Kapitel neun

Sowohl das Haus als auch der Stall gingen in Flammen auf. »Genau wie ihr verdammten Katharer, wenn wir euch erst einmal abgeliefert haben«, versicherte der Anführer der Soldaten ihnen.

»Wir sind keine Katharer«, erklärte ihm Adelia und bemühte sich, ruhig zu bleiben, wobei sie sich bewusst war, dass sie und Boggart das Haar wie Katharerfrauen zurückgebunden hatten und die schwarzen Kleider trugen, die Aelith ihnen geliehen hatte.

Wenn sie sich damit von Ermengarde absetzte, tat es ihr leid, aber es musste sein. Sie sagte nur die Wahrheit, und sie musste an die anderen denken. Sie sagte: »Wir stehen im Dienste von König Henry Plantagenet, und es wird ihm mächtig missfallen, wenn uns etwas zustößt.«

»Ihr seid verdammte Katharer, sonst nichts«, sagte der Kerl und spuckte aus. »Und wohin wir gehen, das ist kein Plantagenet-Land.«

Zu diesem Zeitpunkt war noch nichts von Mansur, Ulf oder Rankin zu sehen gewesen, und Adelia war voller Angst, man könnte sie umgebracht haben. Dann kamen mehr Männer den Hang herauf, und aus ihrer Mitte hörte sie die mehrsprachigen Flüche Mansurs, Rankins Gälisch und das gute Sumpflandenglisch von Ulf, der seine Häscher verfluchte und verlangte, dass sie ihm in Gottes Namen sein Kreuz zurückgäben.

Den Gefangenen waren die Hände mit Stricken gefesselt worden, und die hingen an den Sätteln von drei Maultieren.

Es war schwer zu sagen, wie viele Soldaten an dem Überfall beteiligt waren, weil ihr Anführer gleich einen Teil von ihnen losgeschickt hatte, um Aelith zu verfolgen. Sieben waren noch da, und im Schein der Fackeln sah Adelia raue Bauerngesichter und Waffenröcke mit einem kirchlichen Wappen. Die Männer sprachen ihren Führer mit »Arnaud« an und hatten einen starken okzitanischen Akzent.

Adelia fragte, wohin sie gebracht werden sollten und warum, bekam aber keine Antwort wie Ulf mit seinen Drohungen, Henry werde allen das Gedärm herausreißen, die sich an ihnen vergriffen. Die Männer verstanden ihn sowieso nicht.

Auf Arnauds Zeichen hin setzten sich die Maultiere in Bewegung, und die Stricke zogen sich fester um die Handgelenke der sechs Gefangenen. Der Marsch begann.

Der Berge waren selbst für die Tiere zu unwegsam, als dass sie schneller als im Schritttempo hätten gehen können, und noch jedes so kleine Rucken am Strick schickte einen scharfen, stechenden Schmerz von Adelias gebrochenem Schlüsselbein durch ihren Körper. Zudem hatte sie beim Kampf einen Schuh verloren, und nun stachen ihr ständig Dornen in den rechten Fuß.

Ein gelegentlich vorbeiwehender, tröstender Geruch sagte ihr, dass Ward sich unbemerkt an sie gehängt hatte. Aber wer sollte ihm folgen? Rowley war unterwegs nach Carcassonne.

»Gehen wir nach Carcassonne?«, fragte sie.

Niemand antwortete ihr. Arnaud hatte Schweigen befohlen.

 

Verraten. Jemand hatte Ermengarde und Aelith verraten, und es konnte jeder gewesen sein, ein Bauer, der eine Belohnung wollte,, der die Katharer hasste. Und er oder sie hatte die anderen mit in den Verrat hineingezogen.

Wer immer diese Söldner waren, die sie gefangen genommen hatten, sie kannten die Berge gut. Meist benutzen sie breite Wege, wichen aber hin und wieder von ihnen ab, sodass die Beine der Gefangenen von dornigem Gesträuch zerkratzt wurden, das nach Thymian und Fenchel roch. Der Klang von Hufschlägen kündigte die Rückkehr der Männer an, die nach Aelith gesucht hatten. »Wir haben sie verloren«, berichteten sie Arnaud. Ermengarde ließ einen Triumphschrei hören und bekam einen Schlag ins Gesicht.

Als die Fackeln heruntergebrannt waren und sie im Licht des Mondes weiterziehen mussten, kamen sie kaum noch voran. Während der ganzen Zeit, und obwohl sie immer wieder geschlagen wurde, damit sie endlich Ruhe gebe, schickte Ermengarde lange, zuversichtliche katharische Gebete zum Himmel.

Adelia sah zu Boggart hinüber, die an das Maultier neben ihr gebunden war. Als der Weg zu rau wurde und das Mädchen hinfiel, schrie Adelia den Reiter an: »Verdammt seist du! Pass auf die Frau auf, sie erwartet ein Baby.« Zu ihrer Überraschung stieg der Mann ab und hievte Boggart an seiner Stelle auf das Maultier. Arnaud ritt vorne und merkte es nicht.

Es war unmöglich zu sagen, in welche Richtung sie gingen oder auch nur die Zeit zu schätzen. Alles reduzierte sich auf die Notwendigkeit, nicht zu stolpern, auf den Beinen zu bleiben und sich weder Durst noch Angst zu ergeben.

Wann würde es Tag werden? Wann hörte dieser endlose Marsch auf?

Plötzlich rief Arnaud, er wolle vorausreiten, um »ihnen zu sagen, dass wir kommen.« Er gab seinem Maultier die Fersen und verschwand in der Dunkelheit. Als er weg war, bewies der Mann, der Boggart gegenüber solche Sorge gezeigt hatte, seine Menschlichkeit ein weiteres Mal und befahl eine Pause, um den Gefangenen zu trinken zu geben. Das Wasser war warm und abgestanden, und der Ledersack, in dem es war, stank übel, aber oh, es war wunderbar.

Der Marsch ging weiter.

Endlich nahmen die Berge vor ihnen im schwachen Licht der noch weit hinter dem Horizont weilenden Dämmerung zerklüftete Formen an. Soweit es zu erkennen war, umgaben sie eine ansehnliche Stadt.

Figères? Nein. Rowley hatte gesagt, Figères sei kaum größer als ein Dorf. Die Hoffnung zog herauf, dass es Carcassonne sein könnte, eine der größten Städte des Languedoc, in die auch Rowley wollte. Allerdings hatte sie gedacht, Carcassonne liege auf einer Ebene.

Sie hörte Ermengarde »Aveyron« sagen, als sei etwas in ihr ausgelöscht worden, und einer der Männer lachte.

Die Stadt erwachte gerade, als sie ihre Außenbezirke erreichten. Eine Frau kam aus einem Haus, leerte einen Nachttopf und rief ihre Familie, damit alle sahen, wer da vorbeikam. Fensterläden flogen auf, und Fragen, Hunde und Kinder begleiteten die Gefangenen einen gewundenen, gepflasterten Weg hinauf zu einem Platz, der von Häusern beträchtlicher Größe umgeben war. Adelia sah einen großen Turm und Kuppeln, die an graziöse Topfdeckel erinnerten und sich vor der aufgehenden Sonne abzeichneten. Immer noch weiter hinauf ging es zu einem weiteren Platz, wo Boggart von ihrem Maultier gehoben wurde. Die Stricke, mit denen sie gefesselt waren, wurden durch Ketten ersetzt, und sie wurden in eine prächtige, von Säulengängen gesäumte Halle geführt, wo eine Reihe livrierter Diener mit Speisen in den Händen auf dem Weg in einen Raum auf der rechten Seite innehielt, um sie anzustarren. Die Gaffer wurden aber gleich von einem üppig gekleideten Haushofmeister mit dem Aufstampfen seines Stabes aufgefordert, ihre Arbeit nicht zu vergessen. Von einer Galerie hoch oben sahen ebenfalls Leute zu ihnen herunter.

In der Mitte der Halle saß ein in ein Priestergewand gekleideter Mann an einem Tisch, einen Schreiber neben sich. Ein Fluch war zu hören und ein Gerangel, und als Adelia sich umdrehte, sah sie, dass einer der Soldaten Ward im Nacken packte und nach draußen beförderte, worauf die Türen geschlossen wurden.

Ermengarde hatte ihren Mut wiedergefunden. Als sie vor den Tisch geschoben wurde, sprach sie den Priester freundlich auf Latein an. »Ave, Gerhardt«, und dann lauter auf Okzitanisch: »Ara roda l’aleha.« (»Die Biene summt wieder herum.«)

Es gab einen Lacher, der schnell unterdrückt wurde und dessen Echo es unmöglich machte zu sagen, woher er gekommen war.

»Vater Gerhardt für dich, Weib«, sagte der Priester auf Latein.

»Mein Vater ist im Himmel. Wollt ihr wieder disputieren? Großartig.«

Vater Gerhardt wandte sich an seinen Schreiber: »Ermengarde von Montauban, eine geständige Katharerin. Schreibe er!« Er hob den Kopf. »Oder bereust du, Frau?«

»Ich bereue nichts.«

»Du wirst angeklagt, Irrlehren zu verbreiten und den Edikten seiner Heiligkeit Papst Alexanders III. zuwiderzuhandeln. Die Strafe darauf ist der Tod durch Verbrennen.«

»Ich erkenne weder diese Edikte an noch Euren satanischen Papst. Ich habe nur die wahre christliche Lehre gepredigt.«

»Wir haben Zeugenaussagen.« Vater Gerhardt deutete auf eine Rolle vor sich.

»Großartig.«

Hör auf! Hör auf!, wollte ihr Adelia zurufen. Sie hatte die Rufe der ungebildeten Soldaten, die Haus und Stall angesteckt hatten – »brennen sollen sie wie ihr verfluchten Katharer« –, für die Drohungen von Großmäulern gehalten, jetzt wurde etwas ganz anderes daraus. Zweifellos befanden sie sich in den Fängen einer machtvollen Maschinerie, und der Mann vor ihnen meinte es ernst. Die Augen in seinem steinernen Gesicht waren das einzig Bewegliche an ihm, und in ihnen loderten Flammen.

Das können sie nicht, dachte sie. Nicht uns. Henrys Wut würde fürchterlich sein, wussten sie das nicht? Das mussten sie wissen.

Aber um sie herum erhoben sich die gleichgültigen Berge eines Landstrichs, in dem die Erlasse der Plantagenets nicht galten. Sie waren in die Geschichte einer Frau geraten, die nicht die ihre war. Es war ein Fehler, sie würden aus einem Fehler heraus sterben. Sie wollte, dass Ermengarde sich duckte und flüsternd Reue bezeugte, statt nach ihrer Hinrichtung zu schreien, nach ihrer und der ihrer Mitgefangenen.

Einer nach dem anderen mussten sie vor diesen Geistlichen treten, mussten ihre Namen nennen, den Geburtsort, und was sie von Beruf waren.

Erklärungen wurden damit abgetan: »Ihr seid Katharer, ihr wurdet dabei erwischt, wie ihr mit Katharern gemeinsame Sache gemacht habt.«

So sehr sie zitterte, versuchte Adelia Unwillen zu zeigen, als sie an die Reihe kam. »Es ist ein Schande, so behandelt zu werden. Wer seid Ihr? Wo sind wir hier?«

»Ihr befindet euch im Palast des Bischofs von Aveyron.« Der Priester hatte die schmalen, vorstehenden Züge eines Hundes, und sein Ausdruck deutete darauf hin, dass er eigentlich einen Maulkorb tragen müsste.

»Dann sagt Eurem Bischof doch bitte, dass wir unter dem Schutz des Bischofs von Winchester stehen, der mit Prinzessin Joanna in Figères weilt, sowie des englischen Bischofs von St. Albans, den Ihr in Carcassonne finden könnt. Wir stehen im Dienst von Henry Plantagenet und waren mit seiner Tochter unterwegs, bis …«

»Ihr seid Katharer, ihr wurdet dabei erwischt, wie ihr mit Katharern gemeinsame Sache gemacht habt.« Das war sein Mantra.

Mansurs Befragung war die kürzeste von allen. Es war egal, was er im Languedoc machte, Hautfarbe und Kleidung waren die eines, wenn auch anderen, Irrgläubigen. Er konnte gleich mitverbrannt werden.

 

Als die Befragung beendet war, nahm Vater Gerhardt seine Unterlagen und verließ die Halle. Durch den Speisesaal des Palastes gelangte er in einen Frühstücksraum, auf dessen Tisch Kristall und Gold glitzerten.

An der Decke des Raumes schimmerten von einem Meister gemalte Bibelszenen, und der Morgenmantel des Mannes am Tisch wirkte nicht weniger erlesen. Herbstliche Farben spiegelten die Kunst einer begabten Stickerin.

Der Bischof von Aveyron war ein dicklicher Mann mit schlauen Augen. Er nahm noch eine in Honig getauchte Feige und wischte sich die Finger an der Leinenserviette ab, die ihm im Kragen steckte. »Unser Informant hatte also recht?«

»Bis in die kleinste Einzelheit, Mylord. Ich denke nicht, dass wir ihr Versteck ohne ihn gefunden hätten. Zu unserem Bedauern konnte sie die Männer lange genug aufhalten, um ihrer Tochter die Flucht zu ermöglichen. Ich habe befohlen, sie zu verfolgen.«

Der Bischof machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist uns die Tochter wichtig? Ermengarde ist die, die wir wollten.«

»Und jetzt haben wir sie.«

Einen Moment lang erschauderten diese beiden so unterschiedlichen Männer in einer gemeinsamen Erinnerung: an eine schwarz gekleidete Frau, die sie auf dem großen Platz beide zu Narren gemacht hatte. Lasst mich in Ruhe, Ihr alten Männer! Gebt Euren Luxus auf oder hört auf zu predigen!

Und das Volk hatte gelacht. Es hatte sie beide ausgelacht. Den Bischof und den Priester.

»Darüber hinaus«, sagte Vater Gerhardt, »haben wir schriftliche Beweise gegen sie. Unsere Männer haben ihre Behausung durchsucht, bevor sie sie niedergebrannt haben, und das Evangelium in der langue d’oc gefunden.«

Der Bischof schüttelte traurig den Kopf: »Gerhardt, Gerhardt, will denn dieses Katharerübel niemals ein Ende nehmen? Was soll aus der armen lateinischen Geistlichkeit werden, wenn die Herde dem heiligen Wort in der eigenen Sprache lauschen kann?« Er streckte die Hand aus, um eines der weichen weißen Brötchen aus dem Korb zu nehmen, der gerade erst vor ihn hingestellt worden war. »Ihr und ich, wir werden um unser Brot betteln müssen.«

Vater Gerhardt zog die Brauen zusammen. Er wusste nie, ob sein Bischof ernst meinte, was er sagte.

»Ein Scherz«, rief der Bischof, als er die Falten auf Gerhardts Stirn sah. Das war das Problem mit den Priestern, die ihren Eifer direkt aus Rom mitbrachten: Sie hatten keinen Funken Humor.

»Ja, Monseigneur. Und die Fremden, die wir zusammen mit Ermengarde gefangen haben? Unser Handel mit dem Informanten war, dass wir dafür sorgen, sie der gleichen Strafe zuzuführen. Aber ich muss Euch sagen …«, Gerhardt redete nur widerwillig weiter, »dass sie auf ihrer Geschichte bestehen, allesamt im Dienst Henry Plantagenets zu stehen.«

»Und ist es so? Wer sind sie denn?«

Vater Gerhardt sah auf seine Liste. »Ein Junge, der behauptet ein Pilger zu sein. Das Kreuz, das er dabei hatte, wollte unser Informant haben, wenn Ihr Euch erinnert, und da es ohne jeden Wert ist, haben wir es ihm gelassen. Eine weibliche Bedienstete, die schwanger ist …«

Der Bischof wedelte mit seinem Buttermesser durch die Luft. »Die Schwangerschaft spricht sie nicht von ihren Sünden los. Wurzel und Ast, Gerhardt, Wurzel und Ast. Denkt daran!«

»Ja, Monseigneur. Dann gibt es noch einen Söldner, der eine Sprache spricht, die niemand versteht, dazu einen Sarazenen und eine Frau, die für ihn übersetzt.« Gerhardt blickte auf. »Sie ist die Frau, die unser Informant unbedingt brennen sehen will. Wenn die anderen mit ihr sterben, so sei es. Kein christlicher König würde solche Abwasserratten seiner Tochter zumuten.«

Der Bischof zuckte mit den Schultern. »Was das betriff, wäre ich nicht so sicher, nicht bei Henry Plantagenet. Nein, ich habe keinen Zweifel, dass sie das sind, was sie sagen.«

Vater Gerhardt war verblüfft, nicht so sehr, weil es tatsächlich so zu sein schien, sondern weil sich sein Bischof offenbar nicht darum scherte. »Und muss uns seine Meinung stören?«, fragte er. »Die Meinung eines Priestermörders?«

»Eines Priestermörders, der Buße getan hat für den Mord an Becket und wieder in Gnade steht.« Der Bischof schüttete sich ein weiteres Glas Wein ein und überlegte. »Ich frage mich vielmehr: Können wir es uns leisten, den König von England zu beleidigen?«

»Wenn wir es nicht tun, verlieren wir einen Spion im Herzen des königlichen Netzes. Im Übrigen, Monseigneur …« Gerhardts Eckzähne blitzten auf und zeugten von der Freude, mit der er den Trumpf zog, den er bisher zurückgehalten hatte. »Im Übrigen kann ich Euch berichten, dass sich der Bischof von Winchester und andere aus dem Gefolge der Prinzessin beschwert haben, der Sarazene und seine Übersetzerin seien Hexen. Sie sagen, die beiden hätten Verderben über sie gebracht, und sie wären nicht unglücklich, sie zu verlieren.«

»Hexen, was?« Das gefiel dem Bischof.

»Ja, Monseigneur. Offenbar hat die Sarazenenfrau Bischof Rowley von St. Albans einen Liebestrunk verabreicht, und er lechzt nach ihr und will kein Wort gegen sie hören.«

»Ich dachte, sie ist ohne Reiz?«

»Das stimmt, Monseigneur. Was beweist, welch eine gefährliche Hexe sie ist.«

»Eine Isebel«, sinnierte der Bischof. »›Und er befahl ihnen: Stürzt sie herab! Und die Diener gingen hin, fanden aber nichts mehr von ihr als den Schädel, die Beine und die Hände. Das ist das Wort des Herrn: Die Hunde werden das Fleisch Isebels fressen.‹ Ein sehr befriedigendes Ende, wie ich schon immer gedacht habe.«

»In der Tat, Monseigneur.« Gerhardt wollte sich nicht vom Thema abbringen lassen. »Zudem trägt diese Metze kein Kreuz, und sie und das Mädchen sind wie Katharer gekleidet. Die Zeit mit Ermengarde hat sie zweifellos infiziert.«

Der Bischof lächelte. Im gefiel das Prinzip des post hoc ergo propter hoc. Wie nützlich es doch war.

Vater Gerhardt hob flehentlich die Arme zum Himmel. »Wann, oh Herr, wirst Du uns diese Plage ein für alle Mal ausrotten lassen?«

Ja, wann tatsächlich?, dachte der Bischof. Immer strengere Edikte waren von Rom gegen die Katharer erlassen worden, seit über dreißig Jahren jetzt, aber zu einem Kreuzzug gegen sie wurde nicht aufgerufen. Dabei war es die einzige Lösung, sonst würden sie wahrhaftig eine Seuche werden. Eine neue Ordnung war vonnöten. Ein Mann, der auch gegen den Willen des Papstes das heilige Kreuz gegen die Katharer erhob, um Gottes gerechte Schlacht zu beginnen.

Nachts schwitzte der Bischof von Aveyron in der Seidenwäsche seines Bettes. War er erfolgreich, würde es ihn hoch hinauftragen, vielleicht sogar bis auf den Thron in Rom. Wenn nicht …?

Sich gegen die Zähne klopfend, betrachtete der Bischof das Bild des Paradieses an der Decke. Es gefiel ihm sehr. Der Künstler hatte nicht davor haltgemacht, auch Evas nackten Körper zu malen. »Dieser Informant, der ist verlässlich, oder?«, fragte er.

»Er ist ein wertvoller Mensch, Monseigneur. Wie ich sagte, hat er Zugang zu dem, was zwischen den englischen Bischöfen und dem König besprochen wird, und er wird auch in Sizilien sein, wenn St. Albans nach seinen Verhandlungen dort ankommt. Was zählt dagegen eine Hexe und eine Handvoll bedeutungsloser Irrgläubiger?«

Aber der Bischof von Aveyron hatte in seiner Vorsicht bereits einen Entschluss gefasst. Er war nicht zu dem geworden, der er heute war, indem er die Dinge übereilte.

»Dennoch sollten wir uns versichern. Der Plantagenet ist den Ungläubigen gegenüber zu nachgiebig, doch sein Arm reicht weit, und er führt ein gefährliches Schwert. Es gibt keinen Grund, ihn zu verärgern. Unsere Fühler, Gerhardt, wir werden unsere Fühler ausstrecken und zunächst nichts zu Endgültiges tun, in der einen wie in der anderen Hinsicht. Alles, was wir von den Vertretern der Prinzessin wissen müssen, ist: Wenn wir ein paar Irrgläubige in den Bergen aufgreifen und sie ihrem Ende zuführen, wird man sie dann vermissen? Oder passt es in die Situation?«

»Nach allem, was ich gehört habe, ist die Antwort: ›Nein, man wird sie nicht vermissen‹, Monseigneur.«

»Das ist auch meine Vermutung. Aber warten wir, bis wir sicher sind. Und was unsere Perfecta angeht, fahrt fort wie geplant!« Er lächelte wieder, und jetzt wusste der Priester, dass das, was der Bischof sagte, kein Scherz war. »Die ganze Stadt soll es miterleben.«

»Wo wollt ihr die anderen Gefangenen eingesperrt haben, Monseigneur? Im Verlies?«

Der Bischof klopfte sich wieder gegen die Zähne. »Nein, sie sollen sehen können, was sie erwarten mag. Lasst das Turmzimmer räumen, und bringt sie fürs Erste dort unter! Aber mit vertrauenswürdigen Wachen. Manchmal denke ich schon, die Ansteckung hat meinen eigenen Palast erreicht.«

Als Gerhardt gegangen war, schenkte sich der Bischof noch ein Glas vom edlen Tropfen seines Weinguts bei Carcassonne ein, und während er ihn langsam trank, malte er sich ein neues Bild Ermengardes aus, dieser schwarz gekleideten Spötterin auf einem Scheiterhaufen mit Reisigbündeln um sie herum.

Und er stellte sich vor, wie er eine Fackel ins Holz stieß, wie einen Penis, den er ihr zwischen die Beine rammte. Er seufzte, denn, ach, dieses Vergnügen musste er dem Scharfrichter überlassen. Eines Tages jedoch, ja, ja, ja, eines Tages würden die Flammen, die er entfachte, sie alle verbrennen … Männer, Frauen und Kinder.

Der Wein war wirklich ausgezeichnet.

 

Und Scarry? Der ist sehr beschäftigt gewesen.

Wie versprochen hat er die Jäger der Katharer zum Kuhstall geführt, hat Mansur, Rankin und Ulf sich vergeblich wehren sehen und beobachtet, wie die Frauen weiter oben am Hang gefangen genommen wurden. Dann hat er sich umgesehen und das Gesuchte in einer der Krippen gefunden: Ulfs hölzernes Kreuz.

Zurück in Figères, hebelt er ein paar der Nägel aus dem Holz, die es zusammenhalten. Er tut es leise, damit kein Laut aus der spartanischen Mönchszelle dringt, in der er untergebracht ist.

Er hebt das obere Stück an und wirft einen Blick in den entstandenen Spalt. Was er sieht, sorgfältig in Pferdehaar gewickelt, ist das mit schimmernden Amethysten besetzte Heft eines Schwertes. Unvorsichtigerweise lässt er ein befriedigtes Schnauben hören.

Gleich kommt ein Ruf aus der benachbarten Zellentür. »Ist dir nicht wohl, Bruder? Ich höre dein Stöhnen.«

»Mir geht es gut, Bruder, danke! Die Größe meines Gottes hat mich mitgerissen.«

»Amen und gute Nacht, Bruder!«

Als er die Nägel mit der Hand zurück ins Holz drückt, um nicht noch mehr Lärm zu machen, reißt er sich den Handballen auf, was er nur merkt, weil er das Blut riecht.

Er spürt kaum noch Schmerz, dieser Scarry. Dafür ist sein Geruchssinn viel besser geworden, und jetzt trägt ihn dieser zurück zu seinen Tagen im Wald mit Wolf, als sie ihr Wild durch alle anderen widerstreitenden Gerüche hindurch wittern konnten, aufspürten und mit ihm spielten, bevor sie es erlegten und in seinem aufgeschlitzten Wanst tanzten, ob es nun Mensch war oder Tier.

Er hebt die blutige Hand an die Nase, nur um sich des Geruches zu versichern.

Mit etwas Glück wird er bald den Geruch einer brennenden Frau genießen.

 

Adelia hatte ihren Fuß auf Boggarts Schoß und hoffte sehr, dass die Dornen, die das Mädchen herauszog, sie nicht mit etwas infiziert hatten.

Ulf lief rastlos auf und ab und ging allen auf die Nerven. »Da war noch so ’n Mistkerl mit im Stall, als sie uns überwältigt haben, und hat was gesucht. Ich denke, es war mein Kreuz.«

»Das wissen wir«, sagte Mansur müde. »Der einzige Trost ist, dass er nicht wissen wird, was in seinem Inneren steckt.«

Ulf sah ihn an. »Aber das tut er! Deshalb sag ich’s doch immer wieder, er hat danach gefragt. Er wusste es. Und er war nicht mehr bei denen, die uns über die Berge gebracht haben. Dünn gemacht hat er sich, nachdem sie uns sicher hatten.«

»Habt Ihr seine Stimme erkannt?«

»Nein. Der Bastard hat seinen verdammten Mantel vor sein verdammtes Maul gehalten.«

»Vergiss ihn, Junge!«, sagte Rankin. »Wir könn’n nichts mehr dran ändern. Spar’n wir uns die Luft, um unser parritch zu kühlen.«

Adelia hatte keine Ahnung, was dieses parritch sein sollte, aber sie war ihm dankbar. Der Schotte erwies sich als ein wahrer Fels, genau wie Mansur. Der Marsch über die Berge musste schwer für ihn gewesen sein, nachdem er so krank gewesen war, schwerer als für Ulf, der die Jugend auf seiner Seite hatte. Den ganzen Weg über hatte sie Rankin merkwürdige, unverständliche Flüche murmeln hören, und die Augen unter den buschigen, dunklen Brauen ließen keinen Zweifel daran, dass er seinen Peinigern, wenn er die Hände frei hätte, gewisse Glieder ausreißen würde. Ja, und was dazu noch seltsam tröstend auf Adelia wirkte war der Umstand, dass er in keiner Weise überrascht schien über die Situation, in der sie sich befanden. Vielleicht hatten ihn das Leben im schottischen Hochland und seine Zeit als Söldner im Dienste König Henrys abgehärtet gegen alles, was ihm zustoßen mochte.

Als sie sich verpflichtet fühlte, ihn zu trösten, hatte er ihr nur die Hand getätschelt und gesagt: »Jepp, nun, wie wir zu Hause sagen, mag aus ’m nebligen Morgen noch ’n klarer Tag wer’n.«

Ulf lief immer noch hin und her und ereiferte sich weiter. »Da war was an dem Kerl. Ich hab’ sein Gesicht nicht gesehen, aber so, wie er sich bewegt hat … Ich bin sicher, ich habe ich schon mal gesehen. Jesus Christus, wenn ich nur wüsste, wo!«

Das war eine rhetorische Frage, und er hatte sie schon so oft gestellt, dass sich niemand weiter darum kümmerte. Ulf gab auf und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden unverglasten Fenstern des Turmes zu. »Die sind groß genug, dass wir alle rauskönnten, trotz des Mittelpfostens«, sagte er, »wenn wir nur ’n Seil hätten.«

Aber sie hatten kein Seil, und eines der Fenster ging auf den Platz hinaus, der Schwindel erregende dreißig, fünfunddreißig Meter unter ihnen lag. Vom anderen ging es nur etwa halb so tief hinunter, aber auf ein Dach des Palastes.

Jetzt sah er wieder auf den Platz hinaus und fügte dem Hämmern und Sägen, das sie so deutlich hören konnten, seinen Kommentar hinzu.

»Die bauen ’n verdammtes Podium«, sagte er bitter, »wahrscheinlich, damit die feinen Herrschaften nichts verpassen. Gott, die bauen den Mistkerlen sogar ’n Stoffdach, damit sie keinen Regen abkriegen können. Warum hängen sie nicht gleich auch ihre Fahnen auf, wo sie schon mal dabei sind?«

Der Junge quälte sich selbst und die anderen, weil er Excalibur verloren hatte. Adelia wartete, bis Boggart ihr den Fuß mit einem Stück ihres Unterrocks verbunden hatte, und hüpfte zu ihm hinüber. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern. »Wir sind alle müde. Schlafen wir ein bisschen!«

»Bis jetzt ist es erst ein Scheiterhaufen«, sagte er.

Sie folgte seinem Blick aus dem Fenster. Der Scheiterhaufen stand in der Mitte des Platzes und beherrschte ihn wie ein Maibaum. Die Stapel Holz um ihn herum formten eine Plattform. Fünf weitere Haufen lagen Unheil verheißend vor einer Wand aufgestapelt.

»Wir also nicht«, sagte Ulf. »Noch nicht.«

»Es wird nicht soweit kommen. Wir haben ihnen gesagt, wer wir sind. Sie werden einen Boten zu Prinzessin Joanna oder Rowley geschickt haben. Ich habe ihnen gesagt, dass er in Carcassonne ist. Der Name König Henrys muss einiges Gewicht haben, selbst hier.«

»Wohin haben sie Ermengarde gebracht?«

»Ich weiß es nicht.« Die Katharerin war sofort nach der Befragung weggebracht worden.

»Welcher verräterische Dreckskerl hat denen bloß erzählt, wo sie war?«

Auch darauf hatte Adelia keine Antwort.

»Ich hab sie gemocht«, sagte Ulf.

»Das haben wir alle.« Wir reden bereits in der Vergangenheit von ihr, dachte Adelia.

»Denkt Ihr, Aelith hat’s geschafft?«

»Ich glaube, schon. Lieber Gott, ich hoffe es.«

»Womit haben sich die beiden das eingebrockt? Abgesehen davon, dass sie wie Christen gehandelt haben?«

»Ich weiß es nicht.«

Schließlich konnte sie Ulf dazu überreden, sich zu den anderen auf den Boden zu legen.

Es war kalt dort oben, und man hatte ihnen nicht mal Stroh gegeben, geschweige denn Betten. Essen oder Trinken hatten sie auch nicht bekommen. Der einzige Komfort war ein Eimer, den sie ihnen hineingeworfen hatten.

Trotzdem, nach dem langen schrecklichen Marsch mussten sie jetzt schlafen. Mansur, Rankin und Boggart standen bereits kurz davor. Während Adelia zusah, wie sich Ulfs verdrießliches junges Gesicht entspannte, musste sie an seine Großmutter denken und was sie wohl sagen würde, wenn sie ihn hier so sähe. Der Gedanke schmerzte sie. Und Boggart, mit einem neuen Leben in sich … Und Allie, immer Allie. Schläfst du, Kleines? Vermiss mich nicht! Sei glücklich.

Wie hatten sie nur hier landen können?

Immer bereit, die Schuld bei sich zu suchen, ging Adelia die Umstände durch, die sie hierhergebracht hatten … ging bis ganz zurück zu Henry Plantagenets Auftrag … aber sie hatte ihn nicht angenommen, er hatte ihn ihr aufgezwungen … ging weiter bis in ihre Kindheit und zu ihren Pflegeeltern, die sie zu einer Frau gemacht hatten, deren Leben unter einem schlechten Stern stand und die mit allem auf Kriegsfuß stand, was von ihr als Frau verlangt wurde … ging bis zurück zu ihrem Geborenwerden in so eine Welt.

Boggarts Hilfe hatte ihrem Fuß gut getan, aber ihre Schulter schmerzte. Sie band die Kordel um ihren Leib los und machte sich eine Schlinge für den Arm daraus. Dann wickelte sie sich gegen die Kälte in ihren Mantel ein und suchte sich eine halbwegs bequeme Stellung auf den Bodendielen, wobei sie Boggarts schwangere Fülle als Kissen benutzte …

Sie saß im Klassenzimmer der Medizinerschule in Salerno, und die hohe pedantische Stimme von jemandem, den sie nicht sehen konnte, hielt einen Vortrag über das Verbrennen auf einem Scheiterhaufen.

Es ist besser für das Opfer, wenn das Holz bis hoch unter seine oder ihre Achseln reicht, weil es so zu einem schnellen Tod durch das Einatmen des Rauches kommt …

Es war eine Erleichterung, vom Kratzen eines sich im Türschloss drehenden Schlüssels geweckt zu werden. Das einzige Licht im Raum kam vom sternenübersäten Himmel draußen. Zwei der Männer, die sie über die Berge gebracht hatten, kamen herein. Einer hielt einen Speer in der erhobenen Hand, der andere – es war der, der Boggart geholfen und ihnen Wasser gegeben hatte – trug ein Tablett mit fünf Tellern, etwas altem Roggenbrot und einem Topf mit einem überraschend guten Lammeintopf.

»Fragt sie, wann sie uns gehen lassen, diese Mistkerle!«, sagte Ulf zu Adelia.

Sie stellte ihnen die Frage ohne seine Ausschmückung.

»Der einzige Weg hier hinaus führt durch die Flammen«, sagte der Speerträger.

Aber der Freundliche sagte: »Wenn die Nachricht kommt.«

»Wie heißt Ihr?«, fragte Adelia.

»Verrat’s ihr nicht, Raymond!«, sagte der mit dem Speer. »Ach, Scheiße!«

Nachdem die Wärter gegangen waren, gab es eine Diskussion in der Dunkelheit, was Raymonds »Wenn die Nachricht kommt« bedeuten mochte.

»Es bedeutet, dass sie einen Boten zu unseren Leuten geschickt haben, um sich bestätigen zu lassen, wer wir sind«, sagte Adelia mit fester Stimme. »Oder sie wenden sich an Rowley. Wir kommen hier bald wieder raus.«

Den Hunger gestillt, aber immer noch müde, legten sich die Gefangenen erneut schlafen.

Wenn die Reisigbündel dagegen, meldete sich der Traumlehrer erneut zu Wort, nur bis zu den Knöcheln des Opfers reichen, wird er oder sie die schlimmsten Qualen erleiden, denn dann stirbt er oder sie durch Schock oder Blutverlust …

»Nein!« Adelia setzte sich auf. Die Stimme des Lehrers war ihre eigene gewesen. Indem sie sich die Nägel ins Fleisch grub, um sich nicht wieder zu hören, blieb sie für den Rest der Nacht wach.

 

Am Morgen wurden ihnen die Hände gefesselt und die Füße in Eisen gelegt, bevor man sie die Wendeltreppe hinab und hinaus auf den Platz führte. Graue Wolken zogen am Himmel entlang.

Soldaten bewachten die Eingänge des Platzes, andere ließen die Bürger der Stadt ein, wobei sie darauf achteten, dass keine Hunde oder Ziegen mitkamen. Einige der Zuschauer trugen Körbe am Arm, als seien sie gerade einkaufen gewesen.

Die Gefangenen wurden zu einem Podium gebracht, auf das sie klettern mussten, damit sie sehen und gesehen werden konnten. Allerdings sahen die herbeiströmenden Leute nur kurz zu ihnen hoch, fast ohne Interesse. Gefesselte Gefangene schienen nichts Besonderes für sie zu sein.

Boggart stand auf der einen Seite von Mansur, Adelia auf der anderen. Neben ihr standen Rankin und Ulf. Hinter ihnen erhob sich ein Gerüst vor der Fassade einer alten Kirche, deren herrliche Steinmetzarbeiten gerade renoviert wurden.

Vor ihnen und die Kirche weit überragend erhob sich der Bischofspalast, modern und makellos, mit Glasfenstern unter Rundbögen und Skulpturen über dem Portal, die Jesus’ Lebensgeschichte erzählten.

Es war ein wunderschöner Platz. Mit einem Scheiterhaufen in der Mitte.

Adelia glaubte Ward bellen zu hören und fragte sich, ob er wohl etwas zu fressen und Wasser fand. Sie fragte sich, ob Allie wohl ihren Falken fliegen lassen durfte, ob Schwester Aelith hatte entkommen können und wo Rowley sein mochte.

Ihre Gedanken klammerten sich an diese Dinge und eilten weg vom Hier und Jetzt, das eine Farce sein musste, an deren Ende der Scheiterhaufen und das Holz unberührt blieben und sie alle nach Hause geschickt wurden. Menschen verbrannten sich nicht gegenseitig, nicht in diesen Zeiten. Das war eine Drohung aus einer anderen Epoche, mit der Ungläubige eingeschüchtert wurden, Juden, Hexen und andere Abweichler. Wirklich wahrgemacht wurde sie längst nicht mehr. Nicht hier, lieber Gott, nicht hier.

Das Ungewohnte der Situation drang auf sie ein und versetzte sie in Panik. Die Landschaft hinter den Türmen und Dächern war erbarmungslos, zu zerklüftet und zu hoch aufragend, und dann dieser Platz voller Menschen, die sie nicht kannte, die nichts für sie waren, so wie sie nichts für sie war.

Nein, sagte sie sich, es wird nicht geschehen. Die Kirchenmänner dort drüben auf dem stoffbespannten, Podium folgten dem Gebot, kein Blut zu vergießen. Ergo würden sie es auch nicht in brennendem Fleisch vergehen lassen. Sie durften es nicht. Und wenn der Scheiterhaufen mit seinen Holzbündeln auch dort in der Mitte stand, würde sie es nicht miterleben, denn es würde nicht geschehen … Und wieder konnte sie Ward bellen hören, und sie würde sterben, wenn ihm niemand half und ihn und Allie vor der Einsamkeit bewahrte, was natürlich jemand tun würde, denn es gab Güte in dieser Welt, es musste Güte geben, denn sonst gab es auch keine Gesundheit, kein Ziel …

Der Platz war jetzt so voller Zuschauer, dass sich die Kappen und Mützen der Männer und die fein geflochtenen breiten Strohhüte der Frauen bis direkt unter sie schoben. Trotzdem war nichts von der allgemeinem Begeisterung zu spüren, mit der sonst oft Hinrichtungen verfolgt wurde. Die Leute wirkten missmutig. Katharer oder nicht, sie wollten das hier nicht.

Eine Frau direkt unter Adelia sprach mit ihrer Nachbarin. »Ermengarde.« Es war, als reichte dieses Wort, um zu sagen, was zu sagen war.

»Ich weiß«, sagte die Nachbarin.

»Wie wird sie den Schmerz ertragen?«

»Hoffen wir, dass Gott ihn auf sich nimmt.«

Speere wurden gegeneinander geschlagen, die Soldaten begrüßten den Bischof von Aveyron, der in seinen Bischofsmantel gehüllt und mit der Bischofsmütze auf dem Kopf aus dem Palast trat. Er hatte sein eigenes Podium, auf das man ihm hinaufhalf.

Adelia schloss die Augen, als er zu sprechen begann. Er hatte eine schöne Stimme, wohlklingend und voller Trauer, und als Adelia sie hörte, wusste sie, dass Ermengarde heute sterben musste.

»Meine lieben Freunde, ihr seid hier versammelt als gute Menschen und gute Christen, die Zeuge dessen sein wollen, was um unser Seelenheil willen getan werden muss …«

Plötzlich ertönte ein Schrei: »Verfolgung!« Es war eine Männerstimme, mutig und klar. Sofort hörte man Stiefeltrampeln, Soldaten teilten die Menge, um den Besitzer der Stimme aufzuspüren. Gott segne ihn!, dachte Adelia. Wer immer er ist. Wir sind niemals ganz allein.

»Verfolgung?«, fragte die schöne Stimme. »Aber nicht jede Verfolgung ist tadelnswert. Für uns ist es richtig, die Irrgläubigen zu verfolgen, genau wie Jesus Christus sie verfolgt hat, als Er sie aus dem Tempel warf. Böse Männer und Frauen zu töten und so ihre Seelen um der Erlösung und Gerechtigkeit willen zu retten ist unser Dienst an Gott. Und das müssen wir heute tun.«

Wieder Stiefeltrampeln. Sie brachten Ermengarde auf den Platz. Eine Phalanx Mönche begann zu singen.

Adelia öffnete die Augen. Die Katharerin sah so klein aus. Sie war ohne Kopfbedeckung, und der Wind blies ihr das graue Haar ins Gesicht. Sie stieß ihren eigenen Schlachtruf aus. Gott, segne sie, oh, segne sie!, dachte Adelia. Ermengardes Stimme erhob sich über den Wind und den Gesang der Mönche: »›Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig sind sie reißende Wölfe:‹ So steht es im Matthäusevangelium. Ihr Gott ist dumm, grausam, blutdürstig und ungerecht …«

Ein Schlag, und sie verstummte.

Ein Murmeln wie ein Windstoß, der über ein Kornfeld fährt, erfasste die Menge, und der Bischof übertönte es: »Hört ihr, ihr guten Menschen? Die Frau liefert den Beweis für ihre Gotteslästerung aus eigenem Mund.«

Adelia zwang sich, den Blick nicht abzuwenden. Sich vor Ermengardes Mut zu verstecken, würde bedeuten, sie zu verraten. Sie war Zeuge dessen, was hier geschah.

So winzig und schäbig vor der Pracht der Kirchendiener, umgeben von Soldaten, schritt Ermengarde barfuß auf den Scheiterhaufen zu, wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag auf den Altar zuschreitet. Sie wurde von einem rückwärts gehenden Priester geführt, der ein juwelenbesetztes Kreuz vor sie hinhielt. Sie hatte Blut am Mund.

Boggart begann zu keuchen. Ulf und Rankin fluchten.

Adelia sah zu den Kirchenvertretern hinüber, bestürzt. Seid ihr blind? Seht ihr nicht die bloßen Füße, die Einfachheit, die Einsamkeit? Das ist die via dolorosa.

Ermengarde wurde auf ihre Plattform gehoben und auf den Scheiterhaufen gebunden. Sie stand auf ihm und nicht in ihm. Mit einem Fuß trat sie ein Reisigbündel beiseite, und ein Soldat legte es ordentlich zurück an seinen Platz.

Der Gesang wurde lauter. Man hielt Ermengarde eine Bibel hin, aber sie wandte den Kopf ab. Eine Seite ihres zerschlagenen Mundes bewegte sich im Gebet.

Ein Mann mit einer Kapuze trat vor und hielt eine brennende Fackel in die Höhe. Er sah den Bischof an, der nickte und die gedunsenen, juwelengeschmückten Hände sinken ließ.

Das Feuer loderte auf, sie hatten Öl auf das Holz gegossen.

Adelia drückte das Gesicht in Mansurs Ärmel. Sie hörte das Prasseln der Flammen und das Knacken des Holzes, wie sie es so oft in gemütlichen Küchen gehört hatte, wo Fleisch an einem Spieß briet. Ihr unbarmherziges Anatomistenhirn folgte dem Ablauf des Verbrennens, von den Füßen, zu den Waden, den Schenkeln, den Händen und dem Rumpf. Und immer noch kein Tod, kein Tod, bis die Lohe den Atem des Mundes erreichten und ihn auslöschte.

Und Gott nahm den Schmerz nicht auf sich. Lange vor ihrem Ende begann Ermengarde zu schreien.