann mich nur nachmittags mit unmoralischen Frauen treffen. Übrigens predigt Vater Adalburt heute Abend in der Kathedrale. Kommst du hin?«

»Ganz sicher.«

Von Zeit zu Zeit übernahmen es die Geistlichen, den Bischof von Winchester von seiner Pflicht zu entbinden, die Predigt zu halten. Vater Adalburt kam nur selten an die Reihe, weil sowohl Vater Guy als auch der Bischof selbst seine Predigten für peinlich hielten. Dennoch kamen immer alle in Scharen, wenn die Reihe an ihm war.

Nicht zum ersten Mal fragte sich Adelia, ob der Mann wirklich so dumm sein konnte, wie er aussah, was sie jedoch nicht davon abhielt, sich von ihm unterhalten zu lassen.

An diesem Abend übertraf sich Vater Adalburt selbst. Sein Thema war das Wunder der heiligen Reliquien. »Als wir im edlen Poitou waren, habe ich die Gelegenheit ergriffen, Saint-Jean-d’Angély zu besuchen, wo der ehrwürdige Kopf des Schutzheiligen des Klosters liegt, der Kopf Johannes des Täufers.«

Er strahlte die versammelte Gemeinde an. »Wie kann das sein, mögt Ihr Euch fragen, denn wird der Kopf dieses großen Heiligen nicht auch in Antiochia verehrt? So fragte ich denn den Prior von Saint-Jean-d’Angély: ›Wie kann das sein?‹ Und so antwortete er mir, den lieben Schädel in die Hände nehmend: ›Siehe, du Suchender der Wahrheit, das hier ist der Kopf des heiligen Johannes als junger Mann. Der Schädel in Antiochia ist der des gereiften Johannes.‹«

Adelia schloss vor Wonne die Augen.

 

Bis zum erneuten Aufbruch verblieben noch vier Tage.

Obwohl die beiden um Zeit beteten wie ein Paar, auf das der Galgen wartet, wurde Rowley viele Stunden durch seine Pflichten ferngehalten. Adelia verbrachte sie mit Boggart und Ward im maroden Nebenhaus, zerstieß Wurzeln, kochte Kräuter und wartete auf seine Rückkehr.

Und während dieser Stunden wuchs der Verdacht, den Adelia schon seit längerem im Kopf mit sich trug, zur Gewissheit.

Wie alle anderen Frauen, die Joanna begleiteten, hatte auch Adelia während der Reise Probleme damit, ihre Menstruationsbinden zu wechseln und zu waschen. Manchmal mussten sie unterwegs mehrmals gewechselt werden, was nur im Geheimen geschehen durfte, da die Männer, die kaum etwas von den Funktionsweisen des weiblichen Körpers ahnten, nicht erfahren durften, dass die Frauen einmal im Monat bluteten. So mussten Strategien wie etwa kleine Ausflüge in den Wald erfunden werden, es gab bedeckte Eimer mit kalten Wasser, um die Binden einzuweichen, und einiges Fluchen aus weiblichem Mund.

An all diesen Dingen hatte Boggart nicht ein einziges Mal teilgenommen.

Es konnte nicht länger hinausgeschoben werden. »Wann wird dein Baby kommen, Boggart?«, fragte Adelia sie wie nebenhin.

Eine Schüssel, in der das Mädchen Blumen und Thymianblätter zerstoßen hatte, um einen Aufguss zu bereiten, der ironischerweise Mistress Blanche bei ihren Monatsbeschwerden helfen sollte, fiel zu Boden und zerbrach.

Boggart ging es ähnlich. »Mistress, oh, Mistress, seid Ihr sicher, dass es das iss? Ich wusste nich’ und war so voller Angst. Ich hab’ gehofft, es wär’ was andres und ich bin krank.«

Adelia lächelte. »Ich bin ziemlich sicher, dass es ein Baby ist.«

»Bei Gott, das wollte ich nich’. Was mach ich jezz? Vergebt mir, Mistress, vergebt mir!«

»Basilikum«, sagte Adelia mit fester Stimme. »Wo hast du die Basilikumtinktur hingestellt?« Mit einer Hand nahm sie das Fläschchen und einen Löffel und schob Boggart mit der anderen vor sich her ins Haus hinüber, setzte sie hin und flößte ihr zwei Löffel des Gebräus ein, das die Geister belebte. Dann setzte auch sie sich auf den Boden und legte die Hände um die Knie. »Also los!«, sagte sie. »Erzähl mir, wie es dazu gekommen ist.«

Es gab nichts, was Boggart zu vergeben gewesen wäre. Es war die uralte Vergewaltigungsgeschichte, oder zumindest doch Nötigung durch den Gutsherren, in diesem Fall Lord Kenilworth, zu dessen Familie Boggart als Waise gekommen war.

»Er sagte, ich muss. Lieg still, hat er gesagt, und schrei nich’, sonst verlier ich die Stellung und er schickt mich auf die Straße.«

Deswegen hatte das Mädchen auch so panisch auf Sir Nicholas’ Avancen auf ihre Schuhe reagiert. Jede deartige Annäherung durch einen Mann erinnerte sie an ihre Vergewaltigung.

Boggart hatte Angst gehabt, jemandem davon zu erzählen, ihre Stellung aber trotzdem verloren, weil Lady Kenilworth das Grunzen ihres Mannes gehört hatte und in den Stall gekommen war.

Diese Dinge passierten in den besten Familien, ja sie wurden geradezu erwartet. Lady Kenilworth befand sich jedoch in verletzlicheren Position, weil sie auch drei Jahre nach der Hochzeit noch kein Kind auf die Welt gebracht hatte und Lord Kenilworth, der unbedingt einen Sohn wollte, langsam ungeduldig wurde.

Um ihre Ehe fürchtend und aus Angst, dass ihr Mann in extremis einen Bastard als seinen Erben adoptieren könnte, hatte die Frau Boggart nicht nur entlassen, sondern gleich auch dafür gesorgt, dass das Mädchen nicht im Land sein würde, wenn es das Kind bekam. Sie hatte ihre Schwägerin Lady Petronilla, die kurz davor stand, in die Normandie aufzubrechen, angefleht, Boggart außer Landes zu schaffen.

Lieber Gott, dachte Adelia, in welche Abgründe uns die weibliche Hilflosigkeit führt! Ich hab’ gehofft, es wär’ was andres und ich bin krank. Adelia fragte sich wütend, was wohl geschehen wäre, wäre Lady Petronilla Boggart nicht an sie losgeworden. Hätte die Ärmste dann irgendwann verlassen in der Fremde gestanden? Allein auf weiter Flur, ohne Freunde?

»Wann ist es passiert?«, fragte sie. »Wann ist er über dich hergefallen?«

»War nich’ nur einmal«, schluchzte die arme Boggart, »aber das erste Mal war’s am Tag des heil’gen Anselm.«

Das Mädchen war also irgendwann ab April geschwängert worden, was bedeutete, dass sie vielleicht schon im siebten Monat war, was ihre weiten Kleider und ihr ansonsten dünner Körper bisher verborgen hatten.

Boggart ging auf die Knie und hob flehend die Hände. »Schickt mich nich’ weg, Mistress! Wohin soll ich denn? Ich versteh doch nich’, was diese Ausländer sagen!«

Adelia schaute sie groß an. »Warum sollte ich dich wegschicken?«, fragte sie und fügte gleich noch an: »Ich mag Babys.« Das stimmte. Sie bedauerte in vieler Hinsicht, dass sie und Rowley nicht noch ein Kind bekommen hatten, so heikel es hätte werden können. Adelia tätschelte dem Mädchen die Hand. »Wir bekommen es zusammen.«

Woraufhin Boggart völlig zusammenbrach und von Adelia auf einen Stuhl gesetzt werden musste, bis sie alles glaubte und sich wieder fasste.

Wie sich dann herausstellte, waren Rowley und Adelia nur drei Tage vergönnt.

Spät am Abend des dritten Tages tauchte Soldat Rankin in der Tür des kleinen Nebenhauses auf, wo Adelia und Boggart gerade damit fertig waren, einen Hustensaft abzufüllen und sich fürs Bett bereit machten. »Ihrmüsstjezzgleichzumpalast«, sagte er. Er war grauhaarig, sah wild aus und hatte ein Gesicht wie eine zerdrückte Steckrübe. Den beiden Frauen gegenüber war er durchaus freundlich, aber Captain Bolt sagte, als Kämpfer verbreite er Angst und Schrecken, was ihm Adelia ohne Einschränkung glaubte.

»Äh?« Sie hatte Schwierigkeiten, den unartikulierten schottischen Dialekt des Mannes zu verstehen.

Boggart, die besser damit zurechtkam, übersetzte: »Ich glaube, er will uns im Palast.«

»Jezz.«

»Jezz«, sagte Boggart.

Ward hinter sich, erreichten die das Tor zum Palast, als die Wächter es gerade schließen wollten. Captain Bolt erwartete sie. Er trug eine Laterne in der Hand und fasste Adelias Arm. »Es gibt Ärger in der Wäscherei, Mistress. Ihr geht besser gleich hin. Lord Mansur wird Euch brauchen.« Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Der Mylord Bischof ist schon dort.«

Er führte sie in ein unterirdisches Gewölbe, wo die Wäscherinnen alles hatten, was sie für ihre Arbeit brauchten, eine riesige dunkle Kaverne mit Säulen, welche die Decke über einem mächtigen Becken stützten.

Hier hatten die Wäscherinnen der Prinzessin nachholen können, was die manchmal primitiven Einrichtungen der verschiedene Unterkünfte nicht zugelassen hatten. (Brune hatte Locusta nie das Kloster außerhalb von Alençon vergeben, wo die Mönche noch im Fluss wuschen und ihre Kleider reinigten, indem sie mit Steinen darauf schlugen.)

Wäsche und Kleider hingen an zwischen den Säulen aufgespannten Leinen, und Captain Bolt musste sie zur Seite drücken, um Adelia und Boggart in die Ecke hinüberzugeleiten, wo sich etliche Leute im Schein mehrerer Laternen um eines der enormen eisernen, auf einem Kohlenbecken stehenden Waschfässer versammelt hatten. Ward war immer noch hinter ihnen, blieb jetzt stehen und trippelte zur Seite.

Rowley war da, genau wie Vater Guy und Mansur, dazu kamen zwei Palastwachen und eine von Brunes jungen Wäscherinnen, deren Schluchzen wie ein Schluckauf durchs Gewölbe hallte. Die oberste Wäscherin konnte sich, wie es schien, nicht mehr beklagen.

»Wir waren mit dem Waschen an der Reihe, nachdem die Wäscherinnen des Palastes fertig waren«, sagte das Mädchen. »und dann waren wir fertig und sind nach oben gegangen, und sie kam, um uns ins Bett zu scheuchen, wie sie’s immer tut, und dann geht sie noch mal runter und sieht, dass alles für den Morgen bereit ist, so wie sie’s immer tut … getan hat, oh Gott, sei ihrer armen Seele gnädig.«

»Und?«, fragte Vater Guy mit scharfer Stimme.

»Als sie nicht wieder zurückkam, bin ich runter, um zu sehen, warum, und da lag sie mit ihr’m armen Kopf im Bottich. Schrecklich war das, Master, schrecklich.«

Brunes Körper lag auf dem gefliesten Boden, ihre durchnässte Haube war verschoben, sodass es aus ihren Haaren auf das ebenfalls nasse Leibchen tropfte. Ihr Rock war trocken.

»So?«, fragte Rowley und beugte sich mit dem Kopf nach unten über den Rand des Fasses.

Die junge Frau nickte. Sie presste sich ihr Waschbrett wie einen Schild vor die Brust. »Ich hab’ sie nicht rausbekommen, Master. Hab’s wieder und wieder versucht, aber sie war so schwer, also bin ich gerannt, Hilfe holen, und der da …«, sie nickte zu einer der Palastwachen hin, »der hat sie aus dem Bottich raus, aber da war sie schon tot. Gott sei ihrer Seele gnädig! Heilige Mutter Maria, sei ihr gnädig!«

»Warum ist dieses Fass voll, Kind?« Vater Guy klang anklagend. »Es muss eine Untersuchung durchgeführt werden, bevor wir sie wegbringen, und es müssen Gebete gesprochen werden.«

Der Geistliche war sich unsicher und warf giftige Blicke auf Mansur. Er wollte den Körper einer Christin keinem Ungläubigen überlassen. »Lasst mich Doktor Arnulf holen!«

»Wenn Ihr es wollt und er bereit ist, aus dem Bett zu steigen … was ich allerdings sehr bezweifle. Bitte, Captain«, Rowley wandte sich an Bolt, »wenn Ihr diese junge Dame in den Speiseraum bringen und dafür sorgen wolltet, dass sie ein Glas Branntwein bekommt. Und ihr zwei …«, das ging an die Palastwachen, »ihr holt eine Trage.«

Bevor er ging, wandte sich Vater Guy noch an Adelia. »Wie ich höre, habt Ihr mit dieser armen Frau gerade erst gestritten, Mistress.«

»Macht das jetzt noch etwas?«

»Ich hoffe, das tut es nicht, Mistress. Ich hoffe, das tut es nicht.«

Höflich, aber bestimmt drängte der Captain den Geistlichen Richtung Treppe, einen Arm um die kleine Wäscherin gelegt, die immer noch schluchzte und das Waschbrett an sich gedrückt hielt.

»Fremdeinwirkung?«, fragte Rowley, als die anderen weg waren.

»Ich bin nicht sicher.«

»Dann untersuche sie, und beeile dich!«

Adelia überlegte einen Moment lang, ob Boggart auch gehen sollte, aber das Mädchen gehörte jetzt gleichsam zur Familie, und da konnte es auch gleich sehen, was für eine Arbeit da getan wurde.

»Pass auf, Boggart!«, sagte sie. »Ich versuche jetzt herauszufinden, wie diese Frau gestorben ist.«

Sie kniete sich neben die Leiche, hielt kurz inne und richtete ihr Bittgesuch an die Tote: Vergib mir und erlaube deinem armen Fleisch, mir zu sagen, was deine Stimme nicht mehr sagen kann.

Das Kinn zeigte bereits erste Anzeichen der Totenstarre, und der rote Fleck auf der Oberlippe der toten Frau war eindeutig durch Reibung entstanden.

Mit schnellen Bewegungen begann Adelia Brunes Kleider zu öffnen und achtete nicht weiter auf das entsetzte Luftholen Boggarts.

An beiden Oberarmen waren dunkle blaue Flecken zu sehen. »Hmm.«

»Nun?«, fragte Rowley ungeduldig.

Auch ihm schenkte sie keine Beachtung. Beide Augen waren geschlossen. Wahrscheinlich war das einem der Leute zu verdanken, die sich um die Tote versammelt hatten. Es gab nichts Nackteres als die starrenden Augen einer Leiche.

Adelia hob ein Augenlid, dann das andere. Sie musste an zwei Tote denken, einen alten Mann und ein Kind, die unabhängig voneinander zu ihrem Pflegevater gebracht worden waren, damit er sie untersuchte. Beide hatten einen ähnlichen Abrieb auf der Oberlippe gehabt wie Brune. Beide waren auf unnatürliche Weise zu Tode gekommen, wie er herausgefunden hatte.

Rowley und Mansur unterhielten sich leise, aber sie beachtete sie nicht. Sie versuchte der Toten das Mieder herunterzuziehen, doch es war zu fest geschnürt. Adelia sah Boggart an. »Hilf mir, sie umdrehen!«

Das Mädchen schrak zurück. »Oh, Mistress, das iss nich’ richtig, was Ihr da tut.«

Adelia war wie immer ziemlich dünnhäutig, wenn sie in ihrer Konzentration auf eine Leiche gestört wurde. Laut erwiderte sie: »Nicht richtig? Es ist nicht richtig, was mit dieser Frau geschehen ist, und ich muss herausfinden, was es war. Sie ist schwer. Hilf mir sie umdrehen!«

Erschreckt tat Boggart, was ihr gesagt wurde. Ihre Herrin war noch nie böse mit ihr gewesen.

Adelia fuhr durch das graue Haar der Wäscherin und fand Blut. Sie untersuchte die Wunde, schnürte das Mieder auf und öffnete es. Die Zickzackspuren auf dem Rückgrat zeigten, wo sich die Schnüre in die Haut gegraben hatten. »Hmm. Jetzt drehen wir sie wieder um«, sagte sie.

Der Körper lag wieder auf dem Rücken, Boggart wimmerte, und Adelia legte Brunes große, weiße Brüste frei. Sie boten keinen Hinweis.

»Beeil dich, in Gottes Namen!«, zischte Rowley. »Sie kommen sie gleich holen. Was sagst du?«

Ohne Hast hob Adelia Brunes Rock und spreizte die Beine. Nein, der vaginale Bereich war unberührt.

Langsam setzte sie sich zurück auf ihre Fersen. »Ich bin ziemlich sicher, dass sie nicht ertrunken ist, Rowley. Ich würde natürlich gerne die Lunge öffnen …«

»Aber ja, eine Leichenöffnung würde hier äußerst gut ankommen«, sagte der Bischof mit zusammengebissenen Zähnen. »Natürlich kannst du sie nicht sezieren. Sag mir in Gottes Namen einfach, was geschehen ist!«

Adelia sah auf. »Ich denke, sie wurde erstickt. Jemand hat ihr von hinten auf den Schädel geschlagen – Mansur, sieh nach, ob du eine Waffe finden kannst – und dann, als sie wankte, hat er sie zu Boden gebracht und sich auf ihre Arme gekniet. Sieh die Blutergüsse da und da. Dabei hat er ihr etwas auf den Mund gedrückt, etwas Raues, daher die Abschürfungen auf er Oberlippe.«

»Das hier vielleicht?« Mansur hatte ein grobes Handtuch auf der Erde gefunden. Eine der Klammern, mit der es an der Leine gehangen hatte, hing noch daran, als wäre das Tuch schnell heruntergerissen worden.

»Das ist gut möglich. Und sie hat Blut in den Augen, was typisch für einen Erstickungstod ist.«

»Also war es Mord«, sagte Rowley.

Boggart ließ ein kurzes Quieken hören.

»Ich fürchte, ja.«

»Muss ein starker Kerl gewesen sein. Sie ist eine massige Frau.«

»Er hat sie mit etwas Schwerem, Kantigem auf den Kopf geschlagen, vielleicht dem Griff eines Schwertes, und sie so außer Gefecht gesetzt …« Adelia sah Mansur an, aber der schüttelte den Kopf. Er hatte keinen entsprechenden Gegenstand gefunden. »Aber ja, er war kräftig. Ich bezweifle, dass eine Frau dazu fähig gewesen wäre. Sie hat sich gewehrt, die Ärmste, daher die Abschürfung an ihrer Oberlippe.«

Adelia schloss die Augen und stellte sich die Szene vor, das wilde Hin-und-her-Werfen des Kopfes, die hilflos tretenden Beine. »Und dann hat er sie hochgehievt, über den Rand des Fasses gelegt und ihren Kopf ins Wasser gedrückt. Wahrscheinlich, weil er uns glauben machen wollte, sie hätte einen Schlag erlitten, sei nach vorne gefallen und ertrunken.«

»Verdammt«, sagte Rowley mit kräftiger Stimme. »Und jetzt bring ihre Kleider wieder in Ordnung!«

»Aber der Sheriff, der Schultheiß oder wer auch immer muss die Verletzungen erst sehen. Wie wird das hier in Aquitanien gehandhabt?«

»Wir handhaben das so, dass wir diese Frau jetzt wieder genauso herrichten, wie wir sie gefunden haben. Nun mach schon!«

Sie verstand nicht, warum er so verärgert klang, und auch nicht, warum er und Mansur sich ansahen, als wüssten sie etwas, von dem sie keine Ahnung hatte. Aber es war tatsächlich nicht schicklich, dass der Körper der Toten so offen dalag. Der Sheriff, der Untersuchungsrichter, wer immer es am Ende sein mochte, konnte sie vor dem Aufbahren selbst untersuchen.

Und so brachten Adelia und Boggart Brune wieder in einen ziemlichen Zustand.

Die Palastwachen kamen mit einer Bahre, hoben die mit dem Mantel des Bischofs bedeckte Leiche darauf und trugen sie weg.

Rowley ging nicht mit ihnen. Stattdessen fasste er Adelias Kinn und sah ihr in die Augen. »Sie ist ertrunken, Liebling. Brune ist ertrunken.«

»Was redest du da?«

»Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, wer sie getötet haben könnte?«

Adelia sah sich hilflos um. Abgesehen von dem Handtuch, dass der Mörder hatte fallen lassen, gab es nichts, und die nassen Fußabdrücke überall waren viel zu zahlreich, als dass sie ihnen einen Hinweis hätten geben können. »Nein … jemand … höchstwahrscheinlich ein Mann … Wir müssen gleich mit den Nachforschungen beginnen.«

»Wie viele Männer, denkst du, gibt es in diesem Palast?«

Langsam wurde sie böse. Er machte ihr Angst. »Mehr, als in dieses Gewölbe dürfen. Das sind sicher nur ein paar.«

»Denkst du? Ist dir die Treppe aufgefallen? Der Eingang liegt versteckt und um diese Zeit völlig verlassen da. Jeder, nicht nur die Dienerschaft, könnte sich hier reinschleichen.«

»Was nicht heißen muss, dass ihn keiner gesehen hat, Rowley. Wir müssen uns umhören.«

»Nein, das müssen wir nicht!« Er fasste sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Weißt du, wie lange das dauern würde? Und was, wenn es Dinge nach sich zieht?«

Sie war verwirrt. »Das macht nichts. Ich will auch keine Verzögerung, aber hier läuft ein Mörder frei herum …«

»Nein, tut er nicht. Es handelt sich schlicht und einfach um einen Fall von Ertrinken, einen Unfall.«

Er versteifte sich. Von der Treppe hinter den Vorhängen aus Wäsche waren Stimmen zu hören. Die Offiziellen hatten ihren Auftritt. »Schnell, bring sie hier weg, Mansur! Erkläre es ihr! Ich bleibe. Geh mit ihnen, Boggart!«

Boggart und eine immer noch wie betäubte Adelia wurden in eine dunkle Ecke hinter ein Betttuch gezogen. Mehrere Leute stolperten durch das Wäschelabyrinth auf Rowley und die Laternen zu. Sie hörte die tiefe Stimme des Truchsesses und dann Lady Beatrix: »Oh, das meine ich, absolut verheerend. Sich zu ertränken, wie rücksichtslos von der Frau. Damit bringt sie Joanna so in Verlegenheit. Niemand versteht wie Brune, Flecken aus Stickereien herauszubekommen.«

Und Lady Petronilla: »Was ist das für ein Geruch?«

Adelia, die fürchtete, sie könnten Ward gerochen haben, der vor ihren Füßen kauerte, hielt den Atem an, aber die Ladys liefen vorbei, ohne sie zu sehen. »Oh, Mylord Bischof, da seid Ihr. Ist es hier geschehen? Wie schrecklich, schrecklich schaurig.«

»Gehen wir?«, flüsterte Mansur.

Sie schlichen hinaus. Rowley hatte recht, die Treppe führte zu einem verlassenen Gang.

Es war auch niemand in Eleonors Garten, wo sich Adelia weigerte weiterzugehen. »Willst du die Obrigkeit informieren, oder soll ich es tun?«

Mansur führte sie sanft zu einer Bank und setzte sich neben sie. Boggart hockte sich in die Nähe, hielt sich an Ward fest und sah sich nervös zu den Büschen um, als müsste jeden Moment ein Mörder zwischen ihnen auftauchen.

Die Stimme des Arabers war wie der Schrei einer Fledermaus in der Finsternis. »Sie hat dich beleidigt. Sie werden sagen, dass du sie umgebracht hast. Oder dafür gesorgt hast, dass sie sich selbst bringt.«

Adelia blieb der Mund offen stehen. »Wovon redest du da? Ich war ja nicht mal hier. Die Palastwache hat mich hereinkommen sehen. Captain Bolt …«

Mansur fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt. »Dass du sie tot sehen wolltest und sie oder jemand anderen dazu gebracht hast, die Tat zu vollbringen.« Er nahm ihre Hand. »Wir sind ihnen fremd, du und ich. Sie sagen, diese Reise wird von Unglück begleitet, der Bischof von Winchester spricht von kaum etwas anderem. Ich höre das alles, weil sie denken, ich verstehe sie nicht, und ich spüre die Unruhe. Dreimal warst du jetzt auf jemanden wütend, erst auf dein Pferd Juno …«

»Ich war doch nicht wütend auf mein Pferd!«

»Dann auf Sir Nicholas.«

»War ich nicht!«

»Und zuletzt auf Brune.«

»Brune war wütend auf mich.«

»Und alle drei sind unter merkwürdigen Umständen zu Tode gekommen. Das Pferd frisst Gift, der Ritter wird bei der Jagd von einem Speer getroffen, die Frau ertrinkt.«

»Die können doch nicht glauben, dass ich einen von ihnen getötet habe. Ich war immer anderswo.«

»Du musstest nicht da sein, du hast es veranlassst. Oder ich. Das Pferd, der Ritter, beide wurden umgebracht. Wenn Brunes Tod jetzt für einen Unfall gehalten wird, mögen sie den Umstand, dass sie uns beleidigt hat, für einen Zufall halten, aber Bischof Rowley will nicht, dass ihr Tod Aufmerksamkeit erregt. Es ist so schon schlimm genug. Es wird Gerede geben, die Leute sind abergläubisch.«

»Das ist doch Unsinn! Warum sollte ich ihr den Tod gewünscht haben? Aus welchem Grund?«

»Warum sollte ein anderer ihr den Tod wünschen? Und da liegt der Grund: Sie hat nur uns öffentlich beleidigt.«

Sie folgte seiner fernen, hohen Stimme, als wanderte sie durch dichten Nebel, unfähig zu sehen, in welche Richtung es ging. »Wie sollen wir denn jemanden dazu gebracht haben, sie für uns zu töten? Oder sie selbst dazu, den Kopf ins Wasserfass zu stecken? Aus der Ferne?«

»Mit Hilfe von Hexerei.« Er sagte es sanft, wie er alle Dinge sanft aussprach, und doch schwappten seine Worte wie ein Schwall Fäulnis über sie. Es warf sie um, und sie hielt die Hände über den Kopf, so wie sich die kleine Wäscherin hinter dem Waschbrett verschanzt hatte. Gegen das Böse.

Hexerei. Ständig, seit sie Salerno verlassen hatte, wo sie wussten, wer sie war und was sie tat, und wo sie dafür geachtet wurde, ständig aufs Neue hatte sich seitdem der Aberglaube an ihren Fersen geheftet, sodass sie ihr Talent und das Wissen, das ihr geschenkt worden war, um der Menschheit damit zu dienen, hinter zermürbenden, ermüdenden Kunstgriffen und Tricks verstecken musste. Sie war es so leid.

Aber es gab eines, was sie deswegen nicht tun würde. Sie senkte die Arme und setzte sich auf.

»Das ändert nichts«, sagte sie. »Jemand hat Brune umgebracht, sie haben ihr das Leben genommen, das Leben, Mansur. Ihr Körper hat es mir zugerufen, ihre Seele hat es gerufen. Ich kann und will nicht erlauben, dass ein Mord ignoriert wird.«

»Sie war keine nette Frau«, sagte Mansur stur.

»Sie ist ermordet worden. Sie hat gelebt. Die Zeitspanne, die Gott uns gewährt, ist ihr genommen worden. Ob sie nett war oder nicht, tut nichts zur Sache.«

»Sie werden denken, jeder, der uns in die Quere kommt, wird mit einem Fluch belegt.«

»Sie ist ermordet worden.« Adelia stand auf. »Ich gehe zum Truchsess und werde ihm sagen, was geschehen ist.«

Mansur rührte sich nicht. »Nein.« Er sagte es ganz ruhig.

Adelia drehte sich um und starrte ihn an. »Du kannst mich nicht aufhalten.«

»Ich werde sagen, dass du dich irrst. Die Frau ist ertrunken, es war ein Unfall. Ich bin der Arzt, Rowley ist der Bischof. Wir werden gegen dich aussagen.«

Das nahm ihr die Luft. Dieser Mann hatte sich sein ganzes Leben lang um sie gekümmert und sie verteidigt. Nicht ein einziges Mal hatte er sie zurückgewiesen. Würde er das wirklich tun? Und würde Rowley das tun? Konnte sie sich auf den höchsten Turm des Palastes stellen und »Mord!« rufen, nur um anschließend für verrückt erklärt zu werden, weil Rowley und Mansur es abstritten? War sie so ohne eigene Autorität?

Indem sie sich dem Aberglauben unterwarfen, mit dem andere sie überzogen, schlugen sich diese beiden Männer, ihre beiden Männer, auf die Seite des Feindes, zerstörten alles, was vernünftig war, und überließen dem Irrtum und der Verirrtheit das Feld. Es war bereits geschehen. Ohne die beiden war ihre Aussage nicht mehr als das Quäken einer Verrückten.

Ein fürchterliche Trauer überkam sie, über Brune und über Vernunft und Wissenschaft, die immer gegen Aberglauben und Unvernunft verloren.

Mansur, der sie kannte, sagte: »Es ist auch zu meinem Besten. Ein Sarazene ist immer ein Hexer. Wäre Gyltha hier, würde sie das Gleiche sagen.«

Sie konnte seine Gegenwart nicht mehr ertragen, und sie ging, um zu weinen und ihrer Wut in den Schatten der Nacht freien Lauf zu lassen. Wie eine verlorene Seele durchstreifte sie Eleonors Garten.

Immer noch auf seiner Bank hatte Mansur angefangen, auf Boggart einzureden, auf Englisch und endlos, wie es schien, erklärte er ihr, wer er und wer ihre Herrin war, was sie taten und was sie getan hatten. Und warum.

Das Geräusch seiner Worte war für Adelia nicht mehr als das Zirpen einer Grille. Sie lief immer weiter. Sie hatte sich noch nie einsamer gefühlt.

Nach einer langen Weile fasste sie eine Hand beim Ärmel. »Lasst uns nach oben geh’n, Mistress, Ihr braucht Euern Schlaf.«

»Hältst du mich für eine Hexe, Boggart?«

»Nu …« Boggarts Augen wanderten nach allem, was sie von Mansur über die Geschichte und den Beruf ihrer Herrin erfahren hatte, immer noch verstört hin und her, und sie konnte nur ehrlich sein. »Vielleicht, Mistress. Aber ich mein’, da sie ’ne weiße sind …«

Es war zu spät, um ins Haus am Fluss zurückzukehren, die Tore des Palastes waren verschlossen. Unbemerkt betraten die beiden Frauen die große Halle und stiegen die Treppe zu den Zimmern der Ladies hinauf.

In der Düsternis waren Knappen und Dienerschaft dabei, sich in den Mauernischen ihre Nachtlager zu bereiten. Aber noch nicht alle schienen müde. Im Licht einer einzelnen Fackel, die in einem Ständer mitten in der Halle steckte, vergnügten sich etwa dreißig Ritter und Höflinge trinkend beim Würfelspiel.

Als Adelia das obere Ende der Treppe erreichte und in Richtung ihres Zimmers ging, ließ einer der Spieler nach einem glücklichen Wurf einen Jauchzer hören und rief: »Mirabile visu.«

Adelia erstarrte. Das waren die Worte, die genau diese Stimme mit genau diesem Jubel einst im Wald zwischen Glastonbury und Wells gerufen hatte, als ihr zwei wild umhertollende, in Blätter gekleidete Gesetzlose angedroht hatten, sie zu vergewaltigen und in Stücke zu reißen. Excalibur hatte einen von ihnen getötet, nein, sie hatte einen getötet.

Und der andere?

Boggart stand neben ihr, besorgt.

»Was iss, Mistress?«

Nein, das war er nicht. Er konnte es nicht sein. Captain Bolt und seine Männer hatten den Wald gesäubert, alle ohne jede Ausnahme gevierteilt und die einzelnen Stücke an die Bäume gehängt.

»Was ist denn, Mistress?«

»Ich dachte gerade … dass da ein Mann namens Scarry …« Sie nahm sich zusammen. »Aber das kann nicht sein. Er ist tot.«